Thomas Hohler im Interview über »Ghost« und mehr: Es kombiniert Momente größter Dramatik mit leichter Comedy

Foto: Saskia Allers

Am Morgen vor der Premiere von »Jesus Christ Superstar« in Wien sprachen wir mit Thomas Hohler über »Ghost«, seinen Alltag auf Tour zwischen St. Gallen, Wien, Hanau und München und sein Musical-Album

United Musicals: Gerade haben Sie »Lady Bess« in St. Gallen beendet. Heute Abend spielen Sie bereits Simon in der legendären Produktion der Vereinigten Bühnen Wien von »Jesus Christ Superstar«.

Thomas Hohler: Die Vormittage einer Premiere sind immer Pufferzonen, bei denen man nicht weiß, ob nicht nach der Generalprobe doch noch mal die Notwendigkeit besteht, an einer Szene zu schrauben, sprich: noch einmal zu proben. Das kann ganz verschiedene Gründe haben: Ob es wegen uns, der Cast ist, wegen der Bühnentechnik, des Tons … Bei der Generalprobe gestern lief jedoch alles einigermaßen glatt – Klopf auf Holz – (tippt sich gegen den Kopf), sodass unser Team uns den Tag freigegeben hat, mit den Worten: »Genießt den Tag, wir sehen uns bei der Premiere!« Das sind schöne Momente, da geht man sehr motiviert in die 1. Vorstellung.

UM: Sie sind gerade ein vielbeschäftigter Mann.

TH: Gerade brummt es. Ich weiß auch nicht genau, was da alles passiert und manchmal nicht, wie mir geschieht. (schmunzelt)

UM: Die Tour von »Ghost!« lief neben Ihrem Engagement als Robin Blake in »Lady Bess«.

TH: Genau! »Ghost!« mache ich so Hop-on/Hop-off. Ich habe die Premiere und die ersten paar Vorstellungen gespielt. Dann ging es direkt nach Wien zu den Proben. Nach den neun Vorstellungen von »Jesus Christ Superstar« ist die »Ghost!«-Tour dann auch in Österreich und ich steige in Graz quasi wieder ein. Im April und Mai bin ich wieder mit der Tour unterwegs.

UM: Dann werden Sie im Sommer erneut als Guy von Gisbourne in der Wiederaufnahme von »Robin Hood« im Schlosstheater Fulda auf der Bühne stehen.

TH: Ja. Anfang der Woche durften wir es nach der Pressekonferenz endlich verkünden. Vorher hatten wir ein großes, neues Plakatshooting mit Philipp Büttner (Robin), Marle Martens (Marian), Philipp Hägeli (King John) und mir – den König haben wir auch mit aufs Plakat genommen. Darauf freue ich mich: Fulda ist eine besondere Bühne – sie machen Musicals mit viel Aufmerksamkeit auf einem sehr professionellen Level. Gleichzeitig ist es sehr familiär dort und ich freue mich, wieder Teil der Family zu sein.

UM: Sie waren/sind doppelt auf Tour, nicht nur mit der Tour von »Ghost!«-, sondern auch durch die Rollenwechsel. Wie erleben Sie das, was speziell in der letzten Zeit zwischen »Ghost!« und »Lady Bess« bestimmt auch organisatorisch eine Herausforderung bedeutete.

TH: Logistisch betrachtet war es sicher der härteste Monat. Allein das Reisen in die Schweiz ist eine Strecke, die man erst einmal zurücklegen muss, egal, wo man vorher ist. Dazu kommt, dass »Lady Bess« ein Stück mit einem besonderen Stil ist. Es kommt aus der klassischeren Richtung, auch wenn es ein neugeschriebenes Musical ist. Was die Spielweise und den Gesang angeht, brauchte meine Rolle des Robin Blake eher eine lyrische Stimmführung. Unser Regisseur Gil Mehmert hat gern Zitate à la Shakespeare eingebracht. So wie er das Bühnenbild gestaltet und uns auf der Bühne aufgestellt hat, als altenglische Mittelalterfiguren, das hatte etwas von Shakespeare – auch wenn wir das nie so an die große Glocke gehängt haben. Natürlich ist es kein Shakespeare-Stoff, aber der Stil war in den mittelalterlichen Kostümen und darin, dass beispielsweise Bäume auf der Bühne gestanden haben, sichtbar. Mit dem Stil des Stückes war auch eine besondere Form von Schauspiel verbunden.
Und dann der krasse Switch, um zurück in den Frankfurter Raum zu jetten. Tatsächlich bin ich viel mit dem Auto gefahren, weil ich so enge Zeitfenster zwischen den Proben und den Vorstellungen hatte, sodass es mit Zug und Flug nicht machbar war. Dann hatte ich insgesamt nur 12 volle Tage, um für Sam in »Ghost!« zu proben. Das ist für eine Hauptrolle dieses Umfangs wahnsinnig wenig. Die Produktion hatte natürlich mehr Proben, aber ich konnte nur an 12 Tagen da sein, um mir diese Rolle zu erarbeiten, die ein ganz anderes – viel natürlicheres und direkteres – Schauspiel verlangt. Auch gesanglich ist der Part sehr umfangreich. Ich habe die Rolle eher rockig angelegt, wie ich sie singe. Im Vergleich zu »Lady Bess« ist das ein Genre-Spagat gewesen. Das war sehr hart, das habe ich auch gemerkt.

UM: Was bedeutet es generell für Sie, auf Tour zu sein, auch wenn Sie ja immerhin ein paar Tage an einem Standort bleiben? Wie stellen Sie sich darauf ein?

TH: Ich bin schon sehr tourerfahren, weil ich früher viele Produktionen wie »Elisabeth« oder »Mozart!« gespielt habe, mit denen ich auch längere Zeiträume auf Tour war. Allerdings war ich dabei drei Monate oder ein halbes Jahr in nur einer Produktion und konnte mich auf eine Rolle fokussieren. Auch hatten wir meistens längere Standzeiten, bei denen wir vierzehn Tage oder länger an einem Ort waren. Jetzt ist es – wie Sie ganz richtig gesagt haben – eher so, dass mein ganzes Leben eine Tournee ist, so fühlt es sich auch an. Ich habe einen Grundkoffer und denke gar nicht groß nach, was ich wo anziehe, sondern habe das Notwendigste zum Leben dabei. Bei einem Zwischenstopp in München habe ich meine Eltern getroffen und ihnen gesagt, dass ich mal wieder zwei Hotelkarten in meiner Tasche habe. Das ist immer der Moment, in dem mir ein wenig schwindelig wird, weil ich merke, ich bin eigentlich gerade in zwei Städten parallel im Hotel eingecheckt.

UM: In zwei Welten …

TH: (lacht) … man fühlt sich wirklich wie ein Weltenbummler, ein Jetsetter. Manchmal sind das einfach so Überschneidungen. Das Apartment in Wien, in dem ich gerade bin, habe ich jetzt für eine ganze Zeit, aber wenn ich nach München fahre oder woandershin, habe ich eine andere Hotelkarte. Das ist schon sehr intensiv. Und es gibt schon mal den Morgen, an dem ich aufwache und erst einmal überlegen muss: Wo bin ich denn heute? Bin ich in Hanau, in St. Gallen, in Wien? Dabei hat sich die Probenzeit hier in Wien für mich fast wie Urlaub angefühlt. Es war intensives Arbeiten und ich war auch erschöpft, aber allein vier Wochen mehr oder weniger an einem Platz zu sein, das hatte schon etwas Erholsames.
Ich vermisse mein Zuhause total. Auf privater Seite hatten wir gerade am Haus viel gemacht, unter anderem das Badezimmer neu renoviert. Dann ist man mit diesen Dingen gerade fertig und stellt fest: Die nächsten drei Monate bin ich gar nicht hier. Das ist schon hart, wenn man dann seine Familie zuhause bitten muss: Könnt Ihr bitte mal schauen, ob der Lavendel im Vorgarten zurückgeschnitten werden muss bis Ostern?

UM: Welche Strategien haben Sie persönlich, sich zu erden, runterzukommen, den Kopf freizubekommen, auch bei den Rollenwechseln? Was hilft Ihnen dabei?

TH: Ich versuche, mir Inseln, Zeiträume, freizuboxen, in denen ich auf Leerlauf schalten kann. Wenn ich einfach mal den ganzen Vormittag im Bett liegen, mich berieseln lassen kann von Serien, die ich auf dem Laptop sehe, kommen die Gedanken zur Ruhe. Im Moment ist es so intensiv, dass ich kaum Zeit habe, mich um Erholung zu kümmern. Doch ich habe schon den Blick auf so ein paar Freizeitinseln, wenn die Premiere hier vorbei ist und »Ghost!«-Tour wieder läuft. Diese habe ich mir vorausschauend geschaffen, weil ich wusste, dass die Zeit von Januar bis Ostern schwer wird. Ich bin sehr glücklich, dass ich so gut (klopft auf Holz) und ohne größere Blessuren durchgekommen bin. Doch ich weiß, ich bin gerade nicht im Yin & Yang und habe meinem Körper und meinem Bewusstsein schon einiges zugemutet. Die Strategie war eine knallharte Organisation. Ich habe eine Künstleragentur, die mich unterstützt und betreut, die Agentur Spielkinder. Die macht das ganz toll. Gemeinsam haben wir diese Zeit minutiös durchgetaktet uns auch Gedanken um die Reisen gemacht, wie alles funktionieren kann. Das gibt mir gerade jetzt die Freiheit, von Tag zu Tag zu denken. So belaste ich mich nicht mit dem, was nächste Woche ist, sondern denke immer nur an den nächsten Tag. Worauf muss ich mich fokussieren: früh schlafen zu gehen, gesund zu essen – was das Schwierigste ist, wenn man so viel unterwegs ist, weil man immer verleitet ist, sich doch mal schnell im Vorbeigehen einen Burger und Pommes einzuverleiben. Doch mit viel Planung funktioniert es ganz gut.

UM: Haben Sie direkt vor der Vorstellung ein mentale Routine, um sich vorzubereiten und einzustimmen?

TH: Die Maskenzeit ist ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt für mich. Wenn klar ist, ich habe 45 Minuten, bis der Vorhang hochgeht, dann kann ich um die Maskenzeit herum, von der ich weiß, ich sitze 10 Minuten auf dem Stuhl, meine Routineabläufe bauen. Meistens hat man sehr liebevolle und freundliche Maskenbildner/innen und hält Smalltalk. Mir ist es sehr wichtig, jede Kollegin und jeden Kollegen kurz zu begrüßen, um zu wissen, wie jeder so drauf ist. Dann zelebriere ich gern die Freundlichkeit, gleich in die Show zu gehen. Ich erspüre das Miteinander, zu wissen, okay, alle sind cool, oder auf wen müssen wir heute aufpassen, wen müssen wir etwas an die Hand nehmen. Wenn ich einen schlechten Tag habe, kommuniziere ich das und bin froh, wenn mir jemand auf die Schulter klopft und sagt, das schaffen wir gemeinsam. Dann habe ich auch meine 5 Minuten, in denen ich etwas zur Ruhe komme, mir ins Bewusstsein rufe, wie es mir heute geht. Damit kann ich auf der Bühne gut umgehen. Einsingen gehört natürlich dazu, aber ich bin da nicht so akribisch, dass ich mich immer eine halbe Stunde damit befasse, sondern es ist Tagesform abhängig. Es gibt Tage, da läuft die Stimme schon gut, weil ich warm bin und schon geprobt habe. Wenn ich müde bin und noch nicht viel machen konnte, dann weiß ich, ich muss jetzt mal eine Viertelstunde mit meinem Lax Vox arbeiten, das ist so ein Blubberschlauch mit einer Flasche. Vielleicht haben manche das schon auf Instagram gesehen. Das ist in der Tat eine sehr gute Technik, um die Balance von Atemdruck und Intonation in Einklang zu bringen.

UM: Sie erleben das Stück »Ghost« gerade aus einer neuen Perspektive, oder spielen Sie beide Rollen?

als Carl (Mitte) mit Riccardo Greco als Sam (l.) Foto: Ingrid Kernbach

TH: Nein, in der Produktion in Stuttgart war ich die Erstbesetzung der Rolle des Carl und hatte ein Cover Sam. Auf dieser Tour spiele ich ausschließlich Sam. Doch für mich war die Herausforderung, dass die Stage-Entertainment-Version komplett andere Texte als die ShowSlot-Produktion hatte. Das kommt daher, dass der Theaterverlag eine offizielle deutsche Übersetzung gemacht hat, während die der Stage Entertainment auf der Linzer Fassung basiert – auf der deutschsprachigen Erstaufführung in Österreich. Weshalb das so war, entzieht sich meiner Kenntnis, das hat verlagsrechtliche Gründe, mit denen ich mich überhaupt nicht auskenne. Das bekommen wir Darsteller auch nicht so im Detail mit. Stage Entertainment jedenfalls hat die Linzer Fassung übernommen und lizensiert.

UM: Die beiden Textfassungen dann nicht zu verwechseln, stelle ich mir schwierig vor.

TH: Das war wirklich hart. Natürlich kann man den Text neu lernen, aber sobald man in einer Stresssituation ist oder den Kopf ausschaltet und instinktives Spielen praktiziert, kommen ganz oft Texte aus dem Muscle Memory (im sogenannten Muskelgedächtnis werden Abläufe durch mehrfache Wiederholung verankert) zurück, von deren Existenz ich gar nichts mehr wusste. Wenn Sie mich jetzt fragen, wie ging denn der Satz bei der und der Phrase, habe ich keine Ahnung. Ich habe die andere Fassung komplett vergessen. Doch speziell in den Endproben ist es mir häufig passiert, dass ich, ohne zu überlegen, mit dem »alten« Text eingesetzt habe und nicht wusste, wo das herkam. (lacht)

UM: Was war Ihnen besonders wichtig bei der Entwicklung der Rolle des Sam?

TH: Grundsätzlich, wenn ich Rollen anlege, frage ich mich zu einem großen Teil: Was soll dem Zuschauer erzählt werden? Ich denke erst einmal handwerklich: Wir haben die Figur, was ist die Aufgabe der Person in der Geschichte? Das übersetze ich für mich in ein Bedürfnis der Figur. Ich finde, jede Person im Stück braucht ein Bedürfnis, ein Ziel, das sie dann zu ihrer Perspektive machen kann, die sie über die Geschichte verfolgt
Sam hat am Anfang noch kein Bedürfnis. Erst mit seinem Tod entdeckt er, dass er noch etwas auf der Welt nicht erledigt hat. Diese unerledigte Aufgabe ist sein Ansporn. Er muss Molly noch vermitteln, dass er sie liebt. Gleichzeitig bekommt er mit, dass sie in Gefahr ist, dass es da böse Machenschaften gibt. Daher ist es auch seine Aufgabe, Molly zu beschützen.
Am Anfang ist Sam ein bisschen ein Lebemann, er ist etwas großspurig, nimmt Sachen auf die leichte Schulter – gibt sich zu cool. Daher versuche ich, zu zeigen, dass er Ecken und Kanten hat, damit man nicht am Anfang denkt, er wäre der perfekte Mann. Im Gegenteil. … Das ist spannend zu beobachten, weil sich bei uns gerade gesellschaftlich etwas positiv entwickelt und wir Rollenbilder viel mehr hinterfragen und durchdenken. Sam kommt so ein bisschen aus einem chauvinistischen Umfeld, doch er selbst ist kein Chauvinist. Gleichzeitig führt er nämlich mit seiner Partnerin eine aufgeklärte Beziehung auf Augenhöhe. Das ist ein Widerspruch, den wir – glaube ich – ganz oft heute finden. Dass in einer Partnerschaft beide auf Augenhöhe sind und trotzdem jeder irgendwie mit traditionellen Rollenbildern behaftet ist.
Dieser Sam kommt in das Stück hinein und dann ist es spannend zu ergründen, ab wann er seine Aufgabe erkennt und wie er sich dadurch verändert.

als Sam mit Katrin Merkl als Molly. Foto: Nico Moser

UM: Es klingt, als hätten Sie eine große Freiheit gehabt, diese Rollen zu prägen.

TH: Unbedingt, ja. Unser Regisseur Manuel Schmitt hat eine großartige Arbeit gemacht. Obwohl es sich um eine Wiederaufnahme der Tournee handelt, und trotz der kurzen Zeit, hat er uns die Möglichkeit gegeben, die Rollen zu gestalten. Wir haben noch sehr viel über die Charaktere gesprochen. Natürlich hat er uns das Inszenierungskonzept vorgestellt und was ihm wichtig ist an den Figuren. Doch zur Arbeit eines Regisseurs gehört es, bei der Personenregie mit den Darstellern in einen Dialog zu gehen. Und das fand ich an der Arbeit mit ihm sehr angenehm. Es hat eine intensive, positive Auseinandersetzung stattgefunden. Das empfinde ich als professionelles Arbeiten auf hohem Niveau. Natürlich ist der Rahmen fix, aber man kann innerhalb eines Rahmens wie: Wann trete ich von welcher Seite auf? – des ganzen Stagings, das schon so weit stand –, dieses Korsett, in Absprache mit dem Regisseur und den Kollegen, mit der eigenen Interpretation, mit Leben erfüllen. Da hatten wir hier sehr gute Möglichkeiten. Ich denke, das ist uns, das ist auch mir gut gelungen.

UM: Welches sind – auch musikalisch – Ihre bewegendsten Momente im Stück? Diese müssen gar nicht mit Ihrer Rolle direkt zu tun haben.

TH: Ich bin ein großer Fan von dem Stück an sich. Das habe ich schon bei den Proben gemerkt. Ich finde es sehr gut geschrieben. Es ist nicht das typische Musical, das eine Nummer nach der anderen hat. So gibt es kaum alleinstehende Lieder. Es geht eine Nummer in die andere, eine Szene in die nächste über. Dabei wird sehr viel mit Effekten und Underscore gearbeitet. Da ich »Ghost!« früher schon einmal gespielt habe, sind eine Reihe Momente für mich sehr emotional besetzt. Ein Moment, bei dem mir immer Tränen in die Augen schießen, ist die Spielszene, wenn Sam und Oda Mae zu Molly gehen. Sam hat jetzt ein Werkzeug, er hat diese Frau, die ihn hört. Sie stehen unten vor seinem alten Apartment und er sagt zu ihr: »Los, klingle da!« Und sie stehen an der Gegensprechanlage und natürlich wimmelt Molly die verrückte Frau ab: »Was erzählen Sie mir da für’n Blödsinn?« Sam bemüht sich und bemüht sich und überlegt und überlegt, was sie noch sagen könnte, damit Molly ihnen glaubt … dann kommt Molly runter, will aber immer noch nichts davon hören … doch dann fällt dieser Begriff »dito«, der Molly zweifeln lässt: Vielleicht ist doch etwas dran? In diesem Moment kommt diese wiederkehrende Melodie als Underscore hinein und mir schießen die Tränen in die Augen. Das finde ich so gut gebaut … ich bekomme beim Erzählen schon wieder Tränchen in die Augen. (lächelt) Für mich ist das einer der bewegenden Momente. Hier ist ganz klar die Erkenntnis, es gibt eine Aufgabe, ein Problem muss gelöst werden. Die Show hat immer wieder diese Momente, in denen die Emotionen auf die Spitze getrieben werden. Deshalb finde ich, dass das Stück so gut geschrieben ist: »Ghost!« kombiniert Momente größte Dramatik mit leichter Comedy. Das wechselt ungeheuer schnell im Klipp-Klapp hin und her – etwas das in gewisser Weise auch schon für die Filmvorlage gilt. Ich finde diese Kombination großartig bei Geschichten, weil sie unsere Emotionen herauslockt. Wenn wir hier lachen und da weinen können – und das manchmal innerhalb von 10 Sekunden im Wechsel – liebe ich das, ob in Film, Stück oder Fernsehserie. Der Serie »Friends« hat das damals auch par excellence betrieben. Gerade habe ich noch Tränen gelacht und jetzt weine ich Tränen der Rührung. Ich mag es sehr, wenn Emotionen so aus einem herausgekitzelt werden.

UM: Was Sie erzählen klingt danach, als ob Sie auch ein Anhänger dessen sind, was Michael Kunze einmal so klar gesagt hat: »Ein gutes Musical braucht eine gute Geschichte.«

TH: Unbedingt! Ohne eine Geschichte ist ein Stück für mich kein Musical. Da hat Herr Kunze absolut Recht. Wenn mich persönlich jemand fragt, was mein Beruf ist, sage ich: »Ich erzähle Geschichten durch Gesang und Schauspiel.« Das ist mein Beruf. Ich bin kein Popsänger, ich schreibe keine eigene Musik. Ich mache Musical-Theater, indem ich versuche, Geschichten zu erzählen.
Natürlich gibt es Musical-Gala-Abende, wo es vor allem um das Musikalische geht, wo es heißt: Wir hören jetzt die Hymnen aus »Cats«, »Das Phantom der Oper« usw. Das ist wunderbar und man kann es mal einen Abend machen. Doch mein Herz brennt für die Inszenierung von Geschichten.

als Guy von Gisbourne. Foto: © spotlight musicals / Michael Werthmüller

UM: Die Rollen Sam, Guy von Gisbourne, vielleicht auch Robin Blake, das alles sind Charakterrollen. Was bedeutet Ihnen diese Entwicklung im Rollenprofil?

TH: Gisbourne ist sicher eine Charakterrolle. Ich definiere Charakterrolle als eine Rolle, die durch bestimmte Attribute besticht, mit denen sie zur Erzählung der Geschichte beiträgt. Sam ist eine Titelrolle, aber mit Charakter. Man sagt immer, im fortgeschrittenen Alter wechselt man ins Charakterfach als Darsteller. Bei mir geht es vielleicht so langsam in diese Richtung … die Zeit der jungen, schönen Helden neigt sich dem Ende zu. (lacht)
Doch was Ihre Beobachtung betrifft, so spiele ich sehr gerne Rollen, die mit sehr viel Charaktertiefe daherkommen. Das braucht eine Rolle, sie braucht viel Ausdruck und zahlreiche Identifikationsmöglichkeiten. Und ich lege sehr viel in meine Rollen rein, das auf jeden Fall. Nur stehen und singen, ist nicht mein Beruf, das mach ich nicht.

UM: Welche Rollen würden Sie gern einmal spielen oder vielleicht noch einmal spielen?

TH: Da gibt es sehr viele. Das hat auch sicher damit zu tun, dass ich scanne, was ich an einer Rolle interessant finde. In jedem Stück, das mir gefällt, gibt es deshalb auch eine Rolle, die ich gut finde. Ich mache jetzt gerade in »Jesus Christ Superstar« den Simon, was ich super cool finde. Obwohl es laut Plakat eine konzertante Inszenierung ist – haben wir Kostüme, Choreographien, Staging und spielen uns einen Wolf. Das ist schon eine Show. Das Einzige ist, dass das Orchester mit uns auf der Bühne sitzt – 50 Mann stark, das ist schon ein Abenteuer. Doch zurück zur Rolle: Den Simon spiele ich gern, keine Frage, aber irgendwann würde ich auch gern mal den Judas oder Jesus spielen. Viele Stücke sind spannend und es macht sehr viel Spaß, in Rollen zu schlüpfen. Damals die Titelrolle in »Mozart!« (in Wien) war eine Riesenrolle, die ich gern noch mal gespielt hätte. Ich möchte unbedingt in meinem Leben irgendwann noch »Les Misérables« spielen – egal welchen Part. Die Offenheit, in die Zukunft zu schauen, ist da, aber sie ist nicht verbissen, denn ich darf gerade alles spielen, was ich will. Doch wenn diese Frage kommt, schau ich auch immer nach hinten: Was habe ich nicht schon alles spielen dürfen?! Diese Liste ist schon lang – Halleluja, ich bin so happy und stolz auf mein Portfolio. Daher möchte ich die Frage so beantworten: Ich bin glücklich, wie es gerade läuft und es darf gern so weiter gehen. (grinst)

Tamara Pascual und Thomas Hohler »Von großen und kleinen GEFÜHLEN« auf Vianova Studio

UM: Wo Sie gerade Ihr Portfolio ansprechen. Sie haben sich neben Ihren Engagements einen großen Wunsch erfüllt, bei dem Sie einen Teil des Repertoires ausbreiten konnten. Sie haben Ihr erstes Musical-Album aufgenommen. Wie kam es dazu?

TH: Eben das war der Aufhänger. Meine CD ist ab 6. April im Handel, ich habe heute die Versandbestätigung erhalten. Wenn jetzt kein Druckfehler auf dem Cover ist, sollte mit dem Release alles klar gehen. Ich habe lange darüber nachgedacht, ein Album zu machen. Jeder Musicaldarsteller möchte mal eine CD machen. Ich habe mich aber gefragt: »Weshalb eigentlich?« Ich schreibe keine eigene Musik – und das zu tun, nur um eine eigene CD zu haben, wollte ich nicht. Das ist für mich der falsche Motor, das ist nicht echt. Persönlich höre ich mir keine Musicalsampler an. Thomas Hohler singt jetzt was aus »Cats«, Thomas Hohler singt jetzt was aus »Das Phantom der Oper« … konnte ich mir nicht vorstellen und hatte dafür auch keine eigene Motivation. Hätte mich jemand gefragt: »Du, wir machen eine CD, hast Du Lust, dabei zu sein?«, wäre ich der erste, der das macht. Doch mich selbst dazu zu motivieren, das habe ich nicht geschafft. Dann kam eine Zeit,  in der ich viel über mich nachgedacht habe, eine Zeit des Umbruchs. Damals habe ich auch privat einige Dinge geändert und beschlossen, meiner Karriere noch mal einen Schub zu geben, an ein paar Stellschrauben zu drehen. Wie sich heute zeigt, hat es funktioniert. Ich bin privat und beruflich unfassbar glücklich! Meine Familie und meine Freunde unterstützen mich sehr, sodass ich keinen bitteren Preis dafür bezahlt habe, sondern im Gegenteil privates und berufliches Glück einander bedingen. Ich habe daher auch über Dankbarkeit nachgedacht über all das, was ich erreichen durfte. Und deshalb habe ich jetzt das Album gemacht. (lacht)

UM: Wer hat Sie dabei unterstützt?

TH: Ich habe eine wundervolle Frau, Tamara Pascual – sie verwendet Ihren Mädchennamen als Künstlername weiter –, die mich dabei unterstützt. Sie ist auch auf der Bühne sehr erfolgreich. Heute hat sie parallel zu mir Premiere mit »Briefe von Ruth« beim Musical Frühling in Gmunden. Wir können einander zwar nicht zuschauen, aber es ist auch etwas ganz Besonderes, dass wir beide so erfolgreich sein dürfen. Sie hat mich sehr motiviert bei der CD.

UM: Ich könnte mir vorstellen, dass das Verständnis füreinander größer ist, wenn man weiß, wie es beim anderen läuft, weil man selbst auf der Bühne steht. Ein Außenstehender hat es möglicherweise schwerer, bestimmte Dinge zu verstehen.

TH: Es gibt sicher auch Außenstehende, die es verstehen. In unserem Fall ist es allerdings wirklich so, dass wir einander gut lesen können. Wir wissen, wann wir uns füreinander freuen können und wann wir uns den nötigen Anstoß geben müssen. Als Künstler ist man auch eine empfindsame Seele. Nach außen tragen wir gern den Stolz und die Freude, so wie ich es gerade auch tue, aber natürlich hat jeder von uns auch die anderen Momente. Wenn ich bei einem Vorsingen war und es nicht geklappt hat, sitze ich genauso da und frage mich: »Singe ich zu schlecht? Bin ich für diesen Beruf überhaupt noch geeignet?« Diese Fragen hat jeder. Dass dann da jemand ist, der einen wieder auf den Teppich holt: »Bis Du bescheuert, spinnst Du? Es ist alles richtig, wie es läuft.« Dass man sich dann auch gegenseitig hilft, die Rückschläge in neue Motivation umzuwandeln – in ein: Jetzt erst recht! – das ist unglaublich schön.

UM: Was bedeuten Ihnen die Leute, die Sie auf der CD gesanglich begleiten? Und wie haben Sie Ihre Duettpartner/innen gefunden?

als D’Artagnan in »3 Musketiere« Tecklenburg. Foto: Birgit Bernds

TH: Es ist kein Zufall, dass genau diese vier Leute auf der CD singen. Als ich über die Lieder nachgedachte, habe ich mir ein paar Regeln aufgestellt: Aus jeder Show nur ein Lied und nicht die Standardsongs, sondern eines, das ich gern zeigen möchte. Bei »3 Musketiere« ist es häufig ›Heut‘ ist der Tag‹, aber ich wollte gern ›Constance‹ darauf haben. Wenn ich heute, Jahre danach, zurück denke an die Zeit, in der ich die Show in Stuttgart (2006) und Tecklenburg (2010) gespielt habe, dann ist es diese quirlige Freude, die Energie, welche für mich ein Hauptbestandteil D’Artagnans war. Dieser naive Typ, der strahlend ausruft: »Hallo, hier bin ich!« Das war die Schnittmenge von D’Artagnan und mir.
Was die vier Damen betrifft, mit denen ich singe, so sind sie für mich etwas Besonderes, weil ich mit ihnen wunderbare Momente auf der Bühne verbracht habe und eine großartige Spielenergie hatte. Mit Roberta (Valentini) habe ich »Elisabeth«-Shows noch und nöcher gespielt. Wir haben »Kein Pardon!« zusammen gemacht. Auch Backstage hatten wir viel Spaß miteinander und pflegen eine gute Freundschaft. So geht es mir mit den anderen Kolleginnen auch. Meine Frau Tamara habe ich auf der »Wahnsinn!«-Tour kennengelernt. Wir haben ›Tinte‹ auf der Bühne gesungen – unsere erste Begegnung war eine Probe für diese beiden Parts des Lieds. Da haben wir uns das erste Mal namentlich vorgestellt. Deshalb musste ›Tinte‹ auf dieses Album.
Dann habe ich aber auch geschaut, dass auf der CD Aufnahmen und Kombinationen enthalten sind, die es noch nicht woanders gibt. Von Roberta gibt es keine »Ghost!«-Aufnahme, also war klar, dass wir beide eine machen. Bei »Lady Bess« wurde jetzt gerade mit anderen tollen Kollegen ein Album veröffentlicht, also dachte ich mir, damit sich das nicht doppelt, treffe ich da eine andere Entscheidung. Da ich aus »Anastasia« keines der Duette wollte, habe ich Judith (Caspari) gefragt, ob sie mit mir das Duett aus »Lady Bess« singt. So habe ich mir zu vielen Liedern Gedanken gemacht, weshalb ich genau diese auf dem Album haben möchte.

UM: Um noch mal auf »Ghost« zurückzukommen, aus dem die große bewegende Szene ›Regen / Lass mich nicht geh’n‹ auf dem Album zu hören sein wird. Weshalb müssen sich unsere Leser das Stück unbedingt anschauen?

TH: Gerade weil »Ghost« ein untypisches Musical mit reichlich Comedy ist, das gleichzeitig große Emotionen hat. Es wird sehr über die emotionale Schiene beworben, doch für mich ist es eine Rock-Show mit wahnsinnig viel Comedy. Deshalb lohnt es sich auch für die Leute, die nicht so viel mit Musicals anfangen können. Die Show hat ein großes Tempo und die kitschige Thematik wird absolut unkitschig erzählt.

UM: Vielen Dank für das schöne Gespräch und viel Freude bei all Ihren Projekten!