Er verlangt viel von sich und das tue ich auch – Interview mit Christian Schöne zu »Victor/Victoria« in Mannheim

Christian Schöne spielt ab 23. Juli 2010 die Rolle des Mainzer Bischofs Gewilip in der Wiederaufnahme von ‚Bonifatius‘ in Fulda und Erfurt. Derzeit steht er als Carol Todd in ‚Victor & Victoria‘ im Capitol Theater Mannheim auf der Bühne. Im Interview sprach der Darsteller über seinen Beruf, die Zusammenarbeit mit verschiedenen Regisseuren und natürlich über sein Rollenprofil in ‚Victor & Victoria‘.

um: Wer ist dieser ‚Carol Todd‘ für Sie?

Christian Schöne Foto: Karin Wittke

Christian Schöne
Foto: Karin Wittke

CS: Carol Todd ist, wenn wir von der Bühnenfigur ausgehen, wie sie im Original geschrieben und zumeist besetzt wurde – flapsig gesagt – eine „alternde Theatertunte“, mindestens Ende 40, nach oben hin offen. Im Original erfüllt Carol Todd für Victoria die Funktion eines väterlichen Freundes oder zumindest älteren Bruders. Das war ganz klar eine Hürde in meinem Kopf, die ich nehmen musste, die aber komischerweise beim Regisseur Georg Veit überhaupt nicht vorhanden war. Er hat von Anfang an gesagt: „Du spielst mir das, und ich sehe dich darin.“ Das war mit meinem persönlichen Anspruch gar nicht so leicht. Das Stück ist in einem bestimmten Timing geschrieben und gewisse Atmosphären entstehen im Script eben daraus, dass Todd an einem bestimmten Punkt in seinem Leben angekommen ist, wo es viel leichter ist, das zu verkaufen, wenn er eben schon 50 oder 55 ist.

Ich musste einen Weg finden, ihn so anzulegen, dass dies im Zusammenspiel mit Victoria noch funktioniert. Er ist jemand, der sehr viel im Leben durchlebt hat und der auch ganz wenige Dinge ausgelassen hat. Jemand, für den die Liebe einen hohen Stellenwert hat und der sich auch ganz schnell wieder für die emotionale Seite entscheidet. Aufgrund seiner Zerbrechlichkeit ist er sehr oft enttäuscht worden und kompensiert das mit Alkohol. Es wirkt im Stück immer ganz witzig, wenn er sagt: „Möchte noch jemand was trinken?“ Ich möchte herausstellen, dass er seine Emotionalität damit kompensiert, weil er niemanden an seiner Seite hat. So schillernd und verschroben wie er ist, bleibt er ein Einzelgänger. Um ihn herum finden sich Paare, ob sie sich lieben oder nicht. Carol Todd dagegen ist im Grunde genommen jederzeit für ’nen guten Spruch da, aber bleibt alleine. Das möchte ich deutlich machen. Ich denke, er ist ein guter Mensch, er betet und hat einen großen Anspruch an das, was er tut. Er verlangt viel von sich und das tue ich auch. Deshalb, hoffe ich, wirkt es authentisch.

um: Es gibt einen deutschen UFA-Film aus den 1930ern und dann den Film mit Julie Andrews, der später als Musical auf die Bühne gebracht wurde. Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet?

CS: Ich kannte den Film mit Julie Andrews aus meiner Kindheit, habe ihn mir aber vorher nicht mehr angesehen. Internet lässt grüßen – man kann ja googeln (schmunzelt). Bei der Vorbereitung habe ich erst einmal versucht, mir eine eigene Vorstellung von der Figur zu machen. Es war am Anfang noch nicht klar, bekomme ich eine graumelierte Perücke, bekomme ich einen Bart, wird die Figur optisch einfach schon älter gemacht.

Ich habe in meiner Vita auch schon ältere Rollen gespielt. Carol Todd ist eine sehr herausgestellte Rolle, die man – wie z.B. den Professor Abronsius – mit etwas Maske auch als junger Darsteller verkaufen kann. Dann hieß es aber: deine Haare, so wie du bist, jung. Auf den ersten Proben habe ich Todd mit dieser exzentrischen Allure angeboten. Es entspricht meinem Naturell, erst anzubieten und dann gemeinsam mit dem Regisseur das Vorgestellte zu hinterfragen. Dieser hatte anfangs einen anderen Ansatz und wollte, dass die Figur wirkt wie der junge Jürgen Vogel im Berlin der Plattenbauten. Das haben wir 2-3 Proben lang versucht, aber gleichzeitig an der fast 15-minütigen Eröffnungsszene festgehalten.

um: Diese hat aber eher etwas von französischem Bohémien.

"Nachts in Paris" Foto: Karin Wittke

„Nachts in Paris“
Foto: Karin Wittke

CS: Ja, sie hat das drin. Dennoch haben wir es mit ‚Jürgen Vogel‘ versucht, bis wir in den 2. Akt gesprungen sind. Die ganzen Telefonate, die Hotelszenen und die Auflösungen am Schluss passten nicht. Das gesamte humoristische Timing funktionierte mit diesem Bild nicht mehr. So bin ich zum Ursprung zurückgekehrt – hoffentlich auch im Sinne des Stückes und der Verfasser – und habe diesen Weg weiter verfolgt. Für mich als Darsteller ist es so stimmig. Ich würde mich freuen, wenn das Publikum es auch so sieht.

um: Wie ist die Beziehung von Carol Todd zu Victoria?

CS: Für mich sind sich Victoria und Carol Todd anfangs so suspekt, wie man sich nur sein kann. Er kommt mit einem Weinglas in der Hand, hat schon was intus, ist nicht in bester Laune – sie stolpert sicherlich auch sehr verspannt in die Situation. Beide machen zunächst aus der Not eine Tugend. Mir ist ganz wichtig, dass er in dem Moment, wo er ihr hilft, erkennt: „Victoria, Du gefällst mir.“ Im Film wie auch in der Broadway-Fassung wurde für mich nicht wirklich deutlich, wann sie beginnen, sich zu mögen. Das habe ich direkt nach der Premiere für mich erkannt. Er findet sie erfrischend, irgendwo ist sie genauso verschroben wie er auch. Toddy spürt, dass sie nicht da sein will, wo sie ist und Hilfe von außen braucht. Obwohl er vielleicht gar nicht weiß, wo es langgeht, möchte er gerne ihr Wegweiser sein. Ihr gegenüber gibt er sich sicher und deshalb funktioniert es. Obwohl er King Marchan selbst toll findet, gefällt es ihm, dass Victoria und der Amerikaner sich ineinander verlieben. Emotional lässt Carol Todd sich nur bis zu einem bestimmten Punkt ein. Er ist nicht so schnell dabei, Leute in sein Leben zu lassen, aber für seine Freundschaft zu Victoria ist die Skala nach oben hin offen. Sie können sich aneinander reiben und weiterentwickeln.

um: Was ist für Sie das Charakteristische am Stück ‚Victor & Victoria‘?

Christian Schöne als 'Carol Todd' in der Eröffnungsszene  Foto: Karin Wittke

Christian Schöne als ‚Carol Todd‘ in der Eröffnungsszene
Foto: Karin Wittke

CS: Es ist ein erfolgreiches Stück, im besten Sinne von den Kompositionen her ein oldfashioned Musical und zugleich Boulevardtheater. Es hat Tiefe, was mir sehr gut gefällt. Es hat sehr viel mit Timing zu tun, das kommt mir sehr entgegen. Ich bin sehr gern komisch, auch exzentrisch. Ich liebe es, Pointen zu setzen und dabei auszureizen, wie lange ich warten kann…bis und wie ich etwas setze.

Durch den Film mit Julie Andrews hat das Musical eine Marke gesetzt. Damit meine ich, wenn jemand im Publikum sitzt, der den Film kennt – und das sind einige – dann hat er eine gewisse Erwartungshaltung. Deshalb muss man aufpassen, dass man den Leuten nichts wegnimmt. Wir haben es etwas entstaubt, wie der Regisseur sagt, und das muss auch sein. Beispielsweise haben wir hinterfragt, wie sich Victoria im Film und auch im Broadwaystück so frei und ungezwungen in Toddys Wohnung bewegen kann. Das ist ja eigentlich nicht so, denn sie fühlt sich fremd und muss erst einmal Vertrauen fassen.

Sie lernt an sich eine ganz neue Seite kennen und entwickelt, wie ich es sehe, eine ganz neue Qualität der Liebe, der Sensibilität und des Frauseins. Unsere Aufgabe ist es, das Stück so zu präsentieren, dass diese Facetten, auch wenn wir sie nicht alle anspielen können, nicht verloren gehen und dass der Zuschauer, wenn er es möchte, seine darin finden kann. Deshalb darf man die Geschichte nicht zu sehr verbiegen. Das merkt das Publikum ganz genau und lässt sich dann nicht mehr darauf ein. Ich möchte, dass es mehr mitnimmt als nur einen der Witze, die manchmal schon derbe sind. Dieser verpufft ganz schnell. Ich möchte den Leuten über die Distanz etwas mit nach Hause geben. Es wäre schön, sie würden weitererzählen, dass sie eine schöne Zeit hatten, dass sie sich durch den Abend bereichert fühlen.

um: Eine Frau findet sich, ein Mann findet sich. Das sind Themen, die das Stück zeitlos machen, auch wenn es in den 1930er Jahren in Paris spielt.

CS: Ja, absolut. Ich denke, deswegen hat man sich im Capitol auch für das Stück entschieden. Es ist auch der Beweggrund des Regisseurs, es etwas zeitlos zu halten. ‚Victor & Victoria‚ spielt nicht in den 1930er Jahren in Paris…im Endeffekt spielt es aber doch dort und zugleich überall.

um: Abgesehen einmal von dem französischen Akzent – welche gesanglichen Besonderheiten hat Ihre Rolle?

CS: (lacht) Den habe ich mir übrigens für die Eröffnungsnummer ausgedacht. Der Regisseur wollte, dass die Eröffnungsnummer von Carol Todd ein Stück Theater im Theater sein sollte.

um: Sie steigen als Conférencier ein.

CS: Genau. Und der Frack, den ich in diesem Moment trage, besteht aus nur einem Teil und hat einen Reißverschluss. Carol Todd kann in die Rolle einsteigen, das Lied präsentieren und danach wieder aussteigen. Ich ziehe das Kostüm aber nicht auf der Bühne aus. Deshalb habe ich nach etwas gesucht, dass in der Szene Paris und seinen Flair skizziert. Mit dem Akzent zeichne ich diese besondere Stimmung sehr deutlich, so dass der Zuschauer sofort abtauchen kann in ein Woanders. Ich finde das sehr wichtig. Zwischendurch spricht Todd in der Szene auch ohne Akzent. So wird hoffentlich deutlich, dass er auch eine Rolle spielt.

Musikalisch ist das Stück sehr anspruchsvoll. Es ist viel Jazz darin, Akkorde, die bewusst auf Blue Notes (Noten, die den besonderen Charakter des Blues bzw. Jazz ausmachen und auf eine afrikanische 5-Ton-Leiter zurückgehen) aufbauen. Da ist französisches Chanson und dann „Glaub mir“, das auf einer Spielfläche zwischen Victoria und Todd stattfindet, mit wieder einer ganz anderen Ebene. Das Repertoire, das man liefern muss, ist schon sehr groß und vielseitig. Es geht ja nicht darum, dass man singt, was man will, wenn man mit einem Orchester arbeitet. Ein Orchester spielt ja nicht einfach ein Playback nach Noten, auf das wir singen. Ich gebe mein Bestes, weiß aber auch, dass Musiker und Sänger mit jeder Show zusammenwachsen müssen. Dieses Musical ist ein breiter Fächer, dessen Facetten man alle bedienen darf. Das bedeutet zugleich eine große Herausforderung und große Freude.

um: Sie sprachen Georg Veit, den Regisseur schon an. Haben Sie bereits mit ihm gearbeitet und wie ist sein Vorgehen?

Kommen Sie näher, meine Damen und Herren ... in die Welt des Theaters Foto: Karin Wittke

Kommen Sie näher, meine Damen und Herren … in die Welt des Theaters
Foto: Karin Wittke

CS: Georg Veit ist eine Schlüsselfigur in meinem Leben. Unter seiner Regie hatte ich mein erstes Engagement am Capitol – mit ziemlichem Erfolg, wie sich später herausstellte: ‚Ladies Night‘. Wir haben es sieben tolle Jahre gespielt. Obwohl das nicht ensuite gespielt wurde, ist es trotzdem nicht einfach, ein und dieselbe Rolle sieben Jahre möglichst authentisch zu spielen. Man selbst entwickelt sich weiter, möchte mehr zeigen und fängt an, Dinge mal ganz anders machen zu wollen.

Ich habe Georg Veit über Kollegen kennengelernt, die mich für eine Präsentation bei Kawasaki in Deutschland vorgeschlagen haben: die Kawasaki-Picture Show in Anlehnung an die ‚Rocky Horror Picture Show‘. Das war ein großes Glück. Damals hatte ich gerade die Ausbildung beendet und war direkt am Staatstheater Darmstadt als Solist übernommen worden. Dass ich hier ans Haus nach Mannheim kam, habe ich zwei Kollegen zu verdanken, die einfach gesagt haben: „Du bist gut und ich will Euch einander vorstellen.“ Dieses Glück habe ich verinnerlicht und wenn ich selbst weiterhelfen kann, dann versuche ich das auch, weil ich gelernt habe, dass es Menschen gibt, die einem weiterhelfen.

Georg Veit ist für mich jung geblieben. Ich finde seine Visionen unheimlich gut, er zeichnet schöne Bilder auf der Bühne und denkt dabei minimiert, nicht mit großem Bühnenbild. Ich habe mit ganz anderen Regisseuren gearbeitet, die nur in einem großen Bühnenbild, in Kostümen und Licht denken. Das hat auch seine Berechtigung, aber die Szenen, die man bei Georg lernt, die könnte man einfach so spielen – egal, wo.

um: Auch bei ‚Victor & Victoria‚ steht das Bühnenbild nicht im Vordergrund.

CS: Ja. Wir haben keinen roten Samtvorhang, sondern eine offene Bühne, eine Konzertbühne und es ist sehr minimiert. Wenn dann etwas im Zusammenspiel nicht funktioniert, oder die Rollenfindung nicht stattgefunden hat, hat man keine Chance. Das ist auch eine Herausforderung.

Georg Veit ist für mich auch eine Vaterfigur und wir sind einen emotionalen, ganz tollen Schritt weitergekommen in der Arbeit hier kurz vor der Premiere. Wir hatten ziemlich aufreibende Proben und gerieten auch schon mal aneinander. Georg Veit hatte auch Coverpositionen in ‚Ladies Night‘. Ich musste ihn küssen und Liebesszenen mit ihm spielen. Jetzt ist er mein Regisseur, da hatte ich am Anfang schon – ganz ehrlich gesagt – meine Schwierigkeiten, aber wenn man dann den Regisseur mal geküsst hat, ich glaube, dann muss man ihn mögen.

um: Sie haben mit ganz verschiedenen Regisseuren gearbeitet. Was zeichnet seine Regiearbeit aus?

CS: Er arbeitet mit uns Darstellern zusammen, nimmt auch Vorschläge an, lässt sie uns ausprobieren und baut sie ein. An ganz vielen Stellen spricht er auch ein Machtwort und dann ist es auch gut so. Er kann beides und er ist immer wieder bereit, zwischen Wahnsinn und Sicherheit zu schweben und das finde ich fantastisch….ich finde, von dieser „Unsicherheit“ lebt Kunst und nur daraus kann etwas entstehen. Anderes kann sehr toll sein, oder sehr schlecht, aber es entsteht und wächst nichts. Ich brauche diesen Grad, dass man denkt: Okay, in diesem Moment erschießt mich jemand. Ich sterbe und alles geht den Bach runter, aber den Moment, den hab ich gelebt und diese Einstellung erkenne ich in Georg Veits Arbeit wieder.

um: Was bedeutet der Beruf des Musicaldarstellers für Sie? 

"Dieses Musical ist ein breiter Fächer" Foto: Karin Wittke

„Dieses Musical ist ein breiter Fächer“
Foto: Karin Wittke

CS: In den letzten Jahren ist „Musicaldarsteller“ einfach ein fester Begriff geworden. Für mich war er das nicht. Ich tue heute das, wohin mich mein Weg geführt hat. Vieles ergibt erst jetzt Sinn. Als kleines Kind wollte ich unbedingt ins Ballett. Damals lief diese Weihnachtsserie ‚Anna‘. Ich glaube, ich war der einzige Junge, den es infiziert hat. Meine Großmutter, die Schauspielerin war, hat mir gegen den Willen meiner Mutter ermöglicht, ins Ballett zu gehen. Ich habe auf der Straße Pirouetten gedreht. Es war ein bisschen wie bei Billy Elliot. Ich habe alte Schwarzweiß-Filme mit Marika Röck oder Musikfilme wie ‚Singin‘ in the Rain‘ mit Gene Kelly gesehen. Damals wollte ich Berufstänzer werden. Im Alter von 11 Jahren hat man mir ein Stipendium in New York angeboten, aber meine Eltern haben es mir verboten. Vor allem meine Mutter konnte mich nicht gehen lassen. Ich habe noch ein bisschen weiter getanzt, aber irgendetwas in mir ist damals zerbrochen. Ich habe körperliche Blockaden aufgebaut, die sich erst sehr viel später wieder gelöst haben. Als ich älter wurde, habe ich angefangen zu singen. Eine Mitschülerin war musicalbegeistert und durch sie habe ich mein erstes Musical gesehen: ‚Starlight Express‘. Das wird wohl immer das erste für mich bleiben. Zuerst habe ich einfach alles nachgesungen, mit den Mädels um mich herum lauter Duette in Höhen, die ich damals überhaupt noch nicht singen konnte. Die Folge war eine schreckliche Kehlkopfentzündung. Danach kam professioneller Gesangsunterricht. So hat sich nach und nach alles gefügt. Doch bevor ich auf die Schauspiel- und Musicalschule gegangen bin bis zur staatlichen Prüfung, habe ich Zahntechniker gelernt. Freitags habe ich mein Gesellenstück abgegeben und am Montag war ich wieder auf der Musicalschule. Für mich ist es nicht nur ein Job. Ich wünsche mir, dass viele Menschen auf der Welt das Gefühl kennen, dass das, was sie tun, richtig für sie ist. Nur dann ist man bereit unterzugehen. Damit meine ich nicht, dass man alles gibt und sich für eine Produktion verkauft. Mir geht es um die eigene spirituelle Entwicklung, dass man wächst und einen Sinn für das eigene Leben findet, mit dem man den Menschen auch etwas von sich gibt. Ich möchte, dass ganz viele Menschen das spüren, was ich spüre und ich dadurch wieder wachse – für mich ist das ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl. Deswegen identifiziere ich mich mit Musical. Natürlich gibt es das Vorurteil, dass wir mit unseren drei Sparten: Gesang, Tanz und Schauspiel alles nur halb machen. Das hat für mich aber mit der Ausbildung zu tun. Wenn jemand sehr sehr gut singt, besteht die Gefahr, dass er nur auf die Stimme ausgebildet wird. Es gibt Musicalsänger, die deshalb eher durchwachsen schauspielern. Ich habe beide Ausbildungen gemacht, auch reines Schauspiel und auf der anderen Seite Oper. Heute würde ich mir aber nie mehr anmaßen zu sagen, ich sei Opernsänger. Alle 3 Kessel am Kochen zu halten, ist unwahrscheinlich schwer.

um: Sie haben in ‚Elisabeth – Die Legende einer Heiligen‘ gespielt und spielen auch im Sommer mit ‚Bonifatius‘ wieder in einer Spotlight-Produktion. Jetzt stehen Sie im Mannheimer Capitol auf der Bühne. Wie erleben Sie die Unterschiede zwischen den Produktionen?

CS: Spotlight strebt für mich in Richtung Stage Entertainment. Ich sehe da sehr viele Parallelen. Da findet ein anderer sehr terminierter Ablauf statt. Man hat Put-In-Proben, Cut-Shows, Doppelshows. Es gibt Springer, die während der Show anwesend sind. Alles läuft auf einem sehr hohen, für ein sehr breites Publikum angelegten Niveau. Reinfried Schieszler, der Regisseur von ‚Elisabeth – Die Legende‘, hat ganz genaue Vorstellungen, wie eine Szene ablaufen muss und wie Gänge zu setzen sind. Da wird die Bühne abgesteckt, du bist auf der 1,5, du bist im zweiten Gang, du darfst dich nur in dem Korridor bewegen, du darfst da nicht raus. Das ist deine Position. Natürlich ist wie bei Stage Entertainment von außen alles viel technischer, weil Kulissen landen und gedreht werden. Zudem wird klar festgelegt, was man darf und was nicht. Ich hatte z.B. die Anweisung: Du darfst Elisabeth während des ganzen Stückes nicht berühren, der Heinrich tut das nicht! Das fand ich ziemlich schwierig, weil beide doch immer noch Menschen sind, auch wenn sie der Aristokratie ihrer Zeit entstammen. Man muss immer von innen arbeiten und ich arbeite immer von innen, aber es ist ein anderer Entwicklungsprozess für die Rolle als z.B. hier. Bei Spotlight ist es auch besonders wichtig, gut zu singen. Es bedeutet insgesamt ein anderes Arbeiten. Das schult sehr und fordert mich anders, was mir gefällt. Hier im Capitol, oder am Stadt- und Landestheater generell, ist alles sicherlich etwas intimer. Klar, läuft es hier auch auf einem Top Niveau, das muss es auch besonders, weil man nicht so viele Leute hat und keine Coverpositionen . Manchmal arbeitet man ohne Microports, ohne Headset, ja sogar ohne Mikrophon. Man muss alles machen und die Stimme das auch alles mitmachen. Ich stehe da auch eher mal krank auf der Bühne, so lange es geht, weil niemand da ist, sonst fällt die Show aus. Das passiert auch, aber wir versuchen es natürlich zu verhindern. Bei Spotlight wird im Leben keine Show ausfallen und natürlich ist die Kommerzialität viel größer. Man wird bekannter und hat eher die Chance, auf einem Tonträger dabei zu sein. Es kommen auch am Stadttheater Aufnahmen heraus, aber seltener, weil einfach das Geld nicht zur Verfügung steht.

um: Gibt es Pläne für eigene Projekte?

Christian Schöne vor der komplett gestellten Bühnenwand mit Tänzerinnen der Dance Factory Frankenthal Foto: Karin Wittke

Christian Schöne vor der komplett gestellten Bühnenwand mit Tänzerinnen der Dance Factory Frankenthal
Foto: Karin Wittke

CS: Ja, ich möchte meine Küche renovieren (lacht). Das ist so mein privates Projekt…Es gibt so vieles, das ich machen möchte. Ich würde gerne meine Sprechertätigkeit ausbauen und nicht nur Programmkino, sondern große Kinofilme synchronisieren. Eine eigene CD ist in Planung, zunächst als Maxi mit 3-4 Tracks. Dann, wenn die Leute es hören wollen, auch ein Album. Mein großer Wunsch ist außerdem, Stücke selbst zu schreiben, auch Musik und Songs für andere, vor allem aber Musicals oder Theaterstücke. Da gibt es schon fertige Stücke. Seit drei Jahren arbeite ich an ‚Orphans – Das düstere Geheimnis von Wrackige Hill‘. Hier liegen schon Auszüge vor, aber es müsste mal länger reifen und umgearbeitet werden. Es geht um ein geheimnisvolles Waisenhaus und wird sicherlich, wenn es mal fertig ist, ein DramaMusical werden. So etwas muss man am Reißbrett planen. Man kann nicht einfach ein Buch aufschlagen und anfangen, ein Musical zu schreiben. Ich muss wissen, was für Charaktere ich habe, wie sie sich entwickeln und wo sie ihre Berührungspunkte haben. Es ist viel Technisches dabei, bevor die Kreativität greift. Das möchte ich unbedingt noch machen. Ach, da ist so viel, für das mir die Zeit fehlt. Ich möchte ganz viel, ich möchte alles … (singt) „Ich will alles, ich will alles, und zwar sofort.“

 

Ein sehr schönes Schlusswort. Vielen Dank für die interessanten Einblicke in Ihre Rollenarbeit und Ihren persönlichen Weg zum Musicaldarsteller.

Das Interview führte Barbara Kern