Jesper Tydén spielt seit dem 22. Dezember 2008 die männliche Hauptrolle in der großen Tourproduktion von ‚La Belle Bizarre du Moulin Rouge‘. Kurz vor der Vorstellung in Wetzlar sprachen wir mit Jesper Tydén über das Stück, die Rolle des ‚Armand‘ und seine Tourerfahrungen.
UM: In knapp zwei Stunden beginnt die Vorstellung in der Wetzlarer Stadthalle und Sie kamen heute direkt aus Offenburg hierher. Was bedeutet diese erste Tourerfahrung für Sie?
JT: Ja, ich habe die Bühne, auf der wir gleich stehen werden, noch nicht gesehen (lacht). Wir sind um etwa 10:00 Uhr in Offenburg weggefahren, waren um vielleicht 13:30 Uhr da. Dann haben wir Lunch in der Stadt gegessen und uns danach auf dem Hotelzimmer etwas ausgeruht. Gerade eben sind wir hierher gefahren. Als ich ausgestiegen bin, dachte ich: „Aha, so sieht es aus. Das ist also die Stadthalle und hier stehe ich heute Abend auf der Bühne.“ So sehen die Tage meistens aus. Am Anfang kamen dann immer noch intensive Proben dazu, aber jetzt wird meist nicht mehr geprobt.
Es ist eine ganz neue Erfahrung. Am Anfang war es komisch, so einfach ein neues Theater zu sehen und dann dort zu spielen. Irgendwie ist das auch eine lustige Erfahrung und man gewöhnt sich daran. Es macht mir weniger aus, als ich gedacht hätte. Das Reisen an sich und ständige Wechsel der Hotelzimmer ist schon mühsam. Auch wenn wir einen Tag nicht spielen, kommt man nicht wirklich zur Ruhe. Es fühlt sich trotzdem wie ein Arbeitstag an, weil man ja trotzdem den Ort wechselt.
UM: Da Sie ja demnächst parallel auch noch bei ‚Les Misérables‘ in Klagenfurt auf der Bühne stehen, bedeutet die Tour für Sie eine vielleicht noch stärkere Belastung als für die anderen. Wie organisieren Sie das?
JT: Dank guter Vereinbarungen mit beiden Seiten klappt das ziemlich gut. Ich stand zuerst in Klagenfurt unter Vertrag. Man hat sich dort, wo meine erste Verpflichtung lag, sehr verständnisvoll gezeigt. Sie meinten: „Es ist alles okay, wenn Du uns eine Zweibesetzung bringst.“ Das habe ich gemacht. Derjenige ist dort jetzt offiziell eingestellt und ich habe ein eigenes Konzept erarbeitet, wie ich es am besten realisieren kann. Und bei der Tour habe ich ebenfalls eine gute Zweitbesetzung. Auch wenn ich die Abwechslung liebe, bleibt es natürlich stressig. Ich muss immer wieder raus aus dem Touralltag, schauen, wo ist der nächste Flughafen, von dem ich nach Klagenfurt komme. Dennoch, ich freue mich auch darauf, zur Abwechslung ‚Les Misérables‘ zu machen.
Eine andere Geschichte
UM: Was war für Sie der besondere Reiz an ‚La Belle Bizarre du Moulin Rouge‘?
JT: Das Stück hat einfach eine tolle Musik. Von Anfang an hat es unheimlichen Spaß gemacht, sie zu singen. Dann gefällt mir die Geschichte des Moulin Rouge-Filmes einfach unheimlich gut. Ich kannte ja nur den Film und als es hieß, wir machen eine Adaption des Filmes, sagte ich: „Hey toll. ‚Your Song‘, wow!“ Der erste Teil des Musicals ist näher am Film, während der zweite Teil eher Ideen von Gerhartz (Produzent) enthält. Da finde ich vor allem die ‚Lustszene‘ ganz schön. Wir hatten dafür einige Choreographievarianten, bevor wir uns auf die jetzige Fassung geeinigt haben. Doch, so ist es gut und es macht Spaß, die Szene zu spielen.
UM: Welche Geschichte erzählt das Musical und inwiefern unterscheidet es sich dabei vom Film?
JT: Sehr, schon weil die Rechte fehlten, um den Film genau umzusetzen. Daher auch die Bezeichnung: ‚La Belle Bizzare du Moulin Rouge‘. Die Voraussetzung für die Charaktere und Figuren sind schon ganz anders. Im Film ist der junge Mann ein armer Schriftsteller, zu dem der Filmtext von ‚Your Song‘ passt: „I don’t have much money, but if I did, I’ll buy a big house for you, where you can live“. Hier dagegen bin ich ‚Armand‘, ein reicher Adliger wie in der Oper ‚La Traviata‘. Dieser Armand sieht angeblich gut aus, er ist kreativ und hat Geld. ‚Fatime‘ ist eine Kurtisane, die vom Geld der Männer, die sie begehren, lebt. Man fragt sich: Wo ist der Konflikt, wo die Tragik, die das Stück weiter bringt? Und es wird erheblich schwerer, den Songtext herüber zu bringen. Im Film ist das ganz klar: Da gibt es den ‚Duke‘. Die Kurtisane steht zwischen zwei Männern, dem, den sie liebt und dem, der das Geld hat. Deshalb gibt es im Musical den Vater, der eigentlich das Geld hat. Wir erzählen eine andere Geschichte und das ist für mich okay. Ich würde mir nur wünschen, dass die neue Botschaft des Stückes klarer herausgearbeitet wird. Man muss danach fragen, damit das Publikum mitgeht und versteht. Das haben die Leute verdient.
Man geht im Musical immer Kompromisse ein, auch wenn man einen Song interpretiert, wobei sie hier zufrieden waren mit dem, was meine Kollegin Anna Montanaro und ich angeboten haben – mit allem. Ich finde das eine tolle Mischung, wenn wir mit den modernen Songs eine ganz andere Geschichte erzählen. Auch die verschiedenen Zeitsprünge finde ich genial – das ist gar keine Frage. Dabei ist die Bedeutung, die man den Songs gibt, sehr wichtig. Sie gehören zur Rolle, deren Entwicklung ich zeigen möchte. Für mich ist das Wichtigste bei einem Musical, eine Geschichte zu erzählen. Ich sehe das ja nicht so, dass ich ein Lied singe. Ich stelle die Figur ‚Armand‘ vor und erzähle seine Geschichte durchs Stück hindurch. Dabei versuche ich, das Publikum durch meine Art des Erzählens zu fesseln – nicht nur durch die musikalische Interpretation. Für mich ist das so etwas Einmaliges – diese Kombination aus Musik und Schauspiel, die Musical bedeutet (strahlt). Das hat so eine Stärke und das ist auch das Wichtigste für mich, wenn ich abendlich auf der Bühne stehe.
Dialog mit dem Publikum
UM: Wo Sie gerade Entwicklung sagten, wie sehen Sie die Entwicklung der Figur ‚Armand‘?
JT: ‚Armand‘ hat an sich keine sehr große Entwicklung im Stück. Die größere Entwicklung liegt bei ‚Fatime‘. Und der Konflikt besteht natürlich darin, dass sie als Kurtisane nicht lieben kann. In diesem Fall könnte man sogar sagen, dass sie es sich nicht mehr traut, auch wenn sie es vielleicht möchte. Anna Montanaro spielt grandios, ihr Ausdruck…und ihre schauspielerischen Fähigkeiten. ‚Armand‘ ist der, der es lernen muss, Fatime zu lieben, so zu lieben, dass sie ihn wieder liebt. Das ist der Wendepunkt in der Liebesgeschichte, als sie seine Liebe erwidert. Erst verliebt er sich Hals über Kopf, ist glücklich für eine Weile, verlässt sie und als er zurückkehrt, stirbt sie. Dann gibt es bei ‚Armand‘ noch den Vater-Sohn-Konflikt, durch den er sich befreit und aus dem er gestärkt hervor geht: „He cuts the wings from his father.“ Allerdings geht das hier sehr schnell. Alles geht sehr schnell. Aber ich kann mich nicht beschweren, abgesehen von der Schlussszene, die mir musikalisch überhaupt nicht gefällt, habe ich eigentlich nur schöne Songs zu singen. Den Schluss muss ich gut verkaufen, das ist harte Arbeit. Generell muss ich sagen, ich habe Glück mit den Liedern und es macht Spaß, sie zu singen. Mir fehlt etwas an der Rolle und ihrer Entwicklung im Stück. Vieles geht zu schnell, aber ich mache das Beste daraus.
UM: Uns ist aufgefallen, dass es speziell im ersten Teil kaum Möglichkeiten für Applaus gibt, eben weil es so schnell geht.
JT: Das stimmt, an manchen Stellen fehlt ein richtiges Ende, ein Ausklang. Ich finde es auch wichtig, den Leuten die Chance zu geben zu klatschen. Auch uns als Darstellern fehlt das Feedback durch den Applaus. Wir spüren gerne die Verbindung mit dem Publikum, dass es wie ein Dialog ist.
Die Reaktionen auf ‚La Belle Bizarre du Moulin Rouge‘ sind unterschiedlich. Einigen gefällt es gut, anderen gar nicht. Die Kritiken sind auch sehr verschieden. Einige verreißen es, andere Kritiken sind gut. Was weh tut ist, wenn Journalisten nicht unterscheiden können. Liegt es am Buch – wie auch immer man es sieht – oder am Darsteller. Und das Publikum direkt live ist mal mehr und mal weniger begeistert, was auch an den Mentalitäten des Publikums liegt. Meist ist es ein recht warmer Applaus und ich kenne mittlerweile nach 10 Jahren den Unterschied, ob er lauwarm oder herzlich und warm ist. Es gelingt uns offensichtlich, die Geschichte einigermaßen gut zu verkaufen. Aber wir Darsteller sind immer nur so gut, wie das Stück, das Buch, es zulassen.
UM: Bei so viel gemeinsamer Arbeit ist sicher der Zusammenhalt wichtig. Wie ist das bei dieser Tour?
Das Team ist toll, die Kollegen sind nett und wir sind wirklich eine gute Truppe. Glücklicherweise ist auch die Stimmung gut, wir bemühen uns alle, bei der Arbeit Spaß zu haben. Ich fühle mich wohl. Insbesondere Anna Montanaro und ich haben uns sofort gut verstanden. Sie ist eine super Kollegin und sehr ehrlich. Und auf der Bühne können wir uns aufeinander verlassen.
Neues und Eigenes
UM: Können Sie schon etwas über ein neues Stück und neue Termine in diesem Jahr sagen?
JT: (lacht) Ich bleibe Klagenfurt treu, denn ich werde dort nach dem Sommer in ‚Sweeney Todd‘ spielen. Das Musical ist ganz anders als der Film, soweit ich weiß. Ich werde den ‚Toby‘ spielen und freue mich besonders darauf, weil es eine Rolle mit Charakter ist. Es geht in eine ganz andere Richtung als die des Liebhabers, wie es der ‚Armand‘ ist. Außerdem ist Klagenfurt eine schöne Stadt und ich freue mich darauf, an diesem schönen Theater mit Regisseur Josef Köpplinger zu arbeiten. Wir verstehen uns sehr gut und die Arbeit an ‚Les Misérables‘ hat schon sehr viel Freude gemacht. Geplant sind 35 Vorstellungen und dann wird sich wie bei ‚Les Misérables‘ im Sommer 2010 der Turnus wiederholen. Die Musik von ‚Sweeney Todd‘ ist einfach toll. Sondheim sollte viel öfter gespielt werden, aber es ist eben eine anspruchsvolle, nicht gleich eingängige Musik.
UM: Wie sieht es mit der Planung eigener Projekte aus?
JT: Ich möchte gerne mehr eigene Songs machen und ‚Soul Secrets‘ als Konzertfortsetzung in Wien oder so fände ich auch sehr schön. Musical kann man nicht vergleichen mit einem Abend, an dem ich am Klavier sitze und eigene Songs singe. Das ist traumhaft schön, aber ganz anders. Das eine ist die Entwicklung einer Rolle, im anderen bin ich sehr ich selbst. Auch mit den ‚Drunken Sailors‘ möchte ich gerne weitere Konzerte geben. Da haben wir auch ein paar neue Songs gemacht, die möchte ich gerne fertig machen und im Netz veröffentlichen. Dann gibt es eine Reihe romantischer Songs, die ich gerne herausgeben würde. Aber es ist einfach so, dass man für solche Projekte Ruhe braucht. Dieses Jahr ist sehr voll. Bis Mai bin ich bei ‚Moulin Rouge‘, Juli / August kommt die Wiederaufnahme von ‚Les Misérables‘ in Klagenfurt und dann fängt ‚Sweeney Todd’ an, im September mit den Proben, Premiere wird im Oktober sein. Danach wird es etwas ruhiger für mich, wobei ich noch nicht weiß, was sich dann noch ergibt.
Eine ganz neue Erfahrung, die mir sehr viel Spaß gemacht hat, war auch mein erste pädagogische Arbeit: Nach meinem Examen im letzten Sommer, das mein Studium beendete, habe ich ein bisschen in Schweden unterrichtet – Gesang und Interpretation an einer Schule in Stockholm. Das war sehr schön und reizt mich sicher mal wieder.
Wenn man viel spielt, ist es nicht unbedingt so, dass die Inspirationen kommen, wenn man sich ans Klavier setzt. Ich habe auch mit Thomas Borchert darüber gesprochen. Für ihn ist es genauso. Er würde auch gerne mehr Eigenes machen. Ich habe ihm gesagt: „Thomas Du arbeitest zu viel!“ Er spielte Tanz der Vampire 5 – 6 Shows die Woche. Das geht nicht einfach so (schnippt mit den Fingern). Da braucht man seine Energie für den Tag. Man muss sich ausruhen, sehen, dass die Stimme in Ordnung ist. Das Konzert mit Thomas in Oberhausen war toll, wir hatten viel Spaß und haben auch schon Pläne geschmiedet: Wir machen Deutschland / Schweden oder Schweden / Deutschland – das ist egal – mit einem Fußballfeld und Trikots. Und mit der Nationalhymne fangen wir an. Ich singe die Meine und er die Seine. Wir haben einige Konzepte entwickelt und es wäre schön, es ließe sich etwas davon realisieren.
Für all Ihre kommenden Projekte wünschen wir alles Gute. Vielen Dank für das nette Gespräch.