»Ich möchte das Publikum in die Geschichte einladen«

Komponist Marc Schubring im Interview zu »Aschenputtel«

Marc Schubring. Foto: Brüder Grimm Festspiele

Marc Schubring. Foto: Brüder Grimm Festspiele

United Musicals: Wie kamen Sie dazu, Musik für die Uraufführung von »Aschenputtel« zu schreiben?

Marc Schubring: Frank-Lorenz Engel und ich kennen uns privat und haben schon länger damit geliebäugelt, wenn sich die Gelegenheit ergibt, etwas gemeinsam zu machen. Als er dann anrief und fragte, ob ich die Musik für »Aschenputtel« schreiben möchte, habe ich mich sehr gefreut.

UM: Frank-Lorenz Engel sagte, dass er die Besetzung zu Teilen schon vor Augen hatte, als er sein Buch schrieb. Haben Sie auch schon gewusst, für wen oder zumindest welche Stimmen Sie schreiben?

MSch: Ich wusste sogar schon die Darsteller. Da es ziemlich schnell gehen musste, habe ich erst angefangen, als die Buchfassung fertig war und da waren die Auditions schon gelaufen. Deshalb kannte ich bis auf die Besetzung der Stiefmutter fast alle Stimmen. Als dann klar war, dass Carolin Fortenbacher spielt, wusste ich, da kann ich in die Vollen gehen, Koloraturen und ein hohes C hineinschreiben. Das wird sie alles wunderbar machen.

UM: »Aschenputtel« ist ein Familienmusical, Kinder verschiedener Altersstufen und Erwachsene sehen das Stück. Was bedeutet das für Ihre Kompositionen?

MSch: Familien sind mit mein Lieblingspublikum, denn ich finde, es ist eine schöne Herausforderung, mit meiner Musik möglichst alle Altersstufen anzusprechen. Ich war immer schon ein riesiger Disney-Fan, und hier hatte ich einmal selbst die Gelegenheit, in diese Richtung zu gehen. Jeder Komponist hat musikalische Vorbilder, die ihn prägen. Ich war als Kind beeindruckt von Robert Schumann und Rimsky Korsakov, später dann Kurt Weill. Irgendwann kamen Stephen Sondheim, Leonard Bernstein, Alan Menken und Jerry Herman dazu. Wenn ich den Stil von »Aschenputtel« charakterisieren sollte, ist es am ehesten die Nähe zu Alan Menken, die man wahrscheinlich hören kann. Das Stück hat – ähnlich wie »Rapunzel – Neu verföhnt« – romantische, aber auch sehr witzige Momente. Alles was in unserem Musical mit der Stiefmutter zu tun hat, ist etwas dramatischer und zugleich ironisch, sarkastisch. Was Aschenputtel selbst angeht, wird es dann natürlich lyrischer.

UM: Schreiben Sie Musik anders, wenn sie sich auch an Kinder richtet? Was war Ihnen beim Komponieren besonders wichtig?

MSch: Diese Art von Musik ist mir sehr nahe, ich muss mich deshalb gar nicht verstellen. Ich versuche Musik und Melodien zu schreiben, die zunächst einmal einladend sind. Später kann man dann Überraschungen einbauen. Erst einmal geht es mir darum, den Zuhörer mit meiner Musik zu umarmen, sodass er sich zuhause fühlt. Ich öffne die Fenster und Türen weit, damit das Publikum in die Geschichte einsteigt. Insgesamt soll meine Musik die Handlung unterstützen, sie voranbringen und mit den Charakteren mitgehen. Mich interessieren keine Lieder, die nur schön klingen, sondern ich schreibe Musik, die mit dem Material der Geschichte arbeitet und das Publikum mitnimmt – es nicht verstört. Das klingt vielleicht etwas witzig, weil mein großes Vorbild Stephen Sondheim ist. (lacht) Aber das System, wie Sondheim arbeitet – mit Motiven – ist meinem sehr ähnlich. Der Begriff »Komposition« kommt vom lateinischen componere, was nichts anders heißt als »zusammenfügen«. Häufig wird von durchkomponierten Musicals gesprochen, z.B. auch bei »Les Misérables«, das ist es aber im eigentlichen Sinn gar nicht. Es sind einzelne Lieder, die miteinander direkt gar nichts zu tun haben, es gibt hin und wieder eine Reprise, aber zusammengehalten werden sie nur durch den Stil des Komponisten. Wenn man »durchkomponiert« wörtlich nimmt, dann ist es etwas, was vor allem Wagner in seinen Opern gemacht, wo Motive immer wieder verwandelt werden. Und das macht auch Sondheim in seinen Musicals und ich ebenfalls, wenn auch nicht so stark in »Aschenputtel« wie beispielsweise in Wolfgangs (Adenberg) und meinem neuen Stück »Gefährliche Liebschaften« (Uraufführung im Februar 2015 in München), wo ich damit spiele, dass am Anfang Motive eingeführt und in späteren Begleitungen oder Gesangslinien verwandelt wieder auftauchen. Damit spreche ich zunächst alle Altersgruppen an und nicht nur einen Spezialkreis von Fachleuten.
Es gibt noch etwas, was mir wichtig ist, wenn ich Musik für ein Stück schreibe: Ich versuche, nicht immer dasselbe zu schreiben und als Marc Schubring erkennbar zu sein, sondern mir geht es darum, für jede Geschichte eine eigene musikalische Welt zu erfinden. Genauso Sondheim, der sich für jedes Stück, wie ein Schauspieler mit seinem Kostüm, mit einer neuen Musik verkleidet. Auch ich suche mir Geschichten aus, die mich begeistern und versuche mich dann zu verkleiden. Und so ist es auch in »Aschenputtel«, wo es mir vor allem darum geht, Empathie für die zentrale Figur zu schaffen. Natürlich bleibt es die altbekannte Geschichte und wir erfinden das Rad nicht neu. Doch ich versuche, mit der Musik Sympathie für Aschenputtel zu erzeugen, damit das Publikum mit ihr mitfühlt, mitleidet. Zugleich ist die Gefahr bei einem Stück, dass relativ tragisch beginnt – die Mutter stirbt, der Vater geht auf Reisen, sie bekommt eine böse Stiefmutter und zwei schreckliche Stiefschwestern – dass man einen Charakter beschreibt, der voller Selbstmitleid ist. Deshalb habe ich mit meiner Musik für die Figur versucht, dass dieser Eindruck erst gar nicht aufkommt, was Frank Lorenz Engel auch schon im Buch so angelegt hatte, sondern dass man erkennt, dass sie jemand ist, die sich gerne mit eigener Kraft aus ihrer unglücklichen Situation befreien möchte. Da darf die Musik umarmend, ja tröstend sein. Das ist schwer musiktheoretisch zu fassen. Ich versuche mit einer sehr offenen, ehrlichen Musik direkt das Herz zu treffen. Ganz anders ist es natürlich mit dem Charakter der Stiefmutter. Sie überfordert ihre Umwelt und das tut sie auch in der Musik, die schnell, wortreich und spitz ist. Es gibt viel mehr Reime als bei Aschenputtel, man muss sehr genau zuhören. Sie verteilt schnell Ohrfeigen mit ihren Worten voll Ironie und Sarkasmus. So prallen in »Aschenputtel« diese zwei Welten aufeinander und erzeugen die Spannung, von der das Stück lebt.

UM: Was ist mit dem Prinzen, der in Disney-Filmen immer etwas blass bleibt und im Märchen häufig einfach die Aufgabe des Retters hat? Wie verleiht man ihm Profil?

MSch: Diese Gefahr haben wir auch sehr früh erkannt. (lacht) Natürlich liegt der Fokus auf Aschenputtel und es hat vielleicht etwas mehr die Hosen an als der Prinz. Aber natürlich wollten wir nicht, dass sich Konstanze, wie sie bei uns heißt, in einen langweiligen Prinzen verliebt. Das zu verhindern, ist Aufgabe des Buches, und Frank hat mit Konflikten im Leben des Prinzen dafür gesorgt, dass er Profil bekommt. Prinz Benedikt sitzt nicht einfach im gemachten Nest, sondern wird auf der einen Seite von seinem herrischen, übergroßen Vater und auf der anderen Seite von seiner esoterischen Mutter gegängelt. Er möchte aus der Situation ausbrechen und hat seine eigenen Ziele. An dieser Stelle hat er ein sehr schönes, kraftvolles Lied, das heißt ›Ich selber sein‹. Im Laufe der Geschichte reift er an diesem Konflikt und beweist auch Stärke in der Wahl von Aschenputtel, mit der er sich am Anfang gegen seine Eltern stellt. Ihn interessiert nicht, ob sie Geld mit in die Ehe bringt oder ob die Sternzeichen zusammenpassen. Für Benedikt zählt einzig sein Herz.
Bei der ersten Begegnung von Aschenputtel spielt Humor eine wichtige Rolle, so dass es nicht kitschig wird. Es ist ein Spiel mit Augenzwinkern und Nicht-verstehen und letztendlich doch Verstehen, sodass auch eine gewisse Leichtigkeit entsteht.

UM: Holger Hauer sagte, dass die Zeit bewusst nicht festgelegt ist, sondern märchenhaft nebulös bleibt. Gibt es in der Musik Anleihen an historische Zeiten?

MSch: Die Musik klingt eher nach heute. Einzig in dem Auftritt des Zeremonienmeisters Gerold beim Ball im Schloss, wenn dieser seine Ankündigungen mit Fanfare macht, lehnt es sich ein bisschen ans Mittelalter an. Auch wenn getanzt wird am Hof, noch vor dem Walzer, hat es etwas von Menuett. Sonst aber ist es einigermaßen zeitlos, was die Musik angeht.

UM: Man sagt immer so leicht, dass etwas Pop ist, manchmal – wie mir scheint – auch, wenn man es nicht so recht einordnen kann. Wie sehen Sie das?

MSch: Pop/Rock-Elemente spielen sicherlich eine Rolle in Aschenputtel. Doch das Ganze ist sehr orchestral. Ich hatte das Glück, mit Nico Gaik arbeiten zu können und bin beglückt von seinen wunderbaren Orchesterarrangements. Das war eine tolle Zusammenarbeit, wo man sich auch stilistisch schon mit einem Augenzwinkern versteht, und gar nicht viel sagen muss. Das Ergebnis hört sich geradezu filmmusikalisch an, als ob man ein 80-Mann-Orchester hätte. Die Arbeit der nächsten Tage ist, dass das tonal auch mit dem nötigen Druck des Sounds und der mir sehr wichtigen Verständlichkeit der Texte auf der Bühne herüberkommt.

UM: Vielen Dank für diesen guten Einblick in Ihre musikalische Arbeit.

Das Interview führte Barbara Kern