Galgenhumor eines englischen Originals

»The Beggar's Opera« am Open Air Theatre Regent's Park

Macheath (David Caves) amüsiert sich mit den Huren (Ensemble) in einer Taverne
Foto: Alistair Muir

Der Erfolg der Dreigroschenoper schrieb 1928 Theatergeschichte. Zu verdanken ist dies zum Teil Elisabeth Hauptmann, einer Mitarbeiterin Bertolt Brechts, die vom sensationellen Revival der »The Beggar’s Opera« 1920 in London gehört hatte und den Text ins Deutsche übersetzte. Brecht adaptierte die »Oper« und machte daraus das uns bekannte Stück mit Musik.

Das Original, »The Beggar’s Opera«, die genau 200 Jahre zuvor, nämlich 1728, in England uraufgeführt wurde, schrieb selbst Geschichte. Als Reaktion auf die Beliebtheit italienischer Opern mit ihren adligen Helden und einem Gesang, den keiner verstand, schufen Autor John Gay und Produzent John Rich eine Opernsatire mit Räubern, Huren und korrupten Richtern, die dem gemeinen Briten viel vertrauter waren. Die Musik war eine Mischung aus bekannten Volks- und Opernliedern der Zeit, die selbstverständlich neue Texte erhielten. Die Arrangements stammten von Christopher Pepusch, der allein die Ouvertüre als Eigenkomposition einbrachte. Das Stück wurde ein Hit.

Regisseurin Lucy Bailey hat das ungewöhnliche Stück im passend rustikalen Ambiente des Open Air Theatres Regent’s Park auf die Bühne gebracht. Abgesehen von Licht- und Tontechnik, kann man sich gut vorstellen, dass die Vorstellung der von vor 200 Jahren recht ähnlich war.

In Macheaths Gefängniszelle ist Polly (Flora Spencer-Longhurst) nicht zimperlich, wenn es darum geht, ihre Beziehung zu Macheath zu verteidigen; Lucy (Beverly Rudd) ist dabei die Leidtragende
Foto: Alistair Muir

Gleich der Dreigroschenoper heiratet Polly (Flora Spencer-Longhurst) Macheath (David Caves), den Anführer einer Räuberbande. Ihre Eltern, Mr. und Mrs. Peachum (Jasper Britton, Janet Fullerlove), sind entsetzt, da sie wissen, was für ein umtriebiger Geselle Macheath ist. Anders als in der Dreigroschenoper ist Peachum jedoch kein Unternehmer, der Bettler ausstattet, sondern selbst ein Betrüger, der krumme Geschäfte macht. Die Beziehung zur Rechtsexekutive ist leicht verschoben. Während in der Dreigroschenoper Macheath mit dem Polizeipräsidenten Brown befreundet ist, verbindet hier Mr. Peachum eine Beziehung zu Mr. Lockit (Phil Daniels), dem Gefängnisleiter. Macheaths Affäre mit Lucy (Beverly Rudd), der Tochter Browns bzw. Lockits, ist ebenfalls vorhanden. Das gleiche gilt für Macheaths Vorliebe für Jenny (Lucie Skeaping), eine der Huren, die er regelmäßig besucht. In beiden Versionen wollen Mr. und Mrs. Peachum Macheaths Kopf, während Polly und Lucy um sein Herz kämpfen.

Die Inszenierung des Dreiakters verlangt den Darstellern körperliches Engagement ab, verliert aber durch die zuweilen dahin plätschernde Musik wieder etwas Tempo. Es ist jedoch bemerkenswert, dass das kleine Orchester (The City Waites) teilweise mit Instrumenten der Zeit aufwartet und insgesamt einen angenehmen Klang produziert, zu dem die Darsteller einen erstklassigen Gesang bieten.

Flora Spencer-Longhurst spielt eine hervorragende Polly, die sich ihre Liebe zu Macheath nicht nehmen lässt. Zart, jung und unbeirrt kommt ihre Figur daher. Auch Beverly Rudd als Lucy ist es ein Vergnügen zuzusehen. Mit ganzer Kraft setzt sie alles daran, Macheath zu halten. Ihre gemeinsame Szene, in der Lucy und Polly scheinbar ein diplomatisches Verhältnis aufbauen wollen, nachdem sie sich wegen Macheath kräftig in die Haare geraten waren, beginnt mit Pollys herrlicher Vorlage: »Pardon my passion, when we last met / Verzeihe meine Leidenschaft als wir uns das letzte Mal begegneten.«

Mr. Peachum (Jasper Britton) und Mr. Lockit (Phil Daniels) sinnieren, wie sie Macheath am besten ein Ende machen können
Foto: Alistair Muir

David Caves als Macheath hingegen ist eine sonderbare Besetzung. Er mag Ende 20 bis Anfang 30 sein und ist ein klassischer Adonis. Es ist zwar nachvollziehbar, warum junge Dinger wie Polly und Lucy ihm verfallen, aber nicht unbedingt, dass er der gewiefte Chef einer Räuberbande ist und ein zärtliches Verhältnis zu einer reiferen Hure hat. Die eloquenten Verführungskünste eines charmanten Schurken vermisst man hier. Sein irischer Akzent bleibt auch ein Rätsel.

Jasper Britton und Phil Daniels als Mr. Peachum und Mr. Lockit geben ein originelles Paar ab und spielen als Schurken in einer ganz anderen Liga. Auch sie haben ein denkwürdiges Verhältnis zur „Leidenschaft“. Während sie sich buchstäblich an den Kragen gehen und Mr. Lockit fast der Atem geraubt wird, kann Mr. Peachum es sich nicht verkneifen zu empfehlen: »You shouldn’t be so passionate / Du solltest nicht so leidenschaftlich sein!«

Ansonsten gibt die unerwünschte Liebe ihrer Töchter zu Macheath viel Anlass, ihrer unkonventionellen Haltung zur Liebe Ausdruck zu verleihen. Viel Lacher ernten beispielsweise Peachums: »The only reason to marry for a woman is to look forward to becoming a widow / Der einzige Grund für eine Frau zu heiraten ist, Witwe zu werden“ und „Hang your husband and be dutiful / Häng deinen Mann und sei pflichtbewusst.«

Die Stärke der Produktion liegt neben den Darstellern und den originellen Dialogen vor allem bei William Dudleys cleverer Ausstattung. Zwei riesige Holzkarren funktionieren nicht nur als Karren, sondern auch als Bett und, aufrecht gestellt, als Gefängniswände. Dazu gibt es natürlich Galgen und eine überdimensionale Holztonne, die geöffnet und liegend einen Wohnraum bietet, gleich eines Wagens, der jederzeit davon rollen könnte.

Lucy Baileys Inszenierung ist nicht nur feucht-fröhlich, sondern auch deftig-derb. Alltägliche Gewalt, Kriminalität und sexuelle Freizügigkeit des frühen 18. Jahrhunderts lauern an jeder Ecke. Es ist zweifellos eine beispielhafte Produktion des Stücks, das man nicht alle Tage zu sehen bekommt.