William Shakespeares »Maß für Maß« (engl.: »Measure for Measure«) wurde von Robin Kingsland in Londons Swinging Sixties versetzt. Die Liedtexte schrieb er gemeinsam mit Chris Barton, der auch die Musik komponierte und Regie führte. Es ist ein vielversprechendes Konzept, aber die Umsetzung scheint den Titel etwas zu wörtlich zu nehmen. Lässt sich »Desperate Measures« mit »verzweifelte Maßnahmen« übersetzten, kommt man nicht umhin, diese Produktion als ein Resultat einer Reihe von verzweifelter Maßnahmen zu sehen. Bis auf wenige Ausnahmen besitzen die durchweg jungen Darsteller Schultheaterniveau, wo weder Handwerk zu erkennen, noch eine Singstimme zu hören ist. Die Musik lässt die Liedtexte passagenweise untergehen, was schade ist, denn sie verdienen gehört zu werden – und dabei besitzt das Jermyn Street Theatre lediglich Wohnzimmergröße. Die Theatermacher haben sich mit dieser Produktion keinen Gefallen getan. Ging es darum, das durchaus kluge Konzept, die jazzige Musik und cleveren Liedtexte zu präsentieren, dann wäre eine konzertante Aufführung – ein Work in Progress – mit ausgebildeten (oder talentierten) Darstellern sicher erfolgreicher gewesen.
Was zu sehen ist, wenn man die Qualität der Darstellung außer Acht lässt: Eine schwarze Bühnenwand mit Bildern von Big Ben, einem pinkfarbenen Neonkreuz und der Erosstatue am Piccadilly Circus (Design: Dee Shulman).
Die kleine Band auf der linken Seite setzt sich zusammen aus Schlagzeug, Keyboard und E-Gitarre.
›Oh What Times We Live In‹, singt das Ensemble schwungvoll, aufgeteilt in konservative Männer und Frauen, die – aus den 50er Jahren kommend – die ihre strengen Moralvorstellungen verfechten, und den jungen, farbenfroh gekleideten Teenagern, die die neue freizügige Zeit der 60er Jahre feiern. »Stink of Laissez-faire« lautet da eine Zeile der Konservativen.
Einer, der der gelockerten Moral den Kampf ansagt, ist der Parlamentarier Simon di Angelo (Charlie Merriman), der zu einem geschmeidigen Jazz ›Enough Is Enough‹ singt. Unter der Beratung von Lady Josie Escalus (Angharad George-Carey) entschließt sich der jetzige Ministerpräsident Douglas Dukes (Sam Elvin), unterzutauchen und undercover zu arbeiten, um einer schwierigen Entscheidung aus dem Weg zu gehen und später als Held wieder hervorzutreten. In der Zwischenzeit soll di Angelo das Amt übernehmen. Diesem wird allerdings nichts von Dukes Plan erzählt, und er freut sich, dass er nun seine radikalen Ziele durchsetzen kann. Dazu gehört kein Sex vor der Ehe. Zum Opfer fällt ihm dabei der Popstar Milo Feather (Jojo Macari), der sich gerade verlobte und nun ein Kind erwartet. Er und seine zukünftige Braut landen im Gefängnis und ihm droht die Todesstrafe. Journalist Charlie Lucre (James Wilson) will diese Diktatur des Terrors nicht länger mit ansehen und macht Milos Schwester Isobel (Ellie Nunn) ausfindig, die gerade in einen Konvent eingetreten ist. Sie soll helfen, ihren Bruder vor der Todesstrafe zu bewahren. In einem Fernsehduell mit di Angelo gelingt es Isobel, die Schwächen seines Glaubens, seiner Logik und Maßnahmen herausstellen. Di Angelo bleibt seines Rufes wegen unbeirrt, doch seine Libido gerät in einen Wirbelsturm und er kann nur noch daran denken, Isobel ins Bett zu bekommen. Er bittet sie um ›A Single Night‹. Willigt sie darin ein, lässt er ihren Bruder frei. Sie ist entsetzt! Noch schlimmer wird es, als Milo kein Verständnis dafür zeigt, dass dies für sie völlig unakzeptabel ist. Rettung bringt Charlie, denn gemeinsam finden sie heraus, dass di Angelo bei seinem ganzen moralischen Kreuzzug eine ziemliche unmoralische Vergangenheit verbirgt. Eine ehemalige Geliebte wird aufgespürt, die hilft, ihn auszutricksen. Unter mehreren Bedingungen – es soll Dunkelheit herrschen, nicht gesprochen werden und sie darf den Ort bestimmen – lässt sich Isobel angeblich auf eine Nacht mit di Angelo ein.
Dabei schlüpft jedoch nicht Isobel unter seine Bettdecke, sondern besagte Marina Earthflower, und das Ganze wird unbemerkt unterm Bett auf Band aufgezeichnet. So wird di Angelo, der am Morgen ein schlechtes Gewissen hat, Isobel verführt zu haben, seines unmoralischen Vorhabens überführt. Währenddessen hat der wahre Ministerpräsident beim Polizeipräsidium veranlasst, dass Milo vor dem Galgen bewahrt wird: Happy End. Im Nachspiel sitzt Journalist Charlie mit Isobel im Café und gesteht ihr seine Liebe, hierbei handelt es sich um die einzige berührende Szene der Produktion. Auch Isobel hat Gefühle für Charlie, aber sie weiß, dass sie ihren vorbestimmten Weg gehen muss.
James Wilson als Charlie, Ellie Nunn als Isobel und Angharad George-Carey als Lady Josie Escalus heben sich ein wenig von den anderen ab. George-Careys Interpretation des Titels ›Creative Politics‹, in welchem sie von den Machenschaften in der Politik singt, bleibt zudem positiv in Erinnerung.
Insgesamt haben Konzept, Musik und Liedtexte einen originellen Kern, doch damit daraus etwas Präsentables wird, muss noch viel Entwicklungsarbeit geleistet werden. Schließlich möchte man auch Shakespeare gerecht werden, dem die grandiose Handlung zu verdanken ist.