Er ist in Erinnerung geblieben – Interview mit Jesper Tydén zu »Tutanchamun« in Gutenstein

Jesper Tydén spielte im Sommer 2008 in der Welturaufführung von ‚Tutanchamun‘ die Titelrolle bei den Festspielen Gutenstein. Bereits in Maske für den jungen ägyptischen Herrscher, sprach er mit uns über seine Rolle und die Zusammenarbeit mit den Kollegen.

UM: Wie kam es zu ihre Rolle bei ‚Tutanchamun‘?

Jesper Tydén Foto: Sandra Reichel

Jesper Tydén
Foto: Sandra Reichel

JT: Ich kannte Gutenstein nicht, und hätte es wahrscheinlich auch nicht kennengelernt, wenn ich nicht wegen ‚Tutanchamun‘ hierher gekommen wäre. Aber es ist schön hier. Angesprochen hat mich das Kreativteam: Gerald Gratzer und Dean Welterlen. Gemeinsam haben wir die Musik gehört und ich habe ihnen angeboten, was ich damit machen kann. So kam es zur Zusammenarbeit.

UM: Wer ist ‚Tutanchamun‘ für Sie?

JT: Tutanchamun ist für mich eine ganz spannende mythosumsponnene Figur. Besonders spannend finde ich auch, dass man über seinen Tod so wenig weiß und er nur so kurze Zeit regiert hat. Und doch ist er der Pharao, den die Menschen heute allgemein in Erinnerung haben. Damit beantwortet sich auch meine Frage im Lied „Bleibe ich in Erinnerung?“. Er ist in Erinnerung geblieben.
Und das ist ja oft so mit Leuten, die jung sterben wie Heath Ledger jetzt oder James Dean. Viele Legenden ranken sich um diese Menschen. Und ich zähle Tutanchamun auch dazu.

 

ROLLENVERSTÄNDNIS

UM: Sie spielen eine historische Figur. Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet?

JT: Auf Rollen bereitet man sich ganz unterschiedlich vor. In diesem Fall war es schwierig. Denn wir haben ja keinen Film gedreht. Man kommt so vorbereitet wie möglich zu den Proben. Ich habe etwas recherchiert, viele Filme gesehen und vor allem Dokumentationen. Das alles ist leider sehr widersprüchlich. So bemühe ich mich einfach am Ende ein bisschen deutlich zu machen, wie das mit Tutanchamuns Verletzung am Knie war. Das ist ja, wie Sie sicher wissen, die aktuelle These zu seinem Tod. Ob die Zuschauer es verstehen, ist eine andere Sache. Es ist vielleicht eine gute Vorbereitung, die Ausstellung gesehen zu haben.
(Anmerkung der Redaktion: Die Wiener Ausstellung ‚Tutanchamun und die Welt der Pharaonen‘ kooperiert mit den Festpielen Gutenstein)

UM: Wie sehen Sie die Entwicklung Ihrer Rolle?

JT: Das ist eine Rolle mit einer immensen Entwicklung. Erst einmal haben wir ja die Entwicklung vom Kind zum erwachseneren Tutanchamun. Zwei Personen spielen deshalb die Rolle. Wenn ich dann die Bühne betrete, ist Tutanchamun ein verzogenes — falsch erzogenes — Kind. Trotz der neuen Stärke, mit der er das Bogenschießen gewonnen hat, ist er ziemlich eingebildet. Er meint, er müsse es allen beweisen – auch Haremhab. Eben dieser aber hat den jungen Mann geradezu durch seine falsche Erziehung so werden lassen. So sehe ich das.
Doch Tutanchamun findet den Weg zu sich selbst. Nur deshalb kann er lieben. Und er findet den Weg zur Macht. So, wie ich das sehe, und hoffentlich in meinem Spiel herüberbringe, war er ein guter Pharao. Er hat eingesehen, was sein Volk wirklich brauchte und was ihm bisher fehlte. Danach hat er versucht, so gerecht wie möglich zu handeln. Das alles wird hoffentlich deutlich, obwohl es nicht einfach ist, ein Profil in so kurzer Zeit herauszuarbeiten. Einem Musicalcharakter Tiefe zu geben, wenn alles so schnell geht, ist manchmal wirklich schwer. Da entsteht dann der oberflächliche Unterschied zwischen gutem und bösem Charakter. Trotzdem muss ich versuchen, dem Ganzen eine andere, tiefere Dimension zu geben. Denn Entwicklung gibt es genug in der Figur des ‚Tutanchamun‘. Da kann ich nicht klagen. Die Zeit ist nur etwas kurz, sie so zu zeigen, wie ich das gerne möchte.

UM: Gibt es etwas, was Ihnen beim Spiel besonders wichtig ist?

JT: Ich möchte bei allen Rollen, die ich spiele, immer etwas von mir mit in die Rolle einbringen. Das ist mir ganz wichtig, damit das Spiel authentisch wirkt. Ich spiele immer aus mir heraus, bringe die Erfahrungen mit, die ich habe. Für mich ist das der einzige Weg für naturalistisches Schauspiel. Und ich hoffe, dass ich die Konflikte darstellen kann, die dort im Stück sind. Dass ich dem Tutanchamun — der Figur — Leben einhauche und ihn glaubwürdig mache. Dass es ihn interessant macht als Charakter. Ich hoffe, dass ich das mit der Rolle erreiche.

VERHÄLTNISSE UND BEZIEHUNGEN

Darsteller und Rolle Foto: Sandra Reichel

Darsteller und Rolle
Foto: Sandra Reichel

UM: Anchesenamun und Tutanchamun werden getrennt und kommen wieder zusammen. Wie sehen Sie das Verhältnis beider zueinander?

JT: Sehr spannend! Erst einmal sind sie Halbgeschwister, die bereits als Kinder verheiratet werden. Dann verwandeln sie sich beide natürlich, werden erwachsen. Und besonders spannend ist dann das Wiedersehen, nachdem Anchesenamun und Tutanchamun solange getrennt waren. Beide haben sich in ganz verschiedene Richtungen entwickelt. Den Weg zurück zueinander zu spielen, finde ich besonders schön. Am Anfang ist sie auf jeden Fall weiter als er. Sie ruht mehr in sich. Er dagegen lebte ja die ganze Zeit wie hinter einem Vorhang. Man hat ihn ja direkt weggesperrt vor der Außenwelt und dem Leben. Einerseits hat man ihn extrem streng erzogen, andererseits von allem ferngehalten. Ich frage mich, was geschieht mit so einem Menschen?

UM: Auch die beiden Ratgeber stehen ja in einem jeweils eigenen Verhältnis zu Tutanchamun, oder?

JT: (schmunzelt) Wesir Eje ist eher eine väterliche Figur für Tutanchamun und General Haremhab ist der Strenge. Er geht wirklich nicht sehr sanft mit dem kleinen Tutanchamun um. Das hinterlässt auch Spuren. Und beide sind halt keine netten Jungs, sondern zwei machtgeile Typen, die alles versuchen, was in ihrer Macht steht, um an den Thron zu kommen. Eje ist ja derjenige, der schließlich den Befehl gibt, einen Pfeil auf die Nilpferde abzuschießen, damit das Boot kentert und der Pharao ertrinkt. Es gibt im Stück durchaus Stränge, die nicht genau erzählt werden, sondern aus dem Ablauf erschlossen werden müssen. Dieser ist so einer. Insofern ist alles im Stück vorhanden: die Machtintrige und die Liebesgeschichte und damit alles, mit dem wir uns auch heute auseinandersetzen müssen. Es gibt immer machtgeile Menschen und immer Liebe. Das sind zeitlose Konflikte. Gelingt es uns, sie gut zu vermitteln, unterhalten sie das Publikum, weil es sich in ihnen wiederfindet.

MUSIKALISCHES 

UM: Welche gesangliche Besonderheiten hat die Rolle für Sie?

JT: Ich habe zwei Soli und zwei Duette. Das eine dieser Liebesduette geht so richtig ab, das andere ist eine ruhige, leisere Ballade. In dem ersten Solo-Song ‚Falke ohne Flügel‘ findet Tutanchamun den Weg zu sich selbst. Kurz vor Ende des Stückes steht das zweite Solo, in dem er seine Angst porträtiert, ob er in Erinnerung bleibt. Alles sind gute Songs. Es macht mir Spaß, sie zu singen.

UM: Ihr singt nicht mit einem Live-Orchester, sondern zu einem sehr gut abgemischten Band. Was ist anders? Ist es vielleicht leichter?

JT: Ich denke, es ist eher leichter für die Solisten. Für das Ensemble dagegen ist es schwerer, ohne Dirigenten zu arbeiten. Es fehlt die eine Person, die den Einsatz gibt. Für den Solisten ist es nicht schwerer, weil er ohnehin alles lernt und sich am Ablauf orientiert. Dennoch fehlt natürlich das Live-Gefühl. Dadurch geht etwas an Emotion verloren. Auch das Geben und Nehmen finden so nicht statt. Du hast ein vorgegebenes Tempo, und das war’s. Du kannst nicht variieren. Mir ist es schon lieber, mit einem Orchester im Graben auf der Bühne zu stehen. Ich sage aber auch: lieber kein Orchester, als ein schlechtes Orchester (lacht). Wir haben hier eine sehr komplexe Musik mit Mehrfachbesetzungen der Instrumente und ausgefallenen Instrumenten. Das hätte sehr viel Aufwand bedeutet.

MAN MUSS SICH SCHNELL NAH KOMMEN…

Jesper Tydén im Gespräch Foto: Sandra Reichel

Jesper Tydén im Gespräch
Foto: Sandra Reichel

UM: Wie empfanden Sie die Arbeit mit Regisseur Dean Welterlen?

JT: Für mich war sie sehr fein. Er hat mich ganz frei gelassen. Ich habe ziemlich viel selbst mitbringen können zu dem Stück und meiner Rolle. Er hat schon eine Grundlinie für den Ablauf gegeben und auch Richtlinien, wie etwas aussehen soll. Manches war ja auch klar durch das Buch vorgegeben. Sonst aber hat er einen sehr frei gelassen, so dass man sich ausprobieren konnte. Das war sehr angenehm.

UM: Auch die Zusammenarbeit mit den Kollegen?

JT: Ja, mehr als das, einfach einwandfrei! Es sind sehr nette Kollegen und auch gute Sänger. Ich freue mich sehr, dass Rob Fowler, Sabine Mayer und André Bauer dabei sind. Sie sind alles super Sänger und da macht es besonders Freude, miteinander zu arbeiten. Sabine und ich hatten schon sehr viel Spaß im Studio beim Einsingen der CD . Und Rob und ich kennen uns schon lange und haben häufig miteinander gejamt. André kenne ich bereits seit 2000, als wir den ‚Glöckner von Notre Dame‘ in Berlin gemeinsam gemacht haben. Es ist schön, mit diesen tollen Sängern gemeinsam auf der Bühne zu stehen.

UM: Das alles klingt nach einer besonderen Atmosphäre. Ist es auch etwas Besonderes, auf engem Raum eine kurze Zeit so intensiv miteinander zu arbeiten?

JT: Das ist eigentlich immer so. Ich mache in der letzten Zeit ja hauptsächlich Stadttheaterproduktionen oder auch ‚Dracula‘ letztes Jahr… Man kommt immer schnell und intensiv zusammen. Und dann ist es irgendwann einfach so aus. Und das ist schrecklich! Aber es ist leider Teil dieses Berufs. Da kann man nichts machen. Man kommt einander so nah und ‚buff‘, ist alles vorbei. Ich habe mich irgendwann ein bisschen daran gewöhnt, dass es so ist, aber es bleibt schrecklich. Und doch muss es so sein. Man muss sich schnell sehr nah kommen, sonst funktioniert das Zusammenspiel nicht.

UM: Gibt es kommende Projekte, die wir unseren Lesern ankündigen dürfen?

JT: Oh ja. Mein nächstes großes Projekt ist mein Solokonzert am 4. Oktober im Ebertbad Oberhausen in der Reihe ‚Musicalstars‘. Das wird ein ganz besonderes Konzert, in dem ich mich selbst gemeinsam mit einem Streichtrio am Klavier begleite. Wir haben ein Programm zusammengestellt, das man so vielleicht nicht kennen wird. Wir machen auch Musical, aber ganz neu arrangiert, und auch viele Medleys sind dabei. Ich freue mich sehr darauf. Das wird ein ganz besonderer Abend!

Vielen Dank für das ausführliche Gespräch.

Das Interview führte Barbara Kern.