Wer alte Platten auflegt, muss sie auch entstauben

Links thront mächtig und übergroß in Leder gebunden: ‚Higgins‘ Universal-Alphabet‘, rechts genauso ‚Pickering, Das gesprochene Sanskrit‘, dazwischen ein nostalgischer Plattenteller mit schwarzer Schellack-Scheibe, Tonabnehmer als Hausbar und dahinter vergoldet, ein übergroßer Trichter, wie man ihn von alten Phonogeräten kennt. Stefan Wiels Bühnenbild spielt auf die geistige, vor allem im Herzen angesiedelte, Enge des gelehrten Menschenfeindes Professor Henry Higgins an, dem verfügbare Stimmen phonetischer Aufzeichnungen mehr bedeuten als menschliche Originale. In dieser Ausstattung nun lässt Regisseur Horst O. Kupich seine Inszenierung des Musicals ‚My Fair Lady‘ von 1956 ablaufen.

Friedemann Kriener (Pierrot) und Antje Kahn (Eliza) auf dem Teller des Grammophons. Foto: Martin Krok

Friedemann Kriener (Pierrot) und Antje Kahn (Eliza) auf dem Teller des Grammophons. Foto: Martin Krok

Sein Blick auf das Stück, das George Bernard Shaws Komödie ‚Pygmalion‘ folgt, ist mild und versöhnlich. Dass dieser ‚Professor Higgins‘ mit Menschen experimentiert, sie benutzt wie Gegenstände und dann wegwirft, bleibt von eher beiläufiger Bedeutung. Es scheint ja auch wirklich nicht leicht, den Gegenstand dieses Stückes als glaubwürdigen aktuellen Konflikt zu sehen. Higgins wettet darauf, dass er mit seinen brutalen Methoden als Sprachlehrer in kürzester Frist aus der jungen Blumenverkäuferin ‚Eliza Doolittle‘, die er von der Straße aufliest, eine Lady macht. Für ihn adelt nicht das Herz den Menschen, sondern korrekte Aussprache und absolute Beherrschung der Grammatik.

Da können wir ja wirklich nur noch müde lachen, wenn in den Anstalten des Rundfunks in Deutschland für unsere Gebühren „den“ Opfern gedacht wird. Wenn längst nebensächlich geworden ist, was man wie sagt, sondern nur zählt, dass man unentwegt redet. Die Feindschaften zwischen Genitiv und Dativ sind Anlässe der Belustigung, Slang ist Kult, es spricht sich herum, wie man sich hoch schmiert — aber dass die absolute Korrektheit der Sprache das Geheimnis einer Karriere wäre, ist schwer zu glauben.

Foto: Landesbühnen Sachsen / Martin Krok

Foto: Landesbühnen Sachsen / Martin Krok

Doch das Stück mit der eingängigen Musik von Frederick Loewe, die leicht ins Ohr geht und lange nachklingt, hat ja noch die schönen Geschichten und Episoden um die Sympathieträgerin Eliza und deren Auftritte in den unterschiedlichen Situationen des Londoner Bilderbogens von 1912. Sie bringt das System des Professors ins Wanken und ihr erster öffentlicher Auftritt beim Derby in Ascot mit dem herrlichen Ausbruch an Natürlichkeit ist eine geniale Szene. Aber genau jener „Pfeffer“, den Eliza zwecks Steigerung des Tempos für empfindliche Stellen empfiehlt, fehlt hier.

Die Entwicklung zur selbstbewussten aber authentischen und dabei verletzlichen jungen Frau ist eine Chance für jede Darstellerin dieser Rolle. Antje Kahn greift als Eliza in Radebeul mit voller Kraft und beiden Händen zu, überzeugt gesanglich, lässt zarte Töne vernehmen und versteht es zu wechseln zwischen Chanson, Schlager und größeren Gesangslinien von eher klassischer Art. Schade nur, dass sie am Ende zurück kommt, dem Miesepeter Higgins die Geräte abstellt, den ersten Schritt auf ihn zu geht und ihm irgendwann die Pantoffeln bringen wird. Ihr Schöpfer Shaw hätte das nicht gewollt, sie solle zu ‚Freddy‘ gehen, dem jungen eleganten Nichtstuer, sie solle mit ihm Blumen verkaufen und Gemüse. Das Geschäft würde florieren, zumal wenn er dazu singt, und dann noch so schön wie Falk Hoffmann in dieser Rolle.

Jussi Järvenpää (Pickering), Antje Kahn (Eliza) und Michael König (Higgins). Foto: Martin Krok

Jussi Järvenpää (Pickering), Antje Kahn (Eliza) und Michael König (Higgins). Foto: Martin Krok

Die Herren Michael König und Jussi Järvenpää als Higgins und Pickering geben sich viel Mühe. Der eine bemüht sich, unsympathisch, der andere zackig und militant zu sein, doch von gutem Gemüt. König (Higgins) trägt das Geschehen des Stückes zu selten, er trägt die Bedeutung seiner Rolle vor; die Fluten der Unmengen an Text spülen ihn oft in tönenden Gleichklang, häufig ein Problem sprechender Sänger. Doch dafür gibt es einen Regisseur oder die bewährte Praxis, diese Rolle mit einem Schauspieler zu besetzen.
Elizas Vater, der Philosoph im Suff auf Freiersfüßen, ist Dietmar Fiedler. Er weiß, dass seine Kracher ankommen und ist mit seinem „kleenen Stückchen Glück“ zufrieden. Silke Richter ist die Hausdame des Professors, harte Schale, weicher Kern, gleichermaßen mit Schwäche für Pickering und Likör — Reihenfolge austauschbar.

Als traute Horst O. Kupich dem Stück so, wie es ist, nicht gänzlich, lässt er durch die Mitglieder des Balletts in der Choreografie von Reiner Feistel einige Verhübschungen anbringen. Es gibt einen ‚Pierrot‘. Friedemann Kriener kommentiert und bildet pantomimisch nach, was ohnehin gesagt wird. Dazu kommt eine schwebende Ballszene, aber auch tanzende Prügler und Reinigungsbrigaden. Einmal, wenn der besoffene Doolittle vor den Traualtar wankt, dann gibt es eine herrlich schräge Tanzeinlage. In Doolittles Albtraum. mehr davon wäre traumhaft, legt der hoch gewachsene Till Geier als Superbraut eine Travestie hin.

Der Gesamteindruck bleibt unentschieden. Die alte Platte, auf der viele Szenen spielen, dreht sich nur selten, wenn, dann langsam und in der Mitte gar nicht. Der neuen ‚My Fair Lady‘ an den Landesbühnen Sachsen fehlt es an Schärfe, Witz und Tempo. Hans-Peter Preu steht am Pult des Orchesters der Landesbühnen. Zum kräftigen Schlussapplaus steht er auf der Bühne, da spielen die Damen und Herren weiter, ohne ihn.

(Boris Michael Gruhl)