»Sister Act« am The English Theatre Frankfurt: Wenn der sonntägliche Gottesdienst auch nur annähernd so mitreißend wäre

Mutter Oberin (Margaret Preece, 2.v.r.) fürchtet, dass Deloris alles durcheinanderbringen wird, mit den Schwestern (Ensemble) und Monsignore O’Hara (Callum Tempest, r.). Foto: Martin Kaufhold

Nach oberflächlicher Recherche lässt sich feststellen, dass das Musical »Sister Act« aktuell an mindestens neun Bühnen in ganz Deutschland gespielt wird. Darin enthalten sind viele Amateur- bzw. semiprofessionelle Bühnen und Open-Air-Produktionen, die demnächst Premiere oder Wiederaufnahme haben. Man kommt also kaum um dieses Stück herum. Da es sich aber um ein äußerst amüsantes Stück handelt, macht das gar nichts. Ich selbst war erst vor zwei Wochen in einer semiprofessionellen Inszenierung und habe nun noch die Aufführung am The English Theatre Frankfurt besucht. Dort spielt das Stück bereits seit November 2022 und hat bisher fast 32.000 Zuschauer angelockt. Und vermutlich gingen fast alle genauso beschwingt nach Hause, wie die Zuschauer der von mir besuchten (und ausverkauften) Vorstellung.

Deloris Van Cartier (Kalisha Amaris, i.d.bes. Vorst.: Xenoa Campbell-Ledgister) mit Tina ( Ruby Davies, l.) und Michelle (Xenoa Campbell-Ledgister, i.d.bes. Vorst.: Emily Scott). Foto: Martin Kaufhold

The English Theatre Frankfurt führt (wie der Name schon sagt) die Stücke auf Englisch auf, was eine schöne Abwechslung darstellt. Die Darsteller sind allesamt Muttersprachler und in London gecastet. Dort wurde auch geprobt, bevor die Inszenierung in Frankfurt Premiere hatte. Schon in der Vergangenheit konnte man hier tolle und besondere Musicalinszenierungen erleben. Die kleine Bühne lässt keine großen Casts und Bands zu, aber mit viel Geschick und Gespür wird hier immer ein Maximum an Qualität rausgeholt. Das ist auch bei »Sister Act« nicht anders.
Besonders beeindruckend ist dabei das funktionale Bühnenbild von Stewart J. Charleston. Es besteht zum Großteil aus verschiebbaren, dreieckigen Bühnenelementen, die teilweise beleuchtet sind. Damit lassen sich immer neue Räume erschaffen (wahrhaft göttlich ergibt sich am Ende das Innere der Kirche, mit bunten und leuchtenden Fenstern) und fließende Übergänge realisieren. Zudem unterstützt die Beleuchtung der Elemente auch die Handlung, wenn zum Beispiel bei der Verfolgung von Deloris durch Curtis und seine Jungs auf den Elementen kleine Lichtschlangen nach dem Vorbild des Handyspiels »Snake« über die Wände huschen. Ebenfalls ein schöner Effekt in derselben Szene sind die beiden Autos, die über die Bühne »fahren« und man nur die Scheinwerfer mit Blick in den Zuschauerraum hat. Kleine Mittel, aber große Wirkung. So geht Theater.
Die Inszenierung von Ewan Jones ist temporeich und kurzweilig (man staunt, wie schnell der Abend vorbei ist), glänzt mit Comedy-Timing und gibt doch genügend Raum für die ruhigen Momente. So beispielsweise wenn Deloris in Eddies Wohnung Unterschlupf findet, nachdem ihr Versteck im Kloster aufgeflogen ist. Und sie rührt an. Im Zuschauerraum konnte man während der Vorstellung die eine oder andere Person beobachten, die sich zwischendurch heimlich ein paar Tränen wegwischte.

Eddie Fritzinger (Alfie Parker, Mitte) mit Ensemble. Foto: Martin Kaufhold

Das liegt sicher auch an der Castauswahl (Casting Director: Mark Frankum). Es wurde viel Wert auf Typen gelegt und weniger auf eine homogene (und damit oft austauschbare) Darstellergruppe. Eddie ist eher der übergewichtige Durchschnittscop, den man aus diversen amerikanischen Serien kennt, als der gutaussehende (aber optisch zum Nerd gemachte) Typ von nebenan. Alfie Parker verleiht der Rolle viel Herz und noch mehr Stimme. Wenn er seiner Sehnsucht Ausdruck verleiht (›I Could Be That Guy‹) steht da ein Mensch mit Träumen, und man wünscht ihm von Herzen, dass diese in Erfüllung gehen.
Auch Curtis ist hier nicht der eindimensionale Gangster. Er ist charmant, elegant und umgarnt Deloris (und das Publikum) mit sanfter Soulstimme. Umso größer ist dann der Umschwung auf seine brutale Seite. Unterstützt wird Curtis von seinen beiden herrlich unterbelichteten Handlangern TJ (Joshua Lear) und Pablo (Lucas Piquero). Der dritte Handlanger Joey ist hier gestrichen und dessen Part im Song ›Lady in the Long Black Dress‹ (›Hey, Schwester‹) wird von Curtis übernommen.
Allerdings sind die Männerrollen in »Sister Act« doch nicht wesentlich mehr als Stichwortgeber. Die Stars sind die Frauen. Allen voran natürlich Deloris Van Cartier. In der besuchten Vorstellung wurde diese von der jungen Xenoa Campbell-Ledgister, die hier in »Sister Act« ihr professionelles Debüt gibt. Sie fällt auf – nicht nur durch ihre Körpergröße, mit der sie alle im Ensemble überragt. Sie schnurrt im einen Moment und keift im nächsten, nur um dann mit beeindruckender Soulstimme der Welt zu zeigen, dass sie ein Star ist. Dem entgegen steht die Mutter Oberin, die Margaret Preece wiederum mit eher klassischer Stimme verkörpert. Allein dieser Kontrast zwischen Moderne und Konservativismus bringt Spannung und stärkt beide Charaktere. Margaret Preece singt nicht immer schön, aber gerade ihre nicht mehr jugendliche Stimme macht die Rolle glaubhaft. Zudem spielt sie auf den Punkt.

Schwester Celeste (in d. bes. Vorstellung spielte Xenoa Campbell-Ledgister, l. die Rolle der Deloris) und die anderen Schwestern (Ensemble), in der Mitte Sister Mary Robert (Biancha Szynal). Foto: Martin Kaufhold

Auch die restlichen Nonnen sind keine homogene Gruppe, sondern bieten alles auf von klein bis groß, dick bis dünn, laut bis leise und schrill bis harmonisch. (Nochmal sei hier das gute Casting und die Typen gelobt.) Biancha Szynal entfaltet sich in ihrer Rolle als Schwester Mary Robert im wahrsten Sinn des Wortes: Macht sie sich am Anfang klein, zieht die Schultern dauerhaft bis gefühlt über ihre Haube hoch, versucht sich zu verstecken, so gewinnt sie durch Deloris nicht nur Haltung sondern auch Stimme. Wenn sie am Ende die geschenkten Stiefel von Deloris trägt, steht sie stolz und als gereifte Persönlichkeit den anderen gegenüber. Ganz besonders hervorgehoben sei auch noch der Rap von Schwester Mary Lazarus (Vanessa Grace Lee). Mit weißer Sonnenbrille steht sie im Zuschauerraum und heizt den »Gläubigen« gewaltig ein. Wenn der sonntägliche Gottesdienst auch nur annähernd so mitreißend wäre, bräuchte es definitiv größere Kirchen.