Wir sind unzügelbar, unbelehrbar und unmanagebar – Peter Plate & Ulf Leo Sommer über »Romeo & Julia – Liebe ist alles«

Am 19. März 2023 feiert »Romeo & Julia – Liebe ist alles« Uraufführung am Theater des Westens in Berlin. Gerade erschien der Soundtrack zu dem neuen Musical der Schöpfer von »Ku’damm 56«, Peter Plate und Ulf Leo Sommer.

Peter Plate und Ulf Leo Sommer. Foto: Ferran Casanova

blickpunkt musical: Der Soundtrack wirkt sehr modern, dennoch wissen die Zuschauer, dass der Klassiker von Shakespeare thematisiert wird. Wie haben Sie den Kniff hinbekommen?

Ulf Leo Sommer: Wir haben Jahre dran gearbeitet. (lacht) Nein, da ist wirklich etwas dran! Wir hatten mehrere Anläufe und haben uns dabei sehr in das Thema verliebt. Das heißt aber nicht, dass wir nur daran gearbeitet haben.

Peter Plate: Also ich schon.

ULS: Manchmal ist es gut, wenn man unbewusst lange mit etwas schwanger geht und Ideen sammelt. Zum Beispiel die Countertenor-Idee, die ziemlich spät von Peter kam. Wir haben diese als eine Art Puzzleteil eingebaut. Wir hatten ausreichend Zeit zum aufmerksamen Sammeln. Letztes Jahr dann haben wir das Ganze relativ schnell innerhalb eines Jahres im Fluss geschrieben. Wir haben versucht, es am Stück zu schreiben und nicht zu springen, wie damals bei »Ku’damm 56«, wo wir mal den und mal den Teil geschrieben haben. Hier haben wir wirklich chronologisch die Lieder geschrieben, damit es aus einem Guss kommt und alles zusammen passt.

PP: Ich glaube, jeder kennt diesen Eindruck vom »Verschlimmbessern«. Das gilt sowohl fürs Kochen, wenn die Suppe schon versalzen ist und Zucker dazu geschüttet wird, um sie zu retten. Wir glauben gemeinsam daran, dass, wenn zu viele Köche mitreden, genau das passiert. Es ist immer besser, von vorne zu beginnen. Lieder kann man nicht »verschlimmbessern«. Und wir haben den Luxus, dass wir unsere eigenen Kritiker sind. Wir, das sind nur wir drei, gemeinsam mit Joschi (bitte hier in Klammern schreiben, wer hier gemeint ist). Wir arbeiten so lange an der Musik, bis sie für uns stimmt, und dann erst spielen wir sie anderen vor. Dieser Prozess hat geholfen. Im Grunde haben wir »Romeo & Julia« dreimal geschrieben.

ULO: Einmal 2014, dann 2017 für den Workshop bei Black Box, wo es schon einmal richtig aufgeführt wurde. Davon ist allerdings wenig übrig geblieben, damals entstand jedoch die witzige Idee zu ›Liebe ist alles‹. Wir haben immer gesagt, wir brauchen für den zweiten Akt ein super Einstiegslied, was ebenso wichtig ist wie der Opener. Wir wollten immer ein Lied wie ›Liebe ist alles‹, das wurde zum Running Gag und setzte uns unter Druck. Irgendwann haben wir uns die Frage gestellt, weshalb wir nicht ›Liebe ist alles‹ nehmen. Später wird es bestimmt die Legende geben, wir hätten um diesen Song herum das Musical geschrieben, aber das stimmt nicht.
Das Gute ist, wir sind unzügelbar, unbelehrbar und unmanagebar. Es ist immer unsere Entscheidung, es gibt nie irgendwelche »Profis«, die uns beraten.

PP: Diese versuchen vielleicht, uns Ratschläge zu geben, aber es ist unsere Entscheidung. So ein Lied wie ›Liebe ist alles‹ kann man einfach nicht noch einmal schreiben.

ULO: Am Anfang habe ich mich etwas unwohl gefühlt, weil mich das Lied aus dem Fluss gebracht hat. Jetzt finde ich es richtig gut. Und auch die Freunde, denen ich es vorgespielt habe, waren erstaunt, dass es sich so gut einfügt. Doch es ist keine Marketingidee gewesen. Der Text ist für »Romeo & Julia« geschrieben – und auch genau für diese Stelle, wo alles aufbricht und über die Idylle ein Schatten fällt.

RJ-Videodreh mit Paul Csitkovics und Yasmina Hepel. Foto: 2022_Jörn Hartmann

PP: Wenn das Motiv im ersten Akt ganz kurz auftaucht bei der Symbiose mit dem Tod, ist es total überwältigend. Wir haben das Ganze ja nicht gelernt und uns immer gefragt, wie man es wohl macht, die Lieder miteinander zu vermischen. Mash-ups hat man erst so richtig durch die Serie »Glee« kennengelernt. Da wurde es schön erklärt. Aber im Musical gab es das schon immer. Bei unserem Kindermusical »Bibi und Tina« haben wir den Kindern den Begriff Mash-up erklärt. Ich fand Mash-ups schon immer toll, hatte als Komponist jedoch immer Angst davor, weil ich dachte, das ist so schwierig …

ULS: … Es ist gar nicht schwierig. Und das Tolle ist, da es aus einer Feder kommt, ist es musikalisch nicht sehr weit voneinander entfernt. Ich kann schon versprechen, auch wenn es nicht auf dem Soundtrack sein wird, haben wir im Live-Musical viele Szenen mit Mash-ups. Obwohl wir erst mit der Inszenierung beginnen, gibt es schon eine Bühnenmusikfassung, die wir mit dem kreativen Team schon vorgefertigt haben. Ich liebe es beim Musical, wenn man Melodien das erste Mal hört und sie dann wiederkehren. Das ist so ein toller Moment.

PP: Wir sind damals durch Maxine Kazis, die in Kiel die Julia spielen sollte, auf die Geschichte gekommen. Sie rief uns an und fragte, ob wir ihr nicht ein oder zwei Lieder schreiben könnten. Das haben wir damals an uns gerissen, aber seinerzeit hatten wir nichts mit der Inszenierung zu tun. Es hat uns jedoch den Stoff von »Romeo & Julia« nahe gebracht und gezeigt, wie verrückt er eigentlich ist. Für uns war es super, dass wir dazwischen »Ku‘damm 56« gemacht haben, um vorher noch ganz viel zu lernen. »Ku‘damm 56« ist eigentlich ein Theaterstück mit Musik, während bei »Romeo & Julia – Liebe ist alles« fast nichts gesprochen, sondern so gut wie nur gesungen wird. Früher hätte man es vielleicht als Rockoper bezeichnet. Das klingt aber gleich wieder so angestaubt. Ich habe keinen richtigen Ausdruck dafür, jedenfalls keine Rockoper.

ULS: »Ku‘damm 56« steht für sich allein. »Romeo & Julia – Liebe ist anders« ist was ganz anderes. Daher kann nichts in Konkurrenz miteinander stehen. Das Eindrucksvolle ist wirklich die Sprache der Übersetzung von (Friedrich) Schlegel. Auch das schöne Libretto von ihm, das wir sehr gekürzt haben – anders geht es nicht, sonst hätten wir eine Wagner-Oper –, ist etwas Besonderes. Die Reibung zwischen dem Alten und dem Neuen ist total modern. Genauso wie Shakespeare total komisch, aber auch sehr tragisch ist, ist das Musical klassisch, aber durch die Musik sehr modern. Das ist das Besondere. Wir hatten fette Castings und mussten auch nach Leuten suchen, die Schlegels Shakespeare ohne Unterstützung sprechen konnten.
Als Yasmina (Hempel) die Balkonszene gesprochen hat, war das absolut toll. Ich war schon am Einschlafen, weil wir ein so langes Casting hatten. Und dann kam Yasmina und sie hatte verstanden, wovon sie sprach.

RJ-Videodreh mit Paul Csitkovics und Yasmina Hepel.Foto: 2022_Jörn Hartmann

blimu: Yasmina Hempel und Paul Csitkovics harmonieren auch sehr schön als Paar.

PP: Ja, nicht wahr! Aber so etwas weiß man ja vorher nicht. Doch die beiden gehen so toll miteinander um. Wir hatten den Videodreh und schon bei den Proben wurde deutlich, dass beide es so sehr wollen. Das macht natürlich Spaß.

blimu: Paul Csitkovics repräsentiert den jugendlichen Rebellen in Jeans und Lederjacke und stellt damit einen großen Kontrast zu seiner klassischen Figurenvorlage da. Doch er passt mit seiner Erscheinung wunderbar in unsere Zeit.

ULS: Dennoch ist er der leidende Teenager, der sich einfach alle drei Minuten verliebt. Anfangs hatten wir ein sehr tragisches Einstiegslied für Romeo, das mehrfach veröffentlicht wurde: ›Die Liebe kennt mich‹.

PP: Doch wir hätten Romeo dadurch als den Leidenden positioniert. Dabei soll er ein junger Mann sein, dessen Leben noch nicht zu Ende ist. Das mit Rosalinde war nur eine Schwärmerei, da war nie wirklich was. Aber für ihn geht es dennoch in die Tiefe, seine Gefühle für sie sind schon so gemeint. Er ist ein hormongesteuerter Teenager. Und das war uns auch wichtig. Beim Casting haben es viele als Tragödie gespielt, was aber gar nicht der Fall sein soll. Die jungen Leute sind total frech und sexuell versaut, alle! Das ist eine reine Herumflirterei und Stichelei, was für die damalige Zeit, glaube ich, sehr heftig war. Das muss man mit reinbringen. Es spielt in Verona im Hochsommer und keiner von ihnen kann schlafen, weil sie »Hummeln im Arsch haben« und raus möchten. Und damit entstehen auch die Aggressionen.

blimu: Das hört man sehr gut bei dem Song ›Wir sind Verona‹, der die Assoziation von rivalisierenden Clans aufruft, die sich bewusst treffen, um einen Kampf anzuzetteln.

ULS: Ich bin überzeugt, man muss sich auch die Stoffe suchen, in die man sich verlieben kann. Das ist auch gar nicht so intellektuell, das Publikum muss nicht immer die ganze Zeit nur denken, denken, denken.

PP: Das kommt eher aus dem Gefühl. Deswegen hatten wir auch die tollen Jahre mit Detlev Buck (Schauspieler, Drehbuchautor und Filmregisseur), der ist uns in dieser Hinsicht sehr ähnlich. Er ist grandios in seiner Arbeit und er weiß, was er will.

Foto: 2022_Jörn Hartmann

ULS: Wir haben die Songs für »Bibi & Tina« geschrieben und immer, wenn wir gemerkt haben, Detlev fährt nicht darauf ab, dann haben wir ein neues Lied geschrieben. Er hat aber auch immer unterschwellig kommuniziert, dass wir uns da nicht so darauf vorbereiten und nicht so fleißig sein sollen. Wenn man einfach nur wach ist, saugt man alles in sich auf, ohne es wirklich zu wollen. Und das passte. Wir haben beide als Kinder keine Hausaufgaben gemacht und waren schlimm im Unterricht. Ich war im Mündlichen immer gut. Man muss einfach immer seine Augen und Ohren offenhalten und im richtigen Moment kommt dann etwas und darauf muss man vertrauen.

Der Song ›Wir sind Verona‹ war gar nicht so einfach zu schreiben. Das muss ja auch mal gesagt werden, dass manche Songs mehrfach geschrieben werden mussten. Am Ende war der Song dann plötzlich innerhalb eines halben Tages fertig.

PP: Bei den Interviews fällt uns erst so richtig auf, was an Shakespeare so genial war: Er erzählt uns überhaupt nicht, weshalb die Familien überhaupt verfeindet sind. Ich weiß nicht, ob das damals absichtlich war, aber es ist sehr intelligent. Das macht es so grandios. Wir wachsen alle mit Klischees, Bildern und Erzählungen auf und lassen uns auf einen politischen Diskurs ein. Man wächst quasi auf mit der Teilung in Gut und Böse. Das ist halt so. Wenn unsere Version von »Romeo & Julia« auch nur einem Zuschauenden dabei hilft, darüber nachzudenken, wäre ich unglaublich stolz.

ULS: Niemand weiß, wer Shakespeare war, und sein jahrzehntelanger Twist wird plötzlich aufgelöst. Bestimmt sogar ohne Aussprache. Am Ende versöhnen sie sich einfach. Und das ist es natürlich, was es so unabhängig von der lustigen und tragischen Liebesgeschichte macht. Es hat über die Jahrhunderte überlebt, ohne dass sich etwas verändert hat. Wir stehen immer noch an unseren verhärteten Fronten. Man muss dabei noch nicht einmal an etwas Politisches denken, man findet es in der eigenen Familie. Tante Erna ist verhasst und eigentlich weiß niemand, weshalb. Lustigerweise verstehen sich beim Begräbnis alle. Auch das findet man bei Shakespeare. Deswegen ist die Geschichte so interessant, weil es ein gängiges Muster der Menschheit ist.

blimu: Haben Sie sich im Vorfeld andere Stücke über »Romeo und Julia« angesehen?

PP: Ich bin dazu viel zu faul. Doch ich glaube, bei mir ist es nicht nur die Faulheit, sondern es nimmt mir auch die Fantasie und die Kreativität. Man fängt dann doch an, zu klauen. Daher ist es besser, nichts vorher zu schauen.

ULS: Ich habe, wie alle in den 1990ern, damals den Kinofilm gesehen. Ich hatte jetzt zunächst angefangen, ihn noch einmal zu sehen, und habe dabei gemerkt, dass er absolut MTV-mäßig mit der Ästhetik der 90er gearbeitet ist. Ich habe dann aufgehört, weil ohnehin jeder seine eigene Meinung zu »Romeo und Julia« hat. Jeder Regisseur hat seine eigene Meinung, was wichtig ist. Wenn man versucht, auf all das Rücksicht zu nehmen, kann man nur scheitern. Deswegen haben wir gesagt, wir machen unsere eigene Version. Und das ist auch das Grandiose an dem Baz-Luhrmann-Film. Er hat einfach sein Ding durchgezogen, wie er es immer durchzieht, wie auch jetzt bei »Elvis«. So ziehen wir jetzt unser Ding durch. Da wird ganz viel fehlen, aber dafür wird es auch Sachen geben, die neu sind.

Das komplette Interview mit dem Autorenteam gibt es in der kommenden Ausgabe der Blickpunkt Musical (03/2023).