Patrick Stanke: »Ich liebe es, andere Persönlichkeiten darzustellen, ihnen eine Stimme zu geben«

Über 25 Jahre Bühne und Alternativen in Coronazeiten

Vorab aus blickpunkt musical 02 / 2021

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© Sandra Then

Patrick Stanke ist seit 25 Jahren einer der bekanntesten, deutschen Musicaldarsteller, aber auch Schauspieler, Sänger, Hörspielsprecher und Regisseur. Bekannt wurde er vor allem durch seine Titelrollen in Musicals wie »Jekyll & Hyde«, »Jesus Christ Superstar«, »Mozart!« und »Artus – Excalibur«. Wegen des kulturellen Lockdowns veranstaltet er nun ganz besondere Streamingkonzerte.

blickpunkt musical: Sie feiern dieses Jahr ihr 25-jähriges Jubiläum im Bereich des Musicals. Herzlichen Glückwunsch dazu. 1996 waren Sie im Ensemble des Theaters in Wuppertal-Cronenberg, bevor Sie sich nach Ihrer Ausbildung an der Bayerischen Theaterakademie August Everding zum Musicaldarsteller ausbilden ließen. Wie war Ihr Weg zum Musical?

Patrick Stanke: Herzlichen Dank für die Glückwünsche, und ich muss sagen, dass ich mir auch einen schöneren Moment für mein 25-jähriges Bühnenjubiläum hätte vorstellen können, aber so sind sie nun mal, diese Zeiten.

Ich habe sehr früh, als Kind schon, in der Schulband gesungen und Instrumente gespielt, sodass mir sehr schnell klar wurde, das möchte ich gern beruflich machen. Als ich dann in Wuppertal mit 14 meinen ersten Gesangsunterricht bei Dora Brockmann bekam, gingen damit auch die ersten Berührungen mit dem Thema Musical einher. Erste Aufführungen im Rahmen des Gesangsstudios von »Anatevka«, Andrew-Lloyd-Webber-Galas und Liederabenden, bis hin zur Aufführung von »Anatevka« im Opernhaus Wuppertal haben mich letztendlich ans TiC Theater in Wuppertal gebracht. Dort verbrachte ich dann als junger Spund 4 Jahre auf den Brettern, die die Welt bedeuten, und dort habe ich das Handwerk Musical sowie die Leidenschaft und Liebe zu diesem Beruf kennengelernt.

D’Artagnan (2.v.l.) in »3 Musketiere« Berlin 2005 mit (v.l.): Marc Clear als Athos, Mathias Sanders als Aramis und Christian Schleicher als Porthos
Foto: Brinkhoff/Mögenburg / Stage Entertainment

blimu: Würden Sie uns bitte beschreiben, was Ihnen Musicals persönlich bedeuten?

PS: Im Musical kann ich zwei meiner großen Leidenschaften ausleben. Singen und Schauspielen. Gerne schlüpfe ich in andere Rollen. Persönlichkeiten, die großes erleben, etwas bewegen und die Welt verändern oder auf Umwegen die große Liebe finden usw. Ich liebe es, andere Persönlichkeiten darzustellen, ihnen eine Stimme zu geben und wenn diese dann auch noch singen dürfen, dann ist das Musical und geht mir sehr nah.

blimu: Wenn Sie an die vergangenen 25 Jahre zurückdenken, gibt es ein Ereignis oder einen Auftritt, der Ihr Leben verändert hat oder der Ihnen persönlich einfach viel bedeutet?

PS: Ich muss mich erst mal bei allen Menschen bedanken, die schon in meinen ersten Jahren als Musicaldarsteller etwas in mir gesehen haben, was mich letztendlich dorthin geführt hat, wo ich nun stehe. Mitten in der Gesellschaft und vor allem mitten im Musical. Ich bin unendlich stolz darauf, das machen zu dürfen, was ich gerade mache, und es ist mir bewusst, dass all das nicht selbstverständlich ist.

Als Wolfgang Mozart mit Ethan Freeman als Leopold Mozart in »Mozart!«, Tecklenburg 2008
Foto: Birgit Bernds

Besondere Ereignisse erfordern meistens besondere Momente. In meinem Fall war es meine allererste Audition für das Musical »Titanic«. Ich war noch an der Bayerischen Theaterakademie im Studiengang Musical und zu dieser Zeit gastierten die Studenten als Tanzensemble der Oper »La Boheme« bei den Bregenzer Festspielen, als ich meine Tasche packte, um in Hamburg vorzusingen. Der ganze Tag in Hamburg, zum ersten Mal vor einer Jury zu singen, zum ersten Mal die Luft zu schnuppern, in einem professionellen Musical die Hauptrolle spielen zu können, das war der besondere Moment, der letztendlich zu einem und noch viel mehr besonderen Ereignissen führte.

blimu: In Ihrer Laufbahn haben Sie bereits zahlreiche Musicalrollen gespielt. Darunter waren zum Beispiel auch Frederick Barrett in »Titanic«, D’Artagnan in »3 Musketiere«, Graf Axel von Fersen in »Marie Antoinette«, Joey in »Sister Act«, Kerchak in »Tarzan« und Jean Valjean in »Les Misérables«. Gibt es bei all den Rollen, die Sie in ihrem Leben schon verkörpert haben, eine, die Sie möglicherweise weniger mochten, mit der Sie sich sehr wenig identifizieren konnten oder die eine ungewöhnlich große Herausforderung für Sie dargestellt hat?

Als Graf Axel von Fersen mit Roberta Valentini als Marie Antoinette in »Marie Antoinette« Tecklenburg 2012
Foto: Sandra Reichel

PS: Es ist sicherlich immer leichter und/oder sogar angenehmer, eine Figur zu spielen, die charmant, beliebt, berühmt oder hübsch ist. Aber wenn eine Figur nicht aneckt, also keine Kanten hat, sich nichts zu schulden kommen lässt oder gar nichts riskiert, dann ist die Aufgabe als Schauspieler dahinter nicht sehr spannend; was nicht bedeutet, dass man sich nicht selbst zu einer »langweiligen« Rolle etwas ausdenken kann. Ich habe gern Herausforderungen und verbiege mich auch sehr gern. Natürlich ist es für mich leichter, eine Rolle wie zum Beispiel Wolfgang Amadeus Mozart zu spielen, weil diese eben die vorher angesprochenen Dinge mitbringt, mir aber auch im Temperament sehr ähnlich ist. Da fällt es mir schon schwerer, einen Grafen Axel von Fersen zu spielen. Natürlich freue ich mich auf Herausforderungen, die mich den ganzen Abend erfüllen, sodass ich am Ende der Vorstellung wirklich alles geben konnte und am Ende meiner Kräfte bin. Das war nicht bei allen Shows der Fall, da ich nicht immer die »erste Geige« spielen darf/kann und in einem Musical wie zum Beispiel »Sister Act«, wo es ganz klar um Delores geht, ist man als Joe natürlich ein wenig »unterbeschäftigt«. Was »man« und in diesem Fall »ich« da lernen musste, nachdem meine Ausdauer und Konzentration bisher darauf lag, eine Hauptrolle den ganzen Abend durch ein Stück zu führen, war es, bei diesen kleineren Rollen, alles, was die Figur ausmacht und was ich erzählen muss, innerhalb der zwei/drei Auftritte zu erzählen. Das musste ich lernen und es ist mir sogar hin und wieder gelungen.

blimu: Bei einigen Musicals wie zum Beispiel »Hair«, »Hairspray«, »La Cage aux Folles«, »3 Musketiere« und »Mozart Superstar« führten Sie Regie. Wie kam es dazu, dass Sie Regisseur wurden und welche Bedeutung hat dieser andere Blickwinkel auf ein Stück für Sie?

PS: Auch da muss ich mich bedanken bei Menschen, die eben auch diese »Gabe« in mir sahen, und in diesem Fall bei Stefan Hüfner vom TiC Theater, der mir meine erste Regie in »Der kleine Horrorladen« anvertraute. Seither darf ich das immer wieder mal machen und das freut mich sehr.

Regisseur Patrick Stanke mit dem Ensemble von »Der kleine Horrorladen« Wuppertal 2010
Foto: Birgit Bernds

Den anderen Blickwinkel zu haben, mal von der anderen Seite zu schauen und zu beurteilen, ob etwas wirkt und was eben nicht, liegt in der Natur des Schauspielers. Ich glaube nicht, dass mich das besonders auszeichnet. Das machen wir ständig und stetig. Nur so wächst man als Darsteller und kann eben auch an Fehlern oder eben auch guten Leistungen stärker werden.

Mir gefällt es sehr, die Entwicklungen der jeweiligen Rollen mitzuerleben und zu gestalten und die Wege und Geschicke der Figuren auf der Bühne zu leiten und sie ggf. auf ein neues Gleis zu setzen. Das ist sehr spannend, und, wenn das Ergebnis dann auch noch beim Publikum ankommt, auch sehr erfüllend.

Was die Presse sagt, ist mir relativ wurscht. Solange wir mit unserer Arbeit im Team einen Nenner gefunden haben, alles für mich stimmig ist, dann weiß ich, dass das Stück funktioniert und so wie es ist, gut ist. Da bleibt dann kein Spielraum für subjektive Meinungen und Ansichten eventueller Kritiker. Dafür bin ich dann doch selbst zu sehr Künstler.

Als Mitglied der »Musical Tenors« (r.) bei der »Older But Not Wiser«-Tour 2018 mit (v.l.): Christian Alexander Müller, Jan Ammann und Mark Seibert
Foto: Stephan Drewianka

blimu: Sie sind ebenfalls ein Gründungsmitglied der Gruppe »Musical Tenors«. Wann und wie ist diese Gruppe genau entstanden und welche Erlebnisse gab es, die Sie erzählen können?

PS: Die »Musical Tenors« wurden von Andreas Luketa (Geschäftsführer von Sound of Music, Konzertveranstalter und Künstlermanager, Anm. d. Red.) entwickelt, konzipiert und produziert. Das begann alles 2011, soweit ich mich erinnere. Seither hatten wir zahlreiche Konzerte und tolle Momente auf vielen Bühnen im ganzen Land. Es war und ist immer ein bisschen das Rockstar-Leben, das ich mir so sehr gewünscht habe. Das lebe ich dann ganz kurz bei den »MT« Tourneen aus und das fühlt sich toll an.

blimu: 2020 sollten Sie Maxim de Winter im Erfolgsmusical »Rebecca« in Magdeburg verkörpern, doch dann kam die Covid-19-Pandemie und der Lockdown. Die Theater und Veranstaltungsstätten mussten schließen, Vorstellungen und Konzerte mussten entweder verschoben oder abgesagt werden. Was waren Ihre ersten Gedanken, als es zum ersten Lockdown kam? Wie haben Sie persönlich diese Anfangszeit erlebt?

© Sandra Then

PS: »Nachtigall, ick hör dir trapsen!«

Das war der Ohrwurm, den ich hatte, als alles anfing und ich bereits Lunte roch: »Hier stimmt was nicht«!
Es hat mich wie alle Anderen sehr hart und unvermittelt getroffen und jetzt, ein Jahr später, sitzen wir immer noch zu Hause und viele meiner Kollegen mussten spontan umsatteln auf andere Jobs, um ihren Lebensunterhalt zu sichern.
Für mich war klar, ich darf hier nicht herumsitzen, ich muss was machen. Nur was?
Am Anfang stand ich sehr ratlos da, als ich sah, dass so viele meiner Kollegen ihr Können im Internet kostenlos anboten. Das war für mich ein herber Schlag. Denn mein erster Gedanke war: Mach‘ ich meine Konzerte eben online.
Aber das hätte mich zu dem Einzigen gemacht, der für das, was alle Anderen umsonst machen, Geld verlangt.
Das stellte mich in meinem Kopf auf eine Position, an der ich nicht sein wollte. Aber schnell wurde mir klar, dass die Position, auf der ich momentan stand, auch keine Dauerlösung ist. Also habe ich »Livet!me Concerts« entwickelt und streame seither konzeptionelle Online-Konzerte. Das ist kein Ersatz für Live Events, aber eine gute Möglichkeit, die Zeit zu überbrücken, bis es wieder möglich ist, sich in einem Theater wiederzusehen.

blimu: Diese Streamingkonzerte veranstalten Sie aus Ihrem privaten Wohnzimmer, wo manchmal auch Ihre Frau mit anwesend ist. Wie finden Ihre Frau und Ihre zwei Kinder es, dass Sie das jetzt alles zu Hause stattfinden lassen? Interessieren sich Ihre Kinder auch für Ihre Arbeit?

PS: Für die Kinder ist es natürlich etwas ganz Besonderes, den Papa zur Zeit so viel von Zuhause aus arbeiten zu sehen. Homeoffice ist ja in meinem Beruf gar nicht vorgesehen, nun aber doch und beide sind immer sehr begeistert, fiebern dem nächsten Konzert entgegen und kommentieren auch ganz gern mal ein Lied, welches sie die ganze Woche schon immer wieder hören »mussten« mit: »Och nöö, nicht das blöde Lied …«

Meine Frau ist Teil der ganzen Produktion. Sie hilft mir bei der Umsetzung der Konzerte. Sie plant mit mir das Programm, die Konzepte dahinter. Sie entwirft und entwickelt die Dekorationen und letztendlich am Tag des Konzerts kümmert sie sich, neben dem perfekten Catering für alle Beteiligten, eben um die Kinder, damit diese nicht während der Live-Schalte durchs Bild laufen.

© Jörg Singer

blimu: Sie sind auf der Internetplattform »Patreon«, die für Künstler und deren Fans da ist, vertreten. Würden Sie bitte erläutern, wie Sie darauf gekommen sind und was diese Plattform genau für eine Funktion hat?

PS: Eine befreundete Kollegin hat mich darauf gebracht und ich fand die Idee erst sehr beklemmend, aber nach gründlicher Überlegung wurde mir klar, das ist genau das Richtige für mich!
Grundsätzlich geht es bei dieser Plattform um die Unterstützung von Künstlern, die nicht mit einem großen Plattenvertrag gesegnet sind und die ihre Fans und Freunde mit ersten, brandheißen News als Dank für ihre finanzielle Unterstützung ausstatten.

Zudem versorge ich meine »Patrickons« immer wieder mit Songs am Klavier, wir schreiben gemeinsam einen Song oder ich zitiere meine Lieblingsgedichte von Shakespeare oder lasse sie teilhaben an der Entwicklung meiner aktuellen Projekte, wie zum Beispiel meinem neuen Weihnachtsalbum »Patrick Stanke – Merry Christmas«. Alle diese exklusiven Einblicke bekommt man, wenn man sich auf meiner Patreon-Seite registriert und ein entsprechendes Abo auswählt.

Zuletzt haben wir uns in einem privaten Zoom-Video-Raum getroffen, in dem die »Patrickons« die Möglichkeit hatten, mit mir persönlich und privat in Kontakt zu kommen und einem kleinen privaten Konzert zu lauschen.

blimu: Ihre Konzepte für die Streamingkonzerte sind etwas außergewöhnlich. Ihre Fans können während der Konzerte mit Ihnen und auch miteinander chatten und sich vorab Lieder wünschen. Sie nehmen die Konzerte auf und bieten sie danach den Zuschauern in speziellen Upgrades entweder als extra MP3-Download oder als exklusive CD mit individuellen Wunschsongs an. Auch Gäste sind meistens bei Ihren Konzerten dabei. Bald haben Sie sogar ein Konzert namens »Winet!me« geplant, bei dem die Zuschauer, die ein Ticket dafür erwerben, vier Weinproben nach Hause erhalten. Wie kamen Sie auf diese außergewöhnliche Idee und wie setzen Sie diese um?

PS: Das Format »Winet!me Concerts« ist aus einer zufälligen Idee entstanden, die innerhalb kürzester Zeit Form, Gestalt und auch Klang angenommen hat.

Als Musicaldarsteller bin ich oft und viel unterwegs und lerne während meiner Reisen die unterschiedlichsten Menschen kennen. So kreuzten sich während eines Engagements die Wege von Klaus Schäfer und mir.

Klaus ist Winzer mit Leib und Seele und Meister seines Fachs. Wir haben uns auf Anhieb verstanden und nach einem Abend mit tollen Gesprächen führten wir uns gegenseitig in die Philosophie unserer jeweiligen Fachgebiete ein: Die Welt der Weine und die Welt des Musicals.

blimu: Auf welche weiteren interessanten Streamingkonzert-Konzepte wie das »Winet!me«-Konzert wird man sich noch freuen können?

PS: Ich arbeite täglich an neuen Konzepten, um meinem Publikum und mir eine Perspektive zu geben in dieser theaterlosen Zeit. Ihr könnt gespannt sein – da kommt noch einiges!

blimu: Gibt es bereits ein Projekt für die Zeit, wenn die Theater wieder öffnen?

PS: Ja, ich habe Verträge für diesen Sommer und auch Angebote für die Zeit im Winter 2021.

Aber viel Hoffnung hege ich da nicht, dass alles so läuft, wie wir es uns mal gedacht haben. Wir werden sehen, was die Zeit mit sich bringt.
Bleibt gesund und schaut mal vorbei auf meiner Website.

blimu: Herzlichen Dank für den privaten Einblick in Ihre Arbeit. Alles Gute für die Zukunft in dieser ungewöhnlichen Zeit!

Vorab aus blickpunkt musical 02 / 2021

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