»Titanic« am Theater Pforzheim
Geister der Vergangenheit

Vorab aus blickpunkt musical 05/2021

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Die Passagiere der ersten Klasse (hinten) und die Passagiere der dritten Klasse unter Deck fühlen sich wohl. Einer weiß, dass sich das bald ändern wird, Thomas Andrews‘ Geist (Chris Murray) im Ausgruck
Foto: Sabine Haymann

Es dauerte eine lange Zeit, bis die »Titanic« in Pforzheim endlich vom Stapel laufen konnte. Bereits im März 2020 sollte das Stück starten, war fertig geprobt und die Vorstellungen ausverkauft, als das Schiff wegen der Pandemie zwei Wochen vor dem Stapellauf ins Trockendock geschickt werden musste. Fast 18 Monate später war es endlich soweit. Am 2. Oktober 2021 feierte man am Theater Pforzheim Premiere.

Wegen der Covid-19-Bestimmungen musste das Musical, das bisher in Deutschland nach der Erstaufführung im Theater Neue Flora in Hamburg (2002) selten in einem Haus gespielt wurde, sondern meist auf Freilichtbühnen inszeniert wurde, etwas umgestellt werden.

Der Geist Thomas Andrews (Chris Murray) im Licht des historischen Kronleuchters im Titanic-Museum
Foto: Sabine Haymann

So hatte Chris Murray, der neben der Rolle des Konstrukteurs Thomas Andrews zusammen mit Choreographin Janne Geest auch Regie führte, die Idee, die Geschichte ein bisschen anders beginnen zu lassen. Er rückte Andrews in den Mittelpunkt der Geschichte und machte ihn zum Erzähler, der, von Schuldgefühlen gequält, oft als Geist durch das Geschehen wandert, ohne von den anderen Passagieren gesehen zu werden.

Historie

Das Musical »Titanic« von Maury Yeston (Musik und Liedtexte) und Peter Stone (Buch) feierte am 23. April 1997 (nur kurz vor dem berühmten Film mit Leonardo DiCaprio und Kate Winslet, der am 14. Dezember des gleichen Jahres Premiere hatte) im Lunt-Fontanne Theatre in New York Broadway-Premiere.
Gleich fünf der begehrten Tony Awards erhielt »Titanic« in den Kategorien »Bestes Musical, »Beste Partitur«, »Bestes Buch«, »Bestes Bühnenbild« und »Beste Orchestrierung«.

Am 7. Dezember 2002 feierte das Musical im Theater Neue Flora in Hamburg deutschsprachige Erstaufführung in einer Fassung von Wolfgang Adenberg.

›Gute Fahrt‹ – die Passagiere freuen sich auf die Jungfernfahrt
Foto: Sabine Haymann

Geschichtlicher Hintergrund

Als die RMS Titanic am 2. April 1912 den Hafen von Southampton zu ihrer Jungfernfahrt verließ, galt sie als unsinkbar. Mit an Bord waren viele reiche und bekannte Persönlichkeiten, wie zum Beispiel Isidor und Ida Straus, Inhaber der Kaufhauskette Macys, Multimillionär J.J. Astor IV mit Frau, Geschäftsmann Benjamin Guggenheim, Millionärsgattin Molly Brown, u.v.m.

Doch Schiffseigner Ismay hatte zuvor auf ein paar »Kleinigkeiten« verzichtet, die alle hätten retten können, unter anderem auf mehr Rettungsboote, welche aber die Promenade der ersten Klasse verkürzt hätten. Und auf höhere Zwischenwände.

Dafür hatte man eines der ganz neuen Funkgeräte an Bord, von denen der Kapitän jedoch nicht viel hielt. Deshalb ignorierte er auch die Eisberg-Warnungen seines Funkers Harold Bride.

So kam es denn am 14. April 1912 zu der verheerenden Kollision mit einem Eisberg. 6 Schotts liefen voll und besiegelten das Schicksal der Titanic, die innerhalb von zwei Stunden und vierzig Minuten sank. 1514 der über 2200 Menschen an Bord verloren ihr Leben. Besonders traurig deshalb, weil ein in der Nähe befindliches Schiff, die California, auf die Notsignale nicht reagierte und viele Rettungsboote gar nicht voll besetzt waren. Erst die Carpathia, die 4 Stunden später am Unglücksort eintraf, konnte die im eiskalten Wasser treibenden Rettungsboote aufsammeln.

Diesem schrecklichen Unglück verdanken wir heute jedoch die hohen Sicherheitsmaßnahmen, die auf modernen Kreuzfahrtschiffen gelten.

In Anwesenheit des Geistes von Thomas Andrews nehmen die Besitzer die Artefakte der Vergangenheit wieder an sich.
Foto: Sabine Haymann

Inszenierung

Abweichend von anderen Produktionen, beginnt die Reise der »Titanic« in Pforzheim in einem Museum zur Geisterstunde. Der Kronleuchter flackert, das Klavier spielt wie von Geisterhand ›Herbstwind‹. Dann steht Andrews, der Konstrukteur der Titanic, im Raum, in der Hand die Konstruktionspläne des Schiffes. Sie wollten ja kein Weltwunder bauen, klagt er, nur ein Schiff, das nicht sinken kann. (›Zu allen Zeiten‹) Er wirkt verzweifelt, denn er fühlt sich schuldig am Tod der vielen Menschen.

Im Museum stehen Vitrinen mit Gegenständen, die tatsächlich gefunden wurden. Nach und nach kommen die Passagiere auf die Bühne und nehmen sich das passende Artefakt, wie die Geige des Orchesterchefs Wallace Hartley, die Mütze von Kapitän E.J. Smith, die Aktentasche von Funker Harold Bride, jede Menge Geldscheine von J.B. Ismay u.s.w.

Nach der Besatzung gehen die Passagiere der dritten, zweiten und ersten Klasse an Bord. Dabei werden einige Personen besonders vorgestellt, wie die drei Kates aus Irland, das Ehepaar Straus, Geschäftsmann Guggenheim, die geheimnisvolle Charlotte Cardoza.

Auch Alice Bean mit Ehemann Edgar, Passagiere der zweiten Klasse, aber Alice möchte gern zur ersten Klasse gehören und lässt keine Gelegenheit aus, sich einzuschmuggeln, was der 1. Klasse Chefsteward Henry Etches wenig erfolgreich zu verhindern sucht.

Und dann ist da noch die reiche Caroline Neville, die mit ihrem bürgerlichen Verlobten Charles Clarke durchgebrannt ist. Sie gehört eigentlich der ersten Klasse an, doch ihm zuliebe verbringt sie die Überfahrt in den unteren Decks.

Die Passagiere der ersten Klasse haben es noch gar nicht begriffen. Einige tragen zwar Schwimmwesten, aber vom Ausmaß der Katastrophe ahnt keiner etwas
Foto: Sabine Haymann

An Bord fühlen sich alle sicher und wohl. Es wird getanzt und gesungen. Reedereiinhaber Bruce Ismay jedoch drängt den Kapitän dazu, immer schneller zu fahren. Er will möglichst in 6 Tagen New York erreichen, um Schlagzeilen zu machen. Beide ignorieren die Mahnung des Konstrukteurs Andrews, es bei einer Jungfernfahrt nicht zu übertreiben, und die Eisbergwarnungen des Funkers Harold Bride und. Auch Heizer Fred Barrett hat Bedenken. Doch Ismay lässt nicht locker und Kapitän Smith gibt ihm widerwillig immer wieder mit höheren Knotenzahlen nach.

So kommt es denn zur Katastrophe, die Titanic kollidiert mit einem Eisberg. Chefsteward Etches weckt alle Passagiere der ersten und zweiten Klasse und bittet sie in den großen Salon. Viele haben den Ernst der Lage noch gar nicht begriffen, weigern sich, die Schwimmwesten anzuziehen oder überhaupt die Kabine zu verlassen.

Die Passagiere der dritten Klasse werden auch geweckt, allerdings gebeten, auf weitere Anweisungen der Mannschaft zu warten. Es kommt zu dramatischen Szenen, die dem Publikum vor Augen geführt werden. Die Passagiere der dritten Klasse, halb unter Deck gefangen, stehen schon mit den Füssen im Wasser und finden keinen Ausgang. Auf Deck (mit schräg gestellter Bühne) beginnt der Kampf um die Plätze in den Rettungsbooten.

Umringt von den Toten, zerreißt Thomas Andrews seine Konstruktionspläne
Foto: Sabine Haymann

Mit einem Rückblick auf Andrews, der, umringt von den Geistern der Passagiere und dem Wahnsinn nahe, seine Konstruktionspläne zerreißt, geht die Reise der Titanic auch in Pforzheim zu Ende.

Besetzung

Nahezu alle Rollen sind hier durch das Ensemble des Theaters besetzt. Zwar handelt es sich immer um großartige Stimmen, doch bei manchen Liedern fällt auf, dass es eher nach Oper oder Operette als nach Musical klingt. Das wurde das besonders deutlich, als am 24. Oktober Marcus G. Kulp als Fred Barrett und Sven Mattke als Edgar Beane als erfahrene Musicaldarsteller, die zudem bereits in »Titanic«-Produktionen gespielt haben, einsprangen und ihren Rollen einen anderen Drive und mehr Klarheit verliehen.

Eigentlich sind Benjamin Edouard-Savoie (Harold Bride) und Chris Murray als Thomas Andrews die einzigen Gäste. Murray spielt seine Rolle mit Hingabe und Einfühlungsvermögen. Gebeugt sein Gang, zerrissen seine Seele, ein alter Mann, der als Geist über die Bühne schlurft. Dabei variiert seine Stimme von leise und sanft bis hin zu unglaublicher Lautstärke, wenn es um die Schuldfrage geht und er dem Reeder klar macht, dass die Titanic »aus Stahl ist und sinkt!«

Bruce Ismay (Paul Jadach, r.) versucht Captain E. J. Smith (Klaus Geber, l.), mit einer Flasche Champagner zu bestechen, die Henry Etches (Bernhard Meindl, 2.v.l.) mitbringt, aber der Kapitän verbittet sich Alkohol auf der Brücke; am Steuer 1. Offizier Murdoch (Thorsten Klein, Mitte).
Foto: Sabine Haymann

Die Auseinandersetzung zwischen ihm, Reeder Ismay und Kapitän Smith, darüber, wer die Schuld am Untergang trägt, ist eines der Highlights der Produktion.

Wunderbar anzuschauen sind die vielen großen Szenen, in welchen der Chor, verstärkt durch den Extra-Chor und die Komparsen, auf der Bühne ist.

Besonders hervorzuheben sind Philipp Werner als Heizer Fred Barrett in seiner historisch korrekten weißen Kleidung, Paul Jadach als arroganter Schiffsreeder J. Bruce Ismay, Klaus Geber als Kapitän Smith, Bernhardt Meindl als 1. Klasse Chefsteward Henry Etches und Benjamin Edouard-Savoie als Funker Harold Bride.

Musik

Das Musical präsentiert wunderbare Musik der unterschiedlichsten Stilrichtungen. Besonders schön der Walzer ›Kein Mond (Herbstwind)‹, der vermutlich das letzte Lied war, das beim Untergang von den tapferen Musikern gespielt wurde. Bedrohlich wirken die Kompositionen nach der Kollision mit dem Eisberg, während es herzzerreißende Balladen gibt, wie das letzte Duett des Ehepaars Straus, in dem sie sich weigert, von Bord zu gehen und lieber gemeinsam mit ihrem Mann sterben will. »Titanic« ist fast komplett durchkomponiert und Dialoge mit Underscore versehen. Für einen großartigen Klang sorgt die Badische Philharmonie unter der Leitung von Philipp Haag.

Ausstattung

›Heiratsantrag (Die Nacht hallte wieder)‹ – Fred Barrett (Philipp Werner, l.) diktiert Funker Harold Bride (Benjamin Savoie, r.) einen Brief an seine Liebste
Foto: Sabine Haymann

Die Darsteller/innen sind entsprechend dem Stück wie Geister im Stil von Cel-Shading Make-up (Andrea Dengler-Heiermann)

geschminkt. Beachtenswert, wie detailgetreu vieles gestaltet ist, so beispielsweise auch die Seitenwände, die tatsächlich wie das »große Stück«, welches von der echten Titanic geborgen wurde, anmuten (Ausstattung: Karel Spanhak).

Nach der gelungenen Premiere bedankte sich das Publikum mit Standing Ovations und minutenlangem Applaus für die großartige Aufführung.

Noch eine Anmerkung: Besonders gelungen ist die Idee, dem Publikum als Eintrittskarte eine Bordkarte zu überreichen, auf der der Name eines echten Passagiers steht. In der Pause kann man dann auf Stellwänden nachschauen, was aus der jeweiligen Person geworden ist. Die Damen im Foyer tragen zudem Original Kostüme. Außerdem gibt es 20 Minuten vor Vorstellungsbeginn eine Einführung zum Stück.

Zum Sicherheitskonzept: Das Publikum musste bei der Premiere einen 3G-Nachweis haben und saß während der kompletten Vorstellung mit Maske.

Vorab aus blickpunkt musical 05/2021

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