Seit 1994 inszeniert der gebürtige Australier, der in Großbritannien lebt, Musicals bei den Brüder Grimm Märchenfestspielen Hanau. In diesem Jahr arbeitet er das zweite Mal mit Autor Kevin Schroeder zusammen, der Buch und Liedtexte für die Uraufführung von ‚Ali Baba und die vierzig Räuber‘ schrieb. Für das orientalische Märchen komponierte Frank Moesner die Musik.
Während einer Probenpause im Gras sitzend erzählte Marc Urquhart von seiner Arbeit am Musical ‚Ali Baba und die vierzig Räuber‘, das am 20. Mai 2011 Premiere im Amphitheater des Schloss‘ Philippsruhe in Hanau feiert.
United Musicals: Publikum und Darsteller sind bei den Märchenfestspielen von einem Zelt vor Regen geschützt.
MU: Es ist ein tolles Zelt. Ich denke da ganz als Architekt. Als ich jetzt von London hergeflogen bin und das Schloss mit dem Amphitheater unter mir liegen sah, dachte ich: „Oh, dieser wunderbare Platz gehört uns jetzt für diese Spielzeit!“ (lacht)
UM: Für Sie ist dies nicht die erste Inszenierung bei den Märchenfestspielen. Zum wie vielten Mal bringen Sie hier ein Musical auf die Bühne?
MU: Dies ist das 19. Mal. 1994 bin ich das erste Mal hierher gekommen. Ein Jahr habe ich zwei Inszenierungen (1999: ‚Jorinde und Joringel‘ und ‚Schneewittchen‘) gemacht und in anderen Jahren wurden Inszenierungen dann nach Japan und Russland übernommen. In Japan brachten wir ‚Die Bremer Stadtmusikanten‘ in das erstaunliche Nō-Theatre, in dem traditionell Themen ihrer Mythologie aufgeführt werden. Jedes Land hat seine besonderen Bedingungen. So konnten wir auf der Bühne zwar agieren, aber wegen des besonderen Holzes des Bodens keine schweren Bauteile aufstellen. In Russland gab es im ganzen Theater nur 100 Lampen, als wir im letzten Jahr ‚Scheewittchen‘ spielten.
UM: Letztes Jahr sind Sie bei ‚Schneewittchen‘ das erste Mal mit dem Autor von ‚Ali Baba und die vierzig Räuber‘ zusammengekommen, Kevin Schroeder. Wie charakterisieren Sie die gemeinsame Arbeit?
MU: Die Zusammenarbeit mit Kevin Schroeder ist wunderbar und einfach. Wir tauschen uns über unsere Ideen aus. Ich sage ihm, was ich mir vorstelle. Sie müssen wissen, ich bin ein visueller Mensch, kein Texter und habe auch nie geschrieben. Beim Lesen der Texte sehe ich Bilder, wie es aussehen und funktionieren könnte. Brauchen wir beispielsweise an einer Stelle ein Lied, dann sprechen wir darüber: Was soll es erzählen, welche Emotionen transportieren und wie sieht die Szene aus? So entsteht durch wechselseitigen Austausch eine sehr gute Zusammenarbeit.
Bei Ali Baba saßen wir zusammen und ich hatte die Idee einer Geschichte in der Geschichte. Kevin hat es dann aufgenommen und seine eigene Version daraus gemacht. Er ist ein unglaublich kreativer Mensch. So entstand einmal eine Szene buchstäblich über Nacht im Internet. Ich habe den Anfang einer Szene von ihm gelesen und dann mit ihm kommuniziert und einen Vorschlag gemacht. Der hat ihm gefallen und er hat ihn weiter gedacht, und so schrieben wir bis zur nächsten Nacht um 23:30 Uhr den Teil fertig.
UM: Wie würden Sie die Musik beschreiben, die Frank Moesner für das Stück komponierte?
MU: Sie ist leicht arabisch, hat einen orientalischen Klang. Es ist keine Märchenmusik wie (singt) When I Wish Apon a Star (‚Pinocchio – Disney‘). Statt dessen hört man „Pamparampam“ (demonstriert). Die Kompositionen haben Rhythmus und schaffen die Atmosphäre von Tausendundeine Nacht. Damit haben sie die Kraft, dich in eine andere Welt zu entrücken. Und das ist wichtig. Wir spielen Open Air und meistens auch an den Nachmittagen, vor den Sommerferien sogar morgens, wenn wir Schülervorstellungen haben. Das heißt, die Aufführungen sind zum größten Teil bei Tageslicht. Deshalb können wir wenig mit Licht machen, um eine entsprechende Stimmung zu erzeugen. Die Abendvorstellungen gibt es zwar auch, aber das ist ja dann gesondert.
Das ist deutsches Freilichttheater und eine wunderbare Tradition, dass an so vielen Plätzen in Deutschland gespielt wird. In England haben wir sehr wenig in dieser Art. Natürlich gibt es das unglaubliche Theater in Cornwall mit dem Meer im Hintergrund, wo sie jedes Jahr Shakespeare spielen. Dann haben wir Ludlow Castle, ein riesiges Schloss mit ganz wunderbarem Theater, aber auch hier ist es wieder Shakespeare.
UM: Die Gebrüder Grimm schrieben das Märchen ‚Simileberg‘, eine Art deutsche Version des Märchens von Ali Baba. Kennen Sie die Verbindung zwischen den beiden Texten?
MU: Alle Märchen und Volkssagen verschiedener Länder haben immer wieder gleiche Inhalte. Man weiß wenig darüber, wie sie zusammenhängen, oder von wo die Überlieferung ausging. Was ‚Ali Baba‘ betrifft, so habe ich etwas von einer englischen Dame, namens Margaret Taylor, gehört, die den Brüdern Grimm Geschichten erzählte und auch Texte ins Englische übersetzt hat. So haben diese gewiss auch das Märchen von ‚Ali Baba und die vierzig Räuber‘ gehört. Wir hier erzählen unsere eigene Geschichte, wobei wir das Abenteuer von Ali Baba mit dem Schicksal von Sheherazade verbinden. Sie erzählt ihr 1001. Märchen, ihre letzte Geschichte. Danach hat sie keine mehr, die sie erzählen könnte. Diese Situation der Entscheidung ist der Ausgangspunkt unseres Stückes. Was kann sie tun, um sich zu retten? So wird das Märchen lebendig und die Geschichten verschwimmen. Es ist manchmal nicht ganz klar, ob man sich im inneren Märchen oder in der äußeren Rahmenhandlung befindet.
UM: Welches sind die Hauptfiguren im Musical?
MU: Da ist Sheherazade, die Erzählerin, die in der inneren Geschichte auch Mardschana spielt, die Sklavin von Kassim, dem Bruder Ali Babas. Das ist eine Doppelrolle. Dann ist da der böse Sultan, der sie dazu bringt, Geschichten zu erzählen. Dieser verwandelt sich dann auf offener Bühne in Kassim, den Bruder von Ali Baba. Nach Kassims Tod erhält er eine neue Rolle als Räuberhauptmann Hussein, der Ali Baba versucht zu töten. Als Sultan hat er eine Haremsdame, namens Haseki, bei Kassim wird sie zu seiner Frau und heißt Kethinda. Ali Baba selbst ist ursprünglich Mirza, ein Diener des Sultans, der Teil der Geschichte wird, weil sie ihn vor Strafe durch den grausamen Sultan zu bewahren versucht. Schließlich sind da noch die Räuber, die ursprünglich Palastwächter sind. Alle diese spielen zwei bzw. drei Rollen ähnlichen Charakters. Der einzige, der das nicht tut, ist Baba Mustafa, ein Schuhmacher, der in der Erzählung eine geheimnisvolle Aufgabe erfüllt. Dann sind da noch fünf Personen: Tony, der live auf der Bühne Sitar und Flöte spielt. Er ist auch unser Fakir und spielt mehrere Positionen in der Geschichte. Außerdem gibt es drei junge Mädchen, die neu in unserem Beruf sind und für die es kleine tolle Parts zu spielen gibt. Und zum Schluss ist da Christopher, ein junger Amerikaner, der verschiedene kleine Rollen spielt. Sie alle gehören am Anfang zum Harem des Sultans, aus dem sie sich für die Geschichte um Ali Baba und Mardschana herauslösen und in eigene Rollen schlüpfen. Zusammen sind es dreizehn Akteure.
Ich verspreche, dass es nicht langweilig wird. Dem Stück zu folgen, verlangt „Arbeit“ vom Publikum. Es muss hinschauen und mitdenken, um zu verstehen, wie alles zusammenhängt.
Es wäre wunderbar, wir hätten auch noch Livemusik, aber das erlaubt das Budget nicht.
UM: In ‚Ali Baba und die vierzig Räuber‘ geht es, wie in Märchen überhaupt, ziemlich gewaltvoll zu. Wie sind Sie damit umgegangen?
MU: Wir haben ausgewählt, was wir zeigen können und müssen, damit die Geschichte stimmig bleibt. Letztes Jahr hatten wir Morde auf der Bühne, zwei Menschen wurden umgebracht und eine Person starb im Feuer. Und jeder sagte: „Das ist schrecklich, wie können Sie das Kindern zeigen?“ Ich stellte die Gegenfrage: „Haben Sie jemals ins Internet geschaut, jemals die Spiele gesehen, die ihre Kinder auf der Playstation spielen?“ Wie viele Gewaltspiele haben Kinder, in denen sie tausende von Menschen mit Bang-Bang erschießen. Märchen dagegen warnen, was geschehen kann. Und das möchten wir auch mit dem Musical.
UM: Sie meinen, es geht um die Moral des Ganzen?
MU: Ganz genau. Diese Geschichten haben eine Moral. Ich selbst bin in Australien geboren – mit einer deutschen Großmutter und Großtante. Und mein erstes Buch waren die „Kinder- und Hausmärchen“ der Gebrüder Grimm. So begleiten diese Märchen meinen Lebensweg (lacht).
UM: War das die Originalfassung der Märchen?
MU: Das waren die Originalmärchen, keine geschönte Fassung. Ich las von Aschenputtel und dem Abschneiden von Zehen und Ferse ebenso wie von der Blendung der Stiefmutter. Das ist besonders interessant, denn als ich ‚Aschenputtel‘ hier auf die Bühne brachte, waren alle entsetzt, dass ich das Blenden und das Aushacken der Augen durch Vögel umsetzen wollte. Ich habe dann selektiert und mich auf das Abschneiden von Zehen und Ferse mit Blut im Schuh beschränkt. Aber die Brüder Grimm haben all diese Mahnungen und Warnungen aufgeschrieben. Ich bin davon überzeugt, dass Kinder verstehen, dass das, was wir zeigen, passieren kann.
UM: Was ist die Botschaft der Geschichte, die am 20. Mai 2011 Uraufführung feiert?
MU: Sie ist: Sei tapfer, beweise Mut, wenn es darauf ankommt! Fürchte Dich nicht vor etwas, nur weil es Dir fremd ist. Schau nach vorne, es kommt ein neuer Tag. Nutze ihn!
Ich finde, dass ist in unserer Zeit eine ganz wichtige Moral des Stückes. Diese Welt ist derzeit nicht der schönste Platz. Das Musical soll Mut geben, sich dem Leben zu stellen und das Beste daraus zu machen.
UM: Vielen Dank für die Einblicke in Ihre Arbeit und ein herzliches toi-toi-toi allen Beteiligten für die Premiere!