Das Nachspielen und das Werk am Markt zu etablieren, das ist die eigentliche Verlagskunst

Interview mit Bettina Weyers / Theaterverlag Gallissas

blickpunkt musical: Liebe Frau Weyers, herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, uns ein wenig mehr über die Arbeit eines Theaterverlags zu erzählen. Ein Großteil des Musicalpublikums sieht ein Stück und weiß natürlich, dass dahinter mehr steckt als »nur« die Arbeit, die an diesem Abend vor, auf und hinter der Bühne erbracht wird. Und trotzdem ist vielen unklar, woraus die Arbeit eines Verlags eigentlich besteht, daher als erstes die Frage, worin genau sehen Sie Ihren Job in der Musicalwelt?

Bettina Weyers. Foto: © Gallissas

Bettina Weyers: Der Job ist vor allem nicht beschränkt auf die Musicalwelt, sondern auf  Theater generell, wobei unser Schwerpunkt seit Gründung des Verlags im Jahre 2005 und mein persönliches Steckenpferd das Genre Musical ist. A und O eines Verlags ist, dass man gut vernetzt ist und über dieses Netzwerk Tipps erhält, wo neue, vielversprechende Stücke international laufen. Bestenfalls fährt man persönlich hin und schaut sich die Produktionen an. Da dies sehr zeitaufwendig ist, arbeitet man mit internationalen Scouts, mit denen wir seit Jahren vertrauensvoll zusammenarbeiten und auf deren Geschmack wir uns verlassen können. Wenn dann ein tolles neues Werk dabei ist, beschäftige ich mich natürlich persönlich damit und entscheide dann anhand der mir überlassenen Aufführungsmaterialien, ob das Stück auch für unseren Markt interessant ist. Dabei sind wir nicht auf den deutschsprachigen Markt beschränkt, sondern arbeiten sehr konzentriert in ganz Europa. In Kurzform kann man sagen, dass man ein gutes Näschen haben muss bei der Einschätzung eines neuen Werks, und man muss natürlich den Abnehmer-Markt sehr gut kennen. Theater war immer meine Leidenschaft, insofern verschmelzen Beruf und private Interessen auf sehr schöne Weise, die mir viel Freiraum lassen, den Verlagsjob mit ganzem Herzen zu machen.

blimu: Was muss ein Autor / ein Stück haben, um Sie zu überzeugen, auch wenn dahinter noch keine langjährige und erfolgreiche Karriere steht?

BW: Hier muss man unterscheiden zwischen Stücken, die uns über ausländische Agenturen angeboten werden. In erster Linie zählt hier, ob das Stück bereits erfolgreich aufgeführt wurde. Wenn es thematisch und stilistisch auch für unser Publikum geeignet ist, verhandelt man die Rechte und übernimmt es in den Katalog. Dann hat man mit dem Autor zumeist wenig zu tun, da die ausländische Agentur die Autorenpflege übernimmt. Anders ist es, wenn Autoren direkt auf uns zukommen. Da kommt es nicht nur auf die Qualität des Stückes an, sondern auch, ob die Chemie zwischen Verlag und Autor stimmt. Wenn ich da zwischenmenschlich kein gutes Gefühl habe, kann das Stück noch so gut sein. Ich lasse die Finger davon. Es ist tatsächlich eine sehr intensive Arbeit, einen eher unbekannten Autor mit einem unbekannten Stück am Markt zu etablieren. Wir entscheiden uns für diese Arbeit eher selten, da diese Arbeit damit einhergeht, dass ich mich persönlich um alles kümmern muss, und das bekomme ich zeitlich nicht hin. Wir sind hierfür auch personell nicht ausgerichtet. Ein schönes Beispiel für eine sehr schöne Zusammenarbeit dieser Art habe ich aber tatsächlich auch. Wir vertreten den Autor Bernhard Setzwein, der sich anfangs eher beim Klein-Format bedient hat. Inzwischen wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und seine Stücke liegen inzwischen in zahlreichen Übersetzungen vor.

blimu: Wenn ein Stück dann Ihren »Geschmack« getroffen hat und das Stück oder auch der Autor in Ihr Repertoire übernommen wurde, endet ja Ihre Arbeit noch lange nicht, daher wäre es schön, wenn Sie kurz erzählen könnten, wie sie dann mit der Vermarktung fortfahren?

BW: Die Vermarktung beginnt bereits bei der Übernahme eines neuen Titels ins Verlagsprogramm. Ich kontaktiere Theater, Produzenten, Regisseure, Schauspieler, erzähle dann euphorisch von meiner neuen Entdeckung und bekomme dann recht schnell ein Feedback dazu, ob mein Enthusiasmus auf Gegenliebe stößt. Ist dies der Fall, ist das Stück meist schon verkauft, ehe es überhaupt in die Werbung geht, da wir unsere neuen Werke sehr gezielt anbieten. Erst in einer zweiten Promotion-Phase stellen wir unsere Werke der breiteren Theaterlandschaft vor.

Brunch mit Sting – »The Last Ship« – Lübeck. Foto: © Gallissas

Ich lege tatsächlich großen Wert darauf, wo ein Stück zuerst aufgeführt wird. Das soll die bestmögliche Location sein, damit das Stück auch nachgespielt wird. Eine Ur- oder Deutschsprachige Erstaufführung an einem Theater zu platzieren ist nicht die Kunst, hier genügen gute Kontakte. Das Nachspielen und das Werk am Markt zu etablieren, das ist die eigentliche Verlagskunst.

»The Last Ship« von Sting beispielsweise war keine so einfache Geburt. Nach den ersten Überarbeitungen und einem nicht wirklichen Erfolg am Broadway haben wir dieses Musical übernommen und dann schöne Spielstätten gesucht. Am Stadttheater in Brünn gab es dann eine erste Aufführung unter unserer Lizenz und danach setzte der Erfolg auch hierzulande ein. Entstanden ist eine schöne Freundschaft zum Autor/Komponisten und seinem wunderbaren Manager.

blimu: Ein ganz wichtiger Punkt bei Ihrer Arbeit ist ja nicht nur das Vermarkten, sondern dann auch das »Aufpassen« auf das Stück bei der Umsetzung. Wir wissen, dass einige Regisseure gern mal mehr ändern, als die Rechte es hergeben würden. Wie schwierig ist es, auf die Stücke und deren Umsetzung zu achten und dann gegebenenfalls auch mal in Diskussionen mit den Theatern zu gehen?

BW: Ich würde mir hier tatsächlich von den Theatern, die ja unsere Vertragspartner sind, wünschen, dass sie ihre Regisseure mehr darauf einschwören, was geht und was nicht. Ich finde es schon extrem, wie teilweise die Stücke verunstaltet werden mit Regieeinfällen, die die Welt nicht braucht. Ich habe auch noch nie erlebt, dass dadurch ein Stück besser geworden wäre. Für mich stellt sich immer die Frage, weshalb ein Regisseur sich eines Stoffes annimmt, wenn er ihm wie original vom Autor geschrieben, dann doch nicht gefällt. Die Regisseure vergessen darüber auch, dass wir eigene Verpflichtungen gegenüber unseren eigenen Lizenzgebern haben, und uns die Nichteinhaltung der Werktreue die Rechte kosten kann. Ich habe es bereits mehrfach durchgesetzt – dass eine Produktion abgesetzt bzw. zurück gearbeitet werden musste. Das ist ärgerlich für alle Beteiligten, muss aber manchmal sein. Wir können als Verlag nicht überall sein und der Passus, der im Aufführungsvertrag eigentlich alles präzise regelt, dehnt sich dann in Auslegungen und endlosen Diskussionen. Wir schauen, dass die von uns vertretenen Werke möglichst werkgetreu inszeniert werden, eine Garantie ist aber zum Zeitpunkt der Rechtevergabe nicht gegeben. Die Konsequenz daraus ist, dass wir unsere neuen Werke nur sehr gezielt an Bühnen vergeben, bei denen wir wissen, dass wir dasselbe wollen, nämlich dass der Zuschauer nach der Pause auch noch da ist.

blimu: Man liest immer, dass Verlage sich vor Stückangeboten kaum retten können. Können Sie, gerade im deutschsprachigen Musical, diesen Eindruck bestätigen?

BW: Nein, das kann ich nicht. Das mag aber daran liegen, dass Stückangebote, die sichtlich an einen großen Verteiler gehen, bei uns gleich rausfallen. Autoren, die sich im Vorfeld gar nicht erst die Mühe machen, mal zu schauen, ob ihr Werk überhaupt zu uns, ins Programm passen würde, fallen gleich raus. Jeder erhält zwar eine persönliche Absage, aber diese ist in dem Fall dann ein Zweizeiler und fällt nicht ins Gewicht.

Theatersaal – Gallissas. Foto: © Gallissas

Wir werden tatsächlich zumeist sehr gezielt angeschrieben, und sofern uns ein Thema gefällt, lektorieren wir das Werk auch.
Ereignisse wie der 11. September 2001 oder die Pandemie in 2020 inspirieren viele Autoren, der Erste sein zu wollen, der zu dieser Katastrophe ein Stück herausbringt. Das ist tatsächlich sehr nervig, weil es nicht einmal mehr um gute Schreibkunst geht, sondern nur darum, der Erste zu sein. Hier klinken sich dann auch viele Hobby-Autoren oder solche, die es werden wollen, ein. Das stiehlt einem dann wirklich zumeist nur die Zeit. Dennoch gibt es auch hier Ausnahmen: Kurz nach dem 11. September kamen 17 Seiten aus dem Faxgerät aus der Feder des Autors Israel Horovitz. Meine erste Reaktion war: Ohje, nicht er auch das noch. Dann fing ich an zu lesen … am selben Tag hatte ich einen Termin mit einem Hörbuchproduzenten zu einem anderen Thema. Ich bat ihn, diese 17 Seiten zu lesen mit dem Ergebnis, dass wir das Thema wechselten und aus dem Stoff ein Hörbuch entwickelt haben mit dem Titel »3 Wochen nach dem Paradies«. Später wurde es sogar verfilmt.

blimu: Auf welche Stücke aus Ihrem Repertoire waren Sie in dem vergangenen Jahrzehnt besonders stolz und aus welchen Gründen?

BW: Stolz sind wir natürlich auf unsere Blockbuster wie »Flashdance«, »My Fair Lady«, »Monty Python’s Spamalot«, »The Addams Family«, die eine sichere Einnahmequelle sind. Neben dem Lizenzgeschäft haben wir aber auch eine Entwicklungsabteilung, in der wir in den letzten Jahren viele Shows entwickelt haben. Wenn sie es dann auf die Bühne geschafft haben, ist das unser Stolz.

»Augustin«-Proben, Wien. Foto: © Gallissas

In der Weihnachtszeit ist unser »Scrooge« mit der Musik von Michael Schanze und einem Buch von Christian Berg von den Bühnen nicht mehr wegzudenken. Das erfreut das Herz.

Und unser »Augustin«, basierend auf dem gleichnamigen Hörbuch von Wolfgang Ambros, Joesi Prokopetz und Manfred Tauchen, der im Mai wieder in Wien im Theater Akzent gezeigt wird, begeistert uns vollauf.

blimu: Worauf dürfen wir uns in den nächsten zwölf Monaten aus Ihrer Verlagssicht freuen?

BW: Sie dürfen sich auf zwei wunderbare neue Musicals aus der Feder der aus Südafrika stammenden Komponistin, Alice Gillham, freuen. Ihr erstes Musical »Calling Us Home« feiert am 18. Februar 2023 in Kapstadt Premiere, und wir erwarten dort Gäste aus der ganzen Welt, die diesem Ereignis bereits entgegenfiebern. Im November folgt dann – ebenfalls am Artscape Theatre in Kapstadt – die Uraufführung des Musicals »Clarence Square«. Für beide Shows gibt es international großes Interesse, und wir werden nach den Premieren in Kapstadt entscheiden, wohin die Nachfolgerechte vergeben werden. Darüber hinaus sind wir mit den spanischen Produzenten des Musicals »Der Medicus« nach dem Bestseller von Noah Gordon eine enge Kooperation eingegangen, hieraus werden viele schöne Premieren folgen. Auch habe ich in den letzten beiden Jahren meinen Fokus sehr auf die neuen Shows in Holland und Belgien gelegt, und der Komponist Sam Verhoeven ist für mich eine echte Entdeckung und wird sicherlich auch hierzulande demnächst große Erfolge feiern. Mit »Goodbye, Norma Jeane« geht’s am 4. März los am TfN in Hildesheim.

blimu: Herzlichen Dank für die Zeit, die Sie sich für uns genommen haben. Wir wünschen Ihnen alles Gute für die weitere Stückfindung und natürlich auch für die kommenden Premieren!

Die Fragen stellte Sabine Haydn