»Ich möchte den Festspielcharakter erhöhen«

Intendant und Buchautor Frank-Lorenz Engel im Interview zu »Aschenputtel«

United Musicals: Weshalb »Aschenputtel«?

Frank-Lorenz Engel Foto: Brüder Grimm Festspiele

Frank-Lorenz Engel
Foto: Brüder Grimm Festspiele

Frank-Lorenz Engel: »Aschenputtel« gehört zu meinen Lieblingsmärchen, und als ich in diesem Jahr der Intendant der Brüder Grimm Festspiele geworden bin, habe ich den Wunsch gehabt, meine Arbeit mit »Aschenputtel« zu beginnen. Ich mag die Grimmsche Vorlage, auch wenn manche Dinge heute schwer verständlich sind, wie etwa die Rolle des Vaters. Dennoch kann es kaum etwas Schöneres geben als eine Figur, die immer gedemütigt worden ist und dann das große Glück und ihren Märchenprinzen findet. In der Vorlage erfüllen die Vögel am Grab der Mutter ihr alle Wünsche. Die Tauben gibt es bei uns auch, doch ich wollte jemand, der zaubern kann und habe deshalb eine Fee dazu erfunden, die Fee Griseldis, deren Figur ich auch in unser Stück »Es war einmal« hineingeschrieben habe. Sie hat einen Running Gag, indem sie immer sagt: »Wunderbar, hinreißend, aufregend«. Dabei kann sie nicht so gut zaubern und manches geht schief, doch das Entscheidende gelingt.

UM: Welches ist die Geschichte, die Sie mit Ihrer Adaption des »Aschenputtel«-Märchens erzählen wollen?

FLE: Der große Glücksfall war, dass ich schon die Besetzung einiger Rollen kannte und wusste, in welche Richtung ich denken kann. Dann mussten wir natürlich Hindernisse aufbauen auf Aschenputtels Weg und auf dem Weg des Prinzen. Der Prinz heißt Benedikt und das ist auch der Vorname des Darstellers der Rolle: Benedikt Ivo. Benedikt hat eine Mutter, die nur das Beste für ihn möchte, so eine »Eislaufmutter«, die sehr esoterisch veranlagt ist, ihm sein Obst auspendelt und Tai Chi Qigong beibringt. Er muss Chinesisch lernen, damit er die Beste aller Ausbildungen hat. Der Vater dagegen ist ein Macho, der sagt: »Der Junge muss kämpfen können, er muss herrschen können.« Das ist der eine Konflikt zwischen den beiden Elternteilen und dem Prinzen, der sagt: »Ich will endlich mal ich selber sein«, mit ›Ich selber sein‹ zugleich ein Liedtitel des Stückes. Den anderen und bestimmenden Konflikt erlebt Aschenputtel, die bei uns Konstanze heißt, deren sie liebender Vater sich auf einer Dienstreise nach Dresden in Frau Dorabella verliebt, die dann mit ihren beiden Töchtern anreist. Die eine Tochter hat das Sächsische nie abgelegt, die andere Tochter verwechselt gerne mal Fremdworte. Konstanze freut sich erst einmal vorsichtig darauf, was ihr die neue Familie bringt, doch sehr schnell wird klar, die beiden sind Zicken aus der Stadt, die sich auf dem Land überhaupt nicht wohl fühlen. Konstanze hat Griseldis, die mit ihr über die neue Herrschaft schimpft und ihr versucht zu helfen, doch irgendwann gießen ihr die neuen Verwandten Asche über den Kopf, weil sie sie für alles verantwortlich machen. Daher kommt der Name: »Aschenputtel«. Mir war es beim Schreiben des Buches wichtig, bei einem traditionellen Märchen wie »Aschenputtel« auch bei der Geschichte zu blieben. Deshalb gibt es auch im Musical wiedererkennbare Zeilen wie »Ruckedidu, Blut ist im Schuh« oder »Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen«. Marc (Schubring) hat auch diese wunderbar vertont. Dann haben wir in diesem Jahr ein professionelles Ensemble aus drei Herren, drei Damen, die die Diener, die Bauern, aber auch die Bewerberinnen um die Hand des Prinzen spielen. Im Schloss gibt es den Haushofmeister Gerold, der darauf schaut, dass alles mit Perfektion abläuft, wie insbesondere im Pausenfinale bei den Vorbereitungen auf den großen Ball deutlich wird. Da habe ich mit Bart de Clercq einen großartigen Choreographen gefunden, worüber ich mich sehr freue, denn nicht nur diese Nummer, aber insbesondere diese, hat ein hohes Niveau. Deshalb freue ich mich sehr, dass ich eine starke Besetzung mit einigen großen Namen in der Musicalszene, wie vor allem Carolin Fortenbacher, Thorsten Tinney, Michèle Fichtner und Benedikt Ivo, vor allem aber talentierte und kreative Darsteller verschiedener Altersstufen in diesem Profiensemble habe. Mit einigen von ihnen habe ich in Hamburg, Berlin oder Kiel schon gearbeitet.

UM: Seit diesem Jahr tragen die Festspiele den Namen »Brüder Grimm Festspiele« und damit zugleich mit Beginn Ihrer Intendanz, auch wenn Sie im vergangenen Jahr bereits kommissarisch die Festspiele geleitet haben. Weshalb die Änderung?

FLE: Wir haben eine neue Reihe mit dem Titel »Grimms Zeitgenossen«, in der wir dieses Jahr »Das Käthchen von Heilbronn« von Heinrich von Kleist zeigen. Dabei geht es mir darum, das Angebot für ein größeres Publikum zu erweitern – sodass wir Musical haben, dazu ein klassisches Schauspielstück, ein Familienstück und ein Stück für Jugendliche. Dabei spielen im »Käthchen« Darsteller aus den Ensembles der anderen Stücke, so auch zwei Kollegen aus dem Musicalensemble. Natürlich möchte ich, dass der Kern der Festspiele die Märchen der Gebrüder Grimm bleiben, aber die Grimms waren eben mehr als nur Märchensammler. So waren sie die Begründer der Germanistik als Wissenschaft. Außerdem ging es bei der Umbenennung auch darum, den Festspielcharakter zu erhöhen mit unseren vier Premieren, und damit die Identifikation der Stadt Hanau mit ihren Festspielen zu stärken.

UM: Sie haben im Publikum der Festspiele Kinder verschiedener Altersstufen. Wie müssen Texte beschaffen sein, dass Kinder sie verstehen und auch die Erwachsenen noch Freude an dem Stück haben?

FLE: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Kinder die Geschichte sehr über die Augen aufnehmen und auf visuelle Reize reagieren. Natürlich hören sie auch die Musik, aber sie empfinden dabei vor allem die Stimmung einer Szene. Das hat Holger Hauer in seiner Regie sehr schön umgesetzt, dass die Geschichte flüssig und verständlich dargestellt wird. Gerade für Kinder ist es wichtig, sie als großen Bogen zu erzählen. Die Texte, die Finessen der Arbeit von Edith Jeske und auch meiner Dialoge ist schon sehr auf Erwachsene geschrieben und mit Ironie angereichert, die Kinder beispielsweise nicht verstehen. Doch ich denke, dass das Ziel ist, dass Kinder etwas von dem Stück haben, dass aber auch junge und ältere Erwachsene sich gut unterhalten fühlen. Wir wollen ein Angebot für alle machen.

UM: Vielen Dank für Ihre Zeit und das Gespräch im Vorfeld der Uraufführung von »Aschenputtel« am 16. Mai 2014.

Das Interview führte Barbara Kern