»Evita« Premiere an der Oper Bern

Eine Diva – Evita Perón (Annemieke van Dam, Mitte)
Foto: Janosch Abel

Die neue Spielzeit der Bühnen Bern (ehemals Konzert Theater Bern) unter der neuen Intendanz von Florian Scholz wurde am 12. September 2021 mit der Premiere des Musicals »Evita« von Andrew Lloyd Webber (Musik) und Tim Rice (Liedtexte) eröffnet. Ebenfalls neu ist Chefdirigent und Co-Direktor Oper Nicholas Carter, der die Saison mit einer Musicalproduktion beginnt – und laut Pressestelle soll dies nicht die letzte sein. Künftig ist ein Musical pro Saison geplant. Die »Evita«-Inszenierung ist eine Übernahme der Produktion aus dem Jahr 2019 vom Stadttheater Klagenfurt, dessen Geschicke Florian Scholz sieben Jahre lang leitete.

Im Musical erzählt der Student Che in Rückblenden die fiktive Lebensgeschichte von Eva Duarte (1919-1952), der späteren Ehefrau des argentinischen Staatspräsidenten Juan Domingo Perón (1895-1952). Der argentinische Offizier war Staatspräsident von 1946 bis 1955 und nochmals von 1973 bis 1974.

Tatsächlich weilte Eva Perón 1947 während einer Europareise in Bern. Zweck der Reise war es, für die Politik von Juan Perón zu werben sowie wirtschaftliche Kontakte zu knüpfen. Dabei wurde sie in den Ländern nicht immer herzlich begrüßt:

»Am frühen Abend des 4. August 1947 fährt Eva Perón zusammen mit [Bundesrat Max] Petitpierre im offenen Wagen Richtung Hotel Bellevue, wo sie standesgemäß residieren soll. Doch eine Gruppe von Kommunisten stoppt den Konvoi und wirft Tomaten auf ihr Auto. Schwer am Kopf getroffen wird jedoch Bundesrat Petitpierre. Kurz darauf verhaftet die Polizei zwei Mitglieder der Partei der Arbeit, die wegen ›unanständigen Benehmens anlässlich der Stadtrundfahrt von Frau Perón‹ zu einer Buße von 50 Franken verurteilt werden.«
(Zitat aus der NZZ vom 25.7.2016: »Tomaten und Steine für Evita«)

›Requiem For Evita / Oh, What a Circus‹ – Aufgebahrt im Mausoleum, wird ihr Leben von Che (Edward Hall, hinten) kommentiert, Evita (Annemieke van Dam, vorne)
Foto: Janosch Abel

Das Bühnenbild von Friedrich Eggert zeigt das Innere eines grauen Mausoleums, in dessen Mitte ein großes Podest steht, auf dem in der ersten Szene der Leichnam von Evita aufgebahrt ist, am Ende des Stückes wird es zum Sterbeort dieser Frau. Zudem hat Friedrich Eggert auch die Kostüme gestaltet, welche die Mode der 1930er bis 1950er Jahre zitieren, wobei u. a. die Uniformen des Militärs an die Uniformen der Nationalsozialisten erinnern.

›Buenos Aires‹ mit der jungen Eva Duarte (Annemieke van Dam), Chor und Musicalensemble

Eva Duartes Geliebter, der Tangosänger Agustin Magaldi trägt einen pinkfarben Glitzeranzug. Michał Prószyński, Tenor am Stadttheater Bern, präsentiert den blonden, eine übergroße Sonnenbrille tragenden Tangosänger als Geck, der sich von der jungen Frau ausnutzen lässt. Mit ihm reist die jugendliche Evita nach Buenos Aires, um aus dem heimatlichen, langweiligen Provinznest auszubrechen. In Buenos Aires beobachtet sie das hektische Stadtleben: Die quirligen Straßenszenen der Großstadt, trauernde oder jubelnde Menschenmengen werden in stimmungsvollen Bewegungschoreographien vom Chor des Stadttheaters Bern dargestellt. Ebenso bemerkenswert sind die ideenreich, temperamentvollen, witzigen Tanzchoreographien von Otto Pichler, die vom Musicalensemble perfekt präsentiert werden.

Zum Musicalensemble vom Stadttheater Klagenfurt gehören Paulina Plucinski, Elisabeth Blutsch, Bernadette Fröhlich, Anja Štruc, Luciano Mercoli, Albert-Jan Kingma, Robert Lankester, Salvatore Marchione. Begleitet wird das spielfreudige Ensemble vom schwungvoll musizierenden Berner Symphonieorchester unter der musikalischen Leitung von Hans Christoph Bünger. Zugleich beinhaltet das durchkomponierte Musical viele eindrückliche Chorszenen, die vom Musicalensemble und dem Chor der Bühnen Bern mit großartigen Stimmen dargeboten werden (Choreinstudierung: Zsolt Czetner). In der Hauptrolle der Evita überzeugt Annemieke von Dam. Glaubwürdig zeigt sie eine junge, willensstarke Frau, die aus armseligen Verhältnissen ausbricht, dafür gnadenlos die Gunst der Männer ausnutzt und Konkurrentinnen unbarmherzig beseitigt, um an die Macht zu kommen.

›Dice Are Rolling / Eva’s Sonnet‹ – Geben sich nichts in Ehrgeiz und Machtgier, Juan Perón (Nigel Casey, Mitte l.) und seine Frau Evita (Annemieke van Dam)
Foto: Janosch Abel

Ebenso überzeugt Nigel Casey als Diktator Juan Perón, der ebenso ehrgeizig wie Evita seine politischen Ziele verfolgt, dabei über Leichen geht, indem er Kritiker und Konkurrenten auslöscht. Gefühle zeigt Evita erst an ihrem Lebensende, als sie bemerkt, dass ihr vom Krebs geschwächter Körper nicht mehr funktioniert, und sie deshalb befürchten muss, von Perón verlassen zu werden.

Edward Hall gestaltet glaubwürdig die Rolle des Revolutionärs Che, führt souverän als sarkastischer Kommentator durch das Stück, ist der schalkhafte Gegenpol zur disziplinierten, distanzierten Evita. Die populistische Politik von Evita und Juan Perón wird durch die temporeiche, humorvolle Inszenierung von Aron Stiehl hinterfragt, die vom Premierenpublikum im Stadttheater Bern mit viel Beifall aufgenommen wird.

Die sehenswerte Produktion wird in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln an verschiedenen Terminen bis Dezember 2021 in Bern aufgeführt.