Marc Clear(Athos in ‚3 Musketiere‘ Berlin / Stuttgart / Tecklenburg, Titelrolle in ‚Jekyll & Hyde‘) legte 2010 in Tecklenburg mit der Freilichterstaufführung von ‚3 Musketiere‘ sein Regiedebüt vor. 2011 bringt er ebenfalls in Tecklenburg eine Neuinszenierung von ‚Jesus Christ Superstar‘ auf die Bühne. Marc Clear sprach über sein Verständnis von Glauben, die Symbolik seiner Inszenierung und den Umgang mit der deutschen Fassung.
UM: Was ist der Grundgedanke Ihrer Inszenierung von ‚Jesus Christ Superstar‘?
MC: Mir geht es um „Glauben“. Der Keim des Glaubens, dem wir auf der Bühne auch eine Form geben, trifft auf das Volk, auf die Welt, die ihn auf ihre Art interpretiert. Für mich sind all diese Interpretationen falsch.
Es wird eine konservative Inszenierung, d.h., wir lassen das Stück in der Zeit von Jesus und arbeiten mit Stilisierungen und Symbolen. Das Publikum kommt ja mit einer gewissen Erwartungshaltung. Ich möchte diese aufbrechen und zum Nachdenken anregen. Die Interpretation des Publikums ist mir bei diesem Stück sehr wichtig, und wir lassen ausreichend Raum dafür.
Für mich ist Glauben etwas ganz Persönliches. Man trägt ihn in sich und setzt diesen im Leben um. Jeder sollte seinen Glauben so gestalten, wie er es für richtig hält. Deshalb ist es immens wichtig, in der Inszenierung zu zeigen, wie dieser Keim des Glaubens – der Mensch Jesus – von Anfang an falsch verstanden wird – von den Römern, den Priestern und vom Volk. Jesus hat eine Botschaft, und diese wird grundsätzlich in einer Art und Weise interpretiert, die er nie gewollt hat.
UM: Wenn man die Bibel genauer liest, merkt man das auch.
MC: Absolut. In der Inszenierung kommen wir auch wieder auf den Punkt zurück, wo man sagen kann: „Was haben wir in zweieinhalb Stunden mit diesem Keim des Glaubens – mit diesem Mann – angerichtet? Was haben wir verbrochen?“
Wenn man die Welt heute sieht, hat sich nichts verändert. Was geschieht alles Schreckliches im Namen des Glaubens? Es hat so angefangen und geht so weiter. Wir sind im Grunde nicht zivilisierter geworden, sondern effizienter, das ist ganz etwas anderes. Wir können jetzt mit weniger Aufwand mehr Leute umbringen. So hart das klingt, aber es ist so.
UM: Der Attentäter in Oslo ist leider gerade ein sehr passendes Beispiel für das, was Sie sagen.
MC: Daran sieht man sofort, dass es möglich ist, wenn jemand nur den Willen und die Mittel dazu hat. Man kann nichts dagegen tun. Wer ist eigentlich Schuld? Sind wir, ist er oder ist die Gesellschaft Schuld? Da könnten wir jetzt stundenlang drüber diskutieren und kämen doch zu keinem Ergebnis. Die Gesellschaft macht den Menschen. Menschen, die meinen, dass sie dort nicht hineinpassen, die sich vernachlässigt oder ausgegrenzt fühlen, können solche Taten begehen. Das ist nicht zu vermeiden.
UM: Oder die sich von einem charismatischen Führer oder einer Gruppe in eine fanatische Richtung drücken lassen.
MC: Ganz genau, insofern ist auch unser Stück von einer immer wieder erschreckenden Aktualität. Denn auch im Namen Jesu kann jemand so handeln.
UM: Der Attentäter bezeichnet sich ja als ‚Christ‘.
MC: Welcher Christ macht so etwas, wenn er wirklich Christ ist. Aber, dass es auch in diese Richtung gehen kann, wird im Stück gezeigt: dieser Extremismus, ob es nun Islam, Hinduismus, christlicher Glaube oder katholischer Glaube ist. Ich hoffe, dass wir mit ‚Jesus Christ Superstar‘ etwas zum Denken anregen können – wenn auch im kleinen Rahmen.
UM: Sie haben von Symbolen gesprochen für den Umgang mit dem Glauben. Was wird man im Bühnenbild davon sehen?
MC: Wir haben bestimmte Bereiche, die erst einmal abgeschottet, durch Tücher verhüllt sind und dann geöffnet werden. Das Enthüllen geschieht durch die Protagonisten, sodass sie die Geschichte selbst vorantreiben. Das sind vor allem Judas und auch Jesus, die damit sagen: „So geht die Geschichte weiter.“ Man kann es so interpretieren, dass Jesus damit seinen eigenen Untergang einleitet, oder die Szene vorantreibt. Es zeigt die Entwicklung – das, was geschieht, wenn Sachen falsch interpretiert werden. Wenn etwas aus dem Ruder läuft oder Leute beeinflusst werden, die nicht einverstanden sind mit dem, was geschieht. Das wird in der Gestaltung der Bühne dargestellt, aber auch in einer Choreographie, bei der sich Leute in eine bestimmte Richtung bewegen. Das Ganze ist stilisiert, teilweise abstrakt. Es wird Abläufe in Echtzeit geben, aber auch ein Geschehen jenseits von Zeit und Raum.
UM: Wie sieht in Ihrer Inszenierung die Konstellation von Jesus und Judas aus?
MC: Für mich stehen Jesus und Judas auf einer Ebene. Judas ist auch Jesu Gewissen. Am Anfang sagt er, was geschehen wird und ganz genau so, wie er es vorhersagt hat, verhält es sich dann auch. Deshalb verstehe ich ihn als ein Negativ zum Positiv Jesus, wenn man an eine Diaprojektion denkt. Er ist das Gegenbild zu Jesus. Dabei geht es nicht um die Frage von richtig oder falsch. Judas hat wie Jesus eine Rolle in der Geschichte und muss sein Schicksal erfüllen, was nicht unbedingt freiwillig geschieht. Er klagt Gott im Stück an: „Du hast mich benutzt für Deine Tat!“ – das, was mit Jesus geschieht. Doch in alle Ewigkeit gilt er als der Verräter. Das ist etwas, das man erst mal verdauen muss.
UM: Welche Rolle spielt Maria Magdalena, auch im Verhältnis der beiden Männer?
MC: Für mich ist sie vieles, sie spielt ein wenig die Schlichterin und stellt das Sinnbild einer Frau und Mutter dar. Es ist ganz wichtig, dass sie nicht urteilt oder interpretiert. Sie ist einfach dabei und gibt Jesus im rechten Moment das, was er braucht. Wenn Maria Magdalena angeklagt oder verurteilt wird, zieht sie sich zurück und lässt andere richten. In dieser Hinsicht ist sie ein bisschen auch ein weibliches Pendant zu Jesus. Außerdem verkörpert sie viele Aspekte einer Frau: Sie ist Mutter und Frau, steht aber auch ein wenig über dem Schicksal und lässt sich von keinem der beiden benutzen. Maria Magdalena interessiert sich nur für den Mann Jesus und stellt fest: „Ich will ihn ja verstehen, aber ich verstehe ihn nicht“. Sie fragt sich: „Was passiert mit mir, wenn ich mit diesem Mann zusammen bin?“
UM: Sie spielen in Tecklenburg auf Deutsch. Das ist nicht oft der Fall. Welche Rolle spielt die deutsche Fassung für Sie?
MC: Ich finde die deutsche Übersetzung unzureichend, da sie teilweise falsch übersetzt ist und falsch betont. Ich habe als Engländer, der schon lange in Deutschland lebt, eine neue Fassung geschrieben. Dabei habe ich versucht, richtig zu übersetzen und zu betonen. Leider hat der Verlag diese abgelehnt. Es muss nicht unbedingt von mir eine neue Fassung geben. Ich würde mir einfach nur wünschen, dass es eine bessere Übertragung gibt, aber leider ist dem nicht so. Natürlich ist es das Recht des Verlages, an der Originalübersetzung festzuhalten. Damit müssen wir leben. Es gibt immer Abstriche, wenn man von der Originalsprache, in der ein Musical geschrieben ist, in eine andere Sprache übersetzt.
UM: Ist man heute vielleicht auch freier bei der Übertragung ins Deutsche? Michael Kunze sagte kürzlich in einem Interview sinngemäß: „Ich mache eine deutsche Fassung, keine Übersetzung.“
MC: Das ist sicher so. Ich denke aber auch, dass es damals einfach noch keine Regelung für Übertragungen gab. Jemand hat einen deutschen Text erstellt, ihn eingereicht und er ist angenommen worden. Ich glaube, wenn wir das jetzt neu hätten machen dürfen, wäre ein ganz anderer Text entstanden.
So ist es nun einmal. Man kann die Sprache immer zu einem Werkzeug machen, durch das sie funktioniert. Man kann Betonungen in der Musik herausholen, auch wenn das wahnsinnig aufwendig ist, weil man dabei immer wieder zum Text zurückgehen muss. Entscheidend ist, es ist möglich und schadet der Inszenierung nicht. Die Emotionen funktionieren auch mit dem deutschen Text.
Vielen Dank für das Gespräch und die Einblicke in Ihre Regiearbeit.
Das Interview führte Barbara Kern