»Die Realität geht nicht verloren, wenn jemand anfängt zu singen«

Anthony McCarten (Buch und Originalbuch) im Interview zur Uraufführung von »Superhero«

Anthony McCarten. Foto: © privat / Diogenes Verlag

Anthony McCarten. Foto: © privat / Diogenes Verlag

Anthony McCarten ist gebürtiger Neuseeländer aus New Plymouth und lebt heute in London. Schon früh verfasste er Theaterstücke für die Bühne. Zu seinen Stücken gehört auch die Komödie »Ladies Night« (1987), die er zusammen mit Stephen Sinclair schrieb. Wegen der Nähe der späteren Behandlung des Themas im Kinohit »The Full Monty« (1997) zu »Ladies Night« kam es zur Auseinandersetzung. 2007 erschien sein Jugendroman »Superhero« beim Diogenes Verlag, der 2008 mit dem Österreichischen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet und in Deutschland für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert wurde, bevor 2011 die Verfilmung auf die Leinwand kam. Die Adaption zum Stück »Superhero« stellt für den Autor die erste Arbeit im Bereich Musical dar. Im Vorfeld der Premiere am 16. Oktober sprach McCarten, der zur Premiere aus London angereist war, in Begleitung von Moritz Staemmler vom Verlag Felix Bloch Erben über seine anfängliche Skepsis gegenüber einer Musicalfassung und seine intensive vierjährige Arbeit mit Komponist und Songtexter Paul Graham Brown.

United Musicals: Sie haben auch das Originalbuch zu »Superhero« geschrieben, einen Roman, der auf sehr charakteristische Weise Comic-Stil mit einer Form von Denkblasen und die Geschichte von Donald Delpe verbinden und überdies die Schauplätze wie in einem Drehbuch angegeben werden. War diese eine gute Vorlage für Ihre Bühnenfassung? Wenn ja, inwiefern.

Anthony McCarten: Oh ja, ganz sicher. Das Konzept des Romans entstand aus meinem Eindruck, dass die jungen Leute heute viel mehr vom Film beeinflusst sind, als ich das in meiner Kindheit war. Sie denken in filmischen Kategorien und leben in einem digitalen Zeitalter. Deshalb kreierte ich einen Vierzehnjährigen, der zwar nicht besessen von dieser Welt ist, aber für den sie zu seinem Leben dazugehört. Es ging mir dabei um eine Reform des Romans, der sich seit 300 Jahren nicht wesentlich in seiner Art verändert hat. Deshalb entwickelte ich ein Konzept, das eine Brücke zwischen einem Drehbuch und einem traditionellen Roman schlägt. Dazu kommt der Aspekt des Comics. Es war ungewöhnlich, diese Erzählweise und ihre Heldenfiguren zu verwenden und ich habe versucht, auch diesem eine literarische Qualität zu geben. So habe ich die Elemente Film, Comic und die Tragödie des wirklichen Lebens miteinander verbunden, um etwas Neues zu schaffen.

UM: Wie war dann der Weg vom Buch zum Musical?

A McC: Schuld daran ist mein Agent Moritz Staemmler (Geschäftsführer des Theaterverlags Felix Bloch Erben, Anm. d. Red.). Er brachte mich mit Paul Graham Brown zusammen und sagte: »Lass uns noch eine Erzählweise zu den drei schon vorhandenen Erzählweisen Deines Buches hinzufügen – als ob es noch nicht genug wären (lacht) – nämlich die des Genres Musical«. So steht am Ende einer jahrelangen intensiven Arbeit nun ein Drama Musical mit den Elementen Film und Comic. Wieder ein Experiment – wie schon mein Roman eines war. Ich bin sehr gespannt darauf, wie es funktioniert.

Moritz Staemmler: Ich habe Anthony McCarten 2007 bei einer Lesung seines Romans in Potsdam kennengelernt, ihn in den Verlag eingeladen und ihm gesagt, dass ich in »Superhero« einen interessanten Stoff auch für die Bühne sehe. Zuerst hatten wir an eine Schauspielbearbeitung gedacht, doch dann habe ich spontan das Buch an Paul Brown geschickt. Wenn es ihn interessieren würde, sollte er sich melden. Sechs Tage später rief er an, er habe die erste Hälfte gelesen und er wollte das unbedingt machen. Das habe ich wiederum Anthony mitgeteilt, der sich sehr offen zeigte, obwohl er mit dem Genre Musical bisher keine Erfahrung hatte.

Moritz Staemmler und Anthony McCarten. Foto: Barbara Kern

Moritz Staemmler und Anthony McCarten. Foto: Barbara Kern

UM: Konnten Sie sich sofort vorstellen, dass aus Ihrem Roman an Musical wird?

A McC: Ich gebe zu, dass ich anfangs sehr skeptisch war, weil ich ein Vorurteil gegenüber dem Musical hatte. Ich war lange Zeit der Ansicht, wenn die Musik beginnt und die Darsteller anfangen zu singen, würde das einen Realitätsverlust für das Stück bedeuten, weil Menschen das im wirklichen Leben ja nicht tun. Stellen Sie sich vor, so wie ich jetzt zu Ihnen spreche, würde ich auf einmal anfangen zu singen und alles würde sich reimen. (lacht) Ich glaubte deshalb, ein Stück würde mit dem Gesang seinen Tiefgang verlieren und reine Unterhaltung werden. Doch ich machte eine Reise, die mit einer Einladung der Vereinigten Bühnen Wien begann, die ein Stück von mir gesehen hatten und anfragten, ob ich für sie ein Musicalbuch, basierend auf dem Werk »Der Reigen« von Arthur Schnitzler schreiben könnte. Das Projekt kam zwar nicht zustande, aber es führte dazu, dass ich mit dem Genre auseinandersetzte, mir einige Stücke angesehen habe und begriff, dass die Wirklichkeit auf der Bühne nicht abbricht, wenn jemand zu singen beginnt. Im Gegenteil, ich lernte, dass mit dem Start der Musik, die unterschwellige Botschaft eines Subtextes beginnt und Emotionen zum Ausdruck kommen. Das können auch verborgene Emotionen sein. Letztendlich ist es dann nicht viel anders, als wenn in einem Shakespeare-Stück ein Schauspieler einen Monolog beginnt, das widerspricht auch der Realität, doch es eröffnet ein Fenster zur Seele des Charakters. Damit kann ein Song ebenso wie ein Monolog tatsächlich die Wirklichkeit intensivieren. Diese Erkenntnis machte mich sehr offen und zugänglich für den Vorschlag von Moritz und Paul, ein Musical aus »Superhero« zu machen. Vielleicht war es auch diese skeptische Unwissenheit, die ich mitbrachte, die die Arbeit mit Paul so konstruktiv machte. Ich sagte ihm Dinge, die er nicht gern hörte. (lacht) Doch das zwang ihn, von einer gewissen Routine abzuweichen und sich seinerseits auf neue Wege und Erfahrungen einzulassen. Wir haben uns gegenseitig inspiriert und so sollte es idealerweise in einer Zusammenarbeit sein.

M St: Beide haben sehr viel ausprobiert – geschaffen, verworfen und gefeilt. So sind auch von den seit Anfang 2011 geschriebenen 35 Songs von Paul am Ende 16 Stück im Musical übriggeblieben.

A McCarten: Ich muss hinzufügen, mittlerweile bin ich so fasziniert von der Vorstellung, dass ein Charakter zu singen beginnt, dass ich überlege, ob mein nächstes Werk nicht eine Verbindung eines traditionellen Romans mit einem Musical wird, in dem jemand ohne Grund anfängt zu singen. (alles lacht)

UM: Wie sind Sie vorgegangen, um aus Ihrem Roman ein Musicalbuch zu machen?

A McCarten: Die Quintessenz eines Buches ist das Innere einer Person, deshalb musste der Weg sein, diese nach außen zu bringen und greifbar zu machen. Im Fall von »Superhero« war ich den halben Weg schon gegangen, da ich den Roman für das Drehbuch zum gleichnamigen Film adaptiert hatte (Originaltitel des Films: »Death of a Superhero«, deutscher Titel: »Am Ende eines viel zu kurzen Tages« 2011). Dann habe ich eine Schauspieladaption vom Jungen Ensemble in Stuttgart gesehen, mit der ich direkt nichts zu tun hatte, die mich aber begeistert hat und mir einmal mehr zeigte, dass meine Geschichte auf der Bühne funktionieren kann. So hatte ich schon ein überzeugendes Bild davon, wie »Superhero« auf der Bühne aussehen könnte. Dazu kommt, dass ich meine Laufbahn als Autor mit dem Schreiben von Stücken begonnen habe. Bevor ich begann, Romane zu schreiben, habe ich 12 Theaterstücke geschrieben. Ich kannte deshalb die Dramaturgie, wie man eine Person auftreten, agieren und möglichst wirkungsvoll wieder von der Bühne abtreten lässt. So war die Adaption des Romans eine wirklich einfache und schnelle Sache. Durch die Erfahrung mit der Filmadaption wusste ich auch, was außen vor bleiben kann, welche emotionalen Schwerpunkte das Stück haben muss und wohin die zentrale Aussage geht.

UM: Im Roman werden der Bereich von Donalds Lebensgeschichte und die Vorstellungswelt seines Comics strikt getrennt, das wird auch im Schriftbild des Textes deutlich. Wie sind Sie im Musicalbuch mit den beiden Ebenen umgegangen, damit Sie im Stück auf einer Bühne dargestellt werden können?

A McCarten: In den Szenen haben wir diese beide Ebenen mehr vermischt, wir haben es leichter, da das Auge zwischen beiden springen kann, während man im Buch Hin und Herblättern müsste. In der Bühnenfassung gibt es mehr Möglichkeiten, beide zusammenzubringen, um die Metapher für das, was er in seiner Fantasiewelt auslebt, in Donalds Lebenswirklichkeit zu finden.

M St: Frau Kern will, denke ich, darauf hinaus, was Theater für die Geschichte bewirken kann. Das ist in diesem Fall, die beiden Erzählweisen zu verknüpfen und auf eine Ebene zubringen. Nicht zu vergessen die Ebene der Musik, die im Musical noch dazukommt.

UM: Dann kommt noch die Inszenierung durch Regisseurin Iris Limbarth mit Bühnenbild und allem, was dazugehört dieses Konzept auf der Bühne umsetzt.

A McC: Donalds Comic-Buch ist der Weg, die innere Handlung – das, was in dem Jungen vorgeht – zu erzählen, die Qualität seiner Gefühle greifbar zu machen. Er fasst seine tiefsten Gefühle in die Form einer Allegorie und ist damit besonders gut geeignet, um die emotionale Ebene auf die Bühne zu bringen und eindrucksvolle Theatermomente zu schaffen. Gleichzeitig fordert es vom Publikum eine große Vorstellungskraft, denn dieses muss fast wie Psychologe, der einen Rorschach- Formdeutungstest liest (psychologischer Test, um die Psyche einer Person aus Tintenklecksmustern in Faltbildern herausliest, Anm. d. Red.), aus Donalds Comic-Geschichte seine wahren Gefühle herauslesen. Das Publikum dekodiert damit die Codes, die Donald in seinem Comic-Buch geschrieben hat, und ich finde, das ist eine spannende Aufgabe.

UM: Der Roman hat kein Happy End, wie ich hoffe auch das Musical nicht?

A McC: Am Ende jedes Lebens steht der Tod. Auch im Musical gibt es kein Happy End, aber Paul meinte, für ihn habe das Ende etwas Hoffnungsvolles.. George Bernard Shaw sagte einmal sinngemäß: »Der eigentliche Sinn des Lebens ist, es bis zum Grund auszuschöpfen, bevor man beim alten Eisen landet. Dann triumphiert der Tod nicht, weil er Dir nichts wegnimmt.« Wenn man es als glückliches Ende bezeichnen will, dann insofern, dass Donald sein Leben lustvoll lebt und der Tod deshalb keinen Sieg über ihn erringt, als er sterben muss. Im Gegenteil, er hat den Tod besiegt, weil er alles geschafft hat, was er schaffen wollte.

UM: Was hat Sie persönlich besonders bei der Arbeit mit Paul Graham Brown an dem Musical überrascht?

A McC: Neben der Feststellung, dass die Realität nicht verloren geht, wenn jemand anfängt zu singen, war ich davon überrascht, wie viel Spaß es mir macht, Liedtexte zu schreiben. Diese beruhen ja auf dem Roman und wir haben uns ausgetauscht und ich habe ihm Feedback gegeben und die ein oder andere Anregung. Dabei habe ich festgestellt, dass es mir auch Freude machen würden, das mal zu machen. Nun bin ich sehr gespannt darauf, wie das, was wir gemeinsam geschaffen haben, auf der Bühnen funktionieren wird. Ich lasse mich überraschen. (lacht)

UM: In diesem Sinne viel Erfolg für das fertige Stück und herzlichen Dank für das Interview!

Das Interview führte Barbara Kern