Rory Six über die Situation der Künstler: »Die Wertschätzung wird immer geringer«

Geführt am 9. April 2020

Vorab aus blickpunkt musical 03/2020

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Rory Six ist ein belgischer Musicaldarsteller, Komponist und der Inhaber der Theatercouch in Wien Meidling. Aktuell wäre er als Alt Deuteronimus im Musical »Cats« im Wiener Ronacher zu sehen. Aufgrund der Coronakrise sind die Vorstellungen auf unbestimmte Zeit abgesagt.

blickpunkt musical: Wie geht es Ihnen in der aktuellen Situation, wie sieht Ihr Tagesablauf aus?

Rory Six_Foto Andrea Peller

Rory Six
Foto: Andrea Peller

Rory Six: Ich muss sagen, mir geht es gut. Ich habe genug zu tun, obwohl ich jeden Tag zu Hause sitze. Morgens stehe ich auf, frühstücke etwas und gehe gleich mal mit meinen Hunden raus. Dann stelle ich das Programm für mein Wohnzimmerkonzert, das ich jeden Tag gebe, zusammen. Tagsüber bin ich vor allem mit Schreiben beschäftigt, da ich gerade an einem neuen Stück arbeite. Am Nachmittag baue ich dann alles für das Konzert auf. Ich brauche viel Equipment und das dauert seine Zeit. Ich möchte, dass die Tonqualität und das Licht passen – mit dem Handy kann ich so etwas nicht aufnehmen. Nach dem Konzert kommt mein Freund nach Hause. Die Tage gehen schnell vorbei, gelangweilt habe ich mich noch nie. Aber ich bin grundsätzlich ein Mensch, der sich gut beschäftigen kann. Würde ich das nicht, fühlte ich mich unrund.

blimu: Sie geben seit Kurzem, wie Sie bereits erwähnt haben, Wohnzimmerkonzerte. Wann finden diese statt und wie lange dauern sie?

RS: Die Konzerte fanden bis Ostern noch jeden Tag statt, immer um 15.30 Uhr und dauerten ungefähr eine halbe Stunde. Seit Ostern führe ich sie von Montag bis Freitag durch, ich brauche stimmlich mal eine Pause. Ich singe Musicalsongs – meist die Hits aus den Shows. Deshalb dauert das Konzert auch nicht länger, weil diese Lieder stimmlich sehr fordernd sind und einem Konzentration abverlangen. Ich plane meinen Tag nach den Konzerten, es ist anstrengend, aber ich werde nicht müde davon. Es ist fast wie ein Job.

blimu: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, so etwas zu machen?

RS: Ich bin ganz spontan darauf gekommen. Weder bei »Cats«, noch in der Theatercouch kann ich derzeit etwas machen. Ich dachte mir dann, es sind so viele Menschen gerade zu Hause, die nicht wissen, was sie tun sollen. Online habe ich gesehen, dass es Darsteller in Amerika gibt, die einzelne Lieder präsentieren. Mit einem ganzen Konzert bin ich meines Wissens nach der einzige Musicaldarsteller im deutschsprachigen Raum, der so etwas nahezu täglich macht – zumindest in Form eines halbstündigen Konzertes. Es bedeutet natürlich auch Werbung für die Theatercouch. Viele im deutschsprachigen Raum, die nicht aus Österreich sind, kennen sie nur vom Namen oder aufgrund von Stücken mit Musicalgrößen wie Drew Sarich oder Pia Douwes.

Jetzt bekomme ich sehr positives Feedback. Die Leute sagen mir: »Endlich habe ich ein Gesicht dazu und weiß, was ihr so alles macht. Wenn ich das nächste Mal in Wien bin, werde ich die Theatercouch auch besuchen.« Das ist natürlich schön. Eine ganze Anzahl planen mittlerweile sogar ihren Tagesablauf nach den Konzerten. Wir erreichen mehr als 1.000 Leute. Ich finde, für ein kleines Theater ist das wirklich gut. Es ist sonst nicht einfach, Leute auf sich aufmerksam zu machen.

blimu: Was erwartet die Zuschauer inhaltlich bei den Konzerten?

RS: Ich suche die Lieder nach Gefühl aus und mache das, worauf ich Lust habe. Es ist auf jeden Fall abwechslungsreich. Zusätzlich bekomme ich viele Vorschläge von meinen Zuschauern, was sie hören wollen. Auch darauf gehe ich ein. Allerdings singe ich nur Sachen, die ich kenne. Wenn ich etwas gar nicht kenne, beziehungsweise noch nie gehört habe, singe ich es in diesem Setting nicht, da es zu aufwendig wäre, es einzustudieren und ich teilweise auch die Noten dafür nicht habe. Für das Konzert arbeite ich mit einer App, die mir die Noten anzeigt.

Diese schlägt auch oft Titel vor. Ich singe übrigens auch Frauen-Songs oder Duette, wenn es möglich ist. Derzeit beschränke ich mich noch auf das Musical-Genre, könnte mir aber vorstellen, auch mal Pop-Songs zu singen. Zu zwei »Cats«-Nummern habe ich mich auch schon hinreißen lassen, obwohl ich ja eigentlich eine Pause vom Stück wollte. (lacht)

blimu: Die derzeitige Situation ist vor allem für Künstler sehr schwierig. Wie sehen Sie die Lage? Wie geht es Ihnen damit, fühlen Sie sich ausreichend von Stadt und Bund unterstützt?

RS: Die Theatercouch ist ein nicht subventioniertes Haus. Ab und zu erhalten wir projektweise Unterstützung vom Bezirk, aber da handelt es sich nicht um viel Geld. Die Mietkosten wurden nun gemindert, das hilft schon. Aber natürlich haben wir genügend andere Fixkosten. Mittlerweile spenden die Leute für die Konzerte. Ich wollte das erst nicht, aber die Nachfrage war da, die Leute wollten etwas beitragen. Ansonsten haben wir etwas auf der Seite für Notfälle, das
wir jetzt angreifen. Aber ja, wir müssen kämpfen. So einfach, wie es in der Presse dargestellt wird, ist es nicht. Gut ist, dass es Subventionen gibt, denn das ist auch nicht selbstverständlich und toll in Österreich. In anderen Ländern gibt es das nicht. Es wäre nur schön, wenn aus diesem Millionen-Topf auch andere Häuser profitieren.

Ich bin ja nicht der Einzige, der auf der kleineren Ebene produziert, da gibt es genug Projekte in Wien. Es ist eigentlich ein schlecht bezahltes Hobby. Wenn man alles zusammenrechnet, ist man schnell bei einem krassen Betrag, den es zu decken gilt. Wenn du Glück hast, sind die Vorstellungen rasch ausverkauft, hast du Pech, dann eben nicht. So viele sind arbeitslos, haben kein Einkommen, nur Kosten. Eine Freundin von mir spielt freiberuflich Kontrabass. Sie hat jetzt 1.000 Euro bekommen und das wird es für die ersten drei Monate sein. Das klingt großzügig, ist aber nicht genug. Die Regierung unternimmt nicht viel. Das ist schade, denn wir sind die Leute, bei denen die Branche am längsten stillsteht. Unsere Häuser wurden als erstes zugesperrt und werden als letztes wieder aufsperren. Ich habe das Gefühl, die Wertschätzung wird immer geringer. Für die Leute ist es ganz normal, dass man durch Streaming-Dienste Kunst und Kultur auf Knopfdruck
hat. Sie vergessen aber, was für ein Netzwerk dahinter steht. Jetzt merken sie es, man sieht es überall. Die Live-Auftritte fehlen den Menschen und Kultur wird wieder höher geschätzt.

Auschnitt Produktionsfoto Cats_Deen van Meer

Rory Six als Alt Deuteronimus (hinten)
Foto: VBW / Deen van Meer

blimu: Neben der Theatercouch wären Sie derzeit auch als Alt Deuteronimus in »Cats« zu sehen. Wie alle anderen Veranstaltungshäuser ist auch das Ronacher derzeit geschlossen. Wie funktioniert der Informationsfluss mit den Vereinigten Bühnen Wien (VBW), wie sieht es mit dem Gehalt aus? Und sind Online-Aktionen geplant?

RS: Wir sitzen jetzt sicher sechs Monate zu Hause, vor Oktober wird es nicht weitergehen. Wir sind wie viele andere auch in Kurzarbeit. Der Informationsfluss funktioniert perfekt, ich bin wirklich begeistert. Wir erhalten jeden Tag Mails mit den aktuellen Informationen. Ein Livestream von Stücken, wie es beispielsweise
das Landestheater Linz macht, ist bei den VBW schwierig. Denn dabei kommen die Rechte ins Spiel, das ist nicht leicht. Bezüglich anderer Online-Aktionen haben wir noch keine Infos bekommen. Ich denke mir aber, dass das organisatorisch sehr komplex wäre. Denn viele Darsteller sind jetzt in ihre Heimat geflogen. Andere Dinge stehen momentan im Vordergrund.

blimu: Ist der Alt Deuteronimus eine Traumrolle für Sie?

RS: Das Wort »Traumrolle« ist schwierig. Sagen wir so, die Rolle ist mir zufällig auf meinem Weg begegnet. Die VBW casten so fantastisch. Ich kann hier nur für meine Kollegen sprechen, jeder passt perfekt auf seine Rolle und deshalb denke ich, dass das bei mir auch so ist. »Cats« ist ein Stück, das nie langweilig wird zu spielen. Obwohl es in gewisser Weise so fix ist, ist es doch ungeheuer frei inszeniert worden. Du entdeckst jeden Tag etwas Neues auf der Bühne. Es ist jeden Abend eine Art spirituelle Reise. Man muss sich darauf einlassen und wenn man beobachtet, wie Katzen sich im realen Leben verhalten, dann sieht man, wie gut das gemacht ist. Katzen sind so faszinierende Tiere, ich habe selbst zwei. Ich merke, wie besessen die Menschen von Katzen sind und denke, deshalb ist das Stück so ein großer Erfolg. Als Alt Deuteronimus sitze ich in der Pause immer auf der Bühne und sehe Leute, die als Katze verkleidet sind oder mir Geschichten von ihren Katzen erzählen. »Cats« ist meine dritte große Produktion bei den VBW in Wien und ich merke, dass das Stück mindestens genauso
gut wie »Elisabeth« ankommt. Wir sind fast jeden Abend ausverkauft, die Leute sind verrückt danach.

blimu: Was vermissen Sie momentan am meisten?

RS: Ich vermisse einfach generell die Arbeit im Theater, die Kollegen, das gemeinsame Proben und Spielen. Künstlerisch bin ich durch die Konzerte sehr gefordert, das Singen vermisse ich deshalb nicht. Ich bin da sehr flexibel, was den Ort betrifft, an dem ich singe: ob im Wohnzimmer oder auf der Bühne. Ich bin auch nicht schnell nervös, da ist nur Spannung und Konzentration.

blimu: Neben Ihren Wohnzimmerkonzerten schreiben Sie auch an einem neuen Stück. Können Sie dazu schon mehr sagen? Und wie geht es nach der Krise in der Theatercouch weiter?

RS: Es wird eine Musical-Comedy, eine Verwechslungskomödie, werden – ähnlich wie mein Weihnachtsstück »Weihnachtsengel küsst man nicht«. Das Stück kommt jedes Jahr so gut an, aber wir können es nur zu Weihnachten spielen. Deshalb habe ich gedacht, es wäre cool, wenn wir etwas hätten, was wir auch unter dem Jahr aufführen können. Der Stil ist ähnlich, aber natürlich ist es eine neue Geschichte mit neuen Liedern. Die erste Lesung vom ersten Akt hatten
wir bereits über Zoom (Zoom Video Communications ist ein US-amerikanisches Unternehmen, das Videokonferenzen anbietet, Anm. d. Red.). Ich würde gern nach der Krise starten.

Momentan fokussiere ich mich in der Theatercouch auf meine Stücke, da die Sache mit den Rechten an anderen Stücken schwierig für ein kleines Haus ist und die Kosten hoch sind. Was wir wieder bringen werden ist »The Last Five Years« mit Drew Sarich und Ann Mandrella. Dann wird es noch einige Wiederaufnahmen geben.
Der Spielplan für den Herbst wird derzeit gerade ausgearbeitet.

blimu: Wie sieht es mit »Ein wenig Farbe« in Berlin aus?

RS: Wir warten noch ab. Da ich es nicht produziere, habe ich da nicht viel Mitspracherecht.

Regie und Konzept waren bereits fertig. Vier Tage vor Beginn der Proben musste die Produktion dann verschoben werden. Ich hoffe, dass es, wie angedacht, im Herbst stattfinden wird.

blimu: Wie gehen Sie persönlich mit der Coronakrise um? Gibt es Sorgen, Ängste, oder sehen Sie das Ganze eher gelassen?

RS: Dazu muss ich sagen: Mein Freund ist Virologe, spezialisiert auf Mikrobiologie und Hygiene. Von daher sitze ich an der Quelle und bekomme viele Infos mit. Genau aus dem Grund sehe ich das Thema eher gelassen. Ja, es gibt noch viel zu tun, aber es gibt keinen Grund zur Panik. Nachrichten schaue ich nicht mehr,
da ist viel Angstmacherei und Schlagzeilenjagd dabei. Wenn ich mich damit näher befassen würde, würde es mir nicht so gut gehen. Wie es weitergeht, steht natürlich noch in den Sternen.

blimu: Vielen Dank für diesen Einblick in Ihre Arbeit angesichts der Ausnahmesituation und alles Gute persönlich und für Ihre Projekte.

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