Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler
Foto: Christian Jobst
blickpunkt musical: Frau Stadträtin, die Coronakrise trifft die Wiener Kulturszene besonders hart. Was unternimmt die Stadt Wien, um während dieser Zeit unterstützend zu wirken?
Veronica Kaup-Hasler: Die gesamte Wiener Stadtregierung arbeitet auf Hochdruck. Wir versuchen, die Schäden, die durch diese schreckliche Krise auf uns zukommen oder bereits eingetreten sind, so gut wie möglich abzufedern und die Stadt in eine Post-Corona-Zeit zu führen. Das ist ein unglaubliches Unterfangen. Von fundamentaler Bedeutung ist daher die Entscheidung, dass wir unsere Fördervereinbarungen in der Kultur einhalten. Und zwar zur Gänze. Damit ermöglichen wir allen Häusern (Vereinigte Bühnen Wien, Volkstheater und weitere subventionierte Theater, Anm. d. Red.) und anderen Fördernehmerinnen und Fördernehmern ihrerseits Verträge einzuhalten und den freien Kulturschaffenden, die oft durch Werkverträge oder Ähnliches an die Institutionen gebunden sind, Gagen auszuzahlen. Dabei gehen wir kulant vor. Wir verlangen natürlich am Ende des Tages eine genaue Abrechnung, damit kein Missbrauch getrieben werden kann. Aber zumindest beim Faktor Mensch, der für uns klar im Mittelpunkt steht, wollen wir sicherstellen, dass Künstler und Mitarbeiter lückenlos weiter bezahlt werden. Einige Institutionen haben auch Kurzarbeit angemeldet, das ist aber die Entscheidung der einzelnen Geschäftsführer. Wir haben jedoch alle ermutigt, mit sozialem Blick unterstützend mitzuwirken. Hier sind wir Vorreiter in Österreich. Viele nehmen uns zum Vorbild und das ist gut so.
Wir ermöglichen auch vorgezogene Ratenzahlungen. Das heißt, dass Institutionen, die mit uns Verträge haben, auch vorgezogen Gelder abrufen können.
Darüber hinaus setzt die Stadt alles daran, so etwas wie Normalität im Förderwesen aufrechtzuerhalten: Anträge, die in der Kulturabteilung eintreffen, werden wie immer von den zuständigen Fachreferentinnen und Fachreferenten für die Entscheidung von politischen Gremien aufbereitet. Allein im letzten Kulturausschuss wurden 25 Einreichungen in der Höhe von 14,5 Millionen Euro beschlossen, davon rund 10 Millionen im Theaterbereich.
blimu: Die freischaffenden Künstlerinnen und Künstler sind von der aktuellen Situation besonders betroffen. Was tut die Stadt für sie?
VK-H: Eine weitere neue Maßnahme, die besonders gut angenommen wird, ist die Einrichtung von Arbeitsstipendien in der Höhe von vorerst einer Million Euro. Diese sind projekt- und personenbezogen: Pro Person werden maximal einmalig bis zu 3.000 Euro ausgezahlt. Das Interesse ist groß. Innerhalb von wenigen Tagen ist diese Million bereits ausgeschöpft. Daher hat die Stadt beschlossen, hier nachzujustieren und um weitere 2 Millionen zu erhöhen. Es ist eine sinnvolle Maßnahme, um Künstlerinnen und Künstler, die nicht gefördert werden – zum Beispiel eine Musikerin, die bei Hochzeiten aufspielt –, die Möglichkeit zu geben, an Gagen zu kommen, die zumindest die Mieten sichern.
blimu: Welche Voraussetzungen gibt es für dieses Stipendium?
VK-H: Man muss belegen können, dass man im künstlerischen Bereich tätig ist. Dann gibt es noch eine Reihe weiterer Kriterien, die auf der Homepage der Kulturabteilung aufgelistet sind. Die Referentinnen und Referenten der Kulturabteilung, die in allen Bereichen Spezialistinnen und Spezialisten sind, beurteilen die Anträge und teilen die Unterstützung dann sehr unbürokratisch zu.
blimu: Wie sieht es mit jenen Musikern aus, die in Orchestern spielen?
VK-H: Bisher tauchen Leute mit einem fixen Engagement in Orchestern hier nicht auf. Das müssen wir uns noch näher anschauen. Man muss die Hilfestellung auch immer im Wechselspiel mit den Maßnahmen des Bundes sehen, der ständig neue Erlasse herausgibt und neue Maßnahmen setzt. Bei den Arbeitsstipendien haben wir sehr schnell eine Lücke erkannt und reagiert. Das hat auch dazu geführt, dass andere Bundesländer – wie etwas Salzburg oder das Burgenland – das Modell der Arbeitsstipendien übernehmen.
blimu: Wie sieht in der derzeitigen Situation Ihr Tag aus? Sind Sie – soweit wie möglich – im Home Office tätig?
VK-H: Ich pendle momentan zwischen Rathaus und meinem Zuhause. Jetzt gerade sitze ich im Rathaus. Wir halten hier alle Sicherheitsmaßnahmen ein. Doch oft ist es wegen der Aktenlage unumgänglich, dass ich physisch anwesend bin. Im Home Office führe ich zahlreiche Videokonferenzen. Wenn der Gemeinderat oder Landtag tagt, ist es aus rechtlichen Gründen gar nicht möglich, nicht anwesend zu sein.
blimu: Wie werden kleine Theater, Off-Theater, unterstützt?
VK-H: Zunächst muss ich vorwegschicken: Alle Theater, die Förderungen erhalten, werden weiterhin gefördert –
blimu: – im Musical-Sektor in Wien betrifft das aber vorrangig die großen Häuser …
VK-H: Die Unterhaltungsbetriebe, wie etwa das Globe, sind ein schwieriger Bereich, da sie gewinnorientierte Unternehmen und somit anderen wirtschaftlichen Betrieben vergleichbar sind. Sie sind einnahmenlastig und werden üblicherweise von der Stadt nicht gefördert. Auch hier muss man sich etwas überlegen. Das liegt dann aber eher im Bereich des Bundes bzw. der Wien Holding und des Finanzstadtrates. Auch hier gilt es immer wieder, die Balance zu schaffen, die Maßnahmen des Bundes (Härtefallfonds etc.) miteinzubeziehen.
blimu: Die Angebote des Bundes und der Stadt sind vielfältig. Wo können sich Künstlerinnen und Künstler informieren?
VK-H: Es gibt so viele Maßnahmen, dass mittlerweile die Gefahr besteht, den Überblick zu verlieren, weil ständig etwas Neues gesetzt wird. Man kann jeder Künstlerin und jedem Künstler nur raten, auf die Website des Bundes zu schauen. Darüber hinaus gibt es eine Hotline, die ich im Rahmen der österreichischen Landeskulturreferentinnenkonferenz stark eingefordert habe und die der Bund eingerichtet hat. Hier kann man seinen Einzelfall schildern und erfährt, welche Möglichkeiten man hat. Hotline für Kunst- und Kulturschaffende. Mo – Fr, 9 – 15 Uhr, Tel: +43 (1) 53 115 202 555 (Hier sind die Hotlines des Bundes aufgelistet)
Zusätzlich zur bundesweiten Hotline setzt man in Wien auf bestehende und gut funktionierende Strukturen mit zahlreichen Interessenvertretungen und Berufsverbänden aus allen Feldern der Kultur (IG Kultur Wien, IG freie Theater, IG bildende Kunst, music austria …). Hier sitzen ausgewiesene Expertinnen und Experten, die den Kulturschaffenden mit exzellenten Beratungen telefonisch zur Seite stehen. Über Förderungen informieren wie immer die Fachleute der Kulturabteilung der Stadt Wien.
blimu: Inwiefern kann die derzeitige Situation nun in gewisser Weise ein Wink mit dem Zaunpfahl sein, festzulegen, dass künftig aus diesem großen Fördertopf, von dem große Häuser wie die Vereinigten Bühnen Wien profitieren, auch kleine Bühnen unterstützt werden sollten?
VK-H: Wir haben jetzt allein von den Institutionen, die die Stadt Wien unterstützt, bis Ende Juni mit mindestens 36 Millionen Euro Ausfall zu rechnen. Da muss man sich genau anschauen, welche Förderinstrumentarien in der Zukunft Sinn machen. Und natürlich können wir noch nicht absehen, wie sich die Budgets in den einzelnen Ressorts entwickeln werden. Die Einnahmen der Stadt sind ja coronabedingt auch wesentlich geringer, deshalb darf man keine falschen Hoffnungen machen. Ich bin sehr froh, wenn ich das halten kann, was ich jetzt unterstütze. Was man schon sieht, ist, dass in allen Bereichen der Gesellschaft, in denen früher gesagt wurde »weniger Staat, mehr privat« und jetzt selbst in den neoliberalsten Gesellschaften klar ist, dass ein gemeinsames Gesundheitssystem, das nicht nur die Reichen bevorzugt, wichtig ist. Ich erinnere mich daran, dass diskutiert wurde, die Wasserwirtschaft zu privatisieren. Alle sind jetzt heilfroh, dass die Stadt diese Betriebe unter ihren Fittichen hat. So ist es nicht wie in anderen Ländern, in denen die Menschen neben der Corona-Krise auch noch ganz andere Krisen im öffentlichen Sektor haben. Von daher ist zu überlegen, wo eine staatliche Orientierung noch Sinn macht. Im Bereich der Unterhaltungsbetriebe ist das eine Sache, die es in den nächsten Jahren klug und mit Bedacht zu erarbeiten gilt.
Ronacher Theater
Foto: Thomas Ledl
blimu: Ein Blick in die Zukunft: Wie geht es jetzt weiter, wann rechnen Sie damit, dass die Vereinigten Bühnen Wien, aber auch andere Häuser, mit ihren Aufführungen wieder starten können?
VK-H: Der Monat Juni ist für viele Theater der Probemonat, weil es ja im Normalfall eine Sommerpause gibt, in der viele Künstler bei Sommerfestspielen beschäftigt sind. Das fällt dieses Jahr alles aus dem Rahmen. Wenn sie im Juni nicht proben dürfen, dann haben sie ein riesiges Problem für den Saisonstart, der dann nicht wie ursprünglich geplant stattfinden kann. Hier gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder es gibt eine Neuregelung bezüglich der Theaterferien, dass man diese verschiebt oder anders gestaltet. Oder man kann im Juni schon proben. Ansonsten hätte ich sehr gehofft, dass wir nach dem Sommer langsam wieder in eine Art Normalität zurückfinden – wohl wissend, dass auch das Publikum Zeit brauchen wird. Es braucht Zeit, bis Menschen dieses aufgebaute Distanzbedürfnis wieder abbauen und vertrauen können. Zu vertrauen, dass der andere nicht eine potentielle Gefahr ist. Ich sehe das mit einer leichten Sorge. Mein Theaterherz würde sich freuen, mit einem Feuerwerk zu starten, aber ich fürchte, das wird ein bisschen Anlauf brauchen.Die momentan vom Bund präsentierte Probenregelung macht mich allerdings skeptisch, was einen Start im September betrifft.
blimu: Von vielen Seiten ist zu hören, dass wir in Zeiten der Coronakrise merken, wie wichtig die Kultur für uns Menschen ist und wie sehr sie in diesem Fall fehlt. Können Sie das so unterschreiben?
VK-H: Bei den vielen großartigen Online-Angeboten spüren wir mehr denn je, dass Kultur Menschen verbindet. Und zwar egal welcher Herkunft oder Klasse. Kultur ist der schönste und sinnstiftendste Moment einer Gemeinschaft. Sie macht das Herz der Gesellschaft spürbar. Diskussion und Auseinandersetzung mit wesentlichen gesellschaftlichen Fragen ist hier möglich. Man lacht nicht gern alleine im Keller. (lacht) Es ist einfach schöner, wenn man sich gemeinsam austauscht. Kultur ist aber auch ein wahnsinnig wichtiger Wirtschafts- und natürlich ein gesellschaftspolitischer Faktor. Irgendwann werden wir es nicht mehr ertragen können, einsame Menschen mit Gitarren in der Küche sitzen zu sehen und singen zu hören, (lacht) so sehr ich mich auch darüber freue.
blimu: Zum Abschluss: Sind Sie selbst eine große Musical-Freundin? Gibt es bevorzugte Stücke?
VK-H: Meine Sozialisation in Sachen Musical hat mit »Singin# in the Rain« oder »West Side Story« begonnen. Diese Musicals sind für mich vom musikalischen, tänzerischen Gesichtspunkt und von der ganzen Machart her fantastisch. Sie lassen mein Herz höher schlagen. Dann kam »Cats«, das mein erstes, bewusst gesehenes Stück im Live-Kontext war. Natürlich habe ich die neue Aufführung im Ronacher gesehen und erinnerte mich auch an die Begeisterung von damals. Dann habe ich als Kind »Mary Poppins« gern gehabt. In London habe ich mit meinen Kindern »Billy Elliot« gesehen, das hat mich begeistert. Die Virtuosität, aber gleichzeitig die soziale Message, das ist besonders. Musical muss nicht immer nur vor Herzschmerz triefen, es kann auch mal sozialkritisch und begeisternd sein. Ebenso wie »West Side Story«. Solche Musicals können mich zum jubelnden Fan werden lassen. Nicht alles in dem Sektor interessiert mich, das ist aber normal, denke ich.
blimu: Sie haben London erwähnt. Kann Wien ihrer Meinung nach international mithalten?
VK-H: Ich bin grundsätzlich ein kritischer Mensch. Luft nach oben ist immer, aber ich bin wirklich beeindruckt, von der Qualität, die bei uns geboten wird. Vor allem auch, dass wir ein Live-Orchester haben. Wien hat eine ganz große musikalische Qualität und ist international gut unterwegs. Aber wir brauchen immer neue Herausforderungen. Toll ist da zum Beispiel, dass die VBW international touren, unter anderem mit »I Am From Austria« in Japan, bei dessen japanischer Version ich übrigens schallend gelacht habe.
blimu: Vielen Dank und alles Gute für Ihre Arbeit!
Das Interview wurde mit dem Wissenstand vom 19. April 2020 geführt