Der Einbruch des archaischen Verführers im 21. Jahrhundert

»Dracula« am Stadttheater Bremerhaven

von Barbara Kern

In der Literatur der Romantik bricht das Übernatürliche als unheimliches Element in die Realität, den Alltag der Menschen des 18./19. Jahrhunderts, ein – die Folgen sind ebenso schön wie schrecklich: Flucht aus dem Alltag und Verwirklichung künstlerischer Freiheit, Erfüllung von Sehnsüchten, aber auch Zerstörung der Existenz, Wahnsinn und Tod. In vergleichbarer Weise lässt Regisseur Philipp Kochheim in seiner Inszenierung von »Dracula« am Stadttheater Bremerhaven seinen Dracula (Christian Alexander Müller) im 21. Jahrhundert als archaische Kraft und tödlichen Verführer in Minas und Lucys Leben einbrechen und dieses infrage stellen. Ein Fenster in der Mitte der je nach Szenenstimmung gefärbten Kassettenwand eröffnet den Blick in Minas Welt. Kochheim entmystifiziert Dracula als legendären Vampirgrafen. Es gibt keine Kreuze oder Knoblauch, die ihn bannen könnten. Stattdessen ist der Weg über die Ebenen des sich drehenden Apartmenthauses von Teufelsfratzen, Voodoo-Puppen und Totenschädeln gesäumt, die ihm Zugang zu verschaffen scheinen (Aus […]