Interview mit Gil Mehmert (Regie) und Patrick Stanke (Dave Bukatinsky) zu »The Full Monty«

um: Gil Mehmert, bei unserem ersten Kontakt in Sache ‚The Full Monty‘ sagten Sie, dass Sie planen, Ihr Musical-Konzept am Opernhaus Dortmund zu verwirklichen. Jetzt sitzen wir nach einem Probendurchlauf hier in der Kantine des Opernhauses, was bedeutet das für Sie?

GM: An einem Opernhaus, das eine Ballett- und eine Theatersparte hat, kommt man sich so ein bisschen vor wie Harry Potter auf Gleis 9 ¾.

Toll ist, dass uns die Oper die Möglichkeit eines eigenen Raumes geboten hat. Wir können die Infrastruktur des Opernhauses in vollem Umfang nutzen. Es gibt natürlich Punkte, an denen Oper und Musical etwas konträr sind. Beides ist ja Musiktheater, aber es tauchen immer wieder Fragen auf: Beispielsweise muss eine andere Musik gespielt werden, als sie sonst das Orchester spielt.

Jeder Korrepetitor muss alle Opern drauf haben, aber beim Musical erfindet man auch oft Neues, und es muss alles „zusammengeschustert“ werden. Es ergibt sich dann eine andere Arbeitsweise und man muss sich als Team zusammenraufen.

Ich finde alle an diesem Haus sehr nett und positiv, und es ist toll, dass die neue Intendanz (seit September 2010 ist Jens-Daniel Herzog Opernintendant) uns den Raum dafür gibt. Die Oper öffnet sich für eine andere Art von Musiktheater. Das ist natürlich ein Wagnis, besonders bei so einem großen Zuschauerraum wie hier im Opernhaus. Oft ist es ja so, dass in einem solchen Haus innerhalb von 10 Jahren zweimal ‚West Side Story‘ oder ‚My Fair Lady‘ gespielt wird. In diesem Fall, möchte die Intendanz, dass mehr Leute auf das Theater aufmerksam werden und kommen. Da ist dieses Stück inhaltlich natürlich eines, das in dieser Stadt sehr passend angesiedelt ist, denn all die Themen, die auftauchen, spielen hier eine Rolle. Hinzu kommt, dass ‚The Full Monty‘ weit entfernt ist von dem klassischen Musical-Klischee, es geht musikalisch in die Richtung von ‚Motown‘ und ist sehr rockig.

Die Darsteller, die wir ausgewählt haben, sind Kerle, bei denen es nicht darum ging, dass sie die feinsten Hand- und Fußbewegungen drauf haben, sondern hier ist das Schauspielerische wahnsinnig wichtig. Genau das bringen wir mit, und ich glaube, so viel Schauspiel in der Oper ist sehr selten.

um: Wie kam es zur Zusammenarbeit zwischen Ihnen beiden?

PS: Ich habe Gil, glaube ich, vor rund 12 Jahren kennengelernt. Er hatte an der August Everding Akademie München ‚On The Town‘ inszeniert, und ich war die Zweitbesetzung beim Abschluss des 4. Jahrgangs. Deswegen hat es mich sehr interessiert, noch einmal mit Gil zu arbeiten. Die Arbeit hier am Opernhaus Dortmund sehe ich ebenso wie Gil. Ich finde es sehr interessant, wie die ganzen Sparten ineinandergreifen. Auch der normale Tagesablauf, den es an der Oper gibt, ist so anders als das, was man eben kennt, zum Beispiel, dass bis 13:30 Uhr geprobt wird, und um 13:31 Uhr steht der Bühnenmeister auf der Bühne und sagt uns, dass wir nun aufhören müssen. Das haben wir natürlich vorher gewusst und uns noch andere Räume zum Proben besorgt, aber das ist schon sehr interessant. Für mich ist es lokal natürlich toll, denn ich kann endlich mal wieder zu Hause schlafen.

um: Welchen Stellenwert hat für Sie beide Musical?

GM: Ich bin ein Regisseur, der wahnsinnig gerne Musical macht, und habe eine Art Hassliebe dazu. Es gibt ja viele Klischees, beispielsweise dass das Äußerliche eine große Rolle spielt, und durch die Zweifach-Dreifach-Cover-Swing-Besetzungen ist es oft eine Hülle, die nicht immer optimal mit Inhalt gefüllt ist. Diese Hülle zu füllen, ist mein Anspruch als Regisseur. Ich missbrauche Musical für das, was ich daran toll finde. Ich mache zwar oft Oper, aber ich habe es viel lieber, wenn es soult und rockt. Ich höre auch gerne mal eine ‚Königin der Nacht‘, aber wenn ein Schlagzeug dazu kommt, gefällt es mir noch besser. Ich brauche Groove!

Patrick und ich, wir kennen uns schon lange. Als ich ihn an der Akademie in München kennengelernt habe, war er eben ganz offensichtlich nicht der typische Musicaldarsteller. Ich fand gerade interessant, dass so Typen wie Patrick und Tom Beck – der damals im Jahrgang über Patrick war – dabei waren. Es wurde sich immer beschwert, dass sie im Ballett so schlecht wären und eher Fußball spielen sollten.

PS: Ich war voll gut im Ballett!

GM: Du warst ja auch bei der Lehrerbesprechung nicht dabei (lacht).

GM: Im Schauspiel bin ich ein Diktator, der alle nur hin und her schiebt und ihnen Anweisungen gibt. Und im Musical bin ich der, der den Darstellern unglaublich viel Freiraum gibt.

PS: Genauso habe ich das auch wahrgenommen, Du lässt uns viel alleine machen.

GM: Mir ist es wichtig, die ganze Zeit die Augen nach neuen Talenten offen zu halten. Julia Klotz beispielsweise, die die Rolle der Pam Lukowski spielt, habe ich vor fünf Jahren kennengelernt. In meinem Kopf läuft dann immer so eine Art Kartei ab, und dass ich sie für dieses Stück ausgewählt habe, war absolut richtig. Auch bei den anderen habe ich sofort gemerkt, dass ich mir keine Gedanken machen muss, denn sie haben die Qualität, die ich brauche. Und natürlich entwickeln wir das Stück dann mit diesen Leuten, so wie es auch immer am Broadway gemacht wird. Man hat eine Besetzung und daraus entsteht dann das Stück, wie es letztendlich überall auch gespielt wird. Für mich ist es sehr wichtig, dass sich alles individuell entwickelt, wer sind die, was tun sie, welche Dynamik haben sie, damit das Stück eine Seele bekommt.

PS: Bei ‚3 Musketiere‘ war das auch so. Da war die Show neu, und wir haben jede Szene neu entwickelt, das war natürlich eine anstrengende Arbeit. Ich werde oft gefragt, weshalb ich nicht mal die oder die Rolle spiele, das ist dann so, weil ich als Typ knapp daran vorbei geschrammt bin und nicht hundertprozentig passe. Darin liegt das Problem, wenn man fertige Produktionen kauft, es sei denn, man bekommt die Möglichkeit eine ganze Produktion neu zu gestalten. Das ist dann natürlich auch immer eine Frage der Rechte, der Zeit und natürlich des Geldes. Deswegen freue ich mich auch, dass „The Full Monty“ bereits die fünfte Stadttheaterproduktion ist, die ich mache. Es ist ein ganz anderes Arbeiten, man hat mehr Freizeit und kann noch andere Sachen machen, weil man weniger Shows spielt. Aus diesen Gründen kann ich mir gut vorstellen, in den kommenden Jahren weiterhin in diesem Bereich zu bleiben.

um: Wird Musical am Stadttheater wichtiger?

PS: Vor allem haben wir – auch die neue Generation von David Jakobs von der Folkwang und derer, die aus München von der August Everding kommen – die Aufgabe, mit dieser verstaubten Meinung, dass man an Stadttheatern nur ‚My Fair Lady‘ spielen kann, mal ein wenig aufzuräumen. Ich denke das Publikum ist bereit dazu, die Frage ist nur, ob wir immer so einen tollen Intendanten finden wie in diesem Fall.

GM: Patrick war einfach ein Typ, der manchmal aneckte, und auch mal eine Auseinandersetzung suchte. Im Theater wird sich viel gestritten. Im Musical wird oft so getan, als würde man sich nicht streiten, da ist man eher beleidigt und nachtragend. Im Theater gilt: In der Probe kann man fast alles tun, außer sich umbringen, und nach der Probe ist es dann aber auch zu Ende. Ich finde es toll, welchen Weg Patrick gegangen ist, und dass wir jetzt hier wieder zusammenkommen. Ich habe schon mit ihm gearbeitet und will jetzt eine andere Seite von ihm sehen. Ich finde es toll von ihm, dass er sich so zeigt. Patrick ist ein unglaublich ästhetischer kräftiger Mann, aber er muss trotzdem alles auspacken und muss eine weiche Seite von sich zeigen.

um: Ist man da als Regisseur auch so ein bisschen Psychologe?

GM: Erstmal muss klar sein, dass es nicht nur darum geht, sich nun auszuziehen oder nicht. „The Full Monty“ ist eine Metapher für „Seinen Mann stehen“. Im Schauspiel hat doch jeder schon einmal nackt, oder mit Nackten gearbeitet. Da hopst man stundenlang nackt auf der Bühne rum und lässt sein Geschlecht durch die Gegend wackeln, mich persönlich interessiert das nicht. Ich sehe das eher sportlich, in der Umkleide muss man sich ja auch ausziehen, und da hat man auch keine Hemmungen. Es entsteht natürlich auch eine Herausforderung, die vom Publikum ausgeht, sodass die Männer sich sagen „Ok, dann machen wir es einfach!“ Es ist einfach die Frage: springen oder nicht springen? Sich etwas trauen.

Diese Szene wird ja auch besonders beleuchtet. Es geht uns ja nicht darum, Details des menschlichen Körpers zu zeigen.

Dazu muss ich sagen, dass Patrick sich dabei auf etwas völlig Neues einlässt: In dem System, in dem er normalerweise steckt, da hat er einen Namen, hier ist er in einem Ensemble. Das ist schon eine Umstellung, aber trotzdem lässt er sich darauf ein. Und Dave ist eine wichtige Figur für das Stück.

um: Patrick Stanke, was bedeutet für Sie Musical, und wie gehen Sie damit um, als Darsteller auch mit solch intensiven Situationen konfrontiert zu werden?

PS: Für mich hat Musical eine besondere Rolle in meinem Leben. Ich wollte nicht schon immer mein Leben damit verbringen, aber ich wollte schon immer Sänger werden. Und für mich ist Musical eine gute Möglichkeit, meinem ursprünglichen Berufswunsch nachzugehen. Also singen zu können, darstellen zu können und in andere Rollen zu schlüpfen. Es bedeutet auch, mit Profis wie Gil zusammenarbeiten zu dürfen, die einem auch mal sagen, dass man etwas anderes ausprobieren soll, und nicht immer nur den Sunnyboy zu mimen, sondern auch mal in eine andere Richtung zu gehen. Es ist spannend, immer wieder neue Herausforderungen zu erhalten, und diese dann mit Unterstützung, in diesem Fall von Gil, bewältigen zu können. Das gibt mir Musical. Ich weiß nicht, ob mir das so ginge, wenn ich Sänger in einer Band wäre. Das würde ich natürlich super geil finden, aber auch da müsste ich mir eine Rolle ausdenken, nämlich die eines Rockstars. Im Musical habe ich die Möglichkeit, alles zu sein, der Rockstar oder der Trottel. Ich habe kürzlich eine Rolle in ‚Rebecca‘ in Stuttgart angeboten bekommen, mich aber dann doch für „The Full Monty“ entschieden. Ich habe schon häufiger zeitgleich Rollenangebote gehabt, und somit den „Luxus“, mich für eine Produktion entscheiden zu müssen, zum Beispiel für Graf von Krolock in ‚Tanz der Vampire‘ oder Axel von Fersen in ‚Marie Antoinette‘. Man muss dann eben eine Entscheidung treffen.
Gil und ich haben schon früh über das Projekt gesprochen, ob ich Lust dazu hätte mitzumachen, und ich habe mich sehr darüber gefreut.

Für mich war es auch wichtig, die Rolle anzunehmen, um zu sehen, wie Gil mit den Technikern usw. umgeht. Ich hab vor Kurzem auch selbst inszeniert, (Interview zu ‚Der kleine Horrorladen‘ in Wuppertal). Für mich ist es sehr interessant zu beobachten, wie ein Stück inszeniert wird. Wie man etwas aufbaut, wo man anfängt, wo man hingeht, was man wissen muss, was man laufen lässt. Genau das habe ich hier in Dortmund genau beobachten können. Im Vergleich zu einer fertigen Produktion wie zum Beispiel ‚Aida‘, wo auch drei Wochen geprobt wird, aber nach genauen Vorgaben, nämlich so, wie das Stück in Amerika inszeniert wurde, damit alles exakt so sitzt, wie die es haben wollen.

Da ist es hier schon ein bisschen anstrengender. Ich komme her mit meinem gelernten Text, und niemand sagt mir, was ich tun soll. Ich selbst soll alles entstehen lassen, das war für mich schon in der Schule schwer. Ich kann singen, dastehen und schön aussehen, aber nur mit dem gelernten Text und ohne weitere Anweisungen dazustehen, war anfangs schon ein Problem für mich und eine ganz neue Erfahrung.

um: Und das Stück passt ja auch gut hierher! Welche Herausforderungen gab es während der Proben?

GM: Das Schwierigste ist, das ganze Getriebe zusammenzubringen: Licht, Requisiten, die Technik – der Bühnenwagen, der hereinfährt – alles muss auf einen Impuls funktionieren. Musical ist dynamisch, es fordert einen Regisseur eben anders heraus. Du hast zwar die gleiche Zeit für Endproben, aber es ist etwas anderes, wenn du anstelle von drei Lichtstimmungen zum Beispiel 150 Lichtstimmungen hast, das ist natürlich stressiger.

Wir wollen natürlich nicht behaupten, dass wir das Ganze neu erfunden haben und dass die anderen nichts Gutes machen. Aber ‚The Full Monty‘ passt einfach gut hierher und wir haben viel Spaß.
Ich wünsche mir zwar noch zwei Wochen mehr Endproben … (lacht)

PS: O Gott, ich nicht! Irgendwann ist man eben auch durch, und man selbst denkt, dass man dort angekommen ist, wo man hin wollte, aber jemand wie Gil sagt: „Es ist gut, aber es könnte besser sein.“ Die Flasche ist halt nie voll und die Gefahr ist, man baut sie immer höher, bis sie nicht mehr ins Theater passt. Deswegen finde ich es gut, das man ein Ziel vor Augen hat und weiß, dass nächste Woche die Premiere ist. Gil kommt ja nach der Premiere eher selten, um sich das Stück nochmals anzuschauen, dann können wir eh machen, was wir wollen (schmunzelt in Gil Mehmerts Richtung).

GM: Der Intendant Jens-Daniel Herzog hat uns großes Vertrauen entgegen gebracht. Viele, die ein Opernhaus leiten, kommen aus der Sparte Oper, und da ist es toll, wenn sie sagen, man soll es einfach so machen, wie man es sich vorstellt. Wir haben nicht nur halbe Zügel in die Hand bekommen, sondern das vollste Vertrauen, sodass ich als Regisseur die größtmögliche Freiheit hatte.

PS: Und das ist super hier, perfekt. Wenn es jetzt noch funktioniert und gut ankommt, wird das hier sicher ein Nachspiel (eine weitere Spielzeit) haben. Gerade die Region NRW hat es verdient, ein richtig schönes Musical zu bekommen.

um: Das wünschen wir Ihnen beiden und dem gesamten Ensemble. Vielen Dank für den erfrischenden Schlagabtausch!.