Open-Air-Spektakel lässt in Erinnerungen schwelgen: »Elisabeth« vor dem Schloss Schönbrunn in Wien

Die diesjährige Inszenierung des Klassikers vor der historischen Kulisse, hinter der einst die Kaiserin ihren von Dramen gespickten Alltag durchlebte, stand unter dem Motto »A trip down memory lane«. Es ist das dritte Mal, dass die Vereinigten Bühnen Wien das Musical »Elisabeth« an drei Abenden am Originalschauplatz in konzertanter Fassung geben, und die Erwartungen wurden auch diesmal nicht enttäuscht. Es gab wenig Überraschungen, dafür umso mehr Momente, die in Erinnerungen schwelgen ließen.

Regisseur Gil Mehmert gelang – wie auch von Autor Michael Kunze in seiner Ansprache erwähnt – das Kunststück, ein für das Theater konzipiertes Stück gekonnt in gänzlich anderem Rahmen zu inszenieren. Dabei setzte er weniger auf Requisiten und pompöse Effekte als auf das Können der fantastischen Cast, die zu einem Teil bekannt war (Ikone Maya Hakvoort als Kaiserin, Mark Seibert in der Rolle des Todes) und zum anderen Teil auch aus »Newcomern« wie dem Musicalstudenten und »bald-Falco« Moritz Mausser bestand, der für den erkrankten Anton Zetterholm spontan eingesprungen ist und dem man hier entsprechend eine Bühne bot.

»Es ist alles etwas viel, aber natürlich durchdrungen von Glückseligkeit«, strahlt er vorab im Interview mit blickpunkt musical. »Ich kenne diese Rolle und das Musical schon mein ganzes Leben lang. Dass ich jetzt mit diesen tollen Kollegen spielen darf, ist einfach wunderschön.« Die freudige Nachricht erreichte ihn an der Universität: »Ich hatte gerade Gehörbildung und habe mich geärgert, weil ich an einem Rhythmus gescheitert bin. Plötzlich kam der Anruf, dass ich die Rolle bekommen habe. Ich bin aufgesprungen, habe mich gefreut, und der Ärger war verschwunden.« Seine »Rudolf-Rollenvorgänger« sehe er sich zwar an, versuche jedoch seine eigene Darstellung zu finden: »eine Mischung aus Bekanntem und Neuem.«

Der Plan ging auf, die Solisten konnten durch die Bank überzeugen. Auch in diesem Jahr wurde die Titelrolle unterteilt: Die junge Elisabeth (herzergreifend, lieblich, dynamisch und stimmlich stark: Abla Alaoui) wurde während ›Ich gehör# nur mir‹ (dirigiert von Komponist Sylvester Levay) von Maya Hakvoort abgelöst.

»Ich habe damals die DVD rauf und runter geschaut«, sagt Abla Alaoui im Gespräch mit blickpunkt musical. »Damit hat alles angefangen. Jetzt in André Bauers Augen sehen zu können, den ich noch von der DVD kannte, ist ein ganz großer Traum, der in Erfüllung geht!« Erst vor wenigen Tagen nahm Alaoui Abschied von Esmeralda, der Hauptrolle in »Der Glöckner von Notre Dame«, die sie eine Saison lang verkörperte. »Es war eine extreme Herausforderung, mich emotional jeden Abend auf diese Geschichte einzulassen. Ich habe so viel gelernt. Esmeralda hat einen großen Teil von mir genommen und mir gleichzeitig so viel gegeben. Daher wusste ich, ich muss früh genug beginnen, mich zu verabschieden. Der Übergang zu Elisabeth war nicht schwer. Hier werde ich ausgetauscht, sobald das Drama losgeht.« (lacht)

Maya Hakvoort übernahm – und trotzte mit ihrer Stimmgewalt selbst teils anfallenden Tonproblemen, die eine Open-Air-Veranstaltung in dieser Größenordnung mit sich bringt. Sie erreichte auch die letzten Reihen der 12.000 Gäste fassenden Location. Schauspielerisch wie gewohnt äußerst stark ließ sie keinen Zweifel daran, die Rolle auch nach so vielen Jahren noch überzeugend verkörpern zu können. »Sie ist mir ans Herz gewachsen und ich habe ihr zu danken. Das Open-Air vor dem Schloss Schönbrunn ist ein Tüpfelchen auf dem »i«. Nie mehr hatte ich erwartet, noch einmal in diese Rolle schlüpfen zu dürfen.«

Auch für Mark Seibert ist die Rolle des Tod ein ständiger Begleiter. »Man findet immer wieder neue Facetten«, erklärte er im Interview und konnte sein Argument auf der Bühne untermauern. Mit einer Prise mehr Lockerheit und Ruhe gab er gekonnt den Part des Gegenspielers des Kaisers (solide: André Bauer). Durch die Umstellung im Konzept – nun stehen ihm zwei »Elisabeths« gegenüber – und seine eigene Entwicklung habe sich auch seine Darstellung verändert. »Mein Tod ist ein bisschen sanfter und reifer geworden.« Ob er sich vorstellen könnte, auch in zehn Jahren noch einmal in seine Paraderolle zu schlüpfen? »Das Gute ist, dass ich hier nicht altersgebunden bin, es kommt lediglich auf die Konstellation an«, so Seibert.

Als Kaiser-Mutter Sophie brillierte wie bereits in den Jahren zuvor Daniela Ziegler, die mit ihrem Solo im zweiten Akt zu Tränen rührte. Durch die Geschichte führt bekannterweise Elisabeths Mörder Luigi Lucheni, erneut verkörpert von David Jakobs, der sich erst eine Woche zuvor von seiner Paraderolle des Quasimodo in »Der Glöckner von Notre Dame« am Wiener Ronacher verabschiedete und in Schauspiel und Gesang abermals überragend bewies, dass sein Repertoire noch viel mehr umfasst als den Disney-Klassiker. Seine Kletterkünste konnte er hier übrigens in Erinnerung an den buckligen Glöckner an der Leiter abermals unter Beweis stellen.

»Newcomer« Moritz Mausser bewies bei seinem VBW-Debüt eindrucksvoll, dass er sich hinter den Stars der Szene keineswegs verstecken muss. Ganz im Gegenteil: Der Nachwuchskünstler gibt einen verzweifelten, an seiner Aufgabe zerbrechenden Rudolf, stark in der Mimik und gesanglich einwandfrei. Seine Darbietung weckt die Vorfreude auf das Stück »Rock Me Amadeus – Das Falco Musical«, dessen Hauptrolle er im Oktober übernehmen wird – und auf alles, was in Zukunft noch von ihm zu sehen sein wird.

Ein Lob gebührt bei Aufführungen in dieser Größenordnung auch dem Lichtdesign (Michael Grundner). Dieses war nicht zuletzt durch wunderschöne Effekte ausschlaggebend für ein rundum gelungenes Erlebnis. Gleichermaßen entscheidend dafür war neben einem starken Ensemble auch das Orchester unter der Leitung von Carsten Paap auf der Bühne, das mit vollem Klang für Gänsehaut sorgte. Die Kostüme (Yan Tax) orientierten sich an den Originalen.

Ja, es war ein Spektakel, was die Vereinigten Bühnen vor dem Schloss auf die Beine stellten. Eingefleischten »Elisabeth«-Fans mag es zwar durch Kürzungen bei Text und Liedern, die der Sperrstunde zum Opfer fielen, mancherorts an Tiefgang gefehlt haben (einige Szenen wirkten »abgehakt«) doch das tut dem Open-Air-Erlebnis keinen Abbruch. Dafür dürfen sich die Zuschauer über den Einzug von Sisi und Franz im Wiener Fiaker ebenso freuen wie über bebende Ensemble-Nummern wie ›Milch‹, die in dieser Kulisse noch eine ganz andere Wirkung entfalten.

Ein rundum gelungenes Event, das, wie nun angekündigt und für alle, die es noch nicht wissen, im nächsten Jahr ein letztes Mal über die Bühne gehen wird.

yan