Der Komponist Cy Coleman ist bekannt für die 60er Jahre Musical Comedies »Little Me« und »Sweet Charity« sowie später »City of Angels« und »On the Twentieth Century«, die den Glamour früherer Jahrzehnte einfangen.
»The Life« ist im New York der frühen 80er Jahre angesiedelt und weit entfernt von jeglichem Glamour. Die Neonlichter des Times Squares machen die Nacht zum Tag, was auch für die Figuren der Unterwelt gilt, die hier im Zentrum stehen. Das Buch von David Newman, Ira Gasman und Cy Coleman sowie die Musik von Coleman mit den Liedtexten von Gasman blicken auf das Milieu der Zuhälter, Prostituierten und Strippenzieher. Das Musical eröffnete 1997 am Broadway unter der Regie von Michael Blakemore, der nun auch diese Produktion inszeniert und den Stoff leicht überarbeitet hat.
Queen (T’Shan Williams) erhofft sich ein besseres Leben für sich und ihren Freund Fleetwood (David Albury). Sie geht auf den Strich, um das nötige Geld zusammenzubekommen, doch er gibt es für Drogen wieder aus, da er mit dem Trauma des Vietnamkrieges nicht fertig wird. Sein Verhältnis zu anderen Zuhältern zeigt jedoch, dass er Queen gar nicht wertschätzt. Frauen sind für ihn und sie nur austauschbare Objekte, mit denen man Geld machen kann.
Durch die Geschichte führt der Strippenzieher Jojo (John Addison), der zwar nicht mit Drogen oder Mädchen handelt, aber seine Verbindungen nutzt, um einiges vom Hintergrund aus zu lenken. Zum Beispiel hilft er Fleetwood am Bahnhof, ein frisch aus der Provinz angekommenes Mädchen aufzugabeln, um sie allmählich in die Kreise des Sexgeschäfts einzuführen. Queen warnt den Neuankömmling Mary (Joanna Woodward) mit dem Rat ›Go Home‹ vor New Yorks heißem Pflaster. Es ist ein eindringliches Duett, bei dem sie Mary drängt: »Here’s a little free advice, go home / New York isn’t very nice, go home // Hier ist ein kleiner kostenloser Rat, geh heim / New York ist nicht sehr nett, geh heim.« Mary jedoch hat ihre eignen Erfahrungen gemacht: »Where mother’s always sippin’ gin, and men are always droppin in / that’s how it’s been, back home // Dahin, wo Mutter immer Gin schlürft und Männer immer vorbeikommen / So ist es gewesen, daheim.« Missbrauch und Gewalt klingen durch. Auch die Referenz, dass es dort nicht wie bei der amerikanischen »Heile-Welt«-TV-Familie »The Brady Bunch« zugeht, macht vieles deutlich. Entsprechend mag Mary zwar wie die süße Unschuld vom Lande aussehen, lässt sich aber nicht so leicht schockieren. Sie arbeitet zunächst als Serviererin im Strippclub und wird unversehens auf die Bühne geschubst, als das dort tanzende Gogo-Girl das Handtuch wirft. Mary hat es drauf und verlässt die Bühne mit reichlich Dollarnoten in ihrem Slip. Sie feiert ihren Erfolg mit ›Easy Money‹, einer temporeichen, swingenden Nummer, die mit ihrem Sound an die Musik von »Gypsy« erinnert und einen Touch 40er Jahre Vaudeville besitzt. Mary blüht auf und bandelt mit Fleetwood wie auch Jojo an, während Queen zusammen mit anderen Frauen bei einer Razzia im Gefängnis landet. Alle anderen Zuhälter kaufen ihre Mädchen frei, nur Fleetwood bringt für Queen kein Geld auf. Memphis (Cornell S. John), der King unter den Zuhältern, zahlt schließlich ihre Bewährung. Doch das bleibt nicht ohne Folgen.
Zuvor, bei seinem in den Bann ziehenden, aber unheimlichen ›Don’t Take Much‹ wird deutlich, was für ein skrupelloser Kerl hinter dieser glatten, souveränen Fassade steckt. Eine Konfrontation zwischen Fleetwood, Mary und Queen lässt Queen den »Stall« wechseln und für Memphis arbeiten. Der Hookers’ Ball steht an, bei dem sich auch die Branche eine schöne Zeit gönnt. Dort macht Mary ihren nächsten Schritt auf der Karriereleiter: Ein Pornofilmproduzent sucht einen Star und sieht in ihr die perfekte Besetzung. Nach gemeinsamem Spaß im Bett fließt der Champagner, wobei beide zu ›People Magazine‹ von ihrer gemeinsamen Zukunft träumen. Der Song ist eine beschwingte Broadwaynummer, deren Melodie und Inhalt auch in einem 40er Jahre Musical zu finden sein könnte.
Beim Ball darf der Zuschauer auch Justin Nardellas Ausstattung bewundern – dabei ist es besonders spannend zu beobachten, mit welchen einfallsreichen Kleidern sich Prostituierte und Zuhälter in Schale werfen. Queen, wenn auch von Trauer geprägt, zeigt Klasse: ein goldenes Kleid mit tiefen Ausschnitt. Memphis führt sie in sein privates Gemach, denn er hatte es schon lange auf sie abgesehen. Sie möchte sich für die großzügige Leihgabe bedanken, aber Worte hatte er nicht im Sinne. Als es zum Konflikt kommt, zerreißt er das kostbare Kleid mit der Auflage, dass sie es nun auf der Straße abzuarbeiten habe. Bevor es zu weiteren tyrannischen Schritten kommt, kann Sonja (Sharon D. Clarke), eine geachtete Kollegin, Queen aus ihrer prekären Lage befreien. Bis sich Letztere allerdings gänzlich aus den Klauen dieses Geschäftes befreien kann, muss sie noch einige Rückschläge – nicht nur emotionale – einstecken. Das Ende ist dabei äußerst berührend und eine dramaturgische Glanzleistung. Mehr soll an dieser Stelle aber nicht verraten werden.
Das Musical ist mit seinen Machtspielen, Intrigen und schmerzlichen Abhängigkeitsverhältnissen nichts für sanfte Gemüter. Es besitzt aber erstklassige Liedtexte von Ira Gasman sowie vielfältige und eingängige Musik von Cy Coleman. Die eingearbeiteten Genres von Rock, Pop, Soul und Funk reflektieren angemessen die 70er und 80er Jahre, wobei klassische Broadwaymelodien auf das Musicalgenre selbst verweisen. Manchmal fügen sie sich gut in die Geschichte ein wie bei ›Easy Money‹, an anderer Stelle klaffen Musik und Handlung allerdings auseinander – wenn die Figuren in 70er Jahre Klamotten in den heruntergekommenen Straßen New Yorks zu einer aufreizenden, aggressiven Choreographie Tom Jackson-Greaves tanzen. Seine Choreographien betonen das Harte, das Hektische und Gefährliche dieses Milieus, wobei natürlich die körperlichen Reize, die bereits in Nardellas Kostümen reichlich zur Schau gestellt werden, weiter unterstrichen werden. Viel Bein, Bauch und nackte Haut wird gezeigt.
Michael Blakemore kam es bei seiner Regie besonders darauf an, das Menschliche der Figuren herauszuarbeiten, was ihm auch gelungen ist. Dies gilt vor allem für Queen, die noch Ideale hat, sowie für Sonja, die zwar keine mehr hat, aber dafür ein großes Herz, viel Weisheit und trockenen Humor: »Ich war in sieben Betten heute Nacht und habe in nicht einem davon geschlafen.« T’Shan Williams und Sharon D. Clarke beeindrucken mit ihren stimmlichen und schauspielerischen Leistungen, die ihnen viel verdienten Applaus einbringen.
Cornell S. John als Memphis besitzt eine ungeheure Präsenz, die der Figur auch das Charisma verleiht, welches sie benötigt. Wenn er singt, dann ist das Publikum ganz bei ihm. John Addison als Jojo überzeugt ebenfalls, wenn er mit Leichtigkeit durch die Szene um den Time Square und die 42nd Street gleitet, sich dabei Vorteile verschafft und beruflich aufsteigt.
Unterstützt werden die Hauptdarsteller von einem erstklassigen Ensemble, das das Bild New Yorks mit seinem Mix u. a. aus Puerto Ricanern, Iren und Schwarzen vervollständigt.
Zwar am selben Ort in New York spielend, doch etwa 50 Jahre später, bietet »The Life« mit seinen fast drei Stunden ein Kontrastprogramm zu »42nd Street«, das mit unglaublichen Glamour aufwartet, obwohl die Realität zur Zeit der Depression ähnlich gewesen sein muss.
Es ist ein Abend, der dem Leben auf der Straße gewidmet ist.