»Wenn Rosenblätter fallen« – ein Musical über Sterbehilfe

Kai Hüsgen und Rory Six im Interview

‚Wenn Rosenblätter fallen‘ ist bereits die zweite Zusammenarbeit von Rory Six und Kai Hüsgen, nach ‚Der Klang des Meeres‘, aber die erste gemeinsame Musical-Produktion. Wir sprachen mit den beiden Kreativen über ihr Werk und seine Entstehung.

MC24/UM: Wie kam es zu diesem besonderen Musical-Projekt?

Kai Hüsgen und Rory Six (© Claudia Dilay Hauf)

Kai Hüsgen und Rory Six
(© Claudia Dilay Hauf)

RS: Das ist schon eine ganze Zeit her. Ich habe ja immer schon komponiert. Irgendwann hatte ich zum ersten Mal die Idee, ein Musical zu schreiben. Da hat mir eine Freundin das Buch von Brigitte Minne in die Hand gedrückt. „Hier, das musst Du mal lesen. Das ist toll; damit lässt sich bestimmt etwas machen.“ Ich habe das Buch gelesen, fand es sehr berührend und habe mir gedacht: Das ist mal etwas ganz anderes. Bald hatte ich auch schon Ideen. Ich habe musikalisch einiges ausprobiert, kam aber nicht recht weiter, bis Kai dazukam.

Er hat das Buch auch gelesen, ging dann aber ganz anders an die Sache heran. Dazu muss man wissen, dass das Buch rund zwanzig Personen beinhaltet: Freunde der Mutter und des Sohnes, die alle irgendwie zu der Geschichte gehören.

KH: Für das Jugendbuch ergibt das Sinn, weil alle diese Leute den Hintergrund für die Handlung bilden. Im Musical können wir diese vielen Menschen nicht brauchen. Da sprechen wir das Gefühl an. Auch erzählt das Buch gleich mehrere Konflikte. Wir haben für unser Stück den größten Konflikt herausgesucht, auf den wir uns bewusst beschränken. So kamen wir auf die drei Hauptfiguren des Buches und beschlossen: Dann machen wir ein Dreipersonenstück.

Das Buch hat eine Rahmenhandlung, die für die Bühne aber nur schwer darzustellen wäre. Wir haben deshalb einen Teilaspekt des Buches zur Rahmenhandlung unserer Geschichte gemacht und in diese den restlichen Inhalt eingebaut. Die Szenen sind immer noch die aus dem Buch. Die Rahmenhandlung und die Dramaturgie sind etwas anders.

Vom Buch zum Stück

RS: Im Buch ist es so, dass der Junge, der seiner Mutter Sterbehilfe geleistet hat, in ein Jugendheim kommt. Dort bekommt er die Aufgabe, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben, damit die Psychologin analysieren kann, warum er so gehandelt hat. Das Problem ist: Für die Bühne ist jemand, der schreibt, einfach uninteressant.

KH: Wir brauchten einen Grund, warum er seine Geschichte erzählt und warum er selbst alles verarbeitet. Da kamen wir auf das Mädchen, das er am Ende des Buches kennen lernt.

Wir haben uns also entschlossen, alles von dieser letzten Episode aus in Rückblicken zu erzählen. So wie er im Buch alles in Rückblicken aufschreibt, Stück für Stück, von der Krankheit der Mutter bis zum Kennenlernen des Mädchens, so ist bei uns das Kennenlernen des Mädchens der Auslöser für alle seine späteren Rückblenden. Er wird auch nicht wie im Buch gedrängt, zurückzublicken, sondern kommt alleine darauf, das Vergangene aufzuarbeiten. Das Konfliktpotential für die Bühne ist einfach viel höher, wenn er alles selbst durchgeht.

Und der Anstoß für seine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist die Begegnung mit dem Mädchen. Es macht auch den Reiz unserer Geschichte aus, dass sie nicht einfach eine Abhandlung über Sterbehilfe ist. Unser Stück hat einfach diesen Hintergrund und zeigt die ganzen Konflikte auf, die daraus entstehen. Es will weder befürworten, noch verdammen, sondern zeigt einfach auf, was passiert, wenn so ein Fall wirklich vorkommt.

Ein sensibles Thema

MC24/UM: Sterbehilfe ist zur Zeit gerade wieder ein sehr sensibles Thema. Leistet der Junge im Buch seiner Mutter aktive oder passive Sterbehilfe?

KH: Sie geht den letzten Schritt selbst.

RS: Er hilft ihr dabei, weil sie es nicht alleine kann.

Text - Kai Hüsgen (© MusicalClub24)

Text – Kai Hüsgen (© MusicalClub24/United Musicals)

KH: Im Kulturkreis, aus dem das Buch stammt — Brigitte Minne ist Flämin — wäre es in jedem Fall passive Sterbehilfe, die in Belgien auch erlaubt ist. Ich denke, bei uns wäre es ein Grenzfall.

Die Redaktion hat sich über den aktuellen gesetzlichen Stand informiert. In Deutschland wird die Handlung des Jungen als „Beihilfe zur Selbsttötung“ eingestuft. Diese bleibt bis auf Ausnahmen grundsätzlich straffrei.

Wir wollten im Stück auch darstellen, dass sie die Überdosis Morphium, die der Sohn ihr zubereitet, in vollem Bewusstsein nimmt. Es war uns ganz wichtig, zu zeigen, dass nicht er sie umbringt, sondern dass sie entscheidet, ob sie ihrem Leben ein Ende macht oder nicht. Das ist auch der große Konflikt, seine Rolle in der Sache. Was wäre gewesen, hätte er es nicht getan? Wir möchten deutlich machen, dass ein solcher Schritt für jeden schwer zu gehen ist. Vielleicht lässt er sich in dem Augenblick noch leicht tun, doch man sieht nicht die Konsequenzen – nicht das, was hinterher mit einem selbst passiert.

MC24/UM: Wie kommt man damit klar?

KH: Genau darum geht in der Hauptsache unser Stück, um die Verarbeitung, um die Frage an sich selbst: Was habe ich da getan? Warum vergesse ich meine Mutter immer noch nicht? Jetzt ist dieses Mädchen auch noch da, die aussieht wie meine Mutter. Er wird immer wieder daran erinnert, was er getan hat.

MC24/UM: Sie zitieren auf Ihrer Homepage auch eine Stimme der Hospizbewegung. Was verbinden Sie beide damit?

KH: Sie war der Auslöser für die Autorin Brigitte Minne, ihr Buch zu schreiben. Im Rahmen des Firmunterrichts haben wir einmal ein Hospiz besucht. Man ist gewohnt, dass jemand entweder alleine stirbt oder im Kreis der Familie. Was aber ist mit den Menschen, die keine Familie haben oder deren Familie gar nicht die Kraft hat, das durchzustehen? In unserem Fall ist da nur ein Sohn mit seiner Mutter, eine Mutter mit ihrem Sohn. Diese Leute vom Hospiz helfen, mit dem Sterben umzugehen. Das finde ich etwas sehr Wichtiges. Sie ermöglichen Menschen, in respektvoller Art und Weise zu sterben, die eben keinen Hintergrund haben — eine Familie, die das tragen könnte.

In unserer Geschichte stirbt die Mutter des Jungen zu Hause. Er ist der Einzige, der dabei ist. Es gibt einen zentralen Dialog im Stück, der das Alleinsein mit der Situation anspricht. Die Mutter sagt: „Ich möchte gerne ins Krankenhaus gehen, damit Du das Ganze nicht miterleben musst.“ Darauf sagt er: „Nein, ich möchte gerne, dass Du hier bei mir bleibst, dass wir den Weg gemeinsam gehen.“

Musikalische Leichtigkeit

MC24/UM: Wir haben jetzt vieles über die bewegende Geschichte gehört und davon, was Sie beide mit Ihrem Stück vermitteln möchten. Wie würden Sie, Rory Six, die Musik von ‚Wenn Rosenblätter fallen‘ beschreiben?

RS: Ich finde es immer sehr schwierig, dazu etwas zu sagen. Da werde ich gefragt: „Wie klingt Deine Musik denn?“ Was soll ich dazu sagen? Für mich klingt sie eben auf gewisse Weise wie meine Musik (lächelt leicht verlegen). Ich finde es komisch, einen anderen Komponisten zu nennen, mit dem ich mich vergleichen wollte. Kai, was sagen wir selbst über unsere Musik?

KH: Im Bereich Musical erinnert sie vielleicht am ehesten an…

KH und RS: (beide in einem Atemzug)…’Rent‘.

Rory Six - Musik (© MusicalClub24)

Rory Six – Musik (© MusicalClub24/United Musicals)

RS: Von den Arrangements ähneln die Kompositionen ‚Rent‘ (Jonathan Larson) und ‚Spring Awakening‘ (Duncan Sheik & Steven Sater) . Dazu kommt eine Mischung Alan Menken (Disneymusicals und Filmmusik) und Jason Robert Brown (z.B. The Last 5 Years).

KH: Es geht in die Richtung der amerikanischen Off-Broadway-Musicals.

RS: (grinst) Trotzdem ist da auch noch ein bisschen Andrew Lloyd Webber drin.

Lasst mich so sagen: Ich habe versucht, Musik zu schreiben, die fürs „normale“ Publikum, für die Leute, die nicht jeden Tag ins Theater gehen, eingängig ist. Ich wollte, dass man sich auf die Geschichte einlassen kann und nicht zu stark auf die Musik achten muss.
Die Mutter hat nun einmal einen Gehirntumor. Klar, gibt es deshalb auch Passagen, in denen alles so ein bisschen durcheinander geht, wo die Akkorde etwas schräg klingen. Trotzdem möchte ich erreichen, dass der Zuschauer sich auch hier immer noch auf die Geschichte konzentrieren kann.

Wenn diese Szene gespielt wird, ist die Aussage besonders stark. Insgesamt ist ‚Wenn Rosenblätter fallen‘ ein schauspiellastiges Stück; Schauspiel spielt darin eine sehr wichtige Rolle. Es ist für Darsteller geschrieben, die sehr gut spielen. Und wir haben jetzt eine Supercast zusammen, Leute, die einfach fantastisch spielen. Allein schon auf der CD hört man das. Macht man die Musik zu schwer, so erschwert man auch den Darstellern noch zusätzlich ihr Spiel.

KH: Wir haben von Anfang an gesagt: Das Thema ist schon schwer genug. Wir erreichen nichts, wenn wir da jetzt auch noch schwere Musik machen. Wir wollen aber etwas erreichen. Wir möchten, dass die Menschen zuhören und erstmal einen leichten Einstieg in das Stück finden.

MC24/UM: Sie nannten gerade eben noch ‚Spring Awakening‘. Dort gibt es auch einen deutlichen Unterschied zwischen den teils extremen Texten und der leichteren Musik. Ist es das, was Sie meinen?

KH: Genauso ist es. Ich finde auch die Kraft besonders stark, wenn das Ganze irgendwie Kontrast hat.

RS: Im Stück gibt es dieses zentrale Lied ‚Immer für Dich da‘, in dem der Sohn die einzelnen Phasen durchgeht, die er mit seiner Mutter bis zu ihrem Sterben erlebt hat: Kindheit und Teenageralter.

Wir waren gerade heute noch mit dem Tontechniker von musicalnet im Studio, der alles gerade am Abmischen ist. Und wenn Du dann dieses Lied anhörst und es klingt so leicht. Dann denkst Du: Oh, welch schönes Lied. Auf einmal kommt ein Bruch im Text: „Ich habe meine Mutter umgebracht.“ Gerade weil das Lied so leicht wirkt, und man so mitgeht, kommt es einen irgendwie sehr hart an. Dadurch entsteht ein toller Effekt, weil die Musik so leicht ist.

im Gespräch (© MusicalClub24)

im Gespräch (© MusicalClub24/United Musicals)

Ich finde zum Beispiel Komponisten wie Adam Guettel, der ‚The Light in the Piazza‘ komponiert hat, großartig. Er hat richtig schwere Musik für dieses Musical geschrieben.
(Kai stimmt begeistert zu)

RS: Sie ist fantastisch, aber solch eine Art Musik hätte nicht zu unserem Stück gepasst.

KH: Sie war auch nicht das, was wir wollten. Es war vor allem unsere Entscheidung.

RS: Die Sprechtexte sind schauspieltechnisch an sich schon sehr dramatisch. Wenn die Musik dann noch eine Steigerung beinhalten würde…

KH: Die Musik trägt ja ohnehin den größten Moment der Emotionen.

RS: Richtig. Und ich bin sicher, du als Publikum schaltest ab, wenn zum schweren Text auch noch schwere Musik kommt. Ich glaube, irgendwann bist du so voll von Emotionen, dass es nicht mehr geht. Deshalb habe ich eine Musik geschrieben, die die dramatischen Texte nicht noch zusätzlich belastet.

Pia Douwes, Thomas Hohler, Lucy Scherer

MC24/UM: Sie beiden haben jetzt schon mehrfach gesagt, dass Ihr Musical gute Schauspieler erfordert, die schon auf der CD die Texte schauspielerisch vermitteln. Wie kam es zu gerade dieser Zusammensetzung Ihrer Studio-Cast?

RS: Pia kennen wir beide, weil wir gemeinsam ‚Elisabeth‘ gemacht haben. Mit Lucy habe ich auch schon gearbeitet und wir sind sehr gut mit ihr befreundet.

KH: Und Thomas kenne ich noch von damals, von dem Gesangswettbewerb, den wir beide bestritten haben. Bei der Rolle habe ich die ganze Zeit schon an jemanden wie Thomas gedacht, der einfach noch so frisch und unverbraucht ist und mit so einer unheimlichen Energie an das Ganze herangeht. Denn die Rolle neigt sehr dazu, dass jemand sie die ganze Zeit durchleiden kann. Das finde ich persönlich ziemlich uninteressant. Ich finde immer jemanden, der gegen sein Leid kämpft, viel interessanter. Dafür brauchten wir jemand Frisches und waren dann sehr froh, als Thomas „Ja“ gesagt hat.

RS: Wir haben beim Schreiben eigentlich immer schon Leute im Kopf gehabt, die wir mit der Rolle verbinden. Und natürlich mussten wir für eine CD, damit sie möglichst viele Menschen interessiert, sehen, dass wir bekanntere Darstellerkollegen finden. Und wenn man dann das unglaubliche Glück hat, dass jemand wie Pia dann auch Zeit hat…

KH: Bis wir einen Termin für das Studio hatten, hat es, glaube ich, drei Monate gedauert.

RS: Am schönsten war, dass sie dann wirklich begeistert war von der Sache. Sie hat das Stück gelesen, die Musik gehört und gesagt: „Das will ich unbedingt machen“.

KH: Das war für uns ein Riesenglück. Ihre Reaktion hat uns den Mut gegeben zu sagen, jetzt machen wir es erst recht. Denn wir produzieren alles selbst. Wenn es jemand wie sie reizt, haben wir uns gedacht, dann spricht das für die Chance, dass es auch andere Menschen interessiert.

Der lange Weg zur Produktion

RS: ‚Wenn Rosenblätter fallen‘ ist ja sozusagen unser Erstlingswerk. Unser erstes Werk, das richtig produziert wird, das herauskommt. ‚Der Klang des Meeres‘, Kais und mein erstes gemeinsames Projekt, ist immer noch mit Autorenrechten belegt. Obwohl wir von den Autoren eine Art Zusage hatten, haben wir die Rechte immer noch nicht. Die Zusage wurde zurückgezogen und nun dauert es schon anderthalb Jahre, dass wir deshalb in Gesprächen sind.

KH: Das ist jetzt ganz anders. Wir haben das Glück, dass Rory Brigitte Minne, die Autorin von ‚Wenn Rosenblätter fallen‘, selbst kennt.

RS: Bevor wir richtig angefangen haben, haben wir ein vollständiges Konzept erstellt. Das wollen wir und so soll es aussehen. Dieses fertige Skript haben wir ihr geschickt.

KH: Den Geist des Buches fängt das Musical sehr schön ein, aber es geht in der Form der Darstellung teilweise sehr weit weg vom Buch. Gerade in der Erzählform. Deshalb haben wir im Vorhinein gefragt, ob wir das mit ihrem Buch überhaupt dürfen.

RS: Sie hat das Konzept gelesen und war begeistert. Ein Vorteil ist sicher, dass Brigitte Minne ein Multitalent ist. Sie schreibt beispielsweise auch Fernsehserien für Kinder.

MC24/UM: Leider ist ausgerechnet das Jugendbuch ‚Wenn Rosenblätter fallen‘ nicht ins Deutsche übersetzt worden, wie wir bei unseren Recherchen feststellen mussten.

KH: Ja, das stimmt, leider nur die Kinderbücher. (lacht) Gott sei Dank, kann ich Holländisch und konnte dieses Buch lesen.

MC24/UM: Haben Sie schon Pläne für eine Präsentation?

KH: Die Veröffentlichung der CD ist für Ende Oktober geplant. Wir hoffen, die Mischung ist bis dahin fertig. Bevor alles so klingt, wie es soll, liegt immer noch viel Arbeit vor uns. Wir haben einen fantastischen Mischer mit Martin Wingerath von musicalnet, der sehr viel Arbeit hineinsteckt.

RS: Und es ist wirklich so: Die Mischung macht die Hälfte der Arbeit aus. Die Sänger können alles super einsingen, doch dann braucht man jemanden, der das richtig gut bearbeiten kann. Martin Wingerath mischt auch die ganzen CDs von Koen Schoots, auch Playback-CDs. Er hat unter anderem auch die CD von ‚Scarlet Pimpernel‘ fertiggestellt. Wir sind sehr froh, dass wir jemand gefunden haben wie ihn.

MC24/UM: Wer produziert?

RS: Wir produzieren gerade selbst und laufen wird das Ganze unter dem Label von Sound of Music.

KH: Das Label gibt uns das ganze Know How, was wir alles tun und beachten müssen: das Rechtliche, Kontakt zum Presswerk etc.

RS: Man braucht ein Label, wenn man eine CD wirklich an den Mann bringen möchte. Natürlich könnte man sie bei Konzerten verkaufen, aber um eine CD im Laden zu veräußern, braucht man das Label.

KH: Und da sind wir auch glücklich, dass es so etwas wie Sound of Music gibt, die anderen Leuten einen Chance geben und ihre Hilfe anbieten. Das ist auch nicht so selbstverständlich.

KH: Bei der CD haben wir uns auf die klassische Rockband beschränkt: Gitarre, Klavier, Bass und Schlagzeug.

RS: Und natürlich klingt alles ganz anders als die Demos auf meiner Seite, die ja fast nur Klavier beeinhalten.

KH: Es ist schon etwas ganz anderes, wenn sich eine Band ins Studio setzt und wirklich eine Jam Session daraus macht. (begeistert) Dadurch, dass Musiker vor Ort spielen und sich selbst einbringen, hat die Musik noch mal so „ein Mehr“ bekommen. Wir haben einen ganz tollen Pianisten, der die ganzen Arrangements macht.

Ohne Lachen kein Weinen

intensives Gespräch im Frankfurter Hauptbahnhhof (© MusicalClub24/UM)

intensives Gespräch im Frankfurter Hauptbahnhhof (© MusicalClub24/UM)

KH: Wir sind selbst sehr gespannt, wie unser Stück ankommt, auch wegen des Themas.

RS: Es gibt viele Leute, die gemeint haben „den Untertitel – ‚ein Musical über Sterbehilfe‘ – sollen wir den nicht lieber streichen?“

KH: Weil jeder mit Musical ja „Beine hoch und Lächeln“ verbindet.

MC24/UM: Dabei gibt es doch einige Musicals, die zum Nachdenken anregen und trotzdem unterhalten.

KH: So ist es. Und wir sehen Musical eben auch als moderne Form des Musiktheaters. Man kann dadurch unterhalten, dass man Spaß macht. Man kann aber genauso gut unterhalten, indem man Emotionen hervorruft.

KH: Ich gehe gerne in ‚Mamma Mia‘, wenn es gut gemacht ist, wenn die Pointen sitzen und das Ganze einen Zug von Anfang bis Ende hat. Genauso gerne schaue ich mir ein Musical von Stephen Sondheim in einer hervorragenden Inszenierung an.

Mein persönlich beeindruckendstes Musicalerlebnis ist immer noch ‚Blood Brothers‘ (Willy Russel) in London. Ich war fünfmal in London und jedes Mal wurde mir gesagt, schau dir ‚Blood Brothers‘ an. Doch immer waren da die ganzen anderen großen Shows anzuhören. Dann habe ich es endlich gesehen und auf dem ganzen Rückweg zum Hotel geheult, weil es mich so gepackt hat. Ich war einfach auf einmal drin. Auf der Bühne standen fantastische Schauspieler, die einen mit ganz einfacher Musik und ganz einfachen Mitteln so intensiv gepackt haben.

RS: Wo Du jetzt auf ‚Blood Brothers‘ kommst — eigentlich haben wir auch bei unserem Projekt gesagt, wir wollen etwas wie ‚Blood Brothers‘ haben. Dort ist die Musik ganz einfach und du gehst raus und bist total fertig. Du hast gelacht – denn den ersten Akt bei ‚Blood Brothers‘ lachst Du eigentlich nur. Und den zweiten Akt…

KH: eben (nickt und lacht)

RS: Irgendwie ist das bei ‚Rosenblätter‘ ähnlich. Jeder denkt: Sterbehilfe, das wird ein großes Drama werden.

KH: Es hat auch seine komischen Momente.

RS: Genau.

MC24/UM: Braucht es das nicht auch? Muss man nicht in irgendeiner Weise humorvoll mit dem Thema umgehen können?

RS: Unbedingt.

KH: Genauso. Es ist kein Schenkelklopfer, sondern es ist einfach Humor. Genau das ist es: Humor. Ich bin auch als Schauspieler der Meinung, man kann jemanden nur zum Weinen bringen, wenn man ihn vorher zum Lachen gebracht hat. Weil ich ihn dann erstmal öffne, Gefühle zulasse, und erst dann kann ich ihn treffen. Sonst wird alles ganz schnell melodramatisch. Dann wird auf die Tränendrüse gedrückt, und das Ganze wirkt nicht mehr echt.

RS: Nun haben wir das Glück, selbst Darsteller zu sein. Wir haben also Readings gemacht. Insgesamt haben wir das Stück bestimmt selbst tausendmal gespielt.

Ein ganz anderes Arbeiten

MC24/UM: Aber Sie wollten nicht selbst mitspielen?

Rory Six und Kai Hüsgen (© MusicalClub24/UM)

Rory Six und Kai Hüsgen (© MusicalClub24/UM)

RS: Ganz bewusst nicht. Für uns heißt ‚Rosenblätter‘ Schreiben. Darsteller zu sein ist etwas ganz anderes. Wenn man anfängt, es zu mischen, ist das gefährlich.

KH: Ich bin auch generell für die verschiedenartigen Kunstformen. Ich wechsele auch gerne zwischen ihnen. Wenn man ein Projekt angeht, bin ich persönlich dafür, sich auf eine Position zu konzentrieren. Mir würde es zuviel werden, wenn ich mich um das kümmern muss und auch noch um das kümmern muss. Es gibt Leute, die können das hervorragend, Leute, die nur glücklich sind, wenn sie die Macht über alles haben. Wir aber haben entschieden, uns bewusst auf das Eine zu konzentrieren. Texter, Komponist und Buchschreiber in einem zu sein, bedeutet schon genug Herausforderung.

RS: Es gab ganz viele Kollegen, die gesagt haben: „Macht doch Bonustracks auf Englisch oder Holländisch noch extra dazu, die ihr selbst singt“. Wir haben aber genau das nicht gewollt, auch wenn die Idee an sich toll war. Wir haben auch genügend Arbeit auf der Bühne, so dass wir das nicht noch zusätzlich machen müssen.

KH: Es ging uns ja auch darum, das Stück zu präsentieren und nicht uns. Wir verstehen unsere Arbeit an ‚Rosenblätter‘ als Alternative zu unserer Arbeit als Darsteller, als Chance, wirklich einmal etwas Eigenes zu schaffen.

RS: Es ist eine tolle Erfahrung, auf eine ganz andere Weise kreativ beschäftigt zu sein. Darsteller zu sein, ist eine sehr intensive Erfahrung. Ich würde nichts anderes machen wollen. Aber das Schreiben ist auf eine ganz andere Art intensiv. Man steht wirklich wie die Auorin vor dem Problem, wie man sein Stück aufbaut. Wir beide haben bereits ein neues Stück in Arbeit, mit dem wir angefangen haben und über das wir noch nichts sagen können. Wir sind jetzt schon ein Jahr mit dem Aufbau des Stückes beschäftigt und immer noch bei den ersten fünf Szenen. Bei ‚Der Klang des Meeres‘ hatten wir so viele Geschichten, die durcheinander liefen. Es fiel uns sehr schwer, hinterher all das zusammenzubauen, was wir an Material besaßen.

KH: Die Dramaturgie stimmte dort noch nicht so richtig. Ich wusste nicht, auf wen ich mich konzentrieren soll beim Zuschauen. Ganz viele Erzählstränge liefen parallel, was im Buch hervorragend funktionierte. Auf der Bühne gibt es aber eine ganz andere Sehgewohnheit. Wir haben viel aus dieser Erfahrung mit ‚Der Klang des Meeres‘ gelernt.

Deshalb haben wir auch bei ‚Rosenblätter‘ sofort gesagt: Nein, wir beschränken uns…

RS: …auf drei Personen und bauen das auf. Auch bei ‚Rosenblätter‘ dauerte es schon ein bis eineinhalb Jahre, bevor wir überhaupt etwas aufgeschrieben haben.

KH: Vorher haben wir einfach immer wieder drüber gesprochen, um herauszufinden, welche Szenen uns wichtig sind, die wir genauso haben wollen. Wo sind diese Schlüsselstellen?

RS: Da heißt es auch überlegen: Wo baust Du Lieder ein? Es ist eigentlich wie bei Michael Kunze, der auch sein Konzept des ‚Storyarchitekt‘ hat. Wie baue ich meine Geschichte auf? Wie muss der Spannungsbogen laufen? Wo passt etwas rein? Man will ja am Anfang nicht schon alles verschenken und dann kein Ende mehr haben. Es ist ungeheuer viel Arbeit. Ich glaube, seit ich auf der Schule war…Es ist sehr viel Denkarbeit und langweilig werden darf es auch nicht.

KH: Man darf am Ende die Arbeit auch nicht spüren. Es muss aussehen, als sei das mal eben so entstanden. Das ist jetzt ähnlich wie beim Darsteller – wenn ich sehe, dass er sich anstrengt, dann schalte ich als Zuschauer ab. Erst wenn ich empfinde ‚der hat alles voll im Griff‘, kann ich mich darauf konzentrieren.

RS: Wir haben das Glück, viele Darstellerkollegen zu kennen. Auch Regisseure kennt man. Als das Stück fertig war und wir noch meinten, dass irgendwas fehlt; keine Ahnung, was,…

KH: …da haben wir einfach Leuten, denen wir vertrauen, das Script geschickt und sie nach ihrer Meinung gefragt. Dann bekamen wir Feedback. Manchmal haben wir gesagt: Das haben wir bewusst so gemacht, das lassen wir so. Bei anderen Sachen wieder, haben wir gedacht: Da hätten wir auch selbst drauf kommen können.

Manches sieht man nach so langer Zeit Arbeit an einer Sache einfach nicht mehr. Wir haben gerade das Booklet fertiggestellt und hatten da auch unendlich viele Interpunktionsfehler. Da braucht man jemanden, der noch mal darüberschaut und das sieht, was man selbst nicht mehr sieht.

10 Lieder und ein Prolog

CD Cover »Wenn Rosenblätter fallen«

CD Cover »Wenn Rosenblätter fallen«

KH: ‚Wenn Rosenblätter fallen‘ hat jetzt zweieinhalb Jahre gedauert bis zur Produktion der CD.

RS: Und bis zur eigentlichen Produktion, für die es schon Pläne gibt, wird es noch einmal seine Zeit dauern. Da muss man Termine und Probenzeiten bedenken. Welche Cast wird es letztendlich werden? Es ist schon schwierig, Leute wie Pia dann auch sechs Wochen für Proben zu bekommen, oder zumindest vier Wochen Probezeit und dann die Spielzeit selbst. Es existieren es noch keine konkreten Pläne, aber es gibt schon Gespräche für eine konzertante Aufführung. Technisch gesehen brauchen wir für das Stück ein Bett, einen Tisch und einen Stuhl, um es mal so zu sagen; vielleicht noch eine Wand und eine Tür. Das reicht.

KH: Man braucht keinen Hubschrauber. (lacht)

RS: Das Stück ist ja auch ein Einakter, der etwas 1 Stunde 25 Minuten dauern wird, ungefähr so wie ‚Last 5 Years‘ (Jason Robert Brown) oder ‚Bleib noch bis zum Sonntag‘ (Andrew Lloyd Webber & Don Black). Wir haben uns gedacht, eine Pause passt irgendwie nicht in dieser Geschichte, zum einen, weil man herausgerissen wird, zum anderen ist die Geschichte in gewisser Weise intim.

KH: Wir haben auch keinen Zeitpunkt gefunden, an dem es passen würde, die Geschichte irgendwie zu unterbrechen, um dem Zuschauer zu sagen: So jetzt müsst ihr 20 Minuten aushalten, bis es endlich wieder weiter geht. Das ist mit einer Pause so eine Sache. Wir wollten, dass das Stück seinen Fluss nicht verliert. Dann kann man die Sache nicht überstrapazieren und drei Stunden machen. Der Text- und Liedanteil im Stück wird in etwa Hälfte / Hälfte liegen.

RS: Auf der CD werden alle Songs zu hören sein: 10 Songs und ein Prolog.

KH: Und wir haben uns bei der CD dafür entschieden, die szenischen Sprechteile herauszulassen. Auf der Bühne haben wir oft eine Strophe und dann wieder Szene, bevor der Song weitergeht. Auf der CD werden die Songs als ganze Lieder zu hören sein, ohne Unterbrechung. Das entspricht auch meiner ganz persönlichen Hörgewohnheit. Ich mag es lieber, wenn ein Lied auf CD durchzuhören ist und nicht Stückchen für Stückchen. Bei einer Gesamtaufnahme ist das natürlich etwas anderes.
Wir haben schon beim Schreiben gesagt, wir wollen erstmal einzelne Songs schreiben, die jederzeit auskoppelbar sind. Dann kann man immer noch sehen: Was kann man damit machen? Wie kann man sie wieder auseinanderziehen? Oder wo passt wirklich Theatermusik, die etwas unterstützt? Und wo reicht letzten Endes einfach ein schönes Lied?

Ich finde es persönlich sehr schade, dass es keine originäre Musicalmusik mehr gibt, die einfach mal nur aus einem schönen Lied besteht. Es sind zur Zeit entweder fast nur compilation songs draußen, oder es sind Sachen, die sich am Broadway Standard von vor 40 – 50 Jahren orientieren. Nur damals gehörte das dort einfach zur Schlagermusik, es war populäre Musik. Cole Porter wurde rauf und runter im Radio gespielt. Dass es heute diese Trennung gibt, finde ich sehr schade. Irgendwie ist ein eigener Musikstil entstanden, der doch irgendwie zurückhängt.

Es gibt nur wenige Komponisten, die sich trauen, auf den aktuellen Musikzug aufzuspringen, wie ‚Spring Awakening‘ oder auch ‚Rent‘ oder damals ‚Hair‘, die den Zeitgeist eingefangen haben. Es ist schade, dass es Ausnahmen bleiben.

MC24/UM: Gerade diese Musicals haben ja jedesmal regelrecht einen Skandal ausgelöst. Denken Sie beide, der Grund war, dass sie erstmals Themen ansprachen, die bisher tabu waren?

RS: Ja! Auch ‚Jesus Christ Superstar‘ war so ein Skandal am Broadway — wegen seines Themas. Wir sind auch schon gespannt, wie ‚Wenn Rosenblätter fallen‘ mit seinem Thema beim Publikum und bei den Kritikern ankommt. Wir sind der Meinung, die Geschichte eignet sich einfach hervorragend für ein Musical, genauso übrigens, wie sich auch ‚Jesus Christ Superstar‘ hervorragend für ein Bühnenstück eignete. Kein Mensch würde es denken, aber die haben es damals probiert und es hat funktioniert.