Jukebox-Musical »Die zertanzten Schuhe« uraufgeführt beim Brüder Grimm Festival Kassel auf der Seebühne/Schönfelder Märchenteich

Die schlafwandelnden Tänzerinnen

Diener Hans (Bruno Grassini) deckt den TischFoto: Christian Spielmann

Diener Hans (Bruno Grassini) deckt den Tisch
Foto: Christian Spielmann

Jakob (1785–1863) und Wilhelm Grimm (1786–1859) kamen in Hanau zur Welt, wo alljährlich zu ihren Ehren die Brüder Grimm Festspiele stattfinden. Die Brüder wurden nach dem Tod ihres Vaters von der Mutter zum Jura-Studium nach Kassel geschickt. Hier begannen sie auch, Märchen zu sammeln und niederzuschreiben. Darum ehrt auch die Stadt Kassel die Märchenerzähler mit dem Brüder Grimm Festival im Park Schönfeld. Hier schwimmt im Märchenteich eine Bühne, auf der 2018 »Die zertanzten Schuhe« gezeigt wird, das 1815 in den »Kinder- und Hausmärchen« erschien. Michael Fajgel adaptierte die Geschichte zu einem Jukebox-Musical mit bekannten Songs aus der Popgeschichte. Regie führt Rüdiger Canalis Wandel (Autor und Regie von »Linie 2 – Der Alptraum«).

Jolanda (Katharina Martin), Juditha (Inga Jamry) und Jasmina (Annabelle Mierzwa)Foto: Christian Spielmann

Jolanda (Katharina Martin), Juditha (Inga Jamry) und Jasmina (Annabelle Mierzwa)
Foto: Christian Spielmann

König Walter (Guido Maria Kober) hat nur drei Töchter, Jolanda (Katharina Martin), Jasmina (Annabelle Mierzwa) und Juditha (Inga Jamry), und nicht zwölf wie im Märchen, was zu viel für die kleine Bühne wäre. Der hinkende Diener Hans (Bruno Grassini) deckt den Tisch im Schloss zum Beatles-Song ›Here Comes the Sun‹, der mit ›Die Nacht fängt an‹ übersetzt wurde. Die Prinzessinnen unterscheidet man an der Farbe ihrer Kleider: Juditha ist rot , Jolanda gelb und Jasmina rosa gekleidet. Sie besingen ihr Dasein mit ›Monoton, Grau in Grau‹ (im Orginal: ›Walking on Broken Glass‹ von Anni Lennox). Der König legt Wert darauf, dass am Hof nur Französisch geredet wird, was Hans jedoch nicht versteht. Der Vater mag nicht, wenn seine Töchter nörgeln und anders denken als er. Mit »Mamma ist Tabak holen« wird die eheliche Situation geklärt. ›Hört auf damit‹ (im Orginal: ›Got My Mind Set on You‹ von George Harrison) singt er und will, dass seine Töchter sich auf den Hofball vorbereiten. Sie sollen mit dem Diener, dem Koch Franco Ossobucco (Karim Afoun) und dem Küchenjungen Francesco Risotto (Denys Magda) den Hoftanz üben, ein Menuett, das als Rock’n Roll endet.

Der König (Guido Maria Kober) tanzt mit seinen Töchtern Jasmina (Annabelle Mierzwa), Juditha (Inga Jamry) und Jolanda (Katharina Martin)Foto: Christian Spielmann

Der König (Guido Maria Kober) tanzt mit seinen Töchtern Jasmina (Annabelle Mierzwa), Juditha (Inga Jamry) und Jolanda (Katharina Martin)
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Vor der Nachtruhe reden die Mädchen in ihrem Zimmer über ihre Wünsche: Juditha will Ärztin werden, Jolanda Turnierreiterin und Jasmina will die Welt bereisen. Der Cindy-Lauper-Song ›Girls Just Wanna Have Fun‹ wird hier im englischen Orginal interpretiert. Jolanda gesteht, dass sie Hans mag, und Jasmina verrät, dass sie sich in den Prinzen Harry Stengel verliebt hat. Von unten krächzt ein heimlicher Liebhaber von Juditha, Ronny Schicketanz (ein Mitglied der Band), das Lied ›Juditha‹, eine Adaption von ›Anita‹ von Costa Cordalis. Die Schwestern schlafen ein, und zu einer Variation von ›Tubular Bells‹ aus dem Film »Der Exorzist« schlafwandeln sie in den Schrank und tauchen unten wieder auf, wobei sie mit zwei Rittern (Karim Afoun und Denys Magda) zum Whitney-Houston-Hit ›I Wanna Dance With Somebody‹ bis zum Abwinken tanzen. Zu den Tönen von ›Tubular Bells‹ legen sie sich wieder schlafen.

Jasmina (Annabelle Mierzwa), Jolanda (Katharina Martin) und Juditha (Inga Jamry) tanzen mit den Rittern (v.l., Denys Magda und Karim Afoun)Foto: Christian Spielmann

Jasmina (Annabelle Mierzwa), Jolanda (Katharina Martin) und Juditha (Inga Jamry) tanzen mit den Rittern (v.l., Denys Magda und Karim Afoun)
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Die Uhr in ihrem Zimmer ist im Traum von 6.00 auf 12.00 Uhr und zurück gesprungen – demnach ist keine Zeit vergangen. Doch der König merkt, dass ihre Schuhe zertanzt sind. Da sie auf die Frage, was passiert ist, schweigen, entscheidet er, sie in ihrem Zimmer einzuschließen. Die Prinzessinnen verlangen von Hans auch einen Schlüssel, um das Zimmer verlassen zu können. Dieser begreift mit ›Ich bin schlicht und ergreifend verliebt‹ (Im Original: ›She’s Always a Woman‹ von Billy Joel), dass er Gefühle für Jolanda hegt. Die Mädchen inspizieren den Schrank, finden jedoch nichts Außergewöhnliches . Hans händigt ihnen den Schlüssel heimlich aus, während der Vater neue Schuhe bringt und vor der Tür Wache hält, wobei er allerdings einschläft. Erneut schlafwandeln die Schwestern und tanzen zu ›Dancing Queen‹ von »Abba« mit den Rittern.

Prinz Eugène de la Fricadelle (Bruno Grassini) stellt sich König Walter (Guido Maria Kober) vorFoto: Christian Spielmann

Prinz Eugène de la Fricadelle (Bruno Grassini) stellt sich König Walter (Guido Maria Kober) vor
Foto: Christian Spielmann

Wieder ist der König wegen der kaputten Schuhen sprachlos. Hans soll zum Hofmarschall eilen, damit dieser ein Gesetz erlässt. Derjenige, der das Geheimnis lüftet, darf eine Prinzessin heiraten und wird der Nachfolger des Königs. Plötzlich öffnet sich die Schranktür, und dort sitzt ein orientalischer Flaschengeist, der Hans drei Wünsche gewährt. Nachdem er zwei Wünsche verschwendet hat, wünscht er sich drei neue: endlich richtig gehen zu können, Prinzenkleider und einen Umhang, der ihn unsichtbar macht. Letzteren testet er sogleich an dem Koch, welcher ihn nicht bemerkt. Mit ›Ich glaub ich zieh‘ das große Los‹ (im Original: ›Everlasting Love‹ von »The Love Affair«) freut er sich auf sein kommendes Glück.

Jolanda (Katharina Martin) diskutiert mit Juditha (Inga Jamry), die dem Prinzen Eugène (Bruno Grassini) das 'Fluidum Maggi-Cum' in sein Glas geschüttet hatFoto: Christian Spielmann

Jolanda (Katharina Martin) diskutiert mit Juditha (Inga Jamry), die dem Prinzen Eugène (Bruno Grassini) das ‚Fluidum Maggi-Cum‘ in sein Glas geschüttet hat
Foto: Christian Spielmann

Hans in schmucken Kleidern und einem angeklebten Schnurrbart stellt sich dem König als Eugène de la Fricadelle vor und bietet an, das Geheimnis zu lüften. Der König zweifelt und meint: ›Warum kriegt man nie, was man will‹ (im Original: ›You Can’t Always Get What You Want‹ von den »Rolling Stones«). Er willigt dennoch ein, selbst als der Prinz im Zimmer der Mädchen bleiben will. Juditha mixt Hans etwas »Fluidum Maggi-Cum« in sein Getränk, und dieser schläft wie ein Murmeltier. Jolanda will diesmal nicht mit Tanzen gehen und bleibt, während die beiden anderen entschwinden. Sie singt dem schlafenden Hans ›Es ist sonderbar‹ (›Listen to Your Heart‹ von »Roxette«) und legt sich mit ihren zurückkehrenden Schwestern ins Bett. Der König ist am Morgen nicht sonderlich amüsiert, dass Prinz Eugène nichts mitbekommen hat, entdeckt aber, dass Jolandas Schuhe ganz sind. Eugène erbettelt sich eine zweite Chance, die der König ihm gewährt. Die Prinzessinnen lassen ihre Wut über diese Entscheidung mit ›Nichts als Ärger am Hals‹ (›Power of Love‹ von Huey Lewis) heraus. Diesmal trinkt Hans nichts und simuliert den Schlaf nur. Als die Schwestern im Schrank verschwunden sind, zieht er seinen Zauberumhang an und folgt ihnen. Mit den Rittern tanzen sie zu dem »Bee Gees«-Hit ›You Should Be Dancing‹. Am nächsten Tag will er dem König das Geheimnis erzählen, aber nur unter der Bedingung, dass Jasmina Harry heiraten darf, Juditha Ronny Schicketanz nicht ehelichen muss und er Jolanda zur Frau erhält. Der Vater ist von dem Vorschlag nicht angetan, zeigt aber nach einem Redestreik seiner Töchter Einsicht. Auch Eugène gibt sich als Hans zu erkennen, und zu ›Time of My Life‹ von Bill Medley und Jennifer Warnes aus »Dirty Dancing« finden alle ihr Glück.

Jolanda (Katharina Martin) hat mit Hans/Eugène (Bruno Grassini) ihre große Liebe gefundenFoto: Christian Spielmann

Jolanda (Katharina Martin) hat mit Hans/Eugène (Bruno Grassini) ihre große Liebe gefunden
Foto: Christian Spielmann

Eine Mischung aus Wortspielen, Verdrehungen von französischen Redewendungen, wie »Das ging aber Chanel«, und anachronistischen Bemerkungen bringen die Zuschauer zum Lachen. Die Wahl der Songs ist ebenfalls geglückt ebenso wie deren Übersetzung (Buch und deutsche Liedtexte: Michael Fajgel). Eine vierköpfige Band spielt die Musik live aus einem überdachten Nebenteil der Hauptbühne heraus.
Die drei Prinzessinnen haben alle eine Ausbildung als Musical-Darstellerinnen absolviert, was sich in ihrem Spiel und Gesang positiv bemerkbar macht, ohne dass eine junge Dame besonders hervorsticht. Der gebürtige Italiener Bruno Grassini ist sicher der Star der Show. Mit viel Energie spielt er den hinkenden Diener und den Prinzen mit Akzent und meistert mit seiner guten Stimme die Songs mühelos. Guido Maria Kober nimmt mit seiner dunklen Gesangsstimme als französisch sprechender König für sich ein. Insgesamt gefällt dieses neue Jukebox-Musical recht gut.