Für jede Lebenssituation scheint es den perfekten Soundtrack zu geben. So erinnern einzelne Songs, ganze Alben oder sogar ganze Schaffensphasen von Künstlern, Menschen an ganz besondere – glückliche, aber auch traumatische – Momente in ihrem Leben.
Von einer Gruppe von fünf Freundinnen, die gemeinsam die Leidenschaft für eine Boy Band teilen, handelt das Jukebox-Muscial »The Band«, welches am 8. September 2017 im Opera House in Manchester (UK) unter Regie von Kim Gavin seine Uraufführung feierte. In der deutschen Übersetzung von Ruth Deny kam das Stück von Tim Firth (Buch) und Gary Barlow (Musik & Liedtexte) am 11. April 2019 im Theater des Westens in Berlin unter Regie von Jack Ryder und Regie & Choreographie von Kim Gavin auf die Bühne (vgl. blimu 03/2019). Die Geschichte über Freundschaft, Verlust und neuen Lebensmut, untermalt und getragen von der Musik, der weltweit gefeierten Boyband »Take That«, erzählt seit dem 16. Juni als Musical-Adaption unter dem Titel »Greatest Days« nun die bekannte Geschichte auf der großen Kinoleinwand.
Kinderkrankenschwester Rachel (Aisling Bea) macht ihren Job mit Hingabe, auch wenn ihr Privatleben mit Jeff (Marc Wootton), dessen Heiratsanträge sie seit Jahren immer wieder ablehnt, dadurch auf der Strecke bleibt. Als im Radio Konzertkarten für die Reunion-Tour ihrer Lieblingsband seit ihrer Teenagerzeit verlost werden, versucht sie ihr Glück. Und tatsächlich wird sie als glückliche Gewinnerin ausgewählt. Sie darf frei entscheiden, wer sie zum Konzert begleiten soll. Nur zu gerne würde sie ihre damaligen Freundinnen einladen, doch seit 25 Jahren haben sie keinen Kontakt mehr zueinander.
Als Teenager (Lara McDonnell) hatte es Rachel im Jahr 1993 nicht einfach. Während sich ihre Eltern im stetigen Streit miteinander befinden, muss sie sich um ihren kleinen Bruder kümmern. Während ihres tristen Alltags verliert sie sich in Tagträumen mit den Boys, die sie überallhin zu begleiten scheinen: ›Pray‹. Ihre Leidenschaft und Liebe zur Band teilt Rachel mit ihren Freundinnen Debbie (Jessie Mae Alonzo), Claire (Carragon Guest), Heather (Eliza Dobson) und Zoe (Nandi Hudson) mit denen sie auf dem Weg zur Schule, mitten auf der Straße die Tanzschritte aus dem neuesten Musikvideo nachtanzt: ›Could It Be Magic‹. Als sich Rachels Eltern trennen und sie mit ihrem Bruder beim Vater zurückbleibt, sind es auch die Freundinnen, die sie auffangen. Vor allem ihre beste Freundin Debbie ist immer an ihrer Seite.
Als sie zu Heathers Geburtstag gemeinsam ein Konzert der Band besuchen, wird für sie ein Traum wahr. Zusammen singen und tanzen sie in der Menge. Nach Konzertende ist bereits der letzte Zug gefahren und die Mädchen sitzen in Manchester fest. Während sie ihre Erlebnisse resümieren, hat ein Busfahrer Mitleid mit ihnen und lässt sie umsonst mitfahren. Als sie jedoch den Bus zur Bühne machen und lautstark ›Relight My Fire‹ für die anderen Fahrgäste performen, müssen sie an der nächsten Haltestelle aussteigen. Sie streifen durch die Nacht, betrachten gemeinsam den Sonnenaufgang und schwören sich, auf einem Felsen in der Nähe ihres Zuhauses, ewige Treue. Nach dem Tausch von Freundschaftsbändern trennen sich ihre Wege auf dem Heimweg, was ihr Leben für immer verändert.
Während die erwachsene Rachel nach einem Streit mit Jeff in einem Wohnwagen durchs Land fährt, erinnert sie sich an den damaligen Konzertbesuch. Sie selbst stellt sich die Frage, wie ihr Leben aussehen würde, wenn es damals nach dem Konzert nicht zu einem Unglück gekommen wäre. Derweil hadern auch ihre Freundinnen in der Ferne mit ihrem Leben. Heather (Alice Lowe) ist als gefragte Modedesignerin stets unterwegs, was ihrem Familienglück nicht standhielt. Zoe (Amaka Okafor) ist zwar an die Universität gelangt, wie sie es immer fokussiert hat, allerdings nicht als die angesehene Professorin, die sie immer sein wollte. Und Claire (Jayde Adams), die als Teenagerin bereits Olympia ganz nahe war, fand nach dem schrecklichen Zwischenfall und ohne den weiteren Support durch ihre Freundinnen keine Kraft mehr, ihren Traum zu verfolgen. Alle vier Frauen leben ihr Leben fernab ihrer Freundinnen und Träume, was sie im Laufe der Jahre jedoch zu verdrängen gelernt haben. Als sie einen Anruf vom Radio erhalten und die Nachricht, dass sie zum Reunion-Konzert in Athen eingeladen sind, zögern sie nicht, sondern machen sich auf den Weg zum Flughafen. Als sie nach 25 Jahren wieder aufeinandertreffen, trauen sie ihren Augen nicht. Gemeinsam begeben sie sich zum Flugzeug und schwelgen in Erinnerungen: › Shine‹ (glamouröse Tanzszene mit den Boys und Ensemble auf dem Flugfeld). Kaum in Griechenland gelandet, erkunden sie mit Scootern die Stadt und erleben einen ›Greatest Day‹. Dieser endet jedoch nach dem unerlaubten Betreten eines Brunnens im Gefängnis, wo sie die Zeit zur Aussprache nutzen: ›Said It All‹.
Nachdem sie das Konzert verpasst haben, kochen die Emotionen hoch und es kommt zu einem Streit, nach dem alle wieder ihren Weg gehen. Aufgebracht in ihrer Wut erinnert sich jede für sich an den Morgen nach dem Konzert vor 25 Jahren zurück: ›A Million Love Songs‹. Plötzlich stehen sie ihren jüngeren Ichs gegenüber (›Back for Good‹) und lernen zu verstehen, dass niemand von ihnen schuld an der Tragödie ist. Wieder daheim in London stellt sich Rachel ihrem Alltag. Endlich schafft sie es, Jeff ihre Geschichte zu erzählen und ist dadurch in der Lage, seine Liebe und Nähe zuzulassen. Gemeinsam besiegeln sie ihre Zukunft (›Patience‹) in Anwesenheit von Zoe, Claire und Heather. Die Streitigkeiten sind vergessen und wiedervereint wagen sie einen Neuanfang: ›Never Forget‹/›Greatest Day‹.
Sowie auch das Bühnenstück erzählt die Leinwandadaption eine universelle Geschichte über wahre Freundschaft und die zeitlose Macht der Musik: Die 16-jährige Rachel und ihre besten Freundinnen teilen zusammen die Liebe zur Boyband und erleben alles gemeinsam, bis es zu einem Bruch kommt und sie sich auseinanderleben. Nach 25 Jahren stoßen sie wieder aufeinander und lernen sich erneut kennen und zu akzeptieren, auch wenn unterschiedliche Ansichten und Meinungen sie ausmachen. Gemeinsam begeben sie sich auf eine unvergessliche Reise voller Emotionen, chaotischer Eskapaden und unsterblichen Hits aus ihrer Jugend. Der Soundtrack basiert auf dem Werk der legendären britische Pop-Band »Take That«, die in ihrer 33-jährigen Karriere über 14 Millionen Alben verkaufte, 28 Top-40-Singles, 8 Brit-Awards und viele andere Auszeichnungen vorzuweisen hat. Die Geschichte handelt jedoch von ihren Fans, die für diesen Erfolg verantwortlich sind. Die Filmhandlung erstreckt sich auf zwei Zeitebenen, 1993 und 2018, die parallel aus der Teenagerzeit der Freundinnen und der Jetztzeit berichten. Die Musik besitzt die Fähigkeit, die Protagonistinnen in einen anderen Moment oder an einen anderen Ort in der Zeit zurückzuversetzen. In beiden Zeitebenen der Geschichte kann Rachel, wann immer sie emotionale Unterstützung braucht, die Mitglieder ihrer geliebten Boyband in ihrer Fantasie herbeirufen. Genau wie im Bühnenstück erscheinen ihr die Boys im Schlafzimmer, klettern aus Küchenschränken, reichen ihr im Badezimmer die Bürste oder begegnen ihr auf dem Marktplatz, wodurch Songs wie ›Babe‹, ›Rule the World‹ oder ›It Only Takes a Minute‹ eine neue Interpretation erfahren. Angelehnt an das Video von »Take That« zu ›Relight My Fire‹, öffnet sich der Bus, während der Fahrt der Freundinnen nach dem Konzert zur Bühne und sie tanzen zusammen mit ihren Idolen, was dem Moment eine ausgelassene Euphorie verleiht.
»Greatest Days« ist Musicalfilm, der nicht nur Fans von »Take That« ansprechen soll, sondern jeden, der jemals eine Band liebte und die Leidenschaft der Mädchengruppe nachvollziehen kann. Die Regie des spritzigen Feelgood-Musicals verantwortet Coky Giedroyc (»The Sound of Music Live«). Die erwachsenen Freundinnen werden humorvoll, aber auch nachdenklich bis melancholisch von Aisling Bea, Jayde Adams, Alice Lowe und Amaka Okafor gespielt. Als Teenagerinnen überzeugen Lara McDonnell, Jessie Mae Alonzo, Eliza Dobson, Carragon Guest und Nandi Hudson mit pubertären Ausbrüchen, euphorischen Momenten und tiefer Trauer. Beide Handlungsebenen werden phantasievoll von den Tänzern Aaron Bryan, Joshua Jung, Mervin Noronha, Mark Samaras und Dalvin Cory unterstützt, die mit den richtigen Moves und Songs für eine emotionale Untermalung der Szenen sorgen. Nick Foster und Oli Julian, die Komponisten und Arrangeure, die auch die Filmmusik zu »Greatest Days« geschrieben haben, waren auch für die Neufassung der klassischen »Take That«-Tracks verantwortlich, welche durch Hinzufügungen von Beats tanzbarer werden. Etwas schade ist, dass sich der Cameo von »Take That«, für den Gary Barlow aus Australien, Mark Owen aus Los Angeles und Howard Donald aus seiner britischen Heimat nach Athen flogen, nur auf wenige Sekunden beschränkt, als sie in einer U-Bahn eine kurze Gesangseinlage bieten. Für diesen kurzen Moment standen die drei Sänger, durch die unerwartete Corona-Pandemie getrennt, das erste Mal wieder zusammen in einem Raum. Athen war somit nicht nur der Schauplatz für die Wiedervereinigung der Boyband im Film, sondern auch für die Band, die zu dem Bühnenstück und dem darauf basierenden Film inspirierte.
Nicht nur ihre Musik, sondern auch die Tanzszenen (Choreographie Drew McOnie) im großen Stil – Flughäfen, olympische Schwimmbäder bis zu englischen Hauptstraßen – erwecken eine Vielzahl von Schauplätzen musikalisch zum Leben. »Greatest Days« erinnert daran, dass man Momente des Lebens durch Musik neu erleben und erfahren kann, wenn man sich darauf einlassen will.