Schlossfestspiele Sondershausen wollen Darstellern 2014 nur 24€ pro Tag bezahlen

Thüringer_Schlossfestspiele
Laut einer Rollenausschreibung der Thüringer Schlossfestspiele Sondershausen, die auf Anfrage als korrekt bestätigt wurde, suchen die Festspiele “junge Sängerinnen und Sänger” für Hauptrollen der Produktion »My Fair Lady«, die im kommenden Sommer vom 27. Juni bis 19. Juli in 11 Vorstellungen gezeigt wird. Die Schlossfestspiele, die zum Theater Nordhausen und dem Loh-Orchester Sondershausen gehören, bieten darin folgendes an:

  • Musikalische Proben nach Absprache
  • Probenzeitraum: 12.05.2014 bis 26.06.2014
  • Elf Vorstellungen zwischen dem 27.06.14 und 19.07.2014
  • Gastvertrag
  • Anwesenheit während der gesamten Probenzeit erforderlich
  • Vergütung erfolgt in Form von Tagegeld nach dem Thüringer Reisekostengesetz
  • Fahrtkosten werden gegen Vorlage von Nachweisen (Belege öffentlicher Verkehrsmittel bzw. Angabe gefahrener Kilometer mit dem Pkw) bis zu einer maximalen Höhe von 250,00 € erstattet
  • Unterkunft (Einzelzimmer)

Das Tagesgeld beträgt, gemäß Thüringer Reisekostengesetz, 24€ pro Arbeitstag, dies entspricht, sollte ein Sänger oder eine Sängerin in der Probenzeit Montag bis Freitag proben und anschließend 11 Vorstellungen spielen, 1.104€, die steuerfrei an den Darsteller ausgezahlt werden, für über zwei Monate.
Laut Anne-Kristin Schmidt, Organisationsleitung der Schlossfestspiele, sei man sich bewusst, dass das Angebot niedrig sei. Es richte sich an Absolventen und Studenten, die erste Erfahrungen im Theaterbetrieb sammeln möchten und sei als eine Sommerakademie gedacht. Neben den Proben gebe es kostenlose Workshops zu verschiedenen Themen für die jungen Sängerinnen und Sänger als Weiterbildungsangebot. Die Darsteller werden mit einem Gastvertrag beschäftigt, für den es keine Mindestgagen gibt. Frau Schmidt konnte nicht sicher sagen, ob die Sängerinnen und Sänger Angestellte des Theaters und damit sozialversichert sind.
Da ein abhängig beschäftigter Arbeitnehmer aber per Definition aber auch eine Entlohnung erhält, was beim Angebot der Schlossfestspiele nicht der Fall ist, dürften dies nicht der Fall sein, zumal die Sozialversicherungsbeiträge auf das nicht anfallende Gehalt gezahlt werden. Ebenso zweifelhaft ist, ob die Finanzämter die 24€ pro Tag tatsächlich als Verpflegungsmehraufwand nach Reisekostengesetz anerkennen oder als steuerpflichtiges Einkommen werten.
Auf Anfrage bezeichnete Jörg Löwer, Präsident der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger, das Angebot der Schlossfestspiele als prekär. Es sei zudem zweifelhaft, ob ein Sänger, der sich bei Proben und Vorstellungen fast zwei Monate vor Ort aufhalten muss und zudem an Anweisungen gebunden sei, tatsächlich selbstständig sein kann, weshalb möglicherweise ein Fall von Scheinselbstständigkeit vorliegen könnte. Die GDBA sieht es als großes Problem für ihre Mitglieder, dass Theater versuchen, durch Gastverträge mit selbstständigen Darstellern Kosten einzusparen. Es komme vor, dass bei einer Statusüberprüfung durch die Rentenversicherung festgestellt werde, dass es sich bei solchen Beschäftigungsverhältnissen um eine Scheinselbstständigkeit handle. Außerdem greife bei Gastverträgen nicht die tarifvertragliche Mindestgage von 1650€ monatlich für Darsteller mit Jahresverträgen, weshalb die GDBA auch bei Gastverträgen eine Mindestgage anstrebe, um solch prekären Arbeitsverhältnisse zu verhindern. Hiervon sei man aber leider noch weit entfernt.
Die Thüringer Schlossfestspiele Sondershausen verfügen über 700 Plätze. 7.500 Besucher die beiden Open-Air-Konzerte sowie die Oper »Der fliegende Holländer«, auf ihrer Website melden die Festspiele einen Zuschaueranstieg im Vergleich zu 2012 um 17%. Im kommenden Jahr wird im Schlosshof erstmals ein Musical gezeigt.
Nachtrag: Laut der Initiative »Art but Fair« hat Jörg Löwer, Präsident der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger, eine Protestnote an das Theater Nordhausen gesendet. Auf ihrer Facebook-Seite veröffentlichten die Schlossfestspiele Sondershausen eine Stellungnahme zur Diskussion um ihre Vertragsangebote:

Wir bitten um Entschuldigung, dass die Ausschreibung für die Thüringer Schlossfestspiele Sondershausen 2014 unglücklich formuliert ist. Denn sie macht nicht deutlich, dass es sich bei der Sommerakademie um ein in erster Linie pädagogisches Angebot für noch nicht beruflich tätige junge Darstellerinnen und Darsteller handelt. Dies hat zu Kritik an unseren Vertragskonditionen geführt.
Zum wesentlichen Profil der Festspiele gehört es, dass junge Sängerinnen und Sänger am Ende ihres Studiums in einer „Sommerakademie Musiktheater“ eine Musiktheaterproduktion unter professioneller Anleitung erarbeiten. Häufig war dies ihre erste Aufführung eines abendfüllenden Stücks mit Orchester, komplett inszeniert und ausgestattet.
Die Probenphase unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von einer professionellen Produktionsphase. Sie nimmt auf die Bedürfnisse der meist eher unerfahrenen Darstellerinnen und Darsteller Rücksicht, z.B. mit deutlich ausführlicheren Probenzeiten. Viele Gesangsstudierende wissen zudem wenig über Tarifverträge, Urheberrecht, Bewerbungen, Vorsingen usw. Hierzu bieten wir jedes Jahr ausführliche Workshops an, die sehr gut angenommen werden. […]
Es muss selbstverständlich alles seine rechtlich Ordnung haben und fair sein. Wir werden daher die vorgebrachten Vorwürfe in den nächsten Tagen überprüfen. Falls irgendetwas bei uns nicht den Vorschriften entsprechen sollte, werden wir das selbstverständlich sofort ändern. […]

Wie in der Ausschreibung ist jedoch auch auf der Website der Schlossfestspiele von „Sommerakademie Musiktheater“ und dem „pädagogisches Angebot“ nichts zu finden, dort heißt es nur „Die Thüringer Schlossfestspiele arbeiten mit jungen Sängerinnen und Sängern, die sich gegen Ende ihres Gesangsstudiums oder am Anfang ihrer künstlerischen Laufbahn befinden. Gemeinsam mit dem traditionsreichen Loh-Orchester Sondershausen erarbeiten sie in jedem Sommer ein bekanntes Werk des Musiktheaters. Die jungen Künstler erhalten somit die Gelegenheit, bereits früh in ihrer Karriere an einer großen professionellen Musiktheaterproduktion mitzuwirken und Erfahrungen mit der ganz besonderen Festspielatmosphäre zu sammeln. Und als Zuschauer erleben Sie bei uns vielleicht schon heute die Opernstars von morgen!“