Kai Hüsgen absolviert mit ‚Sunset Boulevard‘ im Theater Pforzheim sein Regiedebüt an einem Haus, an dem er bereits in der Titelrolle von ‚Jekyll & Hyde‘ erfolgreich auf der Bühne stand.
Eine Woche vor der Premiere sprach er über die Herausforderung seiner ersten Regie, den Theaterprozess, die Zusammenarbeit mit Kreativen und Ensemble am Stück und den veränderten Blickwinkel auf das Bühnengeschehen.
united musicals: Wie kam es dazu, dass Sie erstmals Regie am Theater Pforzheim führen?
Kai Hüsgen: Es kam durch das große Vertrauen von Operndirektor Wolf Widder dazu, der sich dachte: „Ich biete ihm einfach mal die Chance und schaue, ob er annimmt.“ Er suchte jemanden, der ‚Sunset Boulevard‘ inszeniert und dachte dabei an mich und ich habe die Gelegenheit ergriffen und mich ganz darauf eingelassen.
um: Ein Stück wie ‚Sunset Boulevard‘ ist gewiss keine geringe Herausforderung für eine erste Regie.
KH: Es ist eine sehr große Herausforderung.
Ich hatte ohnehin daran gedacht, in die Regie mal hineinzuschnuppern, um zu sehen, ob sie mir liegt. Dabei dachte ich eher an eine kleine Produktion oder an eine Assistenz, wo man sich die ganzen Abläufe anschauen kann, um dann im Kleinen auszuprobieren, was man leisten kann.
Und dann wurde ich von 0 auf 100 in ‚Sunset Boulevard‘ katapultiert. (lacht)
um: Wie haben Sie sich dem Stück genähert?
KH: Ich habe es mehrfach aufmerksam durchgelesen und versucht, mich in jede einzelne Person ein Stück weit hineinzuversetzen. Gerade bei ‚Sunset Boulevard‘ bin ich sehr von den Emotionen der Figuren ausgegangen.
Dann war es wichtig herauszufinden, wie ich die Geschichte erzählen möchte. Ob abstrakt oder wirklich konkret in ihrer Zeit – und ich habe schnell erkannt, dass ich sie wirklich im Zeitraum von 1949 auf 1950 haben möchte, mit all den zeitgemäßen Kostümen und dem großen Filmstudio. Deshalb war ich sehr glücklich über meine Bühnen- und Kostümbildnerin Verena Hemmerlein. Sie las das Stück und das Erste, was sie sagte, als wir uns trafen, war: „Das Wichtigste für mich an dem Stück ist die große Treppe, und den Rest bauen wir einfach um die Treppe herum.“ Da waren wir uns sehr einig.
Für mich ist der Moment, wenn Norma das erste Mal auftritt, und diese Treppe hinuntergeht, entscheidend. Da brauche ich nicht mehr erzählen, dass sie ein Star ist — wenn sie mit Grandezza die Treppe herunterkommt, habe ich eine komplette Biographie in einem Gang für sie inszeniert, ohne dass ich noch irgendetwas anderes machen muss.
Die Geschichte ist außerdem sehr klar, ich brauche nicht mit Metaebenen zu arbeiten, die Parallelen zu heutigen Problemen herstellen, diese sind schon vorhanden. Dafür muss das Stück nicht in der DSDS-Zeit spielen und ich muss nicht Norma Desmond an Daniel Küblböck anlehnen. Ich finde, das Stück ist so stark und Billy Wilders (Drehbuchautor und Regisseur des Films, Anm. d. Red.) Vorlage enthält so präzise Ausführungen, dass wir nach vier Wochen Proben teilweise in einem Halbsatz Beziehungen innerhalb des Stückes entdeckt haben, die wahnsinnig kleinteilig und präzise beobachtet sind. Dieses Stück ist so reichhaltig, dass man aus dem Vollen schöpfen kann, wenn man es inszeniert. Billy Wilder hat mit seinem Buch das ganze Grundgerüst geschaffen, und Don Black und Christopher Hampton haben das Ganze bühnentauglich gemacht, aber letztendlich nicht groß in die Dramaturgie des Stückes eingegriffen. Die Geschichte ist fantastisch und in den Figuren steckt sehr viel emotionale Tiefe, und ich glaube, man hätte sich nichts Gutes getan, hätte man große Veränderungen eingeführt. Ich habe ein paar für mich erstaunliche Dinge bei der Stückrecherche entdeckt, die Billy Wilder aus der Realität in den Film übernommen hat: Beispielsweise, dass Max von Mayerling im Film von Erich von Strohheim gespielt wurde, der wie Max von Mayerling seine großen Regieerfolge schon hinter sich hatte. Wenn sie dann in ihrem Privatkino gemeinsam Filme aus ihrer Vergangenheit schauen, sehen sie sich auch genau den Film an, den Max von Mayerling alias Erich von Strohheim mit Norma Desmond alias Gloria Swanson damals gedreht hat: ‚Queen Kelly‘. Billy Wilder hat wirklich am Filmset von Cecil B. DeMilles ‚Samson and Delilah‘ gedreht, und wenn der wirkliche DeMille im Film zu Gloria Swanson sagt: „Goodbye, young fellow!“, dann sagt er genau das, was er damals während der Drehzeit, als sie sich gut kannten, gesagt hat. Ich finde, man merkt noch im Musical, dass Wilder bei der Charakterisierung der Figuren viele persönliche Bezüge verwendet hat.
Als ich mit der Regie angefangen habe, hatte ich den Film irgendwann vor Jahren schon einmal gesehen und habe ihn mir dann erst einmal bewusst nicht angeschaut, weil ich wusste, wenn ich ihn mir noch einmal ansehe, werde ich unbewusst ganz viel davon kopieren, was nicht funktioniert, weil Bühne und Film zwei verschiedene Medien sind. Was beispielsweise im Film in einem Satz mit Nahaufnahme gesagt wird, dafür hat die Figur Cecil B. DeMille im Musical eine ganze Szene. Ich muss für die Umsetzung auf der Bühne mit ihren eigenen Mitteln arbeiten, muss meine eigenen Bilder finden und ich denke, dass einige schöne und vor allem bewegende Bilder entstanden sind.
um: Sie machen in Pforzheim auch noch das sog. „Musical Staging“. Ich denke, dass sich nicht jeder etwas darunter vorstellen kann, und manchmal ist es auch schwer von der Choreographie zu trennen. Was heißt Staging bei der der Inszenierung von ‚Sunset Boulevard‘ in Pforzheim?
KH: Ich habe ja auch das Ballett in der Produktion dabei, und die wirklichen Tanzsequenzen hat der Choreograph Marek Ranic gestaltet, aber alles, was Chorbewegungen und Ensemblebewegungen auf der Bühne sind, habe ich gemacht. Ich habe angegeben, was, wie, wo passiert — beispielsweise bei ‚Die Rechnung zahlt die Dame‘, wo das Herrenballett tanzt, habe ich bis direkt an die Sequenz heran die Abläufe mit Chor und Ballett bestimmt und dem Choreographen dann gesagt: „Jetzt baue mir hier bitte das Ballett ein, es muss da und da sein, damit ich hier den Umzug nicht sehe.“ So muss man sich das vorstellen.
um: Was waren die Dinge, auf die Sie sich als Regisseur besonders einstellen mussten?
KH: Es sind gar vor allem die organisatorischen Dinge. Ich habe es am Stadttheater mit den permanenten Auf- und Abbauten durch das Repertoire-Spiel zu tun und dementsprechend sehr wenig Bühnenproben. Und das ist für ein Stück wie ‚Sunset Bouelevard‘ sehr schwierig.
um: Zumal zu diesem Stück meist auch ein recht aufwendiges Bühnenbild gehört. Wie ist das in Pforzheim?
KH: Verena Hemmerlein (Bühnen- und Kostümbild) und ich haben ein Bühnenbild entwickelt, das die Technik sehr herausfordert. Es gibt einige wirklich schwierige Umbauten. Wir haben eine riesige Treppe. Ich bin sehr glücklich, dass wir sie haben, aber wir können sie im Theater Pforzheim nicht wie im Original nach oben wegziehen, sondern sie muss immer rein und raus gefahren werden, was manche Umbauten nicht einfach macht, da sie einfach schon mal sehr viel Platz weg nimmt.
Dann ist Pforzheim ein Theater, das nicht leicht zu leuchten ist. Wir haben aber ein sehr wandelbares Bühnenbild, mit vielen verschiedenen Bildern und dementsprechend haben wir auch viele verschiedene Lichtstimmungen. Und das mit den naturgemäß begrenzten Beleuchtungszeiten eines Stadttheaters zu bewerkstelligen, ist eine große Herausforderung für alle.
Eine weitere Herausforderung für mich war und ist es, zu wissen, auf was ich gerade den Fokus setzen muss. Denn ich kann ja nicht alles gleichzeitig beobachten. Jetzt, wo wir die technischen Proben haben, muss ich auf ganz andere Dinge schauen.
Norma Desmond (Lilian Huynen) kommt die Treppe herab © Sabine Haymann
Max von Mayerling (Andrea M. Pagani) mit Norma Desmond (Lilian Huynen) © Sabine Haymann
Joe Gillis (Benjamin-Edouard Savoie) mit Betty Schaefer (Julia Klotz) bei der Arbeit
© Sabine Haymann
Joe Gillis (Matthias Otte) gerät in Norma Desmonds (Lilian Huynen) Bann © Sabine Haymann
Norma Desmond (Lilian Huynen) mit Joe Gillis (Benjamin-Edouard Savoie) beim Tanz
© Sabine Haymann
um: Was war Ihnen besonders wichtig bei Ihrer Regie?
KH: Mir war besonders die Arbeit mit den Darstellern wichtig, und dass jeder sich mit seiner Figur identifizieren kann. Jeder sollte greifbar sein und der Zuschauer in der Figur etwas persönlich Vertrautes finden. Ich habe natürlich von allen eine klare Vorstellung und die Darsteller haben eine Vorstellung für sich. Ziel war, dass wir uns annähern, ohne dass ich mein grundsätzliches Bild verliere, aber jeder Darsteller Persönlichkeit in seine Rolle einbringen kann, so dass wir am Ende ein rundes Gesamtbild haben.
Ich glaube, mit Andrea Matthias Pagani habe ich einen der jüngsten Max von Mayerling-Darsteller überhaupt. (lacht) Er war mein Wunschkandidat, weil zu seinen Fähigkeiten gehört, auf der Bühne zu stehen und einfach zu sein. Man schaut hin und ist gefesselt. Und das war mir unglaublich wichtig für die Rolle. Ich habe ihn sehr ruhig und still angelegt, weil mir wichtig war, die immense Gefährlichkeit der Figur zu zeigen. Max ist der eigentliche Strippenzieher im Haus.
Mir war auch wichtig, Lilian Huynen als Norma Desmond nicht als verrückte Alte darzustellen, sondern als jemanden, der ein großes Können besitzt. Diese Frau ist unglaublich reich und das noch Jahre, nachdem sie aufgehört hat zu spielen. Sie war mal wirklich wer und hat auch ihr Vermögen klug angelegt. Sie sehnt sich zurück, aber dieses Sehnen hat seine Wurzeln.
Überhaupt verbindet alle Hauptfiguren eine große Sehnsucht – die bei Norma und Max sehr rückwärts gerichtet ist, sie sehnen sich nach der Vergangenheit, die sie kontrollieren möchten; Betty Schaefer dagegen projiziert ihre ganze Sehnsucht auf die Zukunft, sie hat einen genauen Plan, den sie zielstrebig verfolgt, den sie nach dem ersten Zusammentreffen mit Joe Gillis entwickelt, deshalb nötigt sie ihn auch, mit ihr zu schreiben.
Betty Schaefer ist unheimlich weit für ihre Zeit, sie ist eine sehr emanzipierte Frau. Und doch ist sie, ohne es zu wissen, ein Kind ihrer Zeit. Durch Joe lernt sie erst einmal ihre Fähigkeiten kennen. Deshalb bin ich sehr glücklich mit Julia Klotz, die auf der Bühne kein Mädchen mehr, sondern eine Frau darstellt, die begreift: Ich kann ja mehr, als ich dachte.
Matthias Otte und Benjamin-Edouard Savoie spielen jeweils einen ganz anderen Joe Gillis, was sehr spannend ist und sehr gut im Zusammenspiel mit den anderen funktioniert. Sie sind vom Typ her sehr weit auseinander. Mir war wichtig, dass beide etwas ganz Eigenes in ihre Rolle bringen, denn beide haben ihre Stärken, die man sehen soll. Es war sehr spannend, mit beiden parallel zu arbeiten und zu schauen, dass sie zwar soweit das Gleiche machen, damit alle anderen ihr Ding spielen können, aber jeder seine eigene Persönlichkeit mit einbringt. Ich habe Wert darauf gelegt, dass sie wissen, was ich möchte und wie weit sie davon abweichen können, um in ihrer Tagesfassung zu spielen. Ich finde es als Darsteller selbst sehr spannend, mich in diesem Rahmen zu bewegen, ihn auszuloten. Und das möchte ich auch für die Leute bei ‚Sunset Boulevard‘ erreichen.
Man muss sich vorstellen: Ich setze in meiner Regie gewissermaßen den Anfang und das Ende der Szene, und dann gibt es dazwischen klar gesetzte Momente durch die Musik, da an dieser Stelle etwas Bestimmtes geschieht. Aber es gibt mehrere Wege, um zu diesem Punkt zu kommen, und da liegt die Freiheit des Darstellers.
um: Je nach Inszenierung und auch Darstellern kann das Stück auch sehr kalt wirken.
KH: Diese Gefahr besteht wirklich. Es sind nur Nuancen, die eine Szene unterkühlt oder im Gegenteil bewegend wirken lassen. Das hat auch damit zu tun, dass unter dem gesamten Text Underscoring (Technik der Filmmusik, die das Geschehen begleitet, Anm. d. Red.) liegt, und die Gefahr besteht darin, dass man sich bei Schauspiel und Gesang auf dieses Underscoring drauf setzt und mitgeht. Dann läuft das Stück wie ein Film am Zuschauer vorbei. Dabei ist das Spannende, dass das Underscoring eine Atmosphäre und Stimmung schafft, man darüber oft aber das Gegenteil spielen muss, um Spannung in der Szene zu erzeugen. Dann wird die Szene noch einmal viel intensiver. Und damit zu arbeiten, war eine zusätzliche Herausforderung, vor allem in der Zusammenarbeit mit dem musikalischen Leiter Tobias Leppert, der ‚Sunset Boulevard‘ glücklicherweise ebenso liebt wie ich. Das war ein echter Glücksfall, denn uns beiden ist es gelungen, dass alle, die an der Produktion beteiligt sind, das Stück inzwischen lieben. (lacht) Er hat unheimlich darauf geachtet, dass jede Farbe in der Musik ihre Entsprechung auch auf der Bühne hat – ganz gleich, ob diese dann dann das Gleiche bedeutet, oder das Entgegengesetzte. Ziel dabei ist, dass die Musik immer das Bühnengeschehen unterstützt und umgekehrt. Wir haben sehr gut zusammengearbeitet. Und ich wünsche mir, dass etwas von der guten Chemie bei den Proben auch in der Inszenierung für das Publikum zu sehen bzw. zu spüren ist.
um: Immer mehr Darsteller reizt dieser andere Blickwinkel, die einem die Regie eröffnet. Wie war das bei Ihnen?
KH: Ich hatte vor Probenbeginn ein wenig Angst davor, dass ich auf der anderen Seite sitze und den Wunsch verspüre, auf der Bühne zu stehen. Doch nach dem ersten Probentag war diese Angst verflogen, denn ich empfand eine große Freude dabei, mit den Leuten gemeinsam Dinge herauszufinden – sie zu führen und Anregungen aufzunehmen. Ich werde gewiss weiter selbst auf der Bühne stehen. Aber ich denke, dass ich mich jeder der beiden Aufgaben, ob Darsteller oder Regisseur, voll und ganz widmen kann, ohne jeweils auf der anderen Seite sein zu wollen. Jetzt als Regisseur bin ich vollkommen darin aufgegangen, etwas von den Leuten zu fordern, etwas mit ihnen gemeinsam aus ihnen herauszuholen.
um: Wie war die Arbeit mit Kollegen, wie Lilian Huynen, die die Norma Desmond spielt, mit der Sie bereits als Darstellerkollege bei ‚Jekyll & Hyde‘ auf der Bühne gestanden haben?
KH: Es war großartig. Dadurch, dass ich mit ihr schon gespielt hatte, besitzen wir schon eine gemeinsame Sprache. Gerade bei dieser Rolle, die sehr stark in die Emotionen geht, ist es wichtig, wenn man sich sehr gut versteht und zueinander ehrlich sein kann. Und es war wichtig bei dem Probenprozess, dass wir beide sehr ehrlich miteinander gesprochen haben. Ich finde fantastisch, wie Lili es macht. Ich hatte während der Proben mehrfach Gänsehaut, weil sie es immer wieder geschafft hat, mich zu fesseln. Sie legt sehr viel Persönlichkeit in ihre Rolle, was mir sehr gefällt. Für mich hat ihre Darstellung etwas ungeheuer Geerdetes, was wunderbar zu der ganzen Figur passt – wie man ihr zusieht, wie sie immer mehr den Halt verliert. Der erste Satz, den sie spricht, wenn man sie sieht, lautet: „Ist es gesetzwidrig, ihn im Garten zu beerdigen?“ Und mit diesem Satz muss sichtbar werden, diese Frau ist ein großer Star, vom Leben gezeichnet, gebrochen und gerade in ihrem schlimmsten Moment. Das ist ihr erster Satz, und eigentlich müsste es allen Leuten in diesem Moment den Atem verschlagen.
© Claudia Dilay Hauf
um: Sehen Sie es generell als Vorteil an, dass jemand vor der Regie selbst auf der Bühne gestanden hat?
KH: Das kann man, denke ich, nicht generalisieren. Ich kenne für beides gute und schlechte Beispiele. Natürlich habe ich mein eigenes Verständnis davon, wie gutes Theater aussehen soll und das inszeniere ich. Das ist auch immer Geschmackssache. Ein anderer Regisseur sieht das vielleicht ganz anders und im Gesamtzusammenhang kann auch das funktionieren. Es gibt so viele Ansätze, die alle funktionieren, und die alle schief gehen können. Entscheidend ist, dass es funktioniert. (lacht)
Das kann auch von Stück zu Stück unterschiedlich sein. Deshalb gibt es Regisseure, die ein Stück grandios inszeniert haben und mit dem nächsten durchgefallen sind – sei es, weil der persönliche Zugang fehlte oder weil die Chemie nicht stimmte – das ist immer auch eine große Glückssache, ob alles zusammenpasst. Und inwieweit man die Technik hat, selbst Unzulänglichkeiten auszugleichen. Natürlich bin ich auch manchmal an meine Grenzen gestoßen, einfach, weil mir technisches Handwerk fehlt.
Das ist auch etwas, was ich manchmal an Regisseuren bemängle, die mit mir als Darsteller arbeiten: In der Regieausbildung in Deutschland wird viel Wert auf Metaebenen und das Ganze gelegt, wenn ich das dann vergleiche mit Shows, die ich in London sehe, wo einfach der Ablauf in sich stimmig und handwerklich perfekt ist. Da gibt es keine Löcher, weil der Regisseur nicht wusste, wie er den Umbau bewerkstelligt. Das fehlt mir häufig bei deutschen Regisseuren – dieses Handwerk: Beispielsweise zu wissen, weshalb eine Figur gerade anfängt zu singen – könnte sie nicht auch sprechen? Dass man dafür eine Begründung findet, ist wichtig. Gerade bei Regisseuren, die aus dem Schauspiel kommen, habe ich es erlebt, dass sie die Szene inszenieren, und wenn dann das Lied kommt, sagen sie: „Mach Du das mal, vom Gesang habe ich keine Ahnung.“ Dieses Handwerk oder auch einfach das Wissen, wie man etwas erreichen kann, fehlt leider manchmal. Ich habe selbst in meiner Arbeit gemerkt, dass ich von vielen Sachen noch keine Ahnung habe und sie mir mühsam erarbeiten muss. Deshalb bin ich den Leuten hier sehr dankbar, dass sie mich ernst nehmen, denn ich stelle einfach sehr viele Fragen. (lacht) Das und das möchte ich: a) Bekommen wir es hin? b) Wie bekommen wir es hin? und c) Ist das in der Zeit, die wir haben, umsetzbar? Man muss viel probieren und bereit sein, aus Fehlern zu lernen. Überhaupt freue ich mich darüber, was ich hier alles dazulernen kann. Denn ich bin der Überzeugung, wenn man nicht mehr lernt, wird man alt. Lernen hält jung. Deshalb war ich so glücklich über die Chance, etwas ganz anderes zu machen und habe diese von ganzem Herzen ergriffen.
Und ich wünsche mir, dass das Publikum bei ‚Sunset Boulevard‘ den Theaterabend sieht, den ich mir vorgestellt habe.
um: Vielen Dank für diesen sehr interessanten Einblick in Ihre Arbeit an ‚Sunset Boulevard‘ und viel Erfolg!
Das Interview führte Barbara Kern