Was bitte, ist ein Weltraumprinz? – Interview mit Martin Markert zum Musical »Space Dream« in Winterthur

Martin Markert ist seit dem 21. Oktober 2010 im Revival des Schweizer Erfolgsmusicals ‚Space Dream‘ als Erstbesetzung des Prinzen ‚Rodin‘ zu erleben. Am Tag nach der Premiere sprach der Darsteller über seinen Weg nach Winterthur, Bedeutung und Charakter des Schweizer Kult-Stücks und die gezielte Arbeit an seiner ersten tragenden Hauptrolle in einer Neuinszenierung.

Foto: Sandra Reichel

Martin Markert – Interview im stimmungsvollen Ambiente des Restaurants Casinotheater Winterthur
Foto: Sandra Reichel

um: Gestern war die Premiere des Revivals von ‚Space Dream‘? Wie ist das Gefühl einen Tag danach?

MM: Zunächst bin ich glücklich, dass es vorbei ist. Es fällt einem etwas vom Herzen, weil wir auf diesen großen Moment acht Wochen hingearbeitet haben. Ich freue mich, dass das Stück so gut angekommen ist. Sehr wichtig ist, dass ich auch mit mir zufrieden bin. Das war einen Tag vorher bei der Generalprobe noch nicht so. Ich sehe die Premiere deshalb als schönen Startschuss für das, was sich jetzt weiter entwickelt.

um: ‚Space Dream‘ ist ein Revival des ersten Musicals der dreiteiligen Saga. Damit hat das Stück eine Vergangenheit. Die Uraufführung des ersten und vielleicht berühmtesten Teils war 1994. Welchen Zugang hatten Sie zu dem Stück, kannten Sie es vorher?

MM: Ich hatte davon gehört, auch, dass es in Berlin spielte, kannte aber keine Musik daraus. Vor ein paar Jahren, zur Zeit von ‚Ludwig2‚, hatte ich bei Harry Schärer (Autor und künstlerischer Leiter von ‚Space Dream‘) schon einmal vorgesprochen, damals für das Musical ‚Melissa‘. Als ich dann die alternierende Besetzung des Schattenmannes nach Bruno Grassini in ‚Ludwig2′ bekommen habe, musste ich das Engagement in der Schweiz leider absagen und war etwas traurig, dass ich nicht beides machen konnte. Harry Schärer sagte damals schon etwas von einer Rolle, die er für mich in ‚Space Dream‘ sähe. Die Ausschreibung zum Vorsingen für das Revival kam zur Zeit als Kronprinz Rudolf-Cover bei der Elisabeth-Tour 2009/10. Da habe ich dann erstmals die Rollenbeschreibungen gelesen: ‚Solara‘ und ‚Rodin‘ – das sagte mir gar nichts. Und bei meiner Rolle stand einfach nur: „Rodin, ein hübscher Weltraumprinz, Spielalter 20-30“. Ich habe gedacht: „Was bitte, ist ein Weltraumprinz? (lacht) Na ja, etwas Prinzenerfahrung habe ich ja …“ (schmunzelt). Zunächst hatte ich keine Vorstellung, was man von mir erwartet.

um: Wie war dann das Audition-Erlebnis?

MM: Für die Audition habe ich das Solo aus dem zweiten Akt bekommen: Dreams Are Not Real. Als ich mich auf den Song vorbereitete, war ich doch etwas überrascht: „Ein Weltraumprinz singt so einen Song?“ Ganz neu war für mich das Vorsingen mit Microports und in Englisch. Jetzt im Nachhinein finde ich das eine gute Sache, weil das Team gleich sieht, wie die Mikrophonstimme funktioniert – gerade, weil in diesem Stück viel über den Sound geht. Ich habe zuerst Fortune Favors the Brave aus ‚Aida‘ gesungen und dann Dreams Are Not Real. Dieser Titel bedeutete anfangs eine Herausforderung, da er weit in den Bariton geht und nicht wie ein klassischer Musicaltitel gesungen wird, sondern wie ein Pop/Rock-Song. Ich habe selten so viel bei einer Audition gesungen wie hier. Ich habe den Titel bestimmt drei- oder viermal gesungen, zunächst auch noch in höheren Varianten. Für das Musical ‚Melissa‘ hatte ich damals für eine hohe Tenorpartie vorgesungen, und ich habe mich sehr gefreut, dass man mir diese Bandbreite bis zum Bariton zutraute. Der Funke ist sofort übergesprungen – zu meiner Freude von beiden Seiten. Wir haben herumprobiert und ich war vollkommen fertig danach – am nächsten Tag war der Callback. (lacht) Immerhin wusste ich jetzt schon, die Rolle muss groß sein, wenn ich so viel singen muss.

Nach der Audition bekam ich die DVD und das Angebot. Erst dann habe ich mich wirklich mit der Figur auseinandergesetzt, im Internet recherchiert und dem Kreativteam ganz viele Fragen gestellt, wie sich alles entwickelt hat. Ich habe auch Kollegen gefragt, die hier dabei waren. Und so setzte sich für mich peu à peu ein Puzzle zusammen. Das galt auch für das Erarbeiten der Songs. Die Probenarbeit war toll, weil ich mich einbringen konnte. Der Song, so wie er jetzt ist, enthält viel Eigenes von mir. Direkt nach der Audition bekam ich die Zusage für die Rolle. Irgendwann bin ich in das Ganze hineingewachsen. Schon während der Proben haben mir Leute geschrieben, sich Fans gemeldet. Das finde ich absolut faszinierend, denn es ist jetzt schon eine ganz andere Generation als damals, aber die Fans wollen ‚Space Dream‘ wieder auf der Bühne und das gibt eine Energie, die hilft, die Rolle zu gestalten.

um: Was hat sich verändert mit der Neuinszenierung? Welche neue Technik wird eingesetzt, gibt es neue Kompositionen, neue Texte? 

Einblick ins Cockpit von Rodins Raumschiff Foto: Think Musicals AG

Einblick ins Cockpit von Rodins Raumschiff
Foto: Think Musicals AG

MM: Klares Ziel war es, das ursprüngliche ‚Space Dream‘ in seiner Form zu belassen – das zu erhalten, was der Schweiz diesen Kult beschert hat. ‚Space Dream‘ ist das erste eigene Musicalprojekt der Schweiz zu einer Zeit, als außer den Vereinigten Bühnen Wien im deutschsprachigen Raum keiner eigene Musicals im großen Stil gemacht hat.

Aus der ursprünglichen Laienproduktion ist heute ein qualitativ hochwertiges, absolut professionelles Stück geworden, wobei im Chor, der aus Laien und Semiprofessionellen zusammen gesetzt ist, der ursprüngliche Kern erhalten blieb. Dazu kommen Profi-Solisten und Profi-Tänzer. Angepasst wurde die neue Fassung vor allem an die Darsteller und das, was sie mitbringen. Das Gesamtbild sollte stimmig sein.

Die Inszenierung passt sich auch der Zeit an: Als sehr sinnvolle Neuerung empfinde ich, dass Reachel die Anzeigen der Herren, die sich ihr anpreisen, nicht mehr in einer Zeitung liest, sondern auf einer Dating-Site im Internet. Das finde ich besonders witzig, da ich selbst drei Freundinnen habe, die ihr Glück über eine solche Partner-Seite gefunden haben. Wir haben ja auch als Kooperationspartner „swissfriends.ch“, den größten Anbieter in der Schweiz. Wenn ich insgesamt an die Sponsoren denke, für die ich vertragsmäßig Werbung gemacht habe, so habe ich das Gefühl, hier ziehen alle an einem Strang. Jeder hat etwas von dem Kuchen und Interesse an dem Erfolg des Musicals.

Neu sind beispielsweise auch die Kommandobrücken der Raumschiffe. Sie sind moderner geworden, mit ihren Flatscreens und in der ganzen Ausstattung. Auch haben wir jetzt noch einen unteren Bereich, den Maschinenraum. Die Bühne ist teilweise anders, und das Größte ist natürlich die Liveband. Harry Schärer sagte: „Wenn ich eine Liveband auf die Bühne bringe, dann nur, wenn ich sie in die Show inszenieren kann. Ich will sie nicht in den Orchestergraben oder irgendwo an den Rand der Bühne verbannen, dass man sie gar nicht sieht, und zum Schluss verbeugt sich der Dirigent.“ Ehrlich gesagt, war ich am Anfang skeptisch – denn wir machen ja kein Konzert. Dann habe ich das Ganze jetzt vor drei Wochen das erste Mal gesehen, als meine Zweitbesetzung gespielt hat. Ich habe die Band, ihre spezielle Lichtshow gesehen und nur gedacht: „Wow!“ Für mich ist das ein Feeling wie bei einem Rockkonzert in der Allianzarena und es wurden genau die Momente erkannt, wo man die Band wirklich in Erscheinung treten lassen kann. Als Darsteller auf der Bühne merkt man das während der Show selbst nicht, außer an der Reaktion des Publikums.

Die Kostüme sind weitgehend so belassen wie in der letzten Fassung. Als es damals hier in Winterthur spielte, war die Ausstattung – glaube ich – gegenüber Baden im Aargau noch einmal erneuert worden.

Musikalisch sind Lieder aus dem zweiten und dritten Teil der ‚Space Dream‘-Saga übernommen worden.

um: Welche sind das?

MM: Da sind Marsmania, das wir als Zugabe gesungen haben, Mother Earth (beide aus Saga 2, Anm. d. Red), mit dem der zweite Akt anfängt, und Peace (aus Saga 3, Anm. d. Red.), auch aus dem zweiten Akt.

um: Wie würden Sie die Musik des Stückes charakterisieren? Was transportiert sie?

MM: Ich finde die Musik sehr vielfältig: Zum einen gibt es tolle, mitreißende Popsongs wie Look to the Stars, der in der Schweiz sehr bekannt war. Das Lied kennen die Schweizer so gut, dass sie bei der Nennung des Titels spontan singen (lächelt). ‚Space Dream‘ hat mit seiner Musik Preise gewonnen, beispielsweise 1995 den Prix Walo (wichtigste Auszeichnung im Schweizer Showbusiness, gilt als „Schweizer Oscar“, Anm. der Red.), was hier eine große Sache ist. Erst 2007 hat wieder ein Musical diesen Preis gewonnen: ‚Ewigi Liebi‘.

Andere Teile der Kompositionen wiederum sind richtig spirituell. Dann kommen zu den Popsongs ja auch noch Rockelemente. Was ich von Anfang an ganz toll fand, und was mir bei den ersten Durchläufen zutiefst unter die Haut gegangen ist, ist die Kombination des Klassischen mit Rock. Erst einmal ist da die Geburt der Lumino, der Hüterin der Träume. Wenn sie das erste Mal in diesem Laserlicht erscheint, ist das musikalisch sehr modern umgesetzt: Da liegen E-Gitarren drunter, während sie klassisch feinen Pas de deux dazu tanzt. Das hat für mich eine besondere Wirkung. Da ist es ganz wichtig, dass bei der Ouvertüre alles stimmt. Wenn diese unter die Haut geht, zieht sie den Zuschauer direkt ins Stück hinein. Deshalb bin ich froh, dass Sie, Frau Kern, sagen, der Ton war gut. Denn der Ton ist mit das Wichtigste in einem Musical.

Diesen Gegensatz rockig – klassisch haben wir dann auch bei Solara, der Sonnengöttin. In ihren Songs sind Rockelemente und dazu kommt die klassisch geführte Stimme. Mich fasziniert diese Mischung. In meinen Augen ist in diesem Stück einfach schon rein musikalisch für jeden etwas dabei. Es ist nicht ganz so wie bei ‚Joseph‘, wo es von Rumba bis Rock’n Roll von allem etwas gibt, aber dann auch richtig Musical. Ich finde, man erkennt in ‚Space Dream‘ ein musikalisches Konzept. Absolut fantastisch finde ich, dass das Licht haargenau auf die Musik abgestimmt ist. Das hat in der Wirkung dann schon etwas von einem der großen Konzerte von Madonna oder Robbie Williams, bei denen es diese Abstimmung auch gibt.

um: Wie haben Sie sich auf Ihre Rolle als „Weltraumprinz“ vorbereitet? Kennen Sie die Science Fiction Filme, mit deren Elementen des Stück spielt?

"Ich mochte nämlich bisher keine Science Fiction Filme (lacht)." Foto: Sandra Reichel

„Ich mochte nämlich bisher keine Science Fiction Filme (lacht).“
Foto: Sandra Reichel

MM: Das ist eine ganz lustige Frage. Ich mochte nämlich bisher keine Science Fiction Filme (lacht). ‚Star Wars‘ und ‚Raumschiff Enterprise‘ sind etwas, was mich noch nie wirklich interessiert hat. Ich habe auch noch nie einen ‚Star Trek‘-Film gesehen. In der Zeit, in der das Stück entstanden ist, gab es ja ‚Raumschiff Enterprise‘ und das alles. Ich weiß, dass es ein paar Kleinigkeiten gibt, durch die Harry Schärer inspiriert wurde. Das meiste aber hat er kreiert. Elemente, die heute in manchen Filmen zu sehen sind, hat er sich damals erdacht.

Als ich anfing, mir ein Bild von der Figur des Rodin zu machen, bin ich erst einmal von meinen Vorstellungen ausgegangen. Ich hatte anfangs auch noch kein Skript, sondern bekam erst einmal die Noten mit den englischen Texten. Ich habe mir einfach gedacht – er kann ja ein Weltraumprinz sein, aber wir leben auf diesem Planeten Hexxor, der der Erde sehr ähnlich ist.

Besonders interessant fand ich deshalb die Idee, dass die Cruhls für die BRD stehen und die Tetons für die damalige DDR, mit der verbotenen Zone als Mauer dazwischen. Nachdem ich das wusste, haben sich für mich ein paar Fäden entwirrt. Das Bild soll aber dem Zuschauer nicht aufs Auge gedrückt, sondern eher unterschwellig vermittelt, werden. Ich finde den Ansatz und diese Herangehensweise gut und schlüssig. Die Konstellation im Stück hat schon ein bisschen was von diesem damaligen Gegensatz.

um: Wird dieser auch an den unterschiedlichen Farben deutlich?

MM: Genau, die Tetons haben eher kalte Farben: Blau- und Grüntöne. Bei den Cruhls dagegen herrschen eher warme Farben vor: Gelb- und Rottöne. Ich gehöre als Rodin zum Volk der Cruhl, die ihren Gefühlen trauen. Und mein Vater Ruven ist ein guter König, der seinem Volk zugeneigt ist. Das Volk der Tetons dagegen glaubt an die Macht der Technik, die dort viel ausgereifter ist. König Aquilon ist ein machtbesessener Herrscher, der zutiefst an den Segen des Fortschritts glaubt. Beide Völker leben auf Hexxor. Bei der Entwicklung der Rolle des Prinz Rodin war die Tatsache, dass dieser Planet in einer anderen Galaxie liegt, für mich zweitrangig. Vielleicht ist es sogar besser, dass ich Science Fiction nicht so sehr mochte. Dadurch habe ich auch kein Vorbild gehabt, dem ich glaubte, entsprechen zu müssen. Vielleicht sollte ich mir jetzt mal einen ‚Star Trek‘-Film anschauen (schmunzelt).

Ich habe mich immer an einem wirklichen Piloten orientiert und zu Anfang vorgestellt, ich fliege einen Airbus. Daher habe ich auch die Haltung des Rodin für mich kreiert, diese Pilotenhaltung, wenn es runter oder hoch geht. So wie wir es auch haben. Es war wichtig, dass ich denke und fühle, dass ich für ganz viele Menschen verantwortlich bin. Dazu passt auch, dass Harry mal gesagt hat, dass der sichtbare Teil, mit dem wir auf der Erde landen, nur der Lift ist. Das Raumschiff selbst und damit auch seine Besatzung ist viel viel größer.

Eine ganz tolle Idee finde ich auch, den Flug der Raumschiffe mit einer Lasershow darzustellen. Besser kann man es in meinen Augen nicht abbilden. Wir starten, und dann kann man sich gut vorstellen, wie wir jetzt durchs Weltall fliegen. Die Leute müssen sich auch keine Sorgen wegen der Laser machen, denn ich habe jetzt gelernt, dass der Laser nur gefährlich ist, wenn man sich ein oder zwei Meter vor ihm befindet. Wo das Publikum sitzt, oder auch wir agieren, ist die Entfernung ja viel größer und da ist er ungefährlich.

um: Sie haben mit dem Schattenmann in ‚Ludwig2‚ oder ‚Joseph‘ bereits tragende Hauptrollen gespielt. Rodin ist nun die erste, die Sie für eine Neuinszenierung erarbeiten. Wie müssen wir uns die Erarbeitung der Rolle vorstellen?

"Ich finde definitiv, dass 'Space Dream' auch ein Stück für junge Leute ist." Foto: Sandra Reichel

„Ich finde definitiv, dass ‚Space Dream‘ auch ein Stück für junge Leute ist.“
Foto: Sandra Reichel

MM: Es war schon eine große Entscheidung, den Rodin zu spielen, weil ich nicht so recht wusste, was auf mich zukommt. Auf der anderen Seite war es sehr spannend, mal eine Show zu machen, die ich gar nicht kannte. Einige Darsteller, die es damals gemacht haben, sind sehr bekannt in der Schweiz. Dass ich sie aber nicht kannte, war ein Riesenvorteil. Dadurch ist der Revival-Rodin – glaube ich – meine Kreation geworden. Ich habe mich nicht ablenken oder leiten lassen von einem Idealbild.

Natürlich gibt es für die Schweizer Bilder, die sie von Rodin haben. Roman Fischer, der ihn zuletzt vor sieben Jahren gespielt hat, und Roman Riklin, der die Rolle zuerst spielte, sind schon sehr bekannt. Und Fans ziehen Vergleiche. Ich habe schon bei früheren Produktionen Erfahrungen gemacht, dass sie zu Anfang schwer verzeihen, wenn man etwas anders spielt. Ich denke, ich bin ein anderer Rodin. Harry Schärer wollte das auch so, er hat mir vertraut, und das ist toll. Stimmlich und vom Auftreten waren die anderen so richtige Kerle. Doch mir ist einfach wichtig, dass die jungen Leute sich mit Reachel und Rodin identifizieren können. Ich finde definitiv, dass ‚Space Dream‘ auch ein Stück für junge Leute ist.

um: Ein Vorteil für jede neue Interpretation ist sicher die große Pause, die zwischen der letzten Aufführung und heute liegt. Harry Schärer sprach bei der Premiere des Revivals von einem Generationswechsel.

MM: Das ist sicher richtig. Ich finde auch, man sollte da offen sein. Jeder Darsteller soll seine eigene Farbe in eine Rolle einbringen. Das ist unser Beruf, und ich will niemanden kopieren, wenn ich es nicht muss. Ich wünsche mir, dass die Zuschauer dafür offen sind. Ich selbst möchte doch auch, wenn ich im Publikum sitze, von dem Stück berührt werden.

Der Rodin ist eine ganz tolle, vielseitige Rolle. Ehrlich gesagt, war mir das nicht von Anfang an klar. Ich genieße die Freiheit, mich selbst in die Interpretation einer Rolle einbringen zu können. So habe ich versucht, Rodin das Leben zu geben, das ich mir dachte. Er ist sicherlich freier als Rudolf in ‚Elisabeth‘. Denn Rodin ist ganz anders aufgewachsen und kann sich auch gegenüber seinem Vater weit mehr herausnehmen. Durch die intensive Zusammenarbeit mit dem Autor, der viel Wert auf die erklärenden Subtexte legt, habe ich erkannt, dass es wichtig ist, die Figur natürlich zu spielen. Rodin sollte kein abstrahierter imaginärer „Weltraumprinz“ sein, sondern ein freier junger Mann, so ein bisschen in Richtung eines ‚Sonnyboys‘ tendierend. Man sollte sich vorstellen, dass er auch auf der Erde leben könnte.

Spannend sind für mich die Popsongs. Meine Aufgabe war es, mich etwas vom Musicalgesang zu lösen, nicht zu viele Phrasierungen und Vibrato einzubauen. Das war zu Anfang nicht leicht. Ich bin in ‚Space Dream‘ einmal nicht nur als klassischer Musicalsänger gefordert, sondern kann mal richtig rocken. Ich bin sehr frei dabei und darf auch in meinem Song variieren. Das ist aber auch gefährlich. Wir hatten jetzt schon ganz viele Durchläufe und ich musste lernen, nicht zu viel im ersten Akt zu machen, damit ich im zweiten noch voll da bin. Gerade für mich ist das schwer. Bei mir entsteht der Gesang immer aus dem Moment und ich kann da nicht denken: „O, jetzt musst du weniger machen!“ Nur merke ich das dann auch. Abends bin ich dann vollkommen tot. Wir spielen 5 Shows die Woche, und es macht Spaß. Wenn man 9 Shows wie in Frankfurt (‚Elisabeth‘ 2009, Anm. der Red.) spielt oder 8 Shows und dann noch Doppelshows, kann man irgendwann nicht mehr, sondern muss sich sehr zusammenreißen, um da zu sein.

Natürlich spüre ich die Eigenverantwortung für die präsente Rolle, die ich spiele. Ich muss absolut professionell sein, darf das Ganze niemals einen Moment schleifen lassen. Die anderen verlassen sich auf mich. Wenn eine Show läuft, läuft sie und die Qualität hängt sehr daran, dass wir alle auf den Punkt da sind, vor allem natürlich die Solisten in den Konstellationen mit ihren Partnern. Selbst wenn ich gerade nicht solistisch auf der Bühne agiere, bin ich trotzdem Teil des Ensembles. Es macht mir einfach sehr viel Spaß. Für mich ist das Ganze mit Licht und viel Schauspiel und Bewegung ein tolles Gesamtobjekt.

um: Wie waren die Proben im Vergleich zu den bisherigen Produktionen, die Sie gespielt haben?

"Es gab mir gesanglich und vom Spiel mehr Möglichkeiten, Rodin zu meinem zu machen." Foto: Philipp Schlaeper

„Es gab mir gesanglich und vom Spiel mehr Möglichkeiten, Rodin zu meinem zu machen.“
Foto: Philipp Schlaeper

MM: So etwas habe ich noch nie erlebt. Ich bekam Anfang Mai einen kompletten Probenplan für jeden Tag vom ersten September bis zum Tag der Premiere. In einer Excel-Tabelle steht jeder Tag drin und jeder Darsteller ist gelistet, auch Chor und Technik. Ein graues Kästchen hieß, man muss da sein, ein braunes, man muss nicht oder es war eben leer. Ich musste so lachen, als ich das bekommen habe. Damals im Mai habe ich gedacht: Das kann ja nicht sein. Wie können die jetzt schon wissen, wie geprobt wird? Es sind auch alle freien Tage eingezeichnet. Da steht genau drin, wann eine Lichtprogrammierung stattfindet, wann Soundcheck ist. Und letztendlich – es wurde sich genau an diesen Plan gehalten. Es wurde kaum überzogen, kaum etwas ausgetauscht. Ich war begeistert und hatte das noch nie so erlebt. Natürlich kennt Harry Schärer das Stück sehr sehr gut. Er hat es – glaube ich – jetzt schon fünfmal inszeniert und weiß genau, was er will. Dennoch war diese zielgenaue Planung mein erster Eindruck von der Arbeit hier. Als wir jetzt vor zweieinhalb Wochen das erste Mal mit allen geprobt haben, stand auch das verzeichnet und war terminlich genau geschafft.

um: Wie lange und wie viele Stunden am Tage wurde geprobt?

MM: Das war unterschiedlich, weil das hier ein bisschen mehr aufgeteilt ist. Die Solisten haben miteinander geprobt, die Tänzer und der Chor extra. Ich hatte zwischendurch auch immer mal frei, an einem anderen Tag gingen die Proben zehn Stunden hindurch. Am heftigsten waren jetzt die letzten zweieinhalb Wochen. Da haben wir wirklich von morgens bis abends Durchläufe gehabt und Szenen gestellt. Dann kamen die Szenen im Ablauf, bei denen auch zwischendurch noch einmal umgestellt wird sowie viel mit Licht und Sound ausprobiert wurde. Das war dann sehr anstrengend, da haben wir an manchem Tag zweimal den ersten Akt und zweimal den zweiten Akt hintereinander durchgeführt.

um: Welche Erfahrungen haben Sie während der Proben gemacht? Gibt es Unterschiede zur Arbeit in Deutschland?

MM: Der Rodin ist ja mein erstes richtiges Engagement bei einer Schweizer Produktion – auch wenn ich in der Schweiz schon viel gearbeitet habe. Als ich mit ‚Elisabeth‘ in Zürich war, gab es kaum Unterschiede zu Deutschland bei dem, was sich im Hintergrund abspielt. Gleiches gilt für ‚Joseph‘ in Basel.

Bei ‚Space Dream‘ jetzt ist es für mich ein bisschen wie mit ‚Ludwig2‚ zu Anfang. Was ich sehr schön finde: Sie haben dieses eine Theater, diese eine Show und alle, die in diesem Haus sind, arbeiten für diese eine Show. Es gibt nicht zehn andere große Häuser, und wir machen das und die machen jenes. Es geht wirklich um dieses Produkt. Alle ziehen an einem Strang. Und man sitzt nicht in Hamburg, um für Stuttgart zu arbeiten.

In ‚Elisabeth‘ kam für das Ensemble das Staging und die komplizierten Choreographien dazu, so dass man einfach sehr viel zu tun hatte. Dafür habe ich jetzt hier die Auseinandersetzung mit der großen Rolle. Ich musste viele Soloauftritte und Lieder einstudieren und proben. Das hieß für die Arbeit, dass ich immer sehr viel mit meinen beiden Robotern (Roboto und Mega) und natürlich Reachel (Melanie Bayer) geprobt habe. Wir haben uns auch privat noch häufig getroffen. Trotzdem war es ein weniger entspannter, als ich es von Deutschland kenne, was sicher auch an der genauen Zeitplanung liegt.

Ich habe das gesamte Material Anfang Juni bekommen – Noten, Textbuch. Und es wurde auch erwartet, dass man zu Probenbeginn die Rolle intus hat. Man sollte Text und Gesang vorher studieren. Wir haben dafür Playbacks bekommen, um zu wissen, wie es klingen soll. Ich habe vorher schon mit Korrepetition und Gesangsunterricht alles sehr sehr intensiv vorbereitet, wodurch wir natürlich auch besser starten konnten.

Obwohl Harry Schärer genau weiß, was er will, hatte ich hier Freiheiten, wie ich sie sonst selten habe. Er selbst hatte Ideen und fragte mich nach meiner Meinung dazu. Dann hat er gesagt, ich soll es doch einfach mal versuchen. Dazu kamen die Momente, in denen ich sagte: „Können wir das nicht mal in die Richtung versuchen?“ Er war immer offen, nett und respektvoll, hat gesagt: „Ja, lass uns das mal probieren.“ Und vieles hat er angenommen. Das war super. Es gab mir gesanglich und vom Spiel mehr Möglichkeiten, Rodin zu meinem zu machen. Auch Auf- und Abgänge wurden angepasst oder mal ein Text variiert. Dadurch konnte ich mich manchmal freier entfalten und habe mich getraut, mehr auszuprobieren. Natürlich alles innerhalb seines Konzeptes. Ich will ja die Rolle auch nicht neu erfinden. Ich glaube trotzdem, dass ich bei den Proben mutiger war, weil diese Interaktion stattfand. Es war schon eine wirklich schöne Arbeit.

um: Welche Rolle spielte für Sie die Arbeit mit dem Choreographen?

"Hier gehört der Kontakt mit dem Publikum – das Aufbrechen der vierten Wand dazu - es macht den Reiz aus." Foto: Philipp Schlaeper

„Hier gehört der Kontakt mit dem Publikum – das Aufbrechen der vierten Wand dazu – es macht den Reiz aus.“
Foto: Philipp Schlaeper

MM: Mark Wuest war für mich eine neue Erfahrung als Choreograph: Er strahlt eine große Ruhe aus und beruhigt auch mich. Seine Korrekturen kamen in einem ruhigen netten Ton. Es war einfach eine tolle Arbeit mit ihm. Er hat jeden irgendwo gleich behandelt. Man merkt, er kommt vom Modern Dance. Was unsere Profi-Tänzer da machen, ist richtig schwer zu tanzen. Das ist eben dieses Modern, das fast schon in Richtung „Dance Company“ geht. Es bedeutet immer ein Wagnis und ich hoffe, dass das Publikum diese Leistung würdigen kann. Diese Art passt in meinen Augen unheimlich gut auf die spirituelle Musik. Ich freue mich auch über so viel Tanz in der Produktion. Für mich ist das in den letzten Produktionen, die ich gesehen habe, etwas vernachlässigt worden.

um: Auch Sie haben Momente, in denen Sie im Publikumsraum stehen. Wir hören häufiger, dass diese Nähe zum Publikum für einen Darsteller immer wieder aufregend ist. Wie gehen Sie damit um?

MM: Diese Interaktion war auch für mich etwas ganz Neues, an das ich mich erst gewöhnen musste. Wenn ich mit dem Lied, in der sich die Mannschaften vorstellen, dann durch das Publikum laufe, die vierte Wand durchbreche und in die Gesichter schaue, darf ich trotzdem die Rolle nicht verlieren. Man ist nicht mehr im Schutz der Bühne, man muss auf einmal raus und hat die Gesichter fast vor der Nase (lacht). Ich bin mit der Choreographie schon sehr dicht an den Leuten dran, weil ich sie ja als Pilot der Cruhls auch auf meine Seite ziehen will, aber anfassen tue ich nicht.

Sonst ist es klar, man ist hinter dem Licht, sieht das Publikum nicht, man hat sein Stück, seine Rolle – das ist einfach. Hier gehört der Kontakt mit dem Publikum – das Aufbrechen der vierten Wand dazu – es macht den Reiz aus.

Bei meinem Solo Dreams Are Not Real dann im zweiten Akt möchte ich von den Zuschauern natürlich auch diese Hilfe, diese Kraft und Energie, damit ich sie zurückgeben kann. Da schaue ich genau in die Augen. Das war am Anfang nicht leicht, dabei doch drin in der Rolle zu bleiben, die ich spiele. Erst einmal den Song zu singen, im Timing zu bleiben. Wenn Du ins Publikum gehst, bist du im Lay back mit der Anlage und hörst die Musik auf einmal ganz anders als auf der Bühne. Wenn du dann noch die Treppen hochrennst, während du singst, brauchst du Ausdauer und Puste. Das waren schon so Herausforderungen, und es freut mich wahnsinnig, dass es funktioniert.

um: Es wirkt in dieser Szene, als ob Sie das Licht dirigieren.

MM: Da ist der Song auch ganz genau im Timing der Bewegungen choreographiert. Das war faszinierend bei den Proben. Ich habe das natürlich geübt, und als ich das jetzt das erste Mal als Zuschauer bei meiner Zweitbesetzung gesehen habe, hatte ich Gänsehaut.

Harry Schärer war einer der ersten Regisseure, der Wert darauf legte, dass das Publikum alles sieht. Die Cityhalle ist, wie ich finde, super gebaut. Man kann überall gut sehen. Auch in den letzten Reihen noch ist man drin im Geschehen, weil die Bühne breit bespielt wird. Dennoch hat Harry Schärer mir oft gesagt: „Halt, jetzt sieht der ganze rechte Block nichts!“ Er möchte, dass keiner im Publikum ausgeblendet wird. Das war wirklich schwer für mich, weil ich manchmal Momente hatte, wo ich vom Gefühl her, erst die Dialoge zu meinem Partner sprechen wollte. Ich habe das dann auch angesagt, aber dabei die gesamten hundert Leute hinter mir ausgeblendet. Der Regisseur hat darauf bestanden, dass ich das erkenne und es anders mache. Oder auch wenn ich auf die Reachel zugehe: Ich muss dann öffnen, damit die Leute sehen, wie wir uns das erste Mal berühren, und nicht nur die Seite, die links sitzt. Das war ein interessantes Erlebnis und ich habe viel gelernt.

um: Wenn Sie sich den Charakter des Rodin jetzt erarbeitet haben, welche Rolle spielt ‚Rodin‘ in dem Stück? Welche Stärken und Schwächen hat er?

"Für mich ist wichtig, dass man Rodin vertrauen kann." Foto: Think Musicals AG

„Für mich ist wichtig, dass man Rodin vertrauen kann.“
Foto: Think Musicals AG

MM: Rodin ist in jedem Fall jemand, der genau weiß, was er will. Für sein Volk, seine Familie, seine Freunde tut er einfach alles. Das schönste Bild von Harry war: „Wenn Rodin Tauchlehrer wäre, würden alle nur mit ihm tauchen wollen, weil sie ihm vertrauen.“ Das ist genau das, was ich auch fühle und denke. Ich habe den Eindruck, er sieht die Dinge früher. Er hat Ahnungen, auch wenn er sie vielleicht nicht gleich so greifen kann. Dazu gehört auch, dass er die Sira am Anfang in der verbotenen Zone laufen lässt. Er weiß genau, dass er grundsätzlich einen Riesenfehler macht und sogar gegen seinen Vater vorgeht. Aber er spürt, dass auch das Menschliche stimmen muss. Er erkennt ja in ihren Augen, dass richtig ist, was er tut. Letztendlich ist es für den Verlauf der Geschichte ein kluger Schritt. Für mich ist wichtig, dass man Rodin vertrauen kann. Er ist ein sehr ehrlicher Mensch und nicht so gut darin, Gefühle zu verstecken. Wenn er mit Reachel zusammentrifft, ist das für ihn „Wow!“, und das merkt man dann auch. Er ist sehr offen, hat dann schon mal das Problem, dass ihm die wesentlichen Dinge für einen Moment entgleiten, aber er fängt sich und weiß genau, worum es geht.

um: Er hat auch eine besondere Beziehung zu Roboto und Mega. Für ihn sind es nicht einfach Maschinen.

MM: Ja. Sie sind für ihn ganz wichtige – ich würde fast sagen – „Menschen“. Er weiß genau, dass er ohne sie bei dem Rennen abgestürzt wäre. Er hat keine Ahnung, was er tun soll, als der Energiespeicher explodiert. Roboto hat die Idee, auf der Erde zu landen. Er gibt ja auch den Kurs an. Rodin vertraut den Robotern und glaubt an sie. Und es widerstrebt ihm deshalb auch, Roboto in den Meteor fliegen zu lassen. Er ist niemand, der sagt, na, dann baue ich den wieder neu. Diese Dreierkonstellation Rodin – Roboto – Mega – ist etwas, das auf unserer – der Cruhl-Seite – ganz klar herauskommen muss. Wir gehören zusammen und mögen uns sehr. Trotzdem muss klar sein, dass Rodin der Chef ist. Ich habe mir immer kleine Momente gesucht, wo das deutlich wird.

um: Wenn Sie sich wenig mit Science Fiction beschäftigt haben, harmoniert für Sie Science Fiction und Musical?

MM: Ich glaube schon. Science Fiction ist ja auch so etwas wie ein modernes Märchen. Es passieren viele Dinge, die so gar nicht stattfinden könnten. Für mich ist ‚Space Dream‘ eine Art Märchen.

Das Rennen findet immer wieder statt – im Abstand von 300 Jahren oder so. Wer verliert, muss immer mehr von seinem Gebiet an die verbotene Zone abgeben. Irgendwann wird diese verbotene Zone von einem der Völker wirklich übernommen. Dann heißt es halt, dass das jeweils andere Volk sich unterwerfen muss. Solara weiß das, denn sie sieht, dass die Situation zwischen Tetons und Cruhls irgendwann eskalieren wird. König Aquilon verhält sich ja schon fast wie ein Diktator. Ich finde es einen tollen künstlerischen Schachzug, den Impuls von Solara ausgehen zu lassen. Sie erfindet die Existenz eines Meteors und macht gleichzeitig klar, dass dieses Böse nur von beiden Völkern gemeinsam besiegt werden kann. Dass sie es ist, die Mächtige, die sich ja auch durch die klassische Stimme von allen abhebt, gibt ihr für mich eine noch größere Macht und auch Weisheit. Mit Melanie Adami hat man eine wirkliche Opernsängerin besetzt. Dass sie in diesem Stück mitmacht, bewundere ich sehr. Gerade wegen der Polemik, die in Punkto Musical und Oper besteht. Ihr Auftreten, besondere Haltung und der Gesang geben der ganzen Show noch einmal eine besondere Wirkung. Das gehört für mich auch zu Science Fiction oder dem märchenhaften Element.

Es gibt im Stück eine Stelle, in der Solara mich durch die Seher-Augen schon einmal anschaut, ohne dass ich es merke. Sie steht immer im Hintergrund und erzeugt mit ihrer Macht bei den Leuten einen solchen Schrecken und Ehrfurcht vor dem Meteor, dass sie wirklich erstarren. Mein Navigationsrobotter Roboto ist der einzige, der etwas bemerkt, aber er weiß nicht, was er bemerkt. Letztendlich – und das ist auch das Märchenhafte – hat er dann ja doch auch so etwas wie Gefühle. Während ich mehr oder weniger intuitiv merke, was ich tun muss, ist Sira, der Tochter König Aquilons, viel zu verdanken, da sie durch die Kommunikation mit der Göttin das Umdenken anstößt, so dass das Böse abgewendet werden kann.

um: Damit hat ‚Space Dream‘ eine Botschaft.

MM: Das ist etwas, das ich als Darsteller ganz wichtig finde. Wenn man es schafft, dem Zuschauer, etwas mitzuteilen, etwas in ihm zu bewegen. Man kann die Geschichte ja wunderbar auf unsere Zeit übertragen. Es gibt so viele Beispiele, wo man die Kritik der Solara oder die Botschaft, darauf zu achten, wie man miteinander umgeht, genauso sehen könnte. Aber vor allem die wichtigste Botschaft des Stückes, die zur Recht immer wieder hervorgehoben wird: Träume nicht dein Leben! Lebe deinen Traum!

um: Sie haben gesagt, dass Sie erst bei der Audition erfahren haben, dass die Lieder in Englisch sind. Wie empfinden Sie das Zusammenwirken von deutschen Dialogen und englischen Liedtexten?

MM: Mittlerweile finde ich das Ganze schlüssig, aber am Anfang war es schwierig, und ich habe mir wirklich die Frage gestellt: „Warum ist das Englisch?“ Den Liedern gibt es in gewisser Weise einen eigenen Charakter, unterstützt vielleicht auch die Pop Song-Ebene. Was ich gut finde ist, dass man damit ein internationales Publikum, das die deutsche Sprache nicht unbedingt spricht ist, erreicht. Außerdem bekommt man über die Dialoge als jemand, der des Englischen nicht so mächtig ist, die Handlung gut mit. Da wird wirklich alles erklärt. Das finde ich sehr wichtig, und zudem sind die englischen Texte nicht zu schwierig. Ich finde, dass man sie versteht, wenn man etwas Englisch kann. Für mich als Darsteller bedeutet es eine zusätzliche Herausforderung, die Aussage der englischen Songs noch deutlicher zu vermitteln.

um: Die Pop Songs sind sehr gut, die Chorpartien etwas schlechter zu verstehen und besonders schwer wegen der klassischen Artikulation die Rolle der Solara, weil hier eine Opernsängerin klassisch gebunden singt.

MM: Das stimmt, ich habe mich auch mal hineingesetzt, um zu hören, wie es ankommt. Solara, die ja gerade in dem ersten Lied viel Wichtiges zu erzählen hat, ist nicht leicht zu verstehen, zumal für jemanden, der des Englischen nicht so mächtig ist. Um so wichtiger ist es, dass die Dialoge die wichtigen Punkte zusammentragen. Schauspiel spielt im Stück ja auch eine große Rolle, und da müssen wir es eben leisten, die Geschichte zu transportieren. Auch jemand, der nicht alle Songs versteht, soll rausgehen und trotzdem die Geschichte verstanden haben. Ein Schweizer oder Deutscher, der hinein geht, soll ja nicht vorher Englisch können müssen. Ich bin froh, dass es so gut funktioniert. Für mich bedeutet der Umgang mit dem Englischen auch eine Herausforderung. Es ist das erste Mal, dass ich mit dem Mikro auf der Bühne so viel mit Englisch zu tun habe. Das war anfangs auch gar nicht so einfach. Eine Freundin aus England hat mir geholfen und wir haben im Team ja auch viele Engländer oder Amerikaner, die ich gebeten habe, mich zu verbessern. Denn aus dem Deutschen ist es immer mit dem „Th“ nicht so leicht.

um: Es gibt jetzt auch ganz typische Schweizer Musicals wie ‚Dällebach Kari‘ oder ‚Die Schweizermacher‘. Welchen Stellenwert denken Sie, hat Musical in der Schweiz?

Ich denke: "Musical hat durchaus einen hohen Stellenwert in der Schweiz" Foto: Philippe Schlaeper

Ich denke: „Musical hat durchaus einen hohen Stellenwert in der Schweiz“
Foto: Philippe Schlaeper

MM: Ich denke, Musical hat durchaus einen hohen Stellenwert in der Schweiz. Der Geschmack ist teilweise anders als in Deutschland. Da ich ja auch Erfahrungen mit Musical in verschiedenen Ländern gemacht habe, weiß ich: Das Publikum ist immer unterschiedlich. Das war hier auch mit ‚Elisabeth‘ anders als in Berlin beispielsweise. Was ich ganz toll finde an ‚Space Dream‘ und gerne immer wieder betone: Ein Schweizer Kreativ-Team hat sich das erste Mal getraut, eine eigene Show zu machen. Zu dem Zeitpunkt 1994 hat das in der Größe keiner gemacht, vielleicht mit Ausnahme der Vereinigten Bühnen Wien, aber da waren Subventionen dahinter. Hier war das eine kommerzielle Geschichte, die sich selbst tragen musste. Ich bewundere, dass sie damals diesen Schritt gegangen sind und so erfolgreich waren. Ich glaube, 1500 Shows wurden insgesamt über die vielen Jahre gespielt. In Deutschland lief dann noch einmal die größere Version zwei Jahre in Berlin. Daraufhin wächst der Mut, da man geschafft hat, etwas aufzubauen. Auf der Grundlage sehe ich auch ‚Ewigi Liebi‘ oder ‚Die Schweizermacher‘, die sehr erfolgreiche Produktionen sind.

Die Thuner Seespiele finde ich unglaublich. Sie haben sich ja auch von einer Laiengruppe emporgearbeitet, haben ein grandioses Niveau erreicht und machen jetzt eigene Produktionen. Das Theater St. Gallen hat ebenfalls eine sehr hohe Qualität. Für so ein kleines Land finde ich das toll und es ist schön zu sehen, dass der Mut Erfolg hat. Ich hoffe, dass da noch mehr kommt.

Was die Ausbildung der Musicaldarsteller in der Schweiz betrifft, stehen sie den Ausbildungsstätten in Österreich und Deutschland vielleicht noch etwas nach. Hier gibt es ja kaum die großen Shows, die überall spielen. Es gibt tolle Lehrer, das ist keine Frage. Auch Patrick Biagioli, der früher auch Roboto in ‚Space Dream‘ spielte, hat eine eigene Schule in Zürich. Musical wird von den Schweizern auch an- und ernst genommen. Sie legen eigentlich großen Wert darauf, ihre Schweizer Darsteller zu haben.

um: Das ist bestimmt eine gute Einstellung, so lange nicht um alles in der Welt nur Schweizer Darsteller engagiert werden, wie einige extreme Vertreter es fordern.

MM: Nein, natürlich nicht. Man engt sich ja ein, wenn man nicht ein größere Bandbreite wahrnimmt. Aber eines finde ich sehr interessant: Ich bin hier wirklich Ausländer (lacht). Und das habe ich noch nirgendwo so gespürt. Ich musste ein Ausländervisum beantragen, das gültig ist bis zum Ende des Vertrages und ich musste die Sprache lernen.

Bitte mich jetzt nicht misszuverstehen, ich bin unheimlich gerne in der Schweiz und speziell jetzt in Winterthur. Ich habe mich sehr gefreut, dass ich hier wieder arbeiten darf, würde das auch gerne mehr machen. Es ist einfach nur meine Überraschung darüber, Ausländer zu sein in einem kleinen Land, das so nahe an Deutschland liegt. Man merkt, wir sind hier nicht in der EU. Es ist sicher auch der Schweizer Nationalstolz, dass sie sagen, wir wollen Schweizer haben. Und es wird sicher auch Leute geben, die sagen: „Ach, hätten wir für den Rodin nicht auch einen Schweizer finden können. Warum muss da jemand aus Deutschland kommen.“

Aber ich liebe einfach die vielen Länder, und das ist auch in meiner Profession so schön. Und dass ich jetzt hier fast ein Jahr bin, dass ich die Kultur und die Schweiz auch kennenlernen darf, freut mich sehr. Ich habe viele Schweizer Freunde und bin einfach total gerne hier. Natürlich bin ich auch sehr gerne in Wien und würde auch dort gerne länger arbeiten. Bisher habe ich mit meinen beruflichen Reisen immer nur gute Erfahrungen gemacht. Ich finde es völlig okay, dass man hier sagt: „Du bist Gast hier und du machst das jetzt so und so.“ Dass ich Ausländer bin, habe ich am Anfang vor allem daran gespürt, dass ich oft nachfragen musste, weil ich einfach nichts, aber auch gar nichts verstanden habe (lacht).

um: Wachsen Sie leicht in eine Sprache hinein?

MM: Das Witzige ist, dass sich die Schweizer selbst manchmal untereinander nicht verstehen. Es gibt die Deutsch-Schweizer, aber Bern-Deutsch beispielsweise, habe ich gehört, ist ganz schwer zu verstehen. Was mich betrifft, ich muss da schon reinwachsen, aber das ist das Schöne. Die Schweizer sind entspannter als wir Deutschen. Man hat nicht so viel Stress, man nimmt sich Zeit und man redet auch langsamer. Das ist etwas, was ich auf der Bühne auch lernen musste (lächelt): Die Schweizer Kollegen bekommen immer gesagt: „bisschen besser auf die Aussprache achten, mehr Hochdeutsch“ und ich „nicht so schnell, bitte langsamer sprechen.“ Und das tut mir gut, denn in Berlin, wo ich lebe, gilt: immer schnell schnell, Kopf runter und das, das und das muss erledigt werden. Einen Kaffee holen darf eine Sekunde dauern … und hier ist das eben nicht so. Man lebt auch mehr. Mich holt das ein bisschen zurück auf den Boden. Ich genieße es und finde Winterthur super schön.

um: Orientieren Sie sich weiterhin in Richtung Schweiz?

MM: Wenn es die Möglichkeit gäbe, würde ich gerne hier bleiben für eine Zeit. Aber das bedeutet jetzt einfach erst einmal einen Einstieg. Doch sie machen ja immer mehr mit dem Schweizerdeutschen, und das kann ich halt nicht. Man hat mir zwar gesagt, man könnte das lernen, aber ich glaube, wenn man das neu lernt als Deutscher, könnte das grenzwertig werden. Ich bin sehr gespannt, wo die Entwicklung hinführt, denn die Produktionen sind toll. Grundsätzlich würde ich, wenn mir die Möglichkeit gegeben würde, gerne hier noch mehr machen. Ich fühle mich in der Schweiz wohl, auch weil ich die Berge sehr liebe. Das genieße ich zutiefst, auch Zürich finde ich sehr schön.

um: Wie lange wird ‚Space Dream‘ hier gespielt?

MM: Mein Vertrag läuft bis Mai. So ist es auch geplant, eventuell mit einer Option bis Juni. Wenn es gut läuft, gibt es dann eine Sommerpause und danach gibt es ‚Space Dream‘ wieder.

Zur Zeit liegt mein ganzer Fokus auf ‚Space Dream‘. Ich möchte es gut machen, ich bin jetzt hier der Rodin und momentan zählt allein das. Natürlich kümmert man sich, was danach kommt. Vielleicht gibt es wirklich eine zweite Spielzeit. Konkrete, weitere Pläne habe ich noch nicht. Harry Schärer ist sehr offen, so dass ich nach Absprache nebenher schon einmal etwas anderes machen kann.

um: Zum Abschluss – wie würden Sie jemandem, der ‚Space Dream‘ nicht kennt, sagen, um was geht? Was wäre Ihnen persönlich wichtig?

MM: In jedem Fall die Hauptaussage: „Träume nicht dein Leben – lebe deinen Traum!“ Dass man sich einfach von nichts beirren lässt. Das hat auch mit mir selbst viel zu tun: Ich lebe meinen Traum auf der Bühne, und es war ein harter Kampf, meinen Beruf ausüben zu dürfen. Ich habe davon geträumt, aber so häufig gehört: „Ach, lass das. Das wird nichts.“ Dennoch habe ich dafür gekämpft. Für mich ist das eine Botschaft, die ich jedem sagen möchte. Wichtig ist mir auch die Erkenntnis: Äußerlichkeiten zählen nicht. Manchmal sollte man dem Bauchgefühl vertrauen. Das sind für mich Aussagen, die ich aus dem Stück mitnehme.

Außerdem bedeutet es für mich, einen schönen Abend zum Thema Freundschaft und Liebe zu erleben. Die Geschichte erzählt für mich ein Märchen, das aber durchaus auf diese Welt, unser Leben umsetzbar ist. Dazu kommen die Laser-Effekte, die Sachen fürs Auge. Es hat mitreißende, aber auch sehr sphärische Musik. Das Musical hat schöne, lustige und traurige Momente. Für mich ist es ein Gesamtpaket, in dem für jeden etwas dabei ist.

Nachdem die Premiere so gut ankam, bin ich wahnsinnig gespannt, wie sich das Spielen weiter entwickelt und freue mich darauf.


Vielen Dank für das entspannte und reichhaltige Interview über Ihre Rollenarbeit bei ‚Space Dream‘.

Das Interview führten Barbara Kern und Sandra Reichel