Man putzt das Werk bis zum Schluss – Kostümbildner Alfred Mayerhofer über
»Mata Hari« und seine Arbeit im Allgemeinen

Der österreichische Kostümbildner Alfred Mayerhofer arbeitet auf vielen renommierten Theater- und Opernbühnen sowie für Filmproduktionen und wurde mehrfach mit Preisen
ausgezeichnet.

Alfred Mayerhofer © Jan Frankl

blickpunkt musical: Wir treffen uns in Wien, Ihr aktueller Lebenslauf zeigt aber gerade Premieren in Hamburg und München an – ist Wien Ihre Basis oder haben Sie hier auch gerade einen Auftrag?

Alfred Mayerhofer: Ich lebe in Wien, zusätzlich drehe ich hier im Moment ein Biopic über Franz Kafka, produziert von allen ersten Sendern im deutschsprachigen Raum. Das ist eine große Co-Produktion, sehr spannend. blimu: Sie sind nicht nur sehr gut, sondern auch sehr vielseitig beschäftigt. Wodurch unterscheidet sich Ihre Arbeit, wenn Sie Kostüme für einen Film oder für eine Bühne kreieren?

AM: Der Zugang zu einem Auftrag ist immer der gleiche. Man beginnt mit der Recherche. Im Beispiel mit »Mata Hari« ging es für mich vor allem erst einmal darum, herauszufinden, wer diese Frau war, wie sie gelebt hat und was ich noch eher Unbekanntes über sie entdecken kann. Man muss das Wissen erlangen, mit wem man es zu tun hat. Mich interessiert, egal für was ich arbeite, immer das Umfeld: Mit wem haben die Menschen gelebt, was war gerade in der Zeit modern, was wurde damals alles gemacht? Für Kostüme ist das soziale Umfeld enorm wichtig, dieses Wissen inspiriert mich immer sehr.  Danach kommen die Fragen, wie man es visualisiert. Da unterscheiden sich Bühne und Film natürlich. Im Fall eines Musicals muss es transportierbar sein, es muss vor allem auch tanzbar sein. Bei »Mata Hari« kam noch dazu, dass es in zwei verschiedenen Welten stattfindet, und die muss man dann natürlich auch darstellen.

blimu: Bei der Uraufführung eines Musicals wird bis zur letzten Minute an dem Stück gearbeitet, da werden noch Szenen gestrichen oder verändert, anders als bei einem schon bestehenden Stück, das im Grunde ja ein festes Korsett vorgibt. Was bewirkt das bei Ihrem Arbeitsprozess?

»Mata Hari«-Figurinen © Alfred Mayerhofer

AM: Also, eins ist bei allen Produktionen gleich – völlig egal, ob Uraufführung oder nicht – es wird bis zum letzten Tag, bis zur Premiere an dem Stück gearbeitet. Man versucht immer, das Bestmögliche herauszuholen. Die Schwierigkeit bei einer Uraufführung ist eher, dass man das Libretto, so wie es geschrieben ist, zumindest einmal richtig auf die Bühne bringen sollte. Bei einem bestehenden Werk kann man noch mal anders eingreifen, da kann man Längen kürzen oder Aspekte schärfen. Man putzt das Werk bis zum Schluss. Bei einer Uraufführung muss man das Werk ja erst einmal als Ganzes erleben, um dann vielleicht etwas zu verbessern. Doch vieles ist immer gleich – man schaut, ob man zum Beispiel wirklich alle Kostüme braucht, ob auf einen Umzug verzichtet werden kann, weil die Geschichte dann besser, fließender erzählt wird. Manche Dinge sieht man erst, wenn sie auf der Bühne stattfinden, und muss dann eingreifen. Für mich immer extrem wichtig ist die Klavierhauptprobe. Ich entscheide an wirklich kleinen Stoffstücken, aus was und wie ein Kostüm gefertigt wird. An einer Haarsträhne entscheide ich, wie die Haare, die Perücken gemacht werden. Ich sehe nie alles zusammen, auch nicht bei der Anprobe. Da fehlt dann noch die Maske, ein Gürtel oder die Schuhe. Bei der Klavierhauptprobe ist immer der erste Tag, an dem ich wirklich alles sehe. Ein Wunsch von mir war immer, dass die Aufregung vor diesem Tag mal weniger wird, dass ich nicht mehr so nervös bin – mit fortschreitender Erfahrung. Aber das ist leider nicht eingetreten bisher. Die Nacht vorher ist schwierig, egal, wie gut man vorbereitet ist. Es ist immer, als würde man sich nackt ausziehen und präsentieren, während alle schauen und kommentieren. Das muss ich immer wieder aufs Neue aushalten, was besonders schwierig ist, weil ich ja vorher selbst nicht alles vollständig gesehen habe. Da stecken so viel Arbeit und Herzblut dahinter, man ist dadurch sehr angreifbar, verwundbar in diesem Moment. Was natürlich auch gut ist, denn das Kribbeln, das Spannende, das ist ja gerade das, was auch den Theaterprobenprozess ausmacht. Theater ist immer unmittelbar. Film dreht man nie chronologisch, man dreht Szene für Szene und man weiß trotzdem nie, was man hinterher sehen wird, weil der Schnitt so viel entscheidet. Man sieht das »echte« Produkt erst rund ein Jahr, nachdem man daran gearbeitet hat. Beim Theater ist es ein Durchlauf, von Beginn des Probenprozesses bis zur Premiere, man bekommt immer sofort Feedback.

blimu: Wie oft sind Sie im Moment vor Ort in München?

»Mata Hari«-Figurinen © Alfred Mayerhofer

AM: Gefühlt jeden Tag. Der Beginn für mich liegt ca. 1,5 Jahre vor der Premiere. Dann fange ich an, die Figurinen zu zeichnen, gebe die Konzepte in den Werkstätten ab. Bei einem Repertoirehaus gibt es ja noch andere große Produktionen, das heißt, der Ablauf für diese Show muss in alle anderen Abläufe des Betriebes integriert werden. Wann haben sie Zeit, wann sind die Werkstättenkapazitäten da? Für mich ist auch wichtig: Wo bekomme ich die Stoffe her? Gemustert haben wir schon vor dem letzten Sommer, weil es auch darum geht, die  Lieferzeiten zu bedenken, gerade durch die Corona-Pandemie und die Auswirkungen des Kriegs verzögern sich die Abläufe bei der Beschaffung der Materialien immer mehr. Ich habe in so vielen Ländern meine Quellen, da muss ich dann hinfahren, schauen, ob die Sachen vorhanden sind oder die Stoffe noch angefertigt werden müssen. Seit September bin ich jetzt regelmäßig in München und bespreche mich mit den Gewandmeistern – das sind die Damen und Herren, die meine Entwürfe Figurine für Figurine, Detail für Detail umsetzen. Wenn das Material vor Ort ist, ist es greifbar, und als haptischer Mensch kann ich zu dem Zeitpunkt erst wirklich sagen, was der Körper des Materials kann. Daraufhin weiß ich, wie viel man noch reinarbeiten muss bei der Unterlage, bei dem Unterfutter, damit es überhaupt so wirkt wie gewünscht. Ich hab auch schon festgestellt, dass man oft ganz woanders hinkommt, weil das Material im Großen ganz anders ist als das kleine Muster. Weil der Stoff anders lebt, anders fällt. Wenn die Darstellerin bzw. der Darsteller dazu kommt, muss das noch mal alles adaptiert werden, denn jede Person bringt ja ihre Eigenheiten mit sich, und ich muss überlegen, wie man mit den Proportionen arbeitet, was man vielleicht betonen oder eher kaschieren will. Manchmal kommt auch der Punkt, wo man sich von vielleicht tollen Ideen verabschieden muss, weil sie nicht funktionieren. Gewisse Dinge kann man wirklich nur an einem echten Körper sehen. Der nächste wichtige Schritt sind die Proben auf der Bühne – selbst wenn etwas in der Garderobe funktioniert, funktioniert es noch nicht unbedingt auf der Bühne. Durch das Licht, durch die Entfernung – vieles verliert über die Distanz an Kraft. Bis ein Kostüm fertig ist, sind es wirklich zahlreiche Schritte. Und da kann auch ein T-Shirt ein genauso großer Aufwand sein wie ei n Barockkleid, bis es wirklich stimmt, alles aussagt, was es aussagen soll. Es ist immer ein Abwägen, ein Erkennen.

blimu: Ihre Begeisterung für den Prozess ist beeindruckend.

»Mata Hari«-Figurine © Alfred Mayerhofer

AM: Ich liebe ihn. Es ist so ein wunderbarer Beruf, man umgibt sich mit tollen Materialien und so begabten Menschen. Ich gehe auch immer gern auf Kompromisse ein, wenn sie besser sind als meine Vorschläge. Zudem hat man immer eine gewisse Verantwortung, auch was das Budget betrifft. Wo bestehe ich auf das teure Material, wo könnte es nicht so wichtig sein? Muss etwas maßgeschneidert sein oder kann man es konfektionell schneidern? Gerade beim Gärtnerplatztheater sind die Werkstätten so unglaublich gut, das ist einfach eine große Freude. Da besteht gegenseitig schon eine große Wertschätzung, das ist einfach toll. Und ich kann immer nur so gut sein, wie es meine Mitarbeiter sind. Zumal ich vieles persönlich gar nicht so perfekt anfertigen könnte, aber die Schwierigkeiten der Arbeit gut einschätze, ist meine Wertschätzung da natürlich wahnsinnig hoch gegenüber allen Personen, mit denen ich arbeiten darf.

blimu: Das heißt, dass hier nicht nur die Arbeit, sondern auch das Umfeld Ihre Begeisterung spürbar beeinflusst.

»Mata Hari«-Figurine © Alfred Mayerhofer

AM: Wenn man viel herumkommt und die unterschiedlichen Arbeitsweisen kennt, lernt man so ein Theater als Arbeitsplatz umso mehr zu schätzen. Am Gärtnerplatztheater werden die einzelnen Werkstätten noch wirklich hochgehalten, das ist ein ganz besonderes Arbeitserlebnis. Für mich ist das, was gerade an vielen Theatern passiert, dass viele ihre Werkstätten auflassen, eine Katastrophe.

Budget ist mir immer relativ egal, wenn ich weiß, dass ich eine gute Werkstatt habe, denn damit kann man wahnsinnig viel rausholen. Ein gutes Beispiel hierfür sind diese Federn. Im Original sollten das Königsfedern sein, diese sind aber wahnsinnig teuer. Jetzt haben wir herumprobiert mit der Werkstatt und nun ist es eine ganz billige Seide, die wir in dünne Streifen geschnitten, mit der Hand bemalt und einem dünnen Draht versehen haben. Das ist natürlich ein großer Aufwand für die Werkstätten, aber so musste kein Vogel dafür sterben und vor allem ist es dadurch auch leistbar geworden und schaut toll aus. So etwas zu entwickeln, Sachen auszuprobieren, neu zu denken, das sind die Dinge, die wirklich wahnsinnig viel Spaß machen. Wenn man aber alles in betriebsfremde Hände vergeben muss, dann geht so etwas nicht mehr, vieles verliert dazu an Qualität. Und was da an Wissen verloren geht! Zahlreiche Berufe gibt es ja gar nicht mehr wirklich zu erlernen, das Wissen im Theater muss aber weitergereicht werden. Requisiteur zum Beispiel: Das lernt man nur beim Machen, und die Person ist so wichtig für das Gelingen einer Produktion. Schuhmacher, Kostümmaler, Färber, Lingerie-Hersteller etc. – wenn das Können irgendwann weg ist, ist es einfach weg. Darum ja, die Begeisterung ist hier ganz klar da – für die sehr spannende Thematik und für das wunderbare Haus.

blimu: Wenn wir konkret auf »Mata Hari« eingehen – wie war da der Ablauf? Die Autoren und das Gärtnerplatztheater haben die Zusammenarbeit beschlossen, wann wurden Sie in das Team geholt?

AM: Ganz am Anfang. In diesem Fall wurde es mir tatsächlich mit einer der ersten Buchfassungen angeboten. Dadurch gab es schon relativ früh ein Treffen mit der Regisseurin (Isabella Gregor) und den Bühnenbildnern (Karl Fehringer und Judith Leikauf). Wir sind das Buch durchgegangen und jeder hat einfach mal seinen Zugang erzählt, seine Meinung, seine Ideen, seine Eindrücke eingebracht. Da ging es noch gar nicht so sehr um den Inhalt des Stücks – man hatte das Libretto zwar gelesen –, sondern erst einmal wirklich nur um den Zugang zu den
Figuren, zu dem Setting, was für jeden einzelnen spannend daran ist. Anschließend haben wir uns wieder allein zurückgezogen und jeder für sich recherchiert. Für mich sind Bilder sehr wichtig, daher suche ich als erstes immer nach Dokumentationen und habe auch tatsächlich eine tolle BBC-Dokumentation gefunden. Mata Hari kam aus Holland und wurde evangelisch erzogen, was wichtig ist für das ganze Lebensgefühl. Zudem die Frage: Wer waren ihre Eltern? Sie waren eigentlich sehr vermögend, haben aber durch Spekulationen alles verloren. Sie ist dann ins Waisenhaus gekommen, ist da aber mehr oder weniger rausgeflogen. Da eine Frau in der damaligen Zeit ohne Ehemann keine Rechte hatte, hat sie über eine Zeitungsannonce aus reinem Kalkül einen Ehemann gesucht. Sie war in Summe immer unglaublich kalkulierend. Das alles ist natürlich enorm spannend. Dann gibt es noch den Film »The Kings Man«, da spielt die Figur der Mata Hari auch eine Rolle. Das war für mich interessant, weil sie da eine so selbstbewusste Frau ist, nicht so ein Opferwesen. Das fand ich sehr inspirierend. Nach all diesem Input ist der nächste Schritt natürlich, genau mit dem Libretto zu arbeiten und sich zu fragen: was wird dafür gebraucht, was kann man da umsetzen?

»Mata Hari«-Figurine © Alfred Mayerhofer

blimu: Worin lag dabei die Herausforderung für Sie?

AM: Das Spannende an dem Musical »Mata Hari« ist, dass wir zwei Welten haben – einmal die historische Welt, wo Mata Hari herkommt, und die Pop-Rock-Welt, die heutig ist. Diese Welten mussten wir so miteinander verbinden, dass das Publikum auch immer da ist, wo die Geschichte gerade spielt. Wenn die Story schon so viele verschiedene Lebensumstände kombiniert, sollten die Kostüme nicht auch noch völlig unterschiedliche Menschen darstellen. Daher hat Mata Hari zum Beispiel immer Kleider in der gleichen Farbwelt an, auch wenn der Stil sich völlig unterscheidet. Wenn man sich so tief in eine Materie einarbeitet, übersieht man oft, dass der Zuschauer all das Hintergrundwissen
und die Gedanken darum ja nicht hat. Aber gerade die Verständlichkeit muss erhalten bleiben, damit dieser immer versteht, was man zeigt, auch ohne es nachlesen zu müssen. Von der wirklichen Mata Hari gibt es kaum etwas, der Orientalismus war damals modern, aber das waren schon immer von uns Europäern abstrahierte Kostüme, die gar nicht unbedingt viel mit der Realität zu tun hatten. Ich wollte das repräsentative Holland visualisieren, im Gegenzug dazu sollen die Konzerte modern sein und überhöht. Alle Damen und Herren haben großen Spaß daran, die Kostüme zu präsentieren und zu tragen – das ist mir auch wichtig. Und ich glaube, dass das alles in allem wirklich sehr gelungen ist. Ich hoffe es zumindest. (lächelt)

blimu: Toi, toi, toi für die Uraufführung! Wir wünschen Ihnen weiterhin so eine große, wunderbar bemerkenswerte Freude und Zufriedenheit in und mit Ihrem Beruf!

»Mata Hari«-Figurinen © Alfred Mayerhofer