Interview mit Drew Sarich über den Live-Mitschnitt der »Jesus Christ Superstar«-Osterkonzerte 2011

Jesus In Your Face

Drew Sarich war vom 21. bis 24. April 2011 in der Titelrolle von »Jesus Christ Superstar« im Wiener Ronacher zu erleben. Die Neuaufnahme der von Caspar Richter initiierten Osterkonzerte wurde erstmals von Musikdirektor Koen Schoots geleitet und live für eine Gesamtaufnahme der halbkonzertanten Aufführung aufgezeichnet.

Drew Sarich sprach über das Charakteristische einer Live-Aufnahme, die besondere musikalische Prägung durch das Orchester der Vereinigten Bühnen Wien unter Leitung von Koen Schoots und sein Verständnis der Rollenkonstellation von ‚Jesus‘ und ‚Judas‘.

united musicals: Was bedeutet Ihnen eine solche Live-Aufnahme einer ganzen Aufführung?

Drew Sarich: Ich bin ein begeisterter CD- und Plattensammler. Live-Platten sind immer spannend, da man alle kleinen „Hoppalas“ hört (schmunzelt) und die Energie des Publikums spürt. Man kann mitfühlen, wie der Bogen eines Konzertes ist. Die Live-Aufnahme eines Musicals finde ich immer etwas schwierig. Um das Gehörte hundertprozentig nachvollziehen zu können, muss man im Grunde dabei gewesen sein. Sonst ist eine gute Studioaufnahme besser. Ein Stück wie ‚Jesus Christ Superstar‘ jedoch schafft es für mich, beide Welten zusammenzubringen – Konzert und Musical – weshalb es am besten live klingt.

Natürlich denkt man immer: „Hoffentlich habe ich an diesem Tag gut gesungen!“ Man merkt beim Hören einfach, wenn etwas live klingt. Da gibt es kein Verschönern, kein Korrigieren. Es ist, was es ist. Bei einer Show wie ‚Jesus Christ Superstar‘ lebt die Aufnahme erst durch den Live-Klang. Dann ist es ein Genuss, sie anzuhören.

Drew SarichFoto: Nathalie Bauer

Drew Sarich
Foto: Nathalie Bauer

um: Agiert man auf der Bühne anders, wenn man weiß, dass mitgeschnitten wird?

DS: Nein. Ich lasse mich ohnehin immer gerne überraschen und liebe das. Egal ob aufgenommen wird oder nicht, spielt man seine Show und gibt so viel, wie man sonst auch geben würde. Man muss den Umstand vergessen, sonst würde die ganze Aufführung kippen. Jede Spontanität wäre dahin. Ich glaube, wenn wir erreichen, dass die tausend Menschen im Haus glücklich sind, werden auch die CD-Hörer glücklich sein.

um: Die Osterkonzerte der Vereinigten Bühnen Wien haben Tradition. Caspar Richter hat sie ins Leben gerufen, und nun werden sie durch Koen Schoots fortgeführt. Was ist für Sie das Besondere an ihnen?

DS: Ich sage immer — und das tue ich, seit ich 16 oder 17 Jahre bin: Wenn es ein Stück gäbe, von dem ich mir vorstellen könnte, es mein Leben lang zu spielen, dann wäre es ‚Jesus Christ Superstar‘. Durch Caspar Richter bin ich immer wieder in diesen Genuss gekommen. Und ich bin wahnsinnig froh, dass Koen Shoots es in die Hand genommen hat, die Osterkonzerte zu erhalten. Gleichzeitig freue ich mich, dass er mutig genug ist, ihnen seinen eigenen Stempel aufzudrücken. Caspar Richter ist eher vom klassischen Musical und der klassischen Musik gekommen. Er hat ‚Jesus Christ Superstar‘ aus großer Liebe zum Stück gemacht und einfach wunderbar.
Koen Schoots ist wie ich ein Rock’n’Roll-Liebhaber. Bei ihm weiß ich – auch von meinem Engagement bei ‚Tanz der Vampire‘ her – dass es mehr Gitarren und Schlagzeug gibt. Das Ganze hat etwas mehr Kraft und Druck. Koen hat sämtliche Heavy Metal-Einflüsse eingebracht, so dass es wirklich fett und teilweise sehr viel düsterer klingt. Es hat eine ganz andere Farbe, so dass jemand, der vielleicht noch nie im Musical war – und es gibt viele im deutschsprachigen Europa, die sagen: „Ach, Musical, das ist etwas Helles, Grelles und Leichtes“ — nach dieser Fassung von ‚Jesus Christ Superstar‘ sagt: „Wow, mich haben Gitarren ins Gesicht getreten und Schlagzeug in die Rippen. Ich habe eine fesselnde Geschichte gehört und ich bin von dieser kraftvollen Musik mitgerissen worden.“ Es ist Musik ins Gesicht anstatt einer, bei der man sich nach vorne beugt, um Klangbögen herauszuhören. Diese Musik rollt einfach über dich hinweg. Als Rockfan mag ich das sehr, wenn die Brutalität von Musik, die Lloyd-Webber in seinen Kompostionen hat, in Koens schärferer Würzung zum Ausdruck kommt.

um: Sie haben bereits ‚Jesus‘ und ‚Judas‘ gespielt. Beide Rollen haben sicher ihre Herausforderung und Emotionalität. Welche halten Sie schauspielerisch und/oder gesanglich für die anspruchsvollere? Welche spielen Sie persönlich lieber?

DS: Das ist eine sehr schwere Frage. Meiner Meinung nach sind sich beide Rollen sehr ähnlich — nicht nur wegen ihres Bühnenlebens oder der Musik. Beides sind Männer, die das Undenkbare durchmachen müssen. Dadurch macht es unglaublich viel Spaß, beide Rollen zu spielen. Der Judas kann Jesus die Show stehlen, und das mag ich an ihm. Auf einer Skala von eins bis zehn fängt er ungefähr auf elf an und geht nie von diesen elf ab. Bei Jesus ist es mehr ein Bogen, und er hat eines der besten Lieder aller Zeiten, das ihm keiner nehmen kann. Es gibt wenig perfekte Lieder auf der Welt, aber Gethsemane gehört dazu.

Was ich an der Rolle des Jesus liebe, ist die Gefahr. Es ist ein Risiko, so alleine auf der Bühne zu stehen, und Jesus zu spielen, da es Menschen gibt, die genau den Jesus, den sie kennen oder glauben zu kennen, sehen wollen. Und das gefällt mir nicht. Darin liegt die Verantwortung eines Darstellers festzulegen: „Was bedeutet dieser Mann für mich? … Wie kann ich mich von meiner Erziehung kurz distanzieren, um ihn besser zu verstehen.“

Bei Judas ist es fast genauso, weil er oft als der Böse gesehen wird, der den lieben Jesus verrät, ihn in den Tod schickt und sich dann schließlich selbst umbringt, weil er vom Teufel besessen ist … Dabei ist er im Gegenteil ein Mann, der im Stück den Willen Gottes erfüllen muss. Doch er kann überhaupt nicht damit umgehen. Judas ist die tragischere Figur. Meine Lieblingsverfilmung dieses Themas ist ‚Die letzte Versuchung Christi‘ (1988) von Martin Scorsese. Dort gibt es ein Gespräch zwischen Judas und Jesus, in dem Jesus sinngemäß sagt: „Wir haben beide einen Job, und ich beneide Dich nicht um Deinen. Alles, was ich tun muss, ist sterben. Du aber musst damit leben.“

Drew Sarich als Jesus bei der KreuzigungFoto: VBW / Isabell Schatz

Drew Sarich als Jesus bei der Kreuzigung
Foto: VBW / Isabell Schatz

Beide Rollen geben mir so viel. Wenn ich das machen könnte, würde ich beide Rollen gleichzeitig spielen (lacht).

um: Sie haben gerade die große Kraft des Titels Gethsemaneangesprochen. Wie bereitet man sich emotional auf ein Lied wie Gethsemane vor, wissend, dass man jemanden darstellt, der sein Leben für die Menschheit hingibt?

DS: Es ist so genial komponiert und geschrieben, dass man recht wenig machen muss, außer die Worte einfach arbeiten zu lassen. Das Einfache ist immer der beste Weg. Das Lied stellt eine Falle dar. Es verleitet dazu, zu viel „herumzuriffen“ (Riff, ein Begriff aus Rock- oder Jazzmusik bezeichnet eine Begleitvariation zum Hauptthema der Musik in schnellen prägnanten sich wiederholenden Akkordfolgen) und die Melodie zu ändern. Etwas, das ich auch manchmal unbewusst mache. Wichtig ist, sich klar zu machen, um was es geht: Das Ganze ist ein Gespräch zwischen Vater und Sohn — Sohn und Vater. Wenn es einem gelingt, es darauf zu reduzieren und man erst einmal zuhört, wo die Melodie hingeht, und was die Texte sagen, funktioniert das Lied von selbst. Findet man dann noch etwas, was für einen selbst cool ist, und was die Texte in ihrer Aussage unterstützt, ist das ein Bonus, aber das Lied macht es nicht besser (lacht). Es ist schon genial.

um: 2005 waren Sie mit Serkan Kaya als Judas auf der Bühne, mit dem sie auch auf der CD zur damaligen Produktion zu hören sind. Ihr jetziger Partner ist Mischa Mang. Was ist charakteristisch an der neuen Zusammenarbeit?

DS: Bei Serkan Kaya ist man durch die Art, wie er agiert, gezwungen, Theater zu spielen. Er ist völlig frei! Ich liebe seine Spontanität! Bei ihm weiß man nicht genau, wo er bleibt, endet und anfängt. Gerade deshalb funktioniert es! Schon, als wir uns das erste Mal angesehen haben, hat es zwischen uns beiden dramatisch gefunkt. Mischa Mang und ich hatten gar nicht so viel Zeit und Raum miteinander, auch weil die Aufführung diesmal dem Konzertkonzept treuer geblieben ist. Es war trotzdem cool mit ihm. Wir haben uns gegenseitig angebrüllt – das war superschön (lacht). Ich mag es, wenn jemand mir etwas anbietet. Mischa hat ganz klar gesagt: „So singe ich das jetzt, so klingt es, so bin ich.“ Damit kann ich arbeiten und spielen. Das ist besser, als wenn jemand mit hypothetischen Vorschlägen kommt, wie: „Wenn ich jetzt den hohen Ton länger halte, wäre das okay für Dich?“ Mein Motto ist: „Tue es, und ich schaue, wo ich lande!“ Da hatte ich bei beiden Glück, dass sie ihre Entscheidung getroffen haben. Es gab nicht viel Gespräch: Man sieht zwei Tiere, die aufeinander losgehen — das ist immer gut. Ich bin kein Freund von Vorsicht. Man muss bereit sein, alles zu riskieren. 90% der Zeit wird man dafür belohnt.

um: Verlangt das Stück dieses Etwas-riskieren besonders?

DS: Ich sage es mal so: „Jesus wurde nicht gekreuzigt, weil er nett war“ (lacht). Er wurde gekreuzigt, weil er einige Menschen angegriffen hat. Als das Stück herauskam, wurde dagegen — in Amerika wenigstens — heftig protestiert, weil es etwas gewagt, etwas Wichtiges behauptet hat.

um: Es hat ja auch mit einigen Klischees, die Sie schon nannten, und Vorurteilen aufgeräumt.

DS: Ich hoffe das! Es gibt auch Produktionen, wie den Film von 2000, die mich wahnsinnig machen, weil Jesus blond mit blauen Augen und liebem Lächeln dargestellt wird. So lieb sang er dann auch alles. Er war unerträglich nett. Ich habe keine Zeit für „nett“ — das gibt mir gar nichts, und damit erreiche ich auch niemanden.

um: Gibt es Titel oder Melodien im Stück, die Sie neben Gethsemane besonders mögen?

DS: O ja. Das ist das Stück am Ende von Simon, wo Jesus singt: „Understand what power is, understand what glory is …“ (singt). Ich habe die Vorstellung, dass Jesus diese kleinen Momente hat, wo er so ein bisschen wegtritt, und das Wort fließt einfach aus ihm heraus. So rein und so unaffektiert. Zugleich ist es das, was die Welt verunsichert hat. Es gibt die Sciencefiction und Mystery-Serie ‚Heroes‘ (2006-2010). Dort gab es einen Superhelden, der Maler war und immer die Zukunft malte. Es gibt den Moment, wo seine Augen so weiß vernebelt werden und er einfach anfängt, visionär die Zukunft der Einzelnen zu malen. So ist Jesus für mich auch in manchen Momenten, als ob er sich nicht bewusst ist, was er sagt. Das hat etwas Gefährliches, weil es etwas Instinktives ist. Er hat keine Zeit, zu überlegen.

Diese Passage am Ende von Simon sehe ich so. Jesus zerstört in ihr alles, was Simon Zealotes in einer Riesennummer von fast vier Minuten aufgebaut hat. Das Publikum ließ sich von seiner Darstellung des Kampfes gegen die Römer mitreißen. Dann kommt Jesus und macht alles in ca. 45 Sekunden nieder – ohne Absicht. Die Worte kommen einfach aus ihm heraus, wenn er sagt: „Ihr habt keine Ahnung von dem, was hier geschieht.“

um: In der Besetzung von 2011 sind große Namen der deutschsprachigen Musicalszene, die auch nicht das erste Mal dabei sind, beispielsweise Caroline Vasicek.

DS: Mit Caroline ist es immer ein Genuss zu spielen. Es gibt einige, die noch von der 2005er Produktion dabei sind. Das ist schön, denn das Ganze war für uns immer eine Herzensangelegenheit. So ist es im Kern in der Familie geblieben mit Rob Fowler, Caroline und auf jeden Fall Dennis Kozeluh. Ich würde barfuß über glühende Kohlen laufen, um wieder mit Dennis Kozeluh zu arbeiten. Er ist auch ein Darsteller, der sagt:“„Planen wir so wenig wie möglich, spielen wir einfach!“ Wenn er dann Regie macht, gibt er einem Platz und Raum dafür, Sachen auszuprobieren und auch die wichtige Möglichkeit, große Misserfolge zu erleben (grinst). Wenn es dann nicht funktioniert, sagt er gelassen:“Das hat nicht geklappt, machen wir es morgen anders.“

Mit Alexander di Capri war es so. Wir kennen uns zwar von ‚Tanz der Vampire‘, aber als Von Krolock hat man nicht unbedingt viel Kontakt zu anderen Menschen (lacht). Es war schön, etwas enger mit ihm zu arbeiten. Die Beziehung zwischen Jesus und Pilatus ist auch sehr wichtig. Wieder haben wir zwei unglaublich starke Männer, die aufeinandertreffen, und deren Leben sich dadurch verändert.

Auch mit anderen Leuten aus der Vampir-Cast zu arbeiten, wie u.a. Cornelia Brown (Soulgirl), Melanie Ortner und Gernot Romic (Ensemble), war toll. Das war mir auch sehr wichtig, da ich ja nicht so lange bei ‚Tanz der Vampire‘ sein konnte. Auf diese Weise hatte ich die Möglichkeit, in einem neuen Projekt mit diesen Menschen weiterzuspielen.

Drew Sarich als Jesus neben dem brennenden Kreuz VBW / Isabell Schatz

Drew Sarich als Jesus neben dem brennenden Kreuz
VBW / Isabell Schatz

Das Beste überhaupt— und das sage ich jedes Mal — ist das Orchester der Vereinigten Bühnen Wien. Für mich ist es das beste Orchester der Welt, was Musical angeht und vor allem für solche Stücke. Ich fand es super überraschend, aber bestätigend und schön, dass Harry Peller in einem Musicalmagazin eine Sonderkritik bekam, weil er bei jeder Show so präsent als Gitarrist ist. Bei ‚Jesus Christ Superstar‘ stand er häufig im Rampenlicht, konnte einfach aufstehen und die Bühne für sich nehmen. Wir hatten Momente bei Simon, wo er einfach mitgegrooved hat und umhergesprungen ist. Er ist ein Bühnentier. Eine Präsenz auf der Bühne hat aber auch Koen Schoots als musikalischer Leiter. Ich habe lange Zeit mit Bands gespielt, da will man seine „Band-e“ mit sich haben, seine Gang. Wenn man das Gefühl bekommt – auch vom Musikalischen her – wir sind alle hier zusammen, um etwas Wichtiges auf die Beine zu stellen, dann sieht man immer wieder die vielen Augen. Ich bin von hinten rechts durch die Streicher hindurch aufgetreten. Sie waren an diesem Tag meine Gang, und ich bin heute ein Cellist im Herzen. Immer wieder wird ‚Jesus Christ Superstar‘ mit Rockbands produziert, weil es ja rockig ist. Doch, wenn es keine Bläser gibt, wenn es keine Streicher gibt, sondern nur Gitarre, Bass und Schlagzeug, fehlt da etwas. Den letzten Titel, John Nineteen: Forty-One, mit Streichern, mit Glockenspiel und mit einem ganzen Orchester zu hören, ist atemberaubend.um: Was soll der Live-Mitschnitt des Konzertes den Zuhörern — Ihrem Wunsch nach — vermitteln?

DS: Jesus in your face! Das ist es. Wer diese Fassung hört und nicht bewegt ist, dem fehlt etwas in seinem Geist.

Vielen Dank für das intensive und an Eindrücken reiche Gespräch.

Das Interview führte Barbara Kern

Die Doppel-CD mit der Live-Aufnahme des Osterkonzertes ist für den 26. August 2011 angekündigt. Eine Besprechung folgt in der Septemberausgabe der blickpunkt musical.