Selten sanft spielt das Orchester der Vereinigten Bühnen Wien unter Leitung von Caspar Richter bei dieser Premiere am 26. Februar 2009letzte Walzerklänge, bevor mit zwei Schüssen und abschließendem Trommelwirbel buchstäblich der Vorhang fällt. Das Schlussbild zeigt das tote Paar im Bilderrahmen. So endet die Wiener Fassung des Jack Murphy & Frank Wildhorn-Musicals ‚Rudolf – Affaire Mayerling‘ imRaimund Theater wie ein Film und lässt den Zuschauer mit zahlreichen Eindrücken zurück.
Regisseur David Leveaux und sein Kreativteam schufen auf Grundlage des historischen Romans ‚Ein letzter Walzer‘ von Frederic Morton, dem geborenem Wiener Fritz Mandelbaum, eine anspruchsvolle und faszinierende Inszenierung, die in einem Drahtseilakt die Grenzen zwischen reinem Schauspiel und Musical überschreitet. Frederic Mortons Roman beschreibt die geistigen und politischen Strömungen der Wiener Gründerzeit mit ihrer Aufbruchsstimmung und bettet die kurze Affäre zwischen Kronprinz Rudolf und Mary Baronesse Vetsera in dieses Zeitpanorama ein. Das Musical stellt die Beziehung zwischen Rudolf und Mary Vetsera heraus, zeigt beide aber auch gleichzeitig als Menschen ihres Standes und vor allem in den historischen Bezügen zu Figuren ihrer Zeit.
‚Rudolf – Affaire Mayerling‘ erzählt in zwei etwa gleich langen Akten eine Liebesgeschichte vor dem Hintergrund der untergehenden Habsburger Monarchie.
Nach der Ouvertüre beginnt das Musical nicht mit einem großen Rahmensong, wie beispielsweise ‚Rebecca‘ oder mit einer gesungenen Einleitung wie ‚Elisabeth‘ oder ‚Marie Antoinette‘, sondern mit einer reinen Schauspielszene zwischen ‚Kronprinzessin Stephanie‘ (Wietske van Tongeren) und ‚Kronprinz Rudolf‘ (Drew Sarich). Auch ist es im Musical selten, dass eine Szene nicht mit einem großen Szenensong endet, sondern allein mit einem überleitenden musikalischen Motiv. InDavid Leveaux‘ außergewöhnlicher Inszenierung charakterisieren vor allem Schauspielszenen die Figuren. Bereits in der ersten Szene wird so deutlich, wie unwohl sich Rudolf in der Hofburg fühlt. Für ihn ist es finster, während die standesbewusste Gemahlin ausgezeichnet sieht. In nur wenigen Worten wird die große Spannung deutlich, die zwischen Beiden herrscht. Julia Sengstschmids deutsche Dialogfassung zeichnet sich durch Esprit und beißende Ironie aus. Im ersten Akt finden sich einige dieser szenischen Dialoge.
Rudolf erreicht auch seinen Vater nicht mehr, den er einst verehrt hat. ‚Kaiser Franz Joseph‘ (Claus Dam) stellt fest, dass Rudolfs Schlafmangel nur an seiner mangelnden Disziplin liegen könne. Hier wird eine Grundproblematik deutlich. Selbst wenn der Kaiser Sympathie für einige Ideen Rudolfs hegt, so steht seine Erziehung und sein Weltbild gegen jede Veränderung.
Rudolfs Niesen soll nicht etwa auf eine verschleierte Krankheit anspielen, sondern ist – wie bei ‚Mary Baronesse Vetsera‘ (Lisa Antoni) auch – als „allergische“ Reaktion auf die Umwelt zu verstehen. Alles, was Rudolf und Mary zuwider ist, löst dieses Niesen aus. Rudolf niest, weil er die Zurschaustellung auf dem Ball verabscheut und später, weil er sich vor dem epaulettenbehängten Cousin Wilhelm II. geradezu ekelt. Mary Vetsera niest, weil sie sich den Heiratsplänen mit dem langweiligen ‚Fürst Branganza‘ (Rory Six) entziehen möchte. Erst als Rudolf und Mary Vetsera Gefühle füreinander entwickeln, zeigt ein letztes Niesen in diesem Stück an, dass beiden ihre starke Zuneigung für einander nicht geheuer ist.
Auch ‚Eduard Graf Taaffe‘ (Uwe Kröger) wird nicht erst in dem großen Song Die Fäden in der Hand charakterisiert, sondern bereits in der Büro-Szene, die ihn als eleganten diplomatischen Strategen zeigt, der das skrupellose Handeln lieber anderen überlässt. Der erste Akt hat eine einführende Funktion und bereitet den Zuschauer auf die verschiedenen Erzählstränge im zweiten Akt vor. Erst auf der Grundlage der Kenntnis des ersten Aktes wird beispielsweise deutlich, dass die Darstellung Graf Taaffes in Die Fäden in der Hand die Wirklichkeit übersteigert. In dieser Szene, die sich im Kopf des Prinzen abspielt, wirkt der Ministerpräsident wie ein dämonischer Mephisto, der alle in seinen Bann schlägt, so dass sie wie eine gesichtslose Armee für ihn handeln. Seine reale Fähigkeit, alle glauben zu lassen, dass er auf ihrer Seite steht, verbindet sich in Rudolfs Alptraum mit der panischen Angst des Kronprinzen, aufgehängt zu werden und diversen traumatischen Erinnerungen an die Drill-Erziehung seiner Kindheit. Graf Taaffe wirkt allein deshalb so dämonisch, weil er es in den Augen des Kronprinzen ist. In Wirklichkeit geht der Ministerpräsident zu dieser Zeit noch sehr vorsichtig vor; erst später ist er bereit, im Notfall auch Gewalt anzuwenden, um Schadensbegrenzung, wie er sie versteht, zu betreiben. Deshalb steckt er seinem Vertrauten Wiligut erst dann eine Waffe zu, als er durch die begeisternde Rede des Kronprinzen auf der Industrie-Ausstellung die Monarchie in Gefahr sieht. Graf Taaffe ist ein Meister der Manipulation, wenn es um die Parteien des Kabinetts oder den Kaiser geht. Er streicht Franz Joseph die Stellen in Zeitungsartikeln, die er lesen soll, an, damit dieser nur liest, was ihm gefällt. Die Dialogszenen im ersten Akt enthalten zahlreiche Anspielungen auf historische Konstellationen und auf charakteristische Eigenschaften der Figuren. Der Zuschauer wird auf diese Weise, unterstützt von den suggestiven Abläufen auf der Bühne, ganz allmählich in das Geschehen hineingezogen.
Eine starke unterschwellige Wirkung haben auch die Soundakzente vonHendrik Maassen, wie beispielsweise das Ticken der Uhr. Es bildet ein hartnäckiges Hintergrundgeräusch in den Szenen, in denen Stephanie Rudolf zu verstehen gibt, dass sie wegen ihm wieder einmal zu spät zum Empfang kommen, aber auch in Taaffes Büro tickt ein Zeitmesser, der an die fortschreitende Zeit erinnert. Nirgendwo ist eine Uhr sichtbar, der Effekt tritt erst nach und nach ins Bewusstsein, erzeugt aber eine besondere atmosphärische Stimmung.So auch in der Szene in der Augustinerkirche: Von draußen ist der Regen im Gotteshaus hörbar, die Kirche wirkt ungemütlich und kalt; ein Eindruck, der durch den Hall im Raum noch verstärkt wird.
Zu den Dialogszenen im ersten Akt kommen mitreißende Tanz- und Ensembleszenen, die einen Gegenpol zu den dramatischen Dialogen bilden. Denn Frank Wildhorn kreierte für ‚Rudolf – Affaire Mayerling‘ nicht nur große dramatische Balladen – Songs wie Arien, wie wir sie mit wenigen Ausnahmen erst im zweiten Akt des Musicals finden – und seine Motive, die mit ihrer prägenden Musiksprache das Auftreten der Hauptfiguren charakterisieren, sondern, in Würdigung des k.u.k. Lokalkolorits, auch mitreißende Walzerklänge, Märsche, einen heiteren Ländler und ungarischen Csárdás, aber auch einen Tango, den John O’Connell, wie alle großen Tanz- und Ensembleszenen, einfallsreich und zugleich unaufdringlich choreographierte.
Der zweite Akt wirkt kürzer, denn hier haben wir mit Ausnahme zweier längerer Schauspielszenen, die großen romantischen, dramatischen Pop-Balladen. Ohne Kenntnis der Zusammenhänge wären sie einfach „nur“ schöne Lieder, so aber erhalten sie eine sinnstiftende Funktion und tragen die Geschichte weiter. Nina Jäger entgeht in ihren deutschen Liedtexten jeder Gefahr der Verkitschung der Liebesgeschichte zwischen Rudolf und Mary Vetsera.
David Leveaux‘ sensible Inszenierung spielt sich in einem besonderen Rahmen ab, der auch den Protagonisten des Stückes, viel mehr als sonst, ein Agieren mit dem Bühnenbild abverlangt. Gemeinsam mit der Drehbühne und fahrenden Wänden der Red Box, die immer wieder den Blick durch das „Guckkasterl“ auf das Geschehen eröffnen, gestaltet der halbrunde Vorhang, der an einem Rundhorizont bewegt wird, das Bühnenbild. Erstmals wahrgenommen wird dieser Vorhang als realer Vorhang, der im Burgtheater die kaiserliche Loge zur imaginären Bühne abgrenzt. Im eindrucksvollen Bühnenbild von Mike Britton ist alles in Bewegung; ineinander fließend werden immer wieder neue Räume geschaffen. Szenen entstehen und lösen sich auf. Wenn bei ‚Les Misérables‘ die Drehbühne schon Bilder entstehen ließ, die vorbeifahren, und von den neueren Musicals, wie auch bei ‚Marie Antoinette‘, die Geschichte mittels einer Drehbühne erzählt wird, so folgt in ‚Rudolf – Affaire Mayerling‘ das Bühnenbild buchstäblich den Worten des Kronprinzen Rudolf: „Die Welt nimmt ihren Lauf“.
Das Lichtdesign von Patrick Woodroffe unterstützt die suggestive Wirkung des Bühnenbildes ebenso wie das Staging der Figuren, dieLaura Hopkins – wo unerlässlich – in historische, wo möglich in historisierende Kostüme eingekleidet hat. Die Bekleidung wird auch der Eigenart des Trägers, der Trägerin, oder ihrer jeweiligen Position in der Szene gerecht. So trägt speziell Mary Vetsera Kleidung mit modischen oder extravaganten Akzenten und frischen Farben, während bei ‚Marie Gräfin Larisch‘ (Carin Filipčić) ein Farbakzent zum eher gedeckten, aber sehr eleganten Kleid lediglich in Form von Handschuhen oder Hutband gesetzt wird. Der „private“ Rudolf trägt abseits seiner offiziellen Auftritte einen schwarzen Ledermantel und roten Schal. Laura Hopkins setzt ganz gezielt Akzente an der Kleidung. Vielleicht hätte sie auch die junge Frau, die am Anfang Selbstmord begeht, mit einem Farbakzent ausstatten sollen, damit deutlich wird, dass sie zur Gruppe der unzufriedenen Bürger auf der Galerie gehört, bevor sie ihren, wie Gräfin Larisch es nennt, „tragischen Auftritt“ hat. So ist es beim ersten Sehen schwer, die junge Frau einzuordnen.
Patrick Woodroffes und Adam Bassetts Lichtprogramm spielt mit Farbkontrasten sowie Licht und Schatten. Durch Beleuchtung von hinten wird der rote Vorhang im Ton intensiviert, erscheint fast durchsichtig oder wechselt hin zu einem tiefen Blau. Passend eingefärbt sind auch die Wings: In der Mayerling-Szene sind sie kalkweiß und große Kälte liegt nach dem Tod des Liebespaares über der Szenerie. Rot dagegen steht in dem Rudolf-Musical für Konfrontation von gegensätzlichen Emotionen. Zu Beginn des Stückes tritt ‚Kronprinzessin Stephanie‘ (Wietske von Tongeren) aus einer roten Türlaibung zu ihrem Mann ‚Kronprinz Rudolf‘; in der Alptraumszene ist die ganze Umgebung rot und die Figuren im Hintergrund agieren wie Scherenschnitt-Marionetten in einem Schattenspiel. Zentrales Bühnenbildteil in ‚Rudolf – Affaire Mayerling‘ bildet ein Treppenbogen, der, wie bereits die Treppe in ‚Rebecca‘, vielfältig zum Einsatz kommt. Er bietet Graf Taaffe den Überblick über das Geschehen auf dem Ball und ermöglicht seine flüchtigen, aber eindeutigen Treffen mit Gräfin Larisch. Für Rudolf stellt die Treppe das Rednerpult seines ersten und letzten selbstbestimmten öffentlichen Auftrittes dar. Unter den wenigen Großrequisiten ist eine große rechteckige Spiegelfläche, auf der in der Kabinett-Szene die Silhouette einer Landkarte projiziert wird; in der Waagerechten verwendet, bildet sie die Wand hinter dem Tresen im ‚Salon Apokalpyse‘. Die weiteren Requisiten sind auf das Wesentliche reduziert, aber charakteristisch für die jeweiligen Räume: Die Ottomane steht im Haus der lebenserfahrenen Gräfin Larisch, ein Stuhl und kleines Tischchen zum Lesen und Schreiben bei Mary Vetsera, der große Managerschreibtisch, vor dem jeder Deliquent tiefer sitzt als der Ministerpräsident, im Büro von Graf Taaffe. Einzig das Bühnenbild in der Praterszene am Ende des 1. Aktes bleibt unklar. Den Hintergrund bildet eine Wiensilhouette, vorne ist eine Bank, auf der sich Rudolf und Mary treffen. Man fragt sich, warum nicht mit einem halben Riesenrad auf dem Prospekt auf den Ort der Zusammenkunft aufmerksam gemacht wird, denn auf den Prater weist hier nichts hin.
Bewegtes Bühnenbild und die Drehbühne unterstützen die szenischen Abläufe in einzigartiger Weise, bergen aber auch die Gefahr, zu irritieren oder von den Akteuren auf der Bühne abzulenken. Neben einer akzentuierten Lichtführung, die den Darsteller im richtigen Moment ins rechte Licht setzt, ist der Protagonist selbst gefragt, das durch akzentuiertes Schauspiel und intensive Performance seiner Songs zu verhindern. ‚Rudolf – Affaire Mayerling‘ wartet mit einer internationalen Besetzung auf und ist bis in die sogenannten kleineren Rollen hinein mit bekannten Namen besetzt.
Der Amerikaner, nun nach langer Zeit erneut Wahlwiener, Drew Sarichspielt die Titelrolle. Er beeindruckt gesanglich und zeigt gutes Schauspiel mit emotionalen Höhepunkten, kann aber sicher noch an Ausdruck zulegen. Besonders berührt hat am Premierenabend Drew Sarich mit seinen großen Balladen: im ersten Akt: Wohin führt mein Weg? und im zweiten Akt mit dem sehnsuchtsvollen Lied Wie jeder andre Mann Reprise. Sehr sympathisch stellt er den privaten Rudolf dar, der sich auf das Eislaufglück mit Mary Vetsera einlässt und endlich einmal seine Steifheit und ernste Miene fallen lassen kann. Drew Sarich harmoniert sehr gut mit seiner Bühnenpartnerin Lisa Antoni, die durch ihre ungekünstelte Darstellung sofort für sich einnimmt. Mit ihrer klang- und zugleich kraftvollen Stimme ist sie eine starke Duettpartnerin, bietet dabei im Gesangsduell Wenn das Schicksal dich ereilt auch Uwe Kröger aufs Schönste Paroli. Dieser setzt in Die Strahlende Zukunft aber auch die leisen Töne berührend um. In der Rolle des strategischen Politikers, der versucht alle, einschließlich dem Kaiser, zu manipulieren, beweist Uwe Kröger einmal mehr, welch herausragender Schauspieler er ist. Trotz des fast militärischen Haarschnitts ist Graf Taaffe so gar kein Militarist. Er zuckt bei jedem Zusammenschlagen der Hacken von Meisner genervt zusammen. Oft sind es die kleinen Gesten oder die Mimik, die beeindrucken. So entgleiten Graf Taaffe bei der Rede des Kronprinzen über den ‚Weg in die Zukunft‘ geradezu nach und nach die Gesichtszüge, von Ärger über die Einmischung bis hin zu hellem Entsetzen findet sich hier alles.
Insgesamt gilt für ‚Rudolf – Affaire Mayerling‘, dass die Musicaldarsteller in diesem Stück zeigen dürfen und müssen, dass sie auch gute Schauspieler sind. Schon bei der Premiere hat man den Eindruck gewonnen, dass es der Rudolf-Cast Spaß macht, sich einmal auf diese Weise auszudrücken. Martin Pasching beispielsweise, der auch Zweitbesetzung von Graf Taaffe ist, spielt ‚Kaiser Wilhelm II.‘ als das Klischee eines säbelrasselnden Preußen, der auch im Bordell an zwei Fronten kämpfen möchte.So kann man sich das Lachen kaum verbeißen. Der gebürtige Belgier Rory Six, Zweitbesetzung ‚Kronprinz Rudolf‘, spielt im Ensemble verschiedene Rollen, unter anderem einen jungen Mann, der in den Salon Apokalypse kommt und Kronprinz Rudolf einen Spiegel vorhält. So wie er, kam der historische Rudolf wohl einst durch Graf Charles Bombelles, seinen Haushofmeister, in eine solches Etablissement, unwissend und bereit, sich belehren zu lassen. Sehr überzeugend bringt Rory Six herüber, welches Staunen, aber auch welche Schrecken die Avancen der erfahrenen Frauen bei ihrem Schüler auslösen.
Intensives Schauspiel zeigt auch Wietske van Tongeren, die ‚Kronprinzessin Stephanie‘ als gedemütigte Frau zeigt, die an dem festhält, was sie hat. Sie ist nicht bereit, ihre Stellung als Rudolfs Ehefrau und damit Anwartschaft auf den Thron der Kaiserin aufzugeben. Das ist das Einzige im Leben, was für sie zählt, da ihr Mann sie nicht liebt. Wietske van Tongeren spielt eine starke Frau mit großen Emotionen, ebenso gefühlvoll agiert sie in ihrem Solo Du bleibst bei mir. Im Sinne des Erhalts ihrer schönen kraftvollen Stimme wünscht man sich, dass das Orchester nicht immer so laut spielt wie an der Premiere. Die Künstlerin gibt alles und hat damit sicher nicht nur am Premierenabend stürmischen Applaus geerntet, aber sie soll ja jeden Abend mit ihrer Darstellung begeistern können.
Bezaubert hat an diesem Abend einmal mehr auch Carin Filipčić, stimmlich vor allem in ihrem schönen sorgen- und sehnsuchtsvollen Solo Die Liebe lenkt, zugleich aber auch durch ihr natürliches Schauspiel. Ihre Rolle ist die einer eleganten Frau, die im Leben schon einiges an negativen Erfahrungen gemacht und sich einen Zweckoptimismus erarbeitet hat, mit dem sie aus jeder Situation das Beste macht. Im Stück ist eine frühere Beziehung zu Graf Taaffe angedeutet und die Ballszene zeigt, dass dem Ministerpräsidenten die Frau keineswegs gleichgültig ist. Doch es bleibt bei der Andeutung, eigentlich schade, diese leidenschaftliche Schwäche für Gräfin Larisch hätte der Figur des Grafen Taaffe einen sehr menschlichen Aspekt hinzugefügt. Doch auch mit dem Kronprinzen verbindet Gräfin Larisch nicht nur der Verwandtschaftsgrad von Cousin und Cousine, sondern eine frühere Beziehung. Carin Filipčić begeisterte am Premierenabend zusätzlich mit ihrer großen Spielfreude.
Dem gebürtigen Dänen Claus Dam gelingt es, den Kaiser bei aller unnachgiebigen Härte als hin und hergerissen zwischen der Liebe zu seinem Sohn und der Staatsräson zu zeigen. Doch immer wieder verhindert seine eigene Erziehung und sein konservatives Weltbild ein echtes Verstehen der Ideen Rudolfs. Am Ende ist er der Erste, der sich vom Sterbebett seines Sohnes abwendet, noch vor Graf Taaffe. Beide tragen mehrflammige Kerzenleuchter fort. Der Kaiser ist zutiefst enttäuscht und sieht im Selbstmord Rudolfs nur Schwäche und Flucht vor den Pflichten des Lebens. Zuletzt wenden sich Kronprinzessin Stephanie und Gräfin Marie Larisch von der letzten Ruhestätte Rudolfs und Mary Vetseras ab. Bevor das Liebespaar die letzte Kerze ausbläst, tragen Ehefrau und Vertraute als Einzige je eine Kerze mit sich – als Symbol dafür, dass sie in Rudolfs Leben eine bestimmende Rolle gespielt haben.
Bei allen historischen Bezügen bringt ‚Rudolf – Affaire Mayerling‘ doch einen historischen Roman auf die Bühne. Die Geschichte endet dort, wo der Mythos von Mayerling anfängt – mit all seinen Gerüchten um den Tod des Kronprinzen mit Mary Baronesse Vetsera. Genauso wie das Musical keine Entscheidung im Historikerstreit darüber trifft, ob Kronprinz Rudolf totkrank oder längst von einer weitverbreiteten Gonorrhoe genesen war, so gibt es auch keine Antwort auf die Frage seines Ablebens in Mayerling. Im Musical steht Mayerling für eine Sehnsucht, die Rudolf in Mary weckt und die ihm der einzige Ausweg zu sein scheint, nachdem ihm eine Verwirklichung politischer Ideen unmöglich gemacht wurde: „Manchmal ist es besser, sofort zu sterben, als jeden Tag ein bisschen.“ Mit seinem selbstgewählten Tod verhöhnt Rudolf den Vater, der ihm diese Entscheidung nicht verbieten kann, aber auch seine Frau Stephanie, die den Sinn ihres Lebens darin sah, als hochverehrte Kaiserin an der Seite des zukünftigen habsburgischen Kaisers zu stehen.
‚Rudolf – Affaire Mayerling‘ ist ein Musical, das nachwirkt. Es verlangt vom Publikum, sich einzulassen auf die Faszination einer sensiblen, psychologischen Inszenierung mit anspruchsvollen Schauspieldialogen. Es verdient und erfordert sogar einen zweiten Besuch. Dem neugierigen wissbegierigen Zuschauer bietet es viel Material, eine mitreißend gespielte und gesungene Liebesgeschichte vor historischem Hintergrund und ein Bühnenbild, in dessen Mitte großartige Darsteller einen historischen Roman zum Leben erwecken.