Folg dem Ruf des Blutes

»Frankenstein Junior« von der Musical Inc. am Theater P1 in Mainz

vorne (v.l.): Frau Blücher (Johanna Hartmann), Igor (Pascal Brun), Inga (Annika Link) mit Fredrick (Lukas Witzel), Monster (Jan Dieter Schneider) und Inspektorin Kemp (Elena Lorscheid).Foto: Ruben Treiber

vorne (v.l.): Frau Blücher (Johanna Hartmann), Igor (Pascal Brun), Inga (Annika Link) mit Frederick (Lukas Witzel), Monster (Jan Dieter Schneider) und Inspektorin Kemp (Elena Lorscheid).
Foto: Stefan Wagner

Erstmals arbeitet der Verein Musical Inc., der in Kooperation mit der Universität Mainz seit 1993 Musical auf die Bühne des P1 bringt, mit Lastzügen für das im Hintergrund an »Tanz der Vampire« erinnernde Prospekt eines Dorfes in Transsylvanien – eine Landschaft, die auch in Mel Brooks‘ Parodie auf die Horrorfilme der 1930er Jahre, die 1974 auf die Leinwand kam, eine wichtige Rolle spielt. Doch es dauerte bis 2007, dass »Young Frankenstein« mit Musik, Liedtexten und Buch von Mel Brooks sowie Co-Autor Thomas Meehan auf die Bühne kam. Die deutschsprachige Erstaufführung fand 2013 mit einer Übersetzung von Frank Thannhäuser und Iris Schumacher an der Oper Halle statt.

»Frankenstein Junior« in Mainz 2015. Foto: Stefan Wagner

Die schöne Elizabeth Benning (Lisa Hofmann) mit ihren Bewunderern.
Foto: Stefan Wagner

Unter Regie von Sabine Fischer und Thomas Helmut Heep, die auch die aufwendigen Ensemblechoreographien erdachten und das Mainzer Hörsaaltheater bis in die Gänge ausnutzen, spielten nun zwei Monate lang 44 Darsteller mit enormer Spielfreude – in Doppelbesetzung von Rollen und Ensemblepositionen – jeden Abend auf der Bühne.

In der besuchten Vorstellung ist Lukas Witzel (auch Musikalischer Leiter der Produktion) Dr. Frederick Frankenstein, der ernsthafte Hirnforscher, der nicht mit dem berüchtigten Victor Frankenstein in Verbindung gebracht werden will, und sich deshalb »Fronkensteen« nennen lässt, trotzdem aber immer wieder nach seinem Verwandten gefragt wird. Mit starker Mimik, einfühlsamem Schauspiel und tragender Stimme verkörpert Witzel den Doktor, der seinem Ahnen in experimenteller Brutalität nicht nachsteht. Das verrät schon seine mit komödiantischem Ernst interpretierte Hymne an das Gehirn, zu der eine Choreographie mit »Hirn-Wurf« das i-Tüpfelchen bildet (Ensemblechoreographien: Sabine Fischer und Thomas Helmut Heep; Choreographien der Tänzer von Ayla Hohenstein und Nadhezda Jung).

›Roll Dich im Heu‹ - Inga (Annika Link) und Frederick (Lukas Witzel). Foto: Ruben Treiber

›Roll Dich im Heu‹ – Inga (Annika Link) und Frederick (Lukas Witzel).
Foto: Stefan Wagner

Doch dann erfährt der Hirnforscher vom Tod von Victor Frankenstein und ist gezwungen, nach Transsylvanien zu reisen, um dessen Nachlass zu regeln. Dazu muss er auch seine Verlobte Elizabeth (Lisa Hofmann) zurücklassen, die von Liebe spricht, aber dem Motto folgt: Berühren erst nach der Hochzeit erlaubt! Konkret darf ihr Verlobter ihre geschminkten Lippen, manikürten Nägel und ondulierten Haare nicht anfassen, sondern ist auf lüsterne Fantasien angewiesen. Lisa Hofmann spielt die Figur herrlich überdreht und geht auch gekonnt mit schrillen Tönen um.
Angekommen in Transsylvanien wird Frederick von Igor (Pascal Brun) begrüßt, dessen Figur nicht umsonst an Von Krolocks Diener Koukol aus »Tanz der Vampire« erinnert. Er träumt davon, für einen neuen Meister zu arbeiten – aber für mehr Geld. Seine Eigenheit ist, dass er den Buckel mal links und mal rechts trägt, was im Kostümbild von Svenja Drewitz & Elena Lorscheid mit einem unterfütterten Zwergenkapuzenumhang gelöst wird.

Pascal Brun nimmt gleich beim ersten Auftritt in der Broadway-Nummer ›Noch niemals gesehen – doch gefunden‹ mit klangvoller Stimme, mit Bühnenpräsenz und gutem Körpergefühl für sich ein. Die Nummer auf dem Heuwagen (›Roll Dich im Heu‹) mit der im Dirndl steckenden jodelnden Inga (überzeugend in Gesang und Schauspiel, Annika Link), während der zwergenhafte Igor auf dem Bock zwischen Pferderücken und dem Paar, das in immer wieder anderen eindeutigen Stellungen aufeinander liegt, hin und her schaut, ist nur ein Beispiel für die einfallsreiche Szenengestaltung. So wird aus einem Sargwagen ein Heuwagen.

Auch Fredericks erste Begegnung mit Ahn Victor erinnert an einen Film, den Mel Brooks jedoch nicht vor Augen gehabt haben kann, sondern das Regieteam der Musical Inc. Wie im Hogwarts aus »Harry Potter« nämlich ist das Bild im Rahmen lebendig und Victor erscheint dort, als Frederick zur Geisterstunde in der Bibliothek einschläft, nachdem die skurrile Frau Blücher (Johanna Hartmann) ihm ein Glas Wein aufgedrängt und vor dem Bild eine Kerze entzündet hat.

›Folg dem Ruf des Blutes‹ - Frederick (Lukas Witzel, vorne), Victor (Henning Witte, Mitte mit Ensemble) . Foto: Ruben Treiber

›Folg dem Ruf des Blutes‹ – Frederick (Lukas Witzel, vorne), Victor (Henning Witte, Mitte mit Ensemble) . Foto: Stefan Wagner

›Folg dem Ruf des Blutes‹ ist eine Nummer mit osteuropäischer Folklore, die sich in der Choreographie des großen Ensembles in seinen ungarischen Piroschka-Kostümen zwischen ungarischer und russischer Tanz bewegt. Dazu fordert der Victors Geist seinen Nachkommen auf, in seine Fußstapfen zu treten. Als Frederick erwacht, folgt er dem Motto: »In billigen Horrorfilm gibt es einen Geheimgang«, und das Geigenspiel von Frau Blücher weist ihm die Weg in das Labor von Victor Frankenstein.

Frau Blüchers Geständnis ›Er war mein Liebling‹ klingt etwas nach Zarah Leander. Mit dem richtigen Timing und dem wunderbar theatralischen deutschen Text ist der Auftritt ein Highlight. Sie bedrängt Frederick, die Aufzeichnungen von Victor zu lesen, was ihn dann doch interessiert. Frau Blüchers Maske ist gut, nur die Bewegungen von Johanna Hartmann wirken etwas zu flink.

Frederick (Lukas Witzel), Inga (Annika Link), (Igor) Pascal Brun, Frau Blücher (Johanna Hartmann). Foto: Ruben Treiber

Frederick (Lukas Witzel), Inga (Annika Link), (Igor) Pascal Brun, Frau Blücher (Johanna Hartmann). Foto: Stefan Wagner

Dank seiner willigen Assistentin Inga, die Annika Link herrlich naiv und liebenswert spielt, erfährt Frederick auch sinnliche Freuden, die ihm seine Verlobte verwehrt. Mel Brooks parodiert in »Frankenstein Junior« nicht nur Figuren und Begebenheiten aus Horrorfilmen, sondern verbindet diese mit zahlreichen eindeutig zweideutigen – leider allzu platten – sexuellen Witzen, die glücklicherweise in der Mainzer Inszenierung durch gelungenes Timing und die Ausnutzung der entstehenden Situationskomik weniger in den Vordergrund treten. Zumal wenn ein frivoler Song eine musikalisch mitreißende Broadway-Ballade wie Ingas ›Dein Herz, es weiß, warum‹ darstellt. Trotzdem werden Aussagen wie Igors »Intellekt verhindert sexuelle Aktivitäten« oder seine Qualifizierung des Aktes zwischen Inga und Frederick: »Er dringt in die weibliche Anatomie und sie unterstützt ihn nach Leibeskräften«, natürlich gehörig belacht werden.

Frederick gerät in Transsylvanien in den Sog der Hirnexperimente und beauftragt Igor damit, ihm das Gehirn eines hochintelligenten Toten zu bringen. Doch Igor lässt das kostbare Gehirn fallen und besorgt sich ein anderes, das jedoch einem in anderer Hinsicht außergewöhnlichen Toten gehört. Die Dorfbewohner, allen voran Inspektorin Kemp, die beim Kampf mit dem letzten Victor-Monster Arm und Bein eingebüßt hat, erfahren, dass etwas im Schloss vor sich geht. Das Gesetz sieht vor, dass der Schöpfer eines Monsters am Strang endet und ein Sturm auf Frankensteins Schloss wird vorbereitet. Igors von Stürzen unterbrochene Flucht ins Schloss wird mit Donner und Grusel erzeugenden grünlichen Lichteffekten wirkungsvoll unterstrichen. Insbesondere lauter im Gesicht angestrahlte Igor-Double geben der bedrohlichen Situation Ausdruck.

Im Schloss dagegen spielt sich vieles im Dunkeln unter der Decke ab. Nach dem Gehirntransfer tut sich erstmal nichts und Frederick ist schon am Boden zerstört, als das Monster (Jan Dieter Schneider) endlich erwacht. Dessen aggressive Reaktion auf Feuer macht jedoch deutlich, dass etwas nicht stimmt und Igor muss gestehen, dass er ein großes, faltenfreies Gehirn als Ersatz in das Transfergerät eingebracht hat.
Frederick empfängt die Abordnung der Dorfbewohner, die ihn laut Inspektorin Kemp (Elena Lorscheid) angeblich (mit dem gelungen a capella im Quartett vorgetragenen Barber-Shop-Song ›Grüß‘ Gott in Transsylvanien‹) nur willkommen heißen wollen. Er macht ihr weiß, dass das Monster ungefährlich ist. Doch dieses straft seine Worte Lügen und versucht, Frederick umzubringen, demonstriert an Igor – wie einem Spielball – seine immense Kraft, bevor es zur Pause in den Reihen des Hörsaals entschwindet.

»Frankenstein Junior« in Mainz 2015. Foto: Stefan Wagner

(vorne v.l.): Frederick (Lukas Witzel), Igor (Pascal Brun) und Inga (Annika Link) mit dem Ensemble von »Frankenstein Junior«. Foto: Stefan Wagner

Der zweite Akt wird eingeleitet mit einer Horror-Filmmusik-Sequenz, an deren Ende Igor das Monster ruft. Dagegen steht der Protest der Dorfbewohner, angeführt von Inspektorin Kemp, mit ernsthafter Präsenz von Elena Lorscheid gespielt, deren harte osteuropäische Stimmfarbe in Kombination mit Uniform-Ausstattung unwillkürlich an den KGB denken lässt.
Verschärft wird die Situation durch das plötzliche Erscheinen von Fredericks Verlobter Elizabeth, samt ihrer Entourage: von Friseur bis Astrologe – der Frau Blücher Inga mit den Worten vorstellt: »Sie arbeitet Tag und Nacht unter ihm«. Igor stiehlt ihren Pelz als Fetisch.

Jan Dieter Schneider spielt das Monster mit guter Körperlichkeit und zeigt berührend, wie er vom steifen, sich roboterartig bewegenden Monster durch einen erneuten Gehirntransfer von Frederick zu einem fühlenden Wesen wird. Zuvor vermittelt Frederick ihm schon, dass er geliebt wird und zeigt ihm in Bildern, dass er als Mensch ›Ein Mann von Kultur‹ ist.

Als ihn jedoch erneut ein Blitz erschreckt, trägt er Elizabeth mit sich fort und widmet sich mit ihr gemeinsam dem »Mysterium des Lebens und der Liebe«, von dem er mehr erfahren will. Zu guter Letzt stellt Elizabeth, überrumpelt von seinem animalischen Verhalten, fest, dass sie ihn liebt. Entgegen aller Versuche der Dorfbewohner, Frederick für seine Monstererschaffung mit einem Transmitter zu grillen, gelingt die Übermittlung von Fredericks Verstand, was es dem Monster ermöglicht, den Doktor zu retten. Im Gegenzug erhält Frederick durch die Verbindung beider mehr Manneskraft.
Insbesondere am Ende hat das Buch einige Schwächen. Doch dem Team der Musical Inc. gelingt es, auch diese chaotischen Brüche mit flüssigen Szenenwechseln der Spielorte zu verbinden. Auch die Übergänge mit dem schön posenden 6-köpfigen Tanzensemble, den zahlreichen Darstellern und den Bühnenumbauten zwischen Bibliothek und Labor gelingen durch schnelle Umbauten. Ein besonderes Highlight bildet die Broadway-Stepp-Nummer zu Irving Berlins ›Puttin’ on the Ritz‹, das Mel Brooks in seinem Stück verarbeitet hat. Hier haben in Mainz auch die beiden Regisseure Heep und Fischer selbst die Möglichkeit, im Tanz zu glänzen.
Mel Brooks‘ musikalische Vielfalt zwischen Horror-Filmmusik (insbesondere im ›Entr’acte‹) zu hören, osteuropäischer Folklore (›Folg dem Ruf des Blutes‹), deutscher Volksmusik (›Roll dich im Heu‹) und Broadway-Nummern (›Noch niemals gesehen – doch gefunden‹) und Musical-Ballade (›Dein Herz, es weiß warum‹) bietet dem gut eingespielten 13-köpfigen Live-Orchester unter Leitung von Nicolai Benner zudem jede Menge Entfaltungsmöglichkeit und mit wenigen Ausnahmen sind die Sänger über der Musik sehr gut verständlich.