Die zwei Seelen des Niki Neuspiel

Interview mit Niki Neuspiel (Co-Autor und Produzent)

Im vergangenen Jahr brachte Niki Neuspiel mit eigenen Liedtexten die Uraufführung von ‚Tutanchamun‘ nach Gutenstein und rief gemeinsam mit Intendant Erich Neuspiel Musical-Theater am Ort der Raimund-Festspiele ins Leben. Am 2. Juli 2009 nun feierte die neue Eigenproduktion ‚Gustav Klimt‘, bei der er als Co-Autor des Buches mitwirkte, in Gutenstein Weltpremiere.

Wir sprachen mit Niki Neuspiel über seinen Weg zu den ‚Festspielen Gutenstein‘, den Stand von neuen Produktionen in Österreich und natürlich das ‚Gustav Klimt‘-Musical.

UM: Wie sind Sie zum Theater gekommen?

Foto: Festspiele Gutenstein

Niki Neuspiel, Foto: Festspiele Gutenstein

NN: Die Leidenschaft für das Live-Geschehen, für die Bühne, gab es immer schon. Ich habe als Tonmeister begonnen, erst beim Radio, dann beim Fernsehen und eine ganze Anzahl Konzerte übertragen, aufgenommen: von den Seespielen in Bregenz oder Mörbisch bis zum Konzerthaus. Immer habe ich dabei mit Musikproduktion zu tun gehabt, bis ich schließlich mit einem Freund gemeinsam eine eigene Filmproduktionsgesellschaft gegründet habe (Sternstundenfilm Wien), nur war es da dann ein bisschen anders, weil ich organisatorisch verantwortlich war und in erster Linie hinter dem Schreibtisch saß. Obwohl wir sehr kreative Projekte gemacht und neue Fernsehformate entwickelt haben, war ich immer an den organisatorischen Schreibtisch gebunden. Dann hat es diese Firma nicht mehr gegeben und es kam die Zeit, in der ich selbst Geräte und Lautsprecher durch die Gegend getragen habe. Das tue ich heute noch, aber nicht mehr als Priorität (lächelt). 1999/2000 habe ich mit kreativen Projekten begonnen, nicht mehr als Organisator, sondern als einer, der am schöpferischen Prozess beteiligt ist.

Die zwei Seelen

UM: Wie kam es konkret zu Musical in Gutenstein?

NN: In Gutenstein gab es zuvor die Raimund-Festspiele, die mein Vater (Erich Neuspiel) in den letzten Jahren produziert hat. Als der Vertrag des Intendanten auslief, übernahm mein Vater diese Position. Er wollte mit mir gemeinsam einen neuen Weg gehen. Wir haben beschlossen, Musiktheater auf die Bühne zu bringen, nicht mehr Sprechtheater wie bisher. So wurde Gutenstein für mich nicht nur zur Produktionsebene, sondern ein Feld kreativer Autorentätigkeit. Es wohnen jetzt zwei Seelen in meiner Brust: Zum einen bin ich Autor und zum anderen bin ich ‚Producer‘ – (lacht) das führt zu einer sehr intensiven Beschäftigung mit dem Thema, das wir ins Leben rufen.

UM: Das erfordert auch zwei ganz verschiedene Herangehensweisen an jedes Projekt.

NN: Ja, sehr. Als Produzent muss ich schauen, dass ich mit dem Budget zurechtkomme. Als Autor dagegen erfindet man etwas, ohne während des kreativen Prozesses überhaupt an Geld zu denken. Sonst würde gar nichts Neues entstehen. Irgendwann muss ich mich dann sozusagen verwandeln. Erst gilt es, eine Sache zu entwickeln, dann gilt es, das Vorhaben mit den möglichen Ressourcen auf die Bühne zu bringen. Das ist eine ganz spannende Angelegenheit, denn dadurch, dass man sein Augenmerk auf etwas Besonderes legt, kann man die Sache schon während des Prozesses steuern.

Dennoch gelingt es mir gut, den Produzenten auszublenden, weil ich mit meinen Freunden und Mitautoren auf einer rein künstlerischen Ebene unterwegs bin. Zwischen uns findet ausschließlich ein kreativer Austausch statt, vielleicht auch noch ein handwerklicher. Da komme ich gar nicht dazu, an das Spätere zu denken. Was wir uns natürlich überlegen, ist, wie die Wirkung sein soll – wie die Emotionen vermittelt werden sollen, aber ob das nun mit einer Bühne, mit einem Vorhang oder zehn Vorhängen geschehen soll, mit Projektionen oder Realbauten passiert, ist erst eine Sache der späteren Umsetzung, die mit dem Bühnenbildner und Regisseur geschieht. Wir Autoren stellen uns zunächst die Fragen: Wie transportiere ich Stimmung, wie transportiert ein Charakter Gefühle?

Gustav Klimt

Gustav Klimt (André Bauer) mit Emilie Flöge (Sabine Neibersch) Foto: Festspiele Gutenstein

Gustav Klimt (André Bauer) mit Emilie Flöge (Sabine Neibersch), Foto: Festspiele Gutenstein

UM: Im vergangenen Jahr haben sie mit ‚Tutanchamun‘ die Botschaft einer alten Kultur mit zeitlosen Weisheiten auf die Bühne gebracht. Mit ‚Gustav Klimt‘ tauchen Sie in die österreichische Kunst- und Kulturgeschichte ein. Was wollen Sie dem Publikum mitgeben?

NN: Ich möchte das Publikum auch mit dem neuen Projekt in erster Linie unterhalten. Die Menschen sollen im Theater sitzen und sich zwei Stunden von der Geschichte, der Musik und den Emotionen gefangen fühlen. Ich sage das jetzt einmal ganz wertneutral. Denn Unterhaltung kann jemand empfinden mit ganz lauten Tönen und ein anderer mit ganz leisen. Wir gehen immer mit diesem Gedanken an das Publikum an die Sache heran: Wie entwickelt sich die Geschichte, wie entwickeln sich die Charaktere? Was wollen wir herüber bringen. Dann entsteht die Wirkung auf die Zuschauer von selbst. Wir müssen die emotionalen Bögen oder Brüche auf die Bühne bringen. Hier ein Beispiel: Eben noch empfindet Gustav Klimt ein gefühlsmäßiges Hoch, weil sein Kunstwerk in Paris ausgezeichnet wurde – und in der nächsten Szene erfährt er vom Tod seines Sohnes. Das Publikum muss mitempfinden. Wenn wir sehen, dass die emotionalen Abläufe, die wir beim Schreiben des Buches vor Augen hatten, im Theater durch das Schauspiel der Darsteller und die Kompositionen funktionieren, wenn die Sache aufgeht und das Publikum reagiert – erst dann können wir sagen, wir haben das Gewünschte erreicht.

UM: Was für eine Geschichte erwartet das Publikum bei ‚Gustav Klimt‘?

NN: Wir erzählen die Lebensgeschichte von Gustav Klimt von dem Zeitpunkt an, wo er als Maler – gemeinsam mit seinem Bruder Ernst und dem Jungendfreund Franz Matsch – begonnen hat, selbständig zu arbeiten. Die Geschichte endet schließlich mit dem Schlaganfall, den Klimt erleidet. Dazwischen gibt es viele Stationen, die wir mit Zeitsprüngen absolvieren. Bei den Charakteren, was seine Frauen- und Freundesbeziehungen betrifft , haben wir uns auf einige wenige Personen aus seinem engeren Umfeld beschränkt. Er gilt ja als ziemlicher Frauenheld. Es werden ihm vierzehn uneheliche Kinder nachgesagt, von denen er drei anerkannt hat. So spielen in der Geschichte die Frauenfiguren eine wichtige Rolle, vor allem Emilie Flöge, seine Lebensliebe, bei der man nicht weiß, ob sie beide ein sexuell intimes Verhältnis hatten. In unserer Geschichte ist es nicht so, wobei wir uns auf den erhaltenen Schriftverkehr zwischen beiden stützen. Dort gibt es keinerlei Hinweis auf eine nichtplatonische Liebesbeziehung. Wir erzählen es so: Zuerst möchte er und sie sagt „Nein“, dann möchte sie und er sagt „Nein“. Erst am Totenbett erkennen sie beide, dass sie doch füreinander bestimmt waren und küssen sich wie ein Liebespaar, bevor er stirbt.

Umgang mit dem Wienerischen in Sprache und Musik

UM: Wie Sie die Geschichte erzählen, die mir eine Geschichte der Beziehungen zu sein scheint,

Sabine Neibersch und André Bauer, Foto: Festspiele Gutenstein

Sabine Neibersch und André Bauer, Foto: Festspiele Gutenstein

spielt das Element des Schauspiels eine sehr wichtige Rolle – wie insgesamt im Musical-Theater. Nach welchen Kriterien haben Sie die Darsteller ausgesucht?

NN: Zum einen haben wir mit Dean Welterlen einen Regisseur, der in Gutenstein letztes Jahr schon inszeniert hat, so dass wir für die Besetzung mancher Rollen schon eine Vorstellung hatten. Nur, wie so häufig , konnte nicht jeder. Wir haben also nur einige Rollen ausgeschrieben und dafür zwei Auditiontermine angesetzt. André Bauerwar als ‚Gustav Klimt‘ von Anfang an eingeplant.

UM: So hat er die Möglichkeit, einmal in einer tragenden Hauptrolle zu zeigen, was er schauspielerisch kann.

NN: Da haben Sie Recht und das macht er sehr gut. Leider wird sein Umgang mit dem Urwienerischen nicht so akzeptiert. Er hat an den wienerischen Elementen gearbeitet und wir haben sie auf ein paar charakteristische Akzente reduziert, aber trotzdem hängen sich manche daran auf.

UM: Es ist schon seltsam. Da gibt es ein Stück in Wien, dort wird dem Franz Joseph übel genommen, dass er nicht den speziellen Dialekt des Kaisers spricht. Sie geben der Figur etwas Lokalkolorit und wieder ist es Thema der Kritik.

NN: Es war uns von Anfang an klar, schon als wir André besetzt haben, dass es ein Thema sein würde. Wir haben einen beeindruckenden Darsteller, da darf es kein Kriterium sein, ob er gut Wienerisch sprechen kann. Dann spricht er eben weniger Dialekt und es wird genauso funktionieren. Und das ist für meine Begriffe auch der Fall. Ich wollte ohnehin kein stark eingefärbtes Wienerisch auf der Bühne. Das passt auch gar nicht. Alle Darsteller sollen ja möglichst wie aus einem Guss wirken. Natürlich muss dafür Sorge getragen werden, dass der Dialekt nicht peinlich wirkt, aber den Eindruck habe ich hier nicht; und ich bin Wiener (lacht). Es gibt einfach im Stück die ein oder andere kleine Phrase oder Bemerkung, in der das Wienerische durchschlägt. Das ist sympathisch und damit ist es gut. Mehr wollen wir gar nicht. Alles andere ist normales Bühnendeutsch.

UM: Die Beziehungsgeschichten werden im Musical meist durch die großen Songs transportiert. Wie würden sie die Musik beschreiben, die in ‚Gustav Klimt‘ Emotionen herüber bringt?

NN: Gerald Gratzer hat als Wiener einen sehr ursprünglichen und unverstellten Zugang zur wienerischen Seele und zur wienerischen Musik. Gepaart mit Rock- und Pop-Elementen fließen da immer wieder Walzerrhythmen ein. Diese Verbindung unterstützen unsere beiden Streicher an der Bratsche und am Cello. Wir haben eine kleinere Besetzung im Arrangement. Viele Violinen würden zum Charakter des Stückes auch gar nicht passen. Der Grundzugang ist eine Melodie, ein Thema, das in verschiedenen Varianten immer wiederkehrt.

Periakten und Jugendstil

UM: Wie haben Sie im Stück das Element des Wiener Jugendstils umgesetzt?

NN: Da gab es eine klare Herangehensweise. Wir haben beschlossen, dass wir für ‚Gustav Klimt‘ eine ganz reduzierte Bühne schaffen müssen. Es gibt ganz klare Bühnenelemente, unsere Periakten – dazu gleich mehr. Daneben haben wir eine sehr opulente Kostümausstattung mit sehr stark an die Originale des Jugendstils angelehnte Kreationen. Trotz manch modernem Touch überwiegt der Eindruck des Jugendstils deutlich. Uns hat dieses Zusammenspiel von geraden und puristischen Elementen im Bühnenbild mit der Liebe zum Detail bei den Kostümen – bis zur letzten Perle – besonders gut gefallen. Die Periakten sind dreiseitige Elemente, die bei uns vier Meter hoch und 1,70 breit sind. Auf einer Seite sind sie komplett schwarz, um z.B. wie in einer Szene Spiegel aufhängen zu können. Auf einer anderen Seite sind sie dann ebenso komplett weiß, damit wir darauf Videos und Grafiken projizieren können. Auf der dritten Seite befinden sich Originalausschnitte von Klimt-Bildern, aber das sind keine ganzen Gemälde, sondern ein extrem hineingezoomter Ausschnitt. Sie müssen sich das so vorstellen: Wenn ein Klimt-Bild 1,40 x 1,40 m misst, dann ist der Ausschnitt nur 10 x 10 cm. Wir nehmen nur einen winzigen Teil heraus und vergrößern ihn. Von diesen Bildausschnitten gibt es sechs Flächen. Aus diesen 6 x 3 Flächen der Periakten ergeben sich unendlich viele Kombinationsmöglichkeiten, mit denen wir unsere Bühnenräume darstellen. Mit den schwarzen Flächen stellen wir einen Kellergang oder die Flügel zum Salon dar. Wenn wir alle Flächen auf Weiß gestellt haben, dann, um sogenannte ‚Stills‘, also stillstehende Fotos und Grafiken oder ‚Movies‘, Videos und bewegte Grafiken, zu projizieren. Beispielsweise überfliegen wir die Secession, dringen durch zwei Schwingtüren ein und schauen uns dann innen um. Oder wir winden uns in der Eiffelturm-Szene den Turm hinauf und im Finale bespielen wir ein Karussell, bei dem einem wirklich schwindelig wird.

Über ein grundsätzliches gesellschaftspolitisches Problem

UM: Wenn Sie abschließend etwas nennen sollten, was Sie aus diesen ersten zwei Jahren der Eigenproduktionen mitnehmen. Was wäre das?

NN: Mir persönlich, als Autor und zugleich Producer, ist Folgendes bewusst geworden: Wir haben bei uns ein so großes Potential an wunderbaren kreativen Köpfen, von den Autoren über die Darsteller bis hin zu den Musikern und den Gestaltern des Bühnenbildes – in allen Bereichen, in so toller Qualität, dass wir uns wirklich nicht genieren brauchen, eigene Stücke zum Leben zu erwecken. Trotzdem wird bei Festivals und Festspielen sehr oft auf Bekanntes gesetzt, nach dem Motto: „Mit welchem Stück erreichen wir denn das meiste Publikum?“ Und dann wird meist zum xten Male ‚Evita‘ gespielt. Nichts gegen ‚Evita‘, das ist ein tolles Stück. Nur ich persönlich möchte meine kreative Arbeit in Neuentwicklungen stecken. Für mich bedeutet es Wertschöpfung, wenn – wie in unserem Fall – Kollegen, die Österreich verbunden sind, gemeinsam Kraft und Geld in die Entstehung von Neuem investieren. Leider ist das etwas, das bei uns überhaupt nicht gewürdigt wird, weder vom Land noch vom Publikum. Das Land Niederösterreich stellt eine Subvention für die Theater zur Verfügung und befürwortet auf Nachfrage auch, dass man etwas Neues macht. Letztendlich ist es jedoch egal, man könnte auch, um das Beispiel noch einmal zu strapazieren, ‚Evita‘ spielen. Leider schätzt es das Publikum erst recht nicht, dass wir neue Sachen auf die Bühne bringen. Ich meine nicht die Zuschauer, die das Stück ansehen und sich überwiegend sehr begeistert äußern, sondern die Leute, die sich entscheiden, nicht zu kommen. Da spüre ich die Einstellung: „Na ja, das kennen wir nicht, sollen wir uns das überhaupt antun?“

Das geht mir nahe und ich frage mich: „Wie schaffen wir es, dass die Leute es ausprobieren und konsumieren?“ Klar, muss ich damit rechnen, dass ich einen Flop lande, wenn ich etwas Neues mache, das liegt in der Natur des Neuen. So befriedigend es ist, ein neues Werk zu schaffen, und es dann auf der Bühne zu sehen – das ist wirklich das Tollste, was man erleben darf – so anstrengend und mühselig ist es, diesen gesellschaftspolitischen Weg durchzusetzen oder in der Breite bekannt zu machen. Werbung haben wir gemacht wie noch nie. Wien ist zugepflastert mit über 1000 Plakaten. Dazu kommen viele Berichte im Fernsehen und im Radio. Da waren wir wirklich sehr umtriebig und fleißig, aber in den Besucherzahlen spiegelt sich das überhaupt nicht wieder. Leider ist die Kultur, etwas Neues sehen und auch konsumieren zu wollen, bei uns nur wenig verbreitet. Natürlich spielt auch das Wetter ein Rolle, das bis vor zwei Tagen nur Regenfälle gebracht hat. Dazu kommt die wirtschaftliche Situation, wegen der man durchaus bei Theater- und Konzertbesuchen zu sparen anfängt. Das verstehe ich ja alles. Doch die problematische kulturelle oder gesellschaftliche Grundeinstellung hat nichts mit der momentanen Wirtschaftslage zu tun. Sie macht es so schwierig und mühsam, Neues zu schaffen und die Menschen zu motivieren, dem Neuen eine Chance zu geben.

UM: Dann können wir Ihnen nur wünschen, dass die Werbung im zweiten Schritt doch noch greift. Viele Menschen haben doch sicher noch keine Urlaubspläne gemacht und könnten Gutenstein und ‚Gustav Klimt‘ einen Besuch abstatten. Alles Gute und vielen Dank für die Einblicke in Ihre beiden Seelen.

Das Interview führte Barbara Kern