Christoph Drewitz: »Ich warte nicht gern auf irgendwas, das da kommt, sondern bin aktiv und will mein Schicksal selbst in die Hand nehmen«

Revival von »The Last Five Years« und »Rosengärtchen live –
Das Pop-Up-Festival« in Wetzlar

Vorab aus blickpunkt musical 04 / 2020

Dieser Inhalt aus der kommenden Ausgabe von blickpunkt musical erscheint vorab online. Wenn Ihnen dieser Inhalt gefällt, unterstützen Sie bitte unsere Arbeit, indem Sie die komplette Ausgabe von blickpunkt musical bestellen.

Heft bestellen Als Download kaufen Abo-Angebote

Christoph Drewitz bei der Pressekonferenz von Rosengärtchen live in Wetzlar
Foto: Franziska Hain Photographie

Am 18. Juni 2005 fand im Rex-Theater Wuppertal in der Übersetzung von Wolfgang Adenberg, unter der Regie von Christoph Drewitz und Daniel Witzke die deutschsprachige Erstaufführung von »The Last Five Years« statt. Nun bringt Drewitz nach fast genau 15 Jahre später das Zweipersonenstück unter Corona-bedingten Auflagen im Rosengärtchen in Wetzlar auf die Bühne. Auf der Bühne steht erneut die deutsche Originalbesetzung mit Charlotte Heinke als Cathy und Patrick Stanke als Jamie.

blickpunkt musical: Wie kam es zu dieser späten Wiederaufnahme von »Die letzten fünf Jahre«?

Christoph Drewitz: Wie alle anderen im Kulturbetrieb mussten wir wegen der Pandemie überlegen, wie wir unseren Beruf weiter ausüben. Für einen Regisseur ist das nicht leicht, weil er nicht einfach etwas in die Welt hinausschicken und sich damit mitteilen kann. Die Inszenierungsmöglichkeiten sind da sehr gering.

Nach der deutschsprachigen Erstaufführung vor 15 Jahren sind Patrick Stanke, Charlotte Heinke Sebastian de Domenico (Music Supervisor von »The Last Five Years«, Anm. d. Red.) und ich immer in Kontakt geblieben. Mit Patrick Stanke bin ich sehr früh darüber ins Gespräch gekommen, ob man nicht eine Live-Stream-Version von »The Last Five Years« machen könnte, aber es ist lizenzrechtlich nicht leicht, eine Aufführung nur für Stream zu machen. So haben, als ich in den vergangenen Wochen die Idee eines Festivals entwickelt hatte und klar war, dass wir dieses auch durchführen können, entschieden, dass es schön wäre, dort auch ein Musical zu spielen.

»The Last Five Years« ist eines der Musicals, die man unter eingeschränkten Bedingungen immer noch sehr gut spielen kann, sowohl weil es nur zwei Personen auf der Bühne braucht als auch mit relativ geringem Aufwand zu realisieren ist, ohne dass man alles ändern muss. Der Zuschauer soll ja auch nicht denken: »Das haben sie jetzt alles geändert, damit man trotz Corona spielen kann.«

»Die letzten fünf Jahre« in Wuppertal 2005
Foto: Frank Struck

Wir haben »The Last Five Years« auch vor 15 Jahren in Wetzlar gespielt. Das Stück ist daher dort schon bekannt und kam damals sehr gut an.
Patrick und Charlotte sind die beiden, die dieses Stück original in Deutschland gespielt haben und auch auf der CD zu hören sind – da war es gar keine Frage, dass ich das mit den beiden machen möchte.

Ich habe mich als Regisseur weiterentwickelt und deshalb freut es mich sehr, dass ich dieses Stück, das mir sehr am Herzen liegt, noch einmal machen kann. Das ist wirklich eine Herzensangelegenheit und nicht nur ein »Wir haben jetzt Corona und müssen halt irgendwas machen«. An diesem Ort und mit diesen Leuten ist es einfach ganz besonders schön.

blimu: Wenn Sie sich an damals erinnern: Wie kam es zu dieser deutschsprachigen Erstaufführung?

CD: Dies war damals mein erster Regieversuch im professionellen Bereich, daher habe ich noch sehr gute Erinnerungen daran. Daniel und ich hatten uns bei Castings für das Musical »Aida« kennengelernt und gemeinsam von »The Last Five Years« geschwärmt und wie toll es wäre, das Stück nach Deutschland zu bringen. Wir hatten weder ein Theater noch eine Produktionsfirma hinter uns, also haben wir das alles selbst gegründet und – über den Übersetzer Wolfgang Adenberg, der mit uns sehr eng zusammengearbeitet hat – den Kontakt zu Jason Robert Brown aufgenommen.

Wir hatten das Glück, dass ich das Stück gerade in Holland gesehen hatte, so haben wir uns von dort die Musikalische Leitung und die Musiker geholt, die das Stück schon kannten. Ansonsten sind wir praktisch von Null gestartet, mit dem riesigen Aufwand, neben der Gründung einer Firma auch noch das ganze Team zusammenzustellen zu müssen. Wir gingen dann damals auch eine Kooperation mit der Stage Holding ein, die uns mit der Logistik unterstützt hat. Es war auf jeden Fall eine sehr spannende und lehrreiche Zeit.

blimu: Warum gerade »The Last Five Years«? Inwiefern passt das Stück in unsere heutige Zeit?

Charlotte Heinke als Cathy in »Die letzten fünf Jahre« in Wuppertal 2005
Foto: Frank Struck

CD: »The Last Five Years« ist als Stück sehr zeitlos. Es ist eine Liebesgeschichte, die auch dadurch spannend ist, dass sie aus zwei Perspektiven erzählt wird: einmal chronologisch vom Anfang bis zum Ende und einmal entgegengesetzt vom Ende hin zum Anfang. Das Ganze ist wahnsinnig dicht erzählt mit sehr komplexen Songs. Ein wirklich starkes Buch mit starken Texten und starker Musik.

Und für unsere Zeit ist es genau passend, eben weil es kaum Berührungspunkte zwischen den beiden Figuren gibt, auch ohne, dass man speziell für eine Pandemie-Situation inszenieren muss. Nur bei der Hochzeit treffen die beiden aufeinander und hier liegt dann die Herausforderung, das zu inszenieren.

Was diese Produktion besonders spannend macht, ist, dass beiden Darsteller natürlich auch reifer geworden sind und jetzt die Rollen nochmal neu beleuchten.

Es ist eines der wenigen Musicals, die diesen Sommer überhaupt gespielt werden. Sicher wird es bald auf vielen Spielplänen stehen, aber bei uns gibt es noch mal die Originalbesetzung der deutschsprachigen Erstaufführung zu sehen.

blimu: Sie führen erneut Regie. Was hat sich verändert an Ihrem Konzept, Ihrer Sichtweise?

Patrick Stanke als Jamie in »Die letzten fünf Jahre« in Wuppertal 2005
Foto: Frank Struck

CD: Erstmal habe ich selbst viel mehr Regieerfahrung, das heißt ich gehe erst einmal mit einem noch größeren Handwerk an die Sache ran, weiß aber auch sehr genau, was Patrick und Charlotte damals ausgezeichnet hat. Das will ich gar nicht alles überdenken – trotzdem sind die beiden jetzt natürlich auch in ihrer Entwicklung weiter. Die Geschichte wirkt ganz stark über die Songs. Das muss man jetzt nicht neu erfinden, wobei man immer Lehren aus der Inszenierung eines Stücks zieht, wenn man es erneut anfasst. Es wurde es schon damals bei den Umzügen von Wuppertal nach Wetzlar und zurück nach Wuppertal immer leicht angepasst. Und so werden wir es auch jetzt wieder neu und frisch angehen.

Die Kulisse wird natürlich eine ganz andere, weil wir diesmal eine sehr, sehr große Freilichtbühne bespielen, zugleich gibt es aber die Videoprojektionen nicht, die wir in Wuppertal damals hatten. Sie wird sich also insgesamt mehr an den Wetzlarer Aufführungen von damals orientieren, als an denen in Wuppertal.

Die Inszenierung wird sich auf jeden Fall weiter entwickeln und ich glaube, dass es einer Produktion auch guttut, wenn Sachen manchmal ein bisschen liegen und man nochmal neu und frisch darauf schauen kann.

blimu: Sie und die Produktion von »Rosengärtchen live« haben in beeindruckend kurzer Zeit ein vielfältiges Programm aus Konzert, Schauspiel, Bandauftritt und nun auch Musical für das Rosengärtchen auf die Bühne gestellt. Wie ging das?

CD: Auslöser waren nach so ein paar Monaten Isolation, in denen man einfach nicht arbeiten konnte, ganz viele Überlegungen, was man denn tun könnte, um Kultur wieder erlebbar zu machen. Ich dachte, ich muss jetzt irgendwas machen – in einer Form, die die Umstände akzeptiert, aber sich dem auch entgegenstellt. Ich warte nicht gerne auf irgendwas, das da kommt, sondern bin aktiv und will mein Schicksal selbst in die Hand nehmen.
Und so bin ich dann losgelaufen, als es hieß, es gibt die ersten Lockerungen. Ich wusste, dass die Wetzlarer Festspiele ihr Programm auf das nächste Jahr verschieben und selbst nichts in diesem Sommer veranstalten. Es gab also eine freie Spielstätte in Wetzlar, das große Rosengärtchen, in dem man unter den geltenden Bedingungen, mit eingeschränkter Kapazität wahrscheinlich etwas realisieren könnte.

Also habe ich meinen Wetzlarer Kollegen Michel Honold angesprochen, der sich in der Region auch als Veranstalter und Musicalfachman auskennt und sehr gut vernetzt ist. Zudem kann er über sein Unternehmen Eintrittskarten.io diese ganze Thematik der Kontaktnachverfolgung möglich machen. Gemeinsam haben wir ein Hygienekonzept entwickelt, dem Gesundheitsamt vorgelegt und als klar war, dass es etwas werden kann, habe ich gesagt: »Jetzt gehe ich als Künstler daran und spreche Leute an, die ich kenne, die mir vertraut sind und frage einfach mal, ob sie nicht Lust haben, bei uns aufzutreten.«

Frank Dauer, Geschäftsführer und Intendant vom Kultursommer Mittelhessen, & Christoph Drewitz mit dem Logo von Rosengärtchen live auf der Staffelei
Foto: Franziska Hain Photographie

Mit Frank Dauer, Geschäftsführer und Intendant vom Kultursommer Mittelhessen, der auch auf der Suche nach einem alternativen Programm für diesen Sommer war, haben wir Ideen gesponnen und geschaut, ob wir das irgendwie finanziert bekommen und zudem mit den Künstlern sehr offen darüber gesprochen, was die Möglichkeiten sind.

Alles ging sehr schnell und über unsere Kontakte haben wir eine große Bereitschaft gespürt bei den Künstlern, die jetzt einfach zeigen wollen, dass sie da sind und das Ganze auch dadurch unterstützen, dass sie sagen: »Das ist eine besondere Zeit, wir gehen mit euch diesen Weg.« So etwas würde in normalen Zeiten gar nicht klappen, denn diese Leute wären alle ausgebucht.

Doch das alles geht nur, weil wir ganz viele Partner mit im Boot haben wie den Kultursommer Mittelhessen als Mitveranstalter, aber auch die Stadt Wetzlar, die es uns ermöglicht, diese Freilichtbühne anzumieten. Wir bekommen auch viel Unterstützung durch freiwillige, ehrenamtliche Helfer, ohne die es nicht funktionieren würde.

Wir erfahren sehr große Unterstützung aus der Region, natürlich auch durch Sponsoren, denn das Ganze muss wahnsinnig eng kalkuliert sein, große Gewinne sind nicht zu erwarten. Aber wir wollen den Menschen, die auch danach lechzen, wieder Kultur zu erleben, die Möglichkeit geben, sich wieder an Kultur aus allen Bereichen zu erfreuen und so haben wir nicht nur Musical, sondern ganz unterschiedliche Konzerte, Schauspiel, eine Lesung und Comedy im Programm. Wobei wir wir aus der Region unglaublich positive Rückmeldungen schon dafür erhalten, dass wir so etwas überhaupt anbieten.

blimu: Was sind die Herausforderungen, ein Stück und auch Konzerte im Rosengärtchen umzusetzen?

CD: Von Null etwas zu starten ist immer ein enorm großer Aufwand. Der Vorteil, den wir aktuell haben ist, viele Leute haben einfach Zeit und Kapazitäten und das macht es ein bisschen einfacher. Leicht wird es dadurch trotzdem nicht, aber etwas unkomplizierter und man trifft doch oft auf offene Türen, wenn es zum Beispiel um Kooperationen geht, die normalerweise immer ein bisschen komplexer sind.

Ein tolles Beispiel dafür ist unser Instrumentenverleiher, der uns unterstützt, indem er uns einfach einen Flügel hinstellt mit den Worten: »Erstmal muss das jetzt stattfinden und hinterher schaut man, was an Geld dafür da ist.«

Natürlich sollen bei uns alle adäquat bezahlt werden, aber fast jeder geht erst mal mit ins Risiko und wir sehen danach zu, dass jeder hoffentlich auch finanziell etwas davon haben kann.
Auch technisch ist das natürlich eine Herausforderung, denn alles muss mit sehr schmalem Aufwand realisiert werden, weil jeden Tag auf- und abgebaut werden muss, aber mit wenig Personal und unter Einhaltung der ganzen Hygieneregeln.

blimu: Was bedeutet es für Sie und das gesamte Team, dass im Rosengärtchen wieder gespielt wird und dass spontan so etwas wie neue Wetzlarer Festspiele entstanden sind?

Ich will nicht die Wetzlarer Festspiele neu erfinden, das ist auch gar nicht meine Aufgabe. Es gibt die Festspiele und diese machen ihre Arbeit wirklich gut. Wir sind jetzt für genau einen Monat da und verschwinden dann wieder, deshalb nennen wir es auch »Pop-Up-Festival«.

Wir füllen eine Lücke, die wir einfach sowohl auf Seiten der Künstler als auch des Publikums merken. Wir alle wollen wieder zusammenkommen und bei allem Respekt, den ich für Streams und all die anderen neuen Ideen habe, so können sie doch nicht dieses Gefühl eines gemeinsamen Erlebnisses ersetzen.

Katharina Mehrling
Foto: Yan Revazov

Und eben darauf freue ich mich sehr und auf Künstler, die ich schon wahnsinnig lange kenne wie Gayle Tufts und Marian Lux, den Komponisten von »Lotte«, aber auch auf die Darsteller von »Lotte«, die erneut ein Konzert geben. Ich darf selbst wieder mitspielen bei »Der Vorname« in meiner Inszenierung, die letztes Jahr bei den Festspielen schon sehr erfolgreich lief. Katharine Mehrling kommt, die ich seit vielen Jahren schätze und die natürlich auch eine echte Größe ist. Aus dem klassischen Bereich kommen zwei Ensembles, außerdem bringen wir ein Live-Hörspiel. Also wirklich ein tolles und ganz vielfältiges Programm.

Und es macht mich froh, dass wir so etwas anbieten und den Leuten zeigen können: »Wir sind da, es gibt uns, wir machen Kultur wieder erlebbar«. Unsere Hoffnung ist, dass die Leute einen tollen Abend bei uns haben werden.

blimu: Vielen Dank und wir wünschen viel Erfolg bei dem Pop-Up-Festival »Rosengärtchen live« und insbesondere bei der Neufassung von »The Last Five Years«.

Vorab aus blickpunkt musical 04 / 2020

Dieser Inhalt aus der kommenden Ausgabe von blickpunkt musical erscheint vorab online. Wenn Ihnen dieser Inhalt gefällt, unterstützen Sie bitte unsere Arbeit, indem Sie die komplette Ausgabe von blickpunkt musical bestellen.

Heft bestellen Als Download kaufen Abo-Angebote