Interview mit Daniel John Nicolai, Intendant vom The English Theatre Frankfurt

Foto: Martin Kaufhold

The English Theatre Frankfurt (ETF) wurde 1979 in Sachsenhausen als »Cardboard Clowns« in Frankfurt Sachsenhausen gegründet und ein Jahr später unter dem Namen »Café Theater« betrieben. Bereits 1981 zog es in größere Räume in der Hamburger Allee und nannte sich fortan »English Theatre Frankfurt, Café Theater«. Ein weiterer Umzug (und damit eine Vergrößerung) stand 1990 an, als die Räume in der Kaiserstraße bezogen wurden. Der Spielplan bestand seit jeher aus Schauspielstücken des englischen und amerikanischen Raums. 1990 wurde dann das erste Musical »A Slice of Saturday Night« aufgeführt und seitdem gehören Musicals zum festen Bestandteil des Spielplans.
Auch die Location an der Kaiserstraße wurde 2001 zu klein und die Dresdner Bank konnte gewonnen werden, Räume im neu geplanten Gallileo-Tower zur Verfügung zu stellen. Diese wurden 2003 bezogen und dort befindet sich das Theater noch heute. Durch die Übernahme der Dresdner Bank wurde die Commerzbank neuer Eigentümer des Towers. Diese verkaufte das Gebäude 2019 weiter an die in Singapur ansässige CapitaLand. Mit seinem Theaterraum mit 300 Sitzen ist das The English Theatre, kurz ETF das größte englischsprachige Theater auf dem europäischen Kontinent. Seit 2001 ist Daniel John Nicolai der Künstlerische Leiter.

United Musicals: Herr Nicolai, wie sieht an Ihrem Haus der Produktionsprozess aus?

Daniel John Nicolai: Man kann sagen: Es ist ein riesiger Spagat über den Ärmelkanal. Hier in Frankfurt befinden sich ja nur die künstlerische Leitung, die Werkstätten und das Theater. Die Castings finden in London statt. Dort haben wir unseren Casting Director, der sich vor Ort darum kümmert. Er leitet die Ausschreibungen, spricht mit Agenturen und organisiert die Audition-Termine in London. Vor der Corona-Pandemie bin ich dann auch selbst zu den Recalls gefahren. Sobald die Cast steht, beginnen die Proben in London. Dort besteht eine vollständige Probeninfrastruktur, die wir nutzen. Dabei ist es unser Anspruch den Künstlern die gleichen Bedingungen zu liefern, die sie auch bei einer Show in London hätten, auch wenn sie für ein deutsches Theater arbeiten. Zeitgleich werden in Frankfurt von unseren Werkstätten die Kulissen und Kostüme gefertigt und die Produktion vorbereitet. Die Endproben finden dann auf unserer Bühne statt. Vor der Premiere gibt es noch zwei Previews, zu denen hauptsächlich Englischlehrer oder hier lebende englische Muttersprachler kommen. Deren Feedback schätzen wir sehr. Direkt nach der Premiere werden dann noch die Understudies eingearbeitet und wir produzieren unseren Trailer. Die Menschen wollen sehen, was bei uns geboten wird, und wir bieten ihnen damit eine kleine Kostprobe. Dann wissen sie schon, auf was sie sich bei uns freuen können.

UM: Wie viele Menschen beschäftigen Sie am ETF?

Foto: Bianca Berndt-Patschank

DJN: Dauerhaft angestellt sind hier 20 Mitarbeiter. Dabei sind aber nicht alle mit 100% angestellt. Wenn es in die Hochphase einer Produktion geht, können es aber auch bis zu 100 Personen sein, die hier arbeiten. Besonders bei einer Musical-Produktion ist der Personalaufwand enorm. Da haben Sie dann neben den Darstellern, der Bühnencrew, den Dressern und dem Front-of-House-Team noch externe Handwerker, Sound- und Lichtdesigner, technische Helfer …

UM: Was zeichnet Ihrer Meinung nach das ETF aus?

DJN: Da möchte ich gern eine Stimme aus dem Publikum zitieren: »Das ETF ist wie ein Delikatessen-Laden mit kleinen, feinen Produktionen.«
Aufgrund unserer Art zu produzieren, können wir alles ganz individuell an den Raum anpassen. Wir haben viele Co-Produktionen mit englischen oder amerikanischen Produktionen und können daher deren besondere handwerklichen Kenntnisse gezielt nutzen. So hatten wir zum Beispiel bei »Saturday Night Fever« Darsteller, die alle selbst Instrumente spielten, und konnten das in die Inszenierung einbinden. (vgl. blickpunkt musical 01/14)
Außerdem sehen wir uns als Brücke zum angelsächsischen Inszenierungsstil. Im Gegensatz zum deutschen Regietheater wird hier viel mehr Wert auf eine ansprechende Ausstattung, ein klares Sounddesign und ein szenisches Lichtdesign gelegt. Das geht so weit, dass vom Sounddesigner sogar festgelegt wird, welche Musik wann beim Einlass oder in der Pause gespielt wird. Es soll ein Gesamterlebnis sein, wenn man das Theater betritt.

UM: Nun gibt es seit einiger Zeit Probleme an Ihrem Standort. Was ist da los?

DJN: Die Commerzbank hat den Gallileo Tower für 550 Millionen Euro an die CapitaLand verkauft und dabei wurde augenscheinlich nicht mitgeteilt, dass es im 1999 geschlossenen Vertrag eine sogenannte Ewigkeitsklausel gibt, die die dauerhafte kulturelle und öffentliche Nutzung der Kellerräume, in denen sich das ETF befindet, vorschreibt: Auch ist dies in der Baugenehmigung so festgelegt. Darauf berufen wir uns nun. Auch die Stadt Frankfurt ist dieser Rechtsauffassung. Das Dilemma ist, dass die Commerzbank aktuell Mieter ist und wir nur der Untermieter sind. Gern wären wir Hauptmieter, aber die Commerzbank verweist uns dazu an die CapitaLand und die verweisen ihrerseits an die Commerzbank als unseren Vermieter. Da die CapitaLand in Singapur sitzt und die Situation hier vor Ort nur aus der Ferne mitbekommt, sind die Gespräche daher etwas schwierig.

UM: Was unternehmen Sie aktuell und wer unterstützt Sie dabei?

DJN: In erster Linie versuchen wir natürlich, Hauptmieter zu werden und damit den Erhalt des ETF zu sichern. Dazu haben wir auch unter dem Hashtag #theETFmuststay eine Petition gestartet, die bisher schon über 22.000 Menschen unterzeichnet haben. Rechtlich unterstützt werden wir von der Anwaltskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer und das pro bono, also kostenfrei! Natürlich haben wir auch die Stadt Frankfurt und alle Fraktionen auf unserer Seite. Die ehemalige Oberbürgermeisterin Petra Roth (die 1999 den Vertrag mit auf den Weg gebracht hat), der neugewählte Oberbürgermeister Mike Josef, der hessische Wirtschaftsminister Tarek Al Wazir, die Vorsitzende des Kulturausschuss‘ Mirrianne Mahn , sowie viele Stadträte und prominente Hessen setzen sich aktiv für uns ein. Außerdem werden wir auch von Institutionen wie der EZB unterstützt. Für deren internationalen Mitarbeiter sind wir ein Pluspunkt am Standort Frankfurt.
Deutschland liegt im Herzen Europas – Frankfurt liegt im Herzen Deutschlands und im Herzen Frankfurts liegt das English Theater.

UM: Die Commerzbank hat Ihren Mietvertrag nochmal bis zum 15. April 2023 verlängert. Sie planen am 16. April 2023 die Premiere von »Suddenly Last Summer« von Tennessee Williams. Trotz oder Mut der Verzweiflung?

DJN: Wir sind Berufsoptimisten. Es gibt so viel Unterstützung von der Stadt und den Zuschauern. Über 22.000 Unterschriften sind ein deutliches Zeichen. Und es werden täglich mehr. Wir gehen davon aus, dass wir weiterhin an der Gallusanlage spielen werden. Wenn wir jetzt den Spielbetrieb einstellen und die Verhandlungen abwarten, wäre der Schaden viel größer für uns und für das Ansehen des Kulturstandortes Frankfurt. Wir zahlen seit Januar unsere Nebenkosten selbst (bisher hatte die Commerzbank das übernommen) und haben ein volles Haus. Bis zur Dernière von »Sister Act« am 2. April 2023 werden etwa 31.000 Menschen das Stück gesehen haben. Also machen wir weiter und freuen uns schon auf die nächste Premiere.

UM: Vielen Dank für diesen Einblick in Ihre Arbeit. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg für das Fortbestehen des ETF!