Christian Struppeck, Musical-Intendant der Vereinigten Bühnen Wien: »Wir dürfen den Mut nicht verlieren«

Theater in Zeiten der Coronakrise

Vorab aus blickpunkt 04/2020

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Christian Struppeck
Foto: VBW / Johannes Ifkovits

blickpunkt musical: Herr Struppeck, wie geht es Ihnen persönlich mit der aktuellen Situation?

Christian Struppeck: Es ist natürlich schlimm für uns alle, dass wir aktuell keine Produktionen zeigen dürfen. Als wir im März von heute auf morgen schließen mussten, war das ein sehr großer Schock. Durch die Corona-Krise stehen wir vor vielen neuen Herausforderungen. Obwohl wir nicht spielen, müssen wir natürlich weiterhin eine mögliche Wiederaufnahme des Spielbetriebs vorbereiten, für den Fall, dass es bald weitergehen darf, außerdem neue Produktionen entwickeln und die nächsten Saisons planen und budgetieren. Und das alles, ohne genau zu wissen, ab wann es wieder losgeht, was genau wieder erlaubt sein wird. Es ist also eine sehr herausfordernde Zeit für uns und alle Kulturinstitutionen weltweit.

blimu: Wie geht es den Vereinigten Bühnen Wien, wie kommt man mit dem Ausfall der Vorstellungen und damit der Einnahmen klar? Wie kann die Zeit überbrückt werden, um über die Runden zu kommen?

CS: Wie viele andere Theater werden auch die VBW sehr hart von den aktuellen Beschränkungen in Zusammenhang mit COVID-19 getroffen. Seit 1. April sind unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kurzarbeit, dies betrifft auch das »Cats«-Ensemble. So konnten wir zumindest wirtschaftlich rasch auf die neue Situation reagieren und sowohl die Arbeitsplätze der Kolleginnen und Kollegen als auch den laufenden Betrieb sichern. Hinsichtlich der nicht stattgefundenen Vorstellungen konnten wir die allermeisten Tickets zum Glück auf Ersatztermine im nächsten Jahr umbuchen, das wurde vom Publikum sehr positiv aufgenommen. Unser Sales-Team musste in kürzester Zeit mehr als 100.000 Karten umbuchen, was eine enorme logistische Herausforderung war. Wirtschaftlich entgehen uns bis Ende Juni mehrere Millionen an Einnahmen im Inland und auch die Absagen unserer zahlreichen VBW-Lizenzproduktionen weltweit treffen uns natürlich finanziell. Denn obwohl wir ein subventionierter Betrieb sind, müssen wir den weitaus größeren Teil unseres Budgets selbst erwirtschaften, denn wir haben einen relativ hohen Eigendeckungsgrad, das bricht momentan alles weg. Wir hoffen also auf baldige Richtlinien der Politik, damit wir wissen, ob wir spielen können oder nicht. Ich finde, es ist trotz allem sehr wichtig, hoffnungsvoll in die Zukunft zu schauen. Ich arbeite bereits mit meinem Team an verschiedensten Szenarien, wie es weitergehen könnte – wann und in welcher Form, unter welchen Umständen, mit welchen neuen Konzepten –, abhängig natürlich von den Hygieneverordnungen. Wir arbeiten zudem weiterhin an den neuen Lizenz- und Eigenproduktionen, auch wenn die Theater geschlossen sind, um bereit zu sein, wenn es wieder losgeht.

blimu: Sind Sie zufrieden mit der Unterstützung seitens der Stadt Wien? Wie sehen Sie die Maßnahmen des Bundes?

CS: Die angebotenen Hilfsleistungen wie zum Beispiel das Kurzarbeits-Modell sichern die Arbeitsplätze unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ermöglichen uns vorerst auch eine gewisse finanzielle Stabilität, die wir brauchen, um den Betrieb aufrecht zu halten und die Zukunft planen zu können. Wichtig wäre dennoch eine längerfristige, klare Ansage seitens der Bundespolitik. Selbst wenn es hieße, dass große Musicalproduktionen aufgrund der nicht einzuhaltenden Sicherheitsabstände und Hygieneverordnungen vorerst nicht möglich sind, würde alleine diese Information schon helfen, denn dann können wir uns Alternativen überlegen, besser und effizienter planen, bis wieder zum Normalbetrieb zurückgekehrt werden kann. Bevor es allerdings keinen offiziellen Erlass für die nächsten Monate bezüglich der Theater in Österreich seitens der Bundesregierung gibt, sind uns diesbezüglich die Hände gebunden, da wir aus juristischen und Haftungsgründen erst agieren dürfen, wenn eine entsprechende gesetzliche Grundlage vorliegt.

blimu: Aufgrund der Coronakrise und der fehlenden Vorstellungen greifen viele Künstler und Häuser auf Online-Angebote zurück, sei es durch Konzerte, Videoclips, Streaming von älteren Stücken. Kommt das für die VBW auch in Frage? Ist diesbezüglich etwas zu erwarten?

CS: Unsere Produktionen zu streamen ist leider aus urheberrechtlichen Gründen in den meisten Fällen nicht möglich. Wir konnten Anfang Mai aber in Kooperation mit dem österreichischen Rundfunk ein großes, abendfüllendes Musical-Konzert auf die Beine stellen. Unsere Musicalstars Carin Filipcic, Milica Jovanovic, Dominik Hees, Maya Hakvoort, Drew Sarich, Lukas Perman, Mark Seibert, Oedo Kuipers und Thomas Borchert präsentierten im Hauptabendprogramm des ORF III die schönsten VBW-Musical-Hits, das Konzert wurde gerade auf 3Sat gezeigt. Zudem wurde am selben Abend »I Am From Austria« ausgestrahlt. Ein TV-Themen-Schwerpunkt der VBW und des österreichischen Musicals. Auch wenn es natürlich nicht das Gleiche ist, wie live im Theater ein Stück zu erleben, so war es ein wichtiges Lebenszeichen von uns, um zu zeigen, dass die Musicals in Wien noch da sind. Die vielen positiven Reaktionen von Fans waren überwältigend.

blimu: Wie funktioniert die Kommunikation mit den Darstellern, ist man regelmäßig in Kontakt?

CS: Ich bin in stetigem Austausch mit dem »Cats«-Ensemble, wir halten die Darsteller über neueste Entwicklungen auf dem Laufenden. Gerade in Zeiten wie diesen finde ich es besonders wichtig, zusammenzuhalten, in Kontakt zu bleiben, Informationen zu auszutauschen. Wir haben darüber hinaus verschiedenste Angebote für den Cast organisiert, damit er sich fit und gesund halten kann. So bieten wir mehrmals die Woche Online-Trainings – von Pilates, über Cardio- und Power Workouts bis zur Einzelphysiotherapie – an, die vom Ensemble gerne genutzt werden.

Entwurf für den Umbau des Raimund Theater – Vorplatz
Foto: (c) Roman Mramor

blimu: Wie sieht es mit der Baustelle beim Raimund Theater aus? Herrscht derzeit Stillstand, wenn ja, wann geht es – voraussichtlich – weiter und wann kann mit der Fertigstellung gerechnet werden?

CS: Die Restriktionen auf den Baustellen wurden ja recht früh schon etwas gelockert – selbstverständlich immer unter Einhaltung aller aktuellen Hygiene- und Sicherheitsvorschriften – deshalb sind wir gegenwärtig trotz einiger Verzögerungen noch einigermaßen im Zeitplan und rechnen momentan damit, dass wir trotzdem noch rechtzeitig fertig werden. Natürlich kann sich die Situation auch jederzeit wieder ändern, man wird schauen müssen, wie es sich entwickelt, aber wir sind zuversichtlich.

blimu: Im Zuge dessen: Wann ist mit der Premiere von Miss Saigon zu rechnen und wann mit der Wiederaufnahme von »Cats«?

CS: Wir planen aktuell weiter so, als würden wir im Herbst mit beiden Produktionen starten, Garantie dafür gibt es aber keine. Alles ist davon abhängig, wie sich die Pandemie und die Fallzahlen bei uns entwickeln. Sobald es Einigung darüber gibt, wann wieder geprobt und wann gespielt werden darf und vor allem in welcher Form, werden wir alle Zeitpläne adaptieren und gegebenenfalls anpassen. Zudem sind wir natürlich auch von den internationalen Entwicklungen der Fallzahlen, den Restriktionen in den anderen Ländern und der Möglichkeit zur Wiederaufnahme der internationalen Reisen abhängig. Das darf man nicht vergessen, denn selbst, wenn wir in Österreich rechtzeitig wieder proben dürften, um in beiden Theatern zeitgerecht öffnen zu können, müssten wir erst unsere internationalen Darstellerinnen und Darsteller sowie unsere Leading Teams nach Wien bringen, denn die aktuellen Reise-Restriktionen betreffen natürlich auch sie. Es ist also zum momentanen Zeitpunkt noch sehr vieles offen, aber wir dürfen den Mut nicht verlieren – irgendwann wird es weitergehen!

Das Interview wurde geführt am 11. Mai 2020

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