Frank Nimsgern: »Wir leben in einer Zwei-Klassen-Kulturgesellschaft«

Interview während der Solidaritätskonzerte im Festspielhaus Neuschwanstein

Frank Nimsgern vor dem Festspielhaus Neuschwanstein in Füssen
Foto: Ingrid Kernbach

United Musicals: Herr Nimsgern, nach dem Shutdown im März standen Sie jetzt zweimal in Füssen auf der Bühne. Was war das für ein Gefühl?

Frank Nimsgern: Wie ich es auch auf der Bühne gesagt habe, WIR waren sehr gerührt. Das war tatsächlich nach 6 Monaten das erste Mal, dass ich wieder live vor Publikum gespielt habe. Aber nicht nur ich, auch die anderen Künstler. Bei mir ist es ja so, dass das Publikum nur sieht, der Frank kommt auf die Bühne und spielt. Aber die Vorbereitungen sieht niemand. Wenn ich zum Beispiel »Classics« mache, habe ich mindestens 2 Wochen zu tun, um die Songs zu arrangieren. Heute spielen wir beispielsweise zum ersten Mal etwas aus meinem neuen Musical »Der Mann mit dem Lachen«. Wir versuchen immer, etwas zu erneuern.

UM: Wie haben Sie persönlich den Shutdown erlebt?

FN: Der Shutdown kam für mich zu einem Zeitpunkt an dem ich gerade vorher mit dem Theater Hof, dem Theater Pforzheim und auch mit Ralph Siegel Verträge abgeschlossen hatte. Somit war der Shutdown für mich einfach eine Möglichkeit, mich zurückzuziehen und die neuen Produktionen zu schreiben. Deshalb war das zu diesem Zeitpunkt für mich nicht schlimm. Da ich als Komponist ohnehin gewohnt bin, mich wie ein Eremit abzuschotten und Stücke zu schreiben, war das auch gar nichts Außergewöhnliches.

Dazu kam das Homeschooling für meine Tochter. Damit hat sich mein Französisch verbessert, weil sie auf einer französischen Schule ist. Und ich habe natürlich damals geglaubt, dass es im Sommer besser wird. Aber dann kamen die Absagen aus Bayern, aus Baden-Württemberg, von überall her. Alle Produktionen und Konzerte waren plötzlich abgesagt.

Da bin ich dann doch in ein Loch gefallen. Ich hatte fast 25 Konzerte, u. a. die Mark-Seibert-Tour, die schon ausverkauft war, »Classics«, »Dan Lucas – The Voice« und »Classics – The Rock Edition«. All die Projekte, die ich ein Jahr zuvor sehr sorgfältig vorbereitet hatte. Man fühlt sich unglaublich machtlos und deshalb sind die paar Konzerte, die wir jetzt noch geben können, so wichtig. Wir wissen auch nicht, wie es weitergeht. »Der Ring« wird in den Februar verlegt, geht im Juli dann ins Deutsche Theater München.

Es ist im Grunde gesehen eine schreckliche Situation für die Künstler und Mitarbeiter, ganz abgesehen vom wirtschaftlichen Verlust. Ich kann zur Zeit keine Garantien geben. Das einzige, was ich habe, ich bin in der glücklichen Lage, als Komponist und Autor bis 2023 Verträge zu haben. Und diese Verträge sind alle auch sicher, vorausgesetzt, es kommt nicht noch einmal ein Lockdown. Denn letztendlich verdienen wir Urheber nur, wenn die Stücke auch gespielt werden.

Collage aus den Frank Nimsgern »Classics«
(c) Frank Nimsgern

UM: Aber es gibt noch Einnahmen über die CDs?

FN: Das sind Peanuts. Eigentlich hätte jetzt jedes Jahr ein neues Stück von mir herauskommen sollen, aber jetzt wird es wohl so sein, dass dann alle 2022 auf einmal kommen. Momentan sieht es fast so aus, als hätte ich dann im Februar, im März und im Mai eine Uraufführung. Natürlich immer unter Vorbehalt.

Dann wäre Deutschland gleich dreimal mit neuen Frank Nimsgern Werken versorgt oder verseucht, wie man es sehen will (lacht). Das ist die Situation. Aber wenigstens bin ich in der glücklichen Lage, Arbeit zu haben. Ich habe mich auch sehr geehrt gefühlt, dass mich Ralph Siegel gefragt hat für »Zeppelin« als Supervisor und Arrangeur zu arbeiten. Aber auch da merke ich durch die Verschiebung, dass man aufpassen muss, dass die Energie bleibt. Wenn zu oft Sachen abgesagt werden, verlierst du irgendwann die Energie.

Ich merke es auch bei den Proben, dass die Künstler ein bisschen lethargisch sind und sich fragen, ist mein Beruf überhaupt noch wichtig, bin ich »systemrelevant«? Und dann muss man sie motivieren und ihnen zeigen, dass es weitergeht – irgendwie. Letzte Woche war ich hier mit Thomas Borchert, der ja im »Ring« spielen soll … und wir haben uns so sehr auf die Zusammenarbeit gefreut. Er weiß gar nicht mehr, was sein Beruf eigentlich ist (Über sein grandioses Solokonzert im Festspielhaus Neuschwanstein werden wir noch berichten, Anm. d. Red.). Aber er sagt auch, seit 5 Monaten hat er auf keiner Bühne mehr gestanden und repariert nur seinen Bauernhof. Es ist ein Skandal, wie die Veranstaltungsbranche behandelt wird. Wir stehen auf der Liste eigentlich noch hinter den Bordellen. So werden wir behandelt. Dabei ist es ein riesiges Business, das wir haben. Diese Coronahilfen, das war für 3 Monate ganz nett, aber es geht ja weiter. Und für mich kamen die großen Absagen jetzt im Herbst. Leider ist die Kulturpolitik und Subventionspolitik nicht so unterstützend, wie es immer dargestellt wird. Wir leben in einer Zwei-Klassen-Kulturgesellschaft .

a) Die E-Musik und alle damit verbunden Orchester, Chöre und Theater sind nach wie vor hochsubventioniert. Es steht SEIT Jahren in keinem Verhältnis mehr zur sogenannten U-Musik bzw. dem Musical Theater etc. Es ist ein Skandal, dass man 2020 immer noch diese Unterscheidung E- und U-Musik manifestiert .

b) Die freischaffende Szene und damit inkludiere ich sehr wohl auch die Solisten der Oper etc. sind im luftleeren Raum, ohne jeglichen langfristigen staatlichen Support! Wenn die Autoindustrie so behandelt würde, gäbe es keine neuen Autos mehr.

Und nun geht es diesmal wirklich um Existenzen der Freischaffenden (egal ob E oder U) und allem, was daran hängt – Techniker, Caterer etc., welche sozusagen NICHT in der selbsternannten staatlich oder vom Bund hochsubventionierten »Hochkultur« verankert sind und schlicht davon abhängig sind, dass wir einfach Tickets verkaufen können.

Darüber hinaus: Warum gelten für die Kultur schärfere Regeln als für andere Lebensbereiche? Es wurde schon häufig kritisiert, dass nicht nachvollziehbar sei, weshalb in einem Zug geringere Ansteckungsgefahr als in einem Theater herrschen sollte. Der Kulturbereich scheint als etwas Minderwertiges zu gelten, obwohl Millionen Jobs daran hängen.

Impression aus den Frank Nimsgern »Classics«
Foto: Ingrid Kernbach

UM: Hatte der Lockdown auch etwas Positives für Sie?

FN: Ja, zum Beispiel habe ich mit Reinhard Friese, dem Intendant des Theater Hof, ein neues Stück besprochen, zu dem ich aber leider noch nichts sagen darf. Ich konnte das ganze Musical in fünf Monaten fertig schreiben. Da ich keine Live-Aktivitäten mehr hatte – ich durfte meine Dozententätigkeit nicht ausüben – habe ich halt im Studio gesessen. Mit Ralph Siegel habe ich jeden Tag über Zoom und Skype kommuniziert und neue Songs arrangiert. Halt alles auf Distanz. Ich habe unglaublich viel vorgearbeitet. Und eigentlich dachte ich, im Herbst ginge es wieder los.

UM: Auf was dürfen wir uns denn noch freuen?

FN: »Zeppelin« und das noch geheime Stück in Hof habe ich schon erwähnt, in Dresden »Der Mann mit dem Lachen«, in Füssen und München »Der Ring«, dann die neue Band, die ich zusammen mit Dan Lucas habe, »The Voice«.

Für Pforzheim habe ich auch zwei Sachen in Vorbereitung. Geplant ist im Februar 2021 ein Nachfolgestück für »Falco – The Spirit never dies«, nämlich »Freedom«, eine Show über George Michael mit Musik aus den 80er und 90er Jahren. Damit bin ich zur Hälfte fertig. (Geplant ist die Uraufführung für den 27. März 2021, Anm. d. Red.). Für Dezember wurden alle Shows in Pforzheim abgesagt. Das Problem, das nicht nur ich, sondern auch meine Künstler und Mitarbeiter haben, ist diese Unsicherheit. Wir können nicht nur vor 100 Leuten spielen, das rechnet sich nicht. Die staatlichen Häuser haben dieses Problem nicht, denn sie sind subventioniert, aber wenn wir spielen, dann bekommen wir meistens das, was am Abend reinkommt. Und das geht einfach nicht mit ZU wenig Publikum.

UM: Es bleibt uns allen nur zu hoffen, dass es bald Lösungen gibt. Vielen Dank für das ausführliche und interessante Interview. Toi-Toi-Toi für alle Projekte und bleiben Sie gesund!