Christian Struppeck und Andreas Gergen sind ein eingespieltes Team. Die beiden haben zusammen schon einige erfolgreiche Produktionen auf Berliner Bühnen (Schlossparktheater, tribuene) gestellt.
Mit ‚Irma la douce‚ knüpfen Christian Struppeck und Andreas Gergen an die Zusammenarbeit mit Katharine Mehrling und der tribuene beim Musical ‚Piaf‘ an. Hier wie dort spielt die zierliche Solistin mit der charakteristischen Stimme die Titelrolle. Das Stück ‚Irma la douce‘ wurde 1956 von einer kleinen Schauspieltruppe für das Théâtre Gramont kreiert. Dort lief es vier Jahre vor ausverkauftem Haus. Das kleine Pariser Theater war fast überfordert mit der großen Resonanz. Dann wurde ein Londoner Produzent aufmerksam und brachte ‚Irma la douce‘ in einer neuen Fassung zuerst ans Westend und dann an den Broadway. ‚Irma la douce‘ ist das erste französische Musical, das den Sprung über den großen Teich schaffte.
Wir haben Andreas Gergen und Christian Struppeck zur Neuinszenierung von ‚Irma la douce‘ befragt.
Katharine Mehrling ist ‚Irma‘
MC24: Wie kam es zu Ihrer Zusammenarbeit mit Katharine Mehrling und der tribuene?
CS: Es macht einfach in jeder Hinsicht Sinn.
AG: Wir tragen uns schon länger mit der Idee, ‚Irma la douce‘ mit Katharine Mehrling auf die Bühne zu bringen.
CS: Katharine Mehrling hat hier auch im Musical ‚Piaf‘ gespielt. Wir wollten gerne etwas mit ihr gemeinsam machen. Da lag es nahe, daran anzuknüpfen. Zumal ‚Irma la douce‘ ja auch die gleiche Komponistin hat.
Anmerkung der Redaktion: Die Komponistin Marguerite Monnot schrieb die Musik für ‚Irma la douce‘ lange vor ihrer festen Zusammenarbeit mit Édith Piaf.
AG: Und nun dürfen wir unsere Interpretation hier in der tribuene endlich in die Tat umsetzen.
MC24: Katharine Mehrling singt als ‚Irma‘ Kompositionen von Marguerite Monnot, der Verfasserin der großen französischen Chansons. Sind alle Dialoge und Liedtexte im Stück deutsch?
CS: Ja. Es ist eine komplett deutsche Fassung, die wir auf die Bühne bringen.
AG: Allein „Dis-Donc, Dis-Donc“ enthält einen französischen Teil, den wir Katharine Mehrling mit ihrem französischen Flair in Französisch gelassen haben. Ansonsten ist das Stück komplett in Deutsch.
MC24: Sie beide sagten ja schon, dass Katharine Mehrling ‚Édith Piaf‘ im Musical sehr erfolgreich verkörpert hat. Und wie wir eben hören durften, ist der Édith-Piaf-Klang durchaus hörbar im Stück …
AG: Katharine kann diesen Klang sogar noch mehr erzeugen. Sie nimmt sich als ‚Irma‘ hier eher zurück. Irma ist eine eigenständige Figur und soll auch nicht wie Édith Piaf klingen. Insofern hat Katharine da etwas ganz Eigenes gefunden. ‚Irma la douce‘ ist ein schräges Stück, mit nur einem Mädchen, auf das hin das Stück gewissermaßen ausgesucht wurde.

Ausschnitt aus ‚Irma La Douce‘, im Mittelpunkt Katharine Mehrling als ‚Irma‘, links vorne Andreas Gergen als ‚Nestor‘ – Foto: United Musicals
Schräge Bühne
MC24: Wenn wir uns das Bühnenbild anschauen, so fällt die geneigte Bühne auf und wenige Requisiten. Die Bühne scheint auf das Wesentliche reduziert?
AG: Ja. Die Bühne ist reduziert auf die Leute, die da drauf sind. Nicht nur die Bühne ist schräg, sondern auch das, was auf ihr stattfindet (lacht). Es ist ein bestimmter Stil, den wir hier verfolgen. Man kann es auch gerne mit Bertolt Brecht vergleichen, beispielsweise in Richtung auf ‚Die Dreigroschenoper‘ hin. Alles, was wir an Szenen und Gegebenheiten spielen, wirkt auf diesem Brett tatsächlich sehr vorgeführt und präsentiert. Es ist spannend und, wie ich glaube, tatsächlich anstrengender als mit Kulissen und dem Rest. Was sie schon an Atmosphäre zaubern, das müssen wir auf der Bühne dann alles komplett liefern. Wir müssen durch unser Spiel die Räume erst entstehen lassen. So ist auch die Fantasie des Zuschauers viel mehr gefordert. Und wir mussten bestimmte Mittel finden, die Geschichte so zu erzählen.
Anmerkung der Redaktion: Andreas Gergen steht in der gemeinsamen Produktion in der Rolle des ‚Nestor‘ auch selbst auf der Bühne.
CS: Es hat uns beiden großen Spaß gemacht, die Geschichte genauso zu interpretieren. Wir haben das im Buch auch so gelesen und später ganz alte Fotos gefunden – von der Originalversion – die auch ein bisschen daran erinnern, dass das Stück ursprünglich sehr reduziert war. Es wird oft anders gemacht, und es macht deshalb gerade Spaß, das einmal neu und anders zu interpretieren – optisch.
AG: Und damit im eigentlichen Sinn. Denn es gibt auch die Meinung: Wenn man die Kulissen und die ganzen Orte eins zu eins auf die Bühne bringt, dass ein Theaterstück dann auch ein wenig an Reiz verliert. Und das gilt insbesondere bei einem Stück wie ‚Irma la douce‘. Weil es ja schon an sich sehr märchenhaft ist. Wenn man es eins zu eins überträgt, dann könnte es kitschig werden.
CS: Das wollten wir auf gar keinen Fall, dass es kitschig wird. Es ist eine Farce und auch als solche gedacht. Man kann es nicht wirklich eins zu eins umsetzen. Das ist gerade der Charme des Stückes, dass es in der Rückblende als ein Märchen von Bob erzählt wird. Wenn man das Buch liest, dann sieht man auch, dass es so gemeint sein kann.
Die Botschaft
MC24: Dann liegt ein Großteil Interpretation beim Publikum?
AG: Ganz genau! Das meint auch, zu erkennen, was die Essenz ist. Denn eine Message gibt es in jedem Fall auch in dem Stück. Es geht darum, dass Irma hin und hergerissen ist. Da ist ihr großer Traum, aus dem Milieu herauszukommen und doch eine Familie zu gründen. Trotzdem gibt es ihr Alltagsgeschäft und wie sie damit umgeht. Damit verdient sie ihr Geld. Irma geht wie selbstverständlich mit dem Milieu und ihrem Beruf um. Und in diesem Zwiespalt muss sie ihren Weg finden.
CS: Und beide verstellen sich, Irma, aber auch Nestor, der ihr vorspielt, ein Anderer zu sein. Es ist die Frage, wie weit geht man dabei? Irma verstellt sich auch, indem sie sich selbst vormacht, dass es kein Problem ist, Beruf und Beziehung unter einen Hut zu bringen. In dieser Hinsicht macht sie während des Stückes auch eine Entwicklung durch. Sie erkennt, dass beides nicht geht. Und er im Laufe der Handlung, dass er das so nicht akzeptieren kann.
MC24: Ist sie am Ende wirklich bereit, aus dem Milieu auszusteigen?
CS: Ja, ja! Sie ist bereits auszusteigen, aber sie träumt nicht davon, das Milieu zu verlassen, weil sie es so schrecklich finden würde. Sie ist bereit, es aufzugeben für eine Beziehung. Das ist ja auch der Charme des Stückes, dass Irma das Milieu als ihren Beruf bezeichnet. Ihr Gewerbe wird eigentlich im ganzen Musical wie ein normaler Beruf behandelt. Das ist charmant, und gleichzeitig bezieht das Stück daraus seine Komik. Irma ist bereit, das Milieu aufzugeben, so wie jemand sagen würde: Wenn ich jetzt einen tollen Mann finde, dann würde ich aufhören zu arbeiten. Sie sagt nicht, sie muss dem Milieu entfliehen, weil sie da im Elend lebt. Das ist ja nicht so. Sie führt ein gutes Leben und sie mag das, was sie tut auch.
Sie sagt vorher auch ganz klar: „Ich muss doch in der Lage sein, meinen Mann zu ernähren. Wie sieht denn das aus? “ Die Komik entsteht daraus, dass alles umgedreht wird.
AG: Der Mann darf gar nicht arbeiten gehen. Das würde sie als Verletzung ihres Ehrenkodexes verstehen und befürchten, dass die anderen Kolleginnen auf sie herabsehen. Weil sie nicht genügend Kunden mehr hat. (lacht laut)
Alleskönner
MC24: Und andererseits kommt Nestor auf Idee, ihr einziger Freier zu werden, weil er eben das nicht ertragen kann, dass sie andere Freier hat?
CS: Ja, er wird ihr reicher Millionär. Sie hatte schon einmal so einen und das erzählt sie ihm. Und dann kommt er auf die Idee, dass er das vielleicht selbst sein kann, indem er es ihr vorspielt. Dafür muss er nachts arbeiten, um das Geld zu verdienen – heimlich und kommt in große Schwierigkeiten.
MC24: Er hat sozusagen erhebliche logistische Probleme …
CS: Das ist der Kern des Stückes. Es läuft eben schon seit vielen Jahren sehr erfolgreich. Und wir haben bei den Proben festgestellt , dass dieses Stück zu recht so eine Zugkraft besitzt. Es ist in der Grundkonstruktion einfach unheimlich raffiniert ausgedacht.
MC24: Könnte man es wegen dieser spannenden Grundkonstruktion auch in eine andere Zeit übertragen?
CS: Absolut ja. Wir haben das Stück auch jetzt sehr aufgefrischt und gekürzt. Es gibt neue Arrangements, auch tolle neue Tanzarrangements von Danny Costello (Choreograph).
Man darf das Stück ja nicht vollkommen ändern, sondern muss dem Buch treu bleiben. Wir haben die Handlung aber stark gestrafft und gerade musikalisch sehr aufgewertet. Die ganzen Chöre, die wir auf der Bühne haben, gibt es so im Original eigentlich nicht.
MC24: Sie meinen den Chor, der gleichzeitig das Milieu bestimmt und als grandiose Tänzer Katharine Mehrling begleitet?
AG: Ganz genau!
CS: Und der war sehr schwer zu finden. Die Cast ist ganz bewusst so ausgesucht: Es sind Leute, die alle drei Sparten exzellent beherrschen, die Sänger, Tänzer und Schauspieler sind. Und wir haben ganz tolle Leute gefunden.
AG: Nico Gaik oder Frank Brunet. Das sind alles Granaten, die in allen Bereichen versiert sind.
CS: Das war eine Grundidee für die Umsetzung. Dass man solche Leute findet, die wunderbar einen vierstimmigen Satz singen und trotzdem ‚Dis -Donc‘ so tanzen können. Wir haben eine sehr starke Cast. Und das ist ganz wichtig. Es ist wie bei den Off-Broadway-Stücken. Kleiner heißt ja nicht, dass sie nicht so gut singen oder nicht so gut tanzen können. Der Reiz ist die Kombination: große Nähe zur Bühne und Sänger, die toll klingen, die aber auch exzellent tanzen und grandios spielen.
MC24: Und als Zuschauer ist man ganz hautnah dabei. Die Bühne hat ja im Grunde gar keine direkte Abgrenzung.
CS: Ganz genau. Wir ziehen die Bühne in den Zuschauerraum.
AG: So sitzen die Darsteller an der Seite, ziehen sich zum Teil dort um, verfolgen wie der Zuschauer die Szenen. Es ist unsere Idee gewesen, dass wir wie zum eigenen Vergnügen dem Zuschauer das dann so vorführen.

Ausschnitt aus ‚Irma La Douce‘, im Mittelpunkt Katharine Mehrling als ‚Irma‘, von links: Sebastian Schmulders, Nico Gaik, Frank Brunet, Alex Friese und vorne Juan Mochales – Foto: United Musicals
Von der Idee zur Umsetzung
MC24: Nachdem Sie uns so viel Spannendes zur Inszenierung erzählt haben, zum Abschluss noch eine Frage: Wie lange dauert es eigentlich von der ursprünglichen Idee bis zur fertigen Umsetzung?
CS: Bei Irma war die Zeit sehr kurz, ganz kurz…wir haben hier in Berlin den Vorteil, dass wir unser Team und den guten Kontakt haben.
AG: Zweieinhalb oder höchstens drei Monate hat es gedauert von der Idee bis zur Umsetzung, inklusive Casting.
MC24: (mit ungläubigem Blick) Nicht wirklich, oder?
CS: Doch doch. So lange hat es gedauert, die Arrangements zu schreiben und alle zu arrangieren. Das war jetzt aber wirklich sehr kurz und irgendwie Zufall. Man trat von der tribuene aus an uns heran. Könnt ihr das ganz schnell auf die Beine stellen. Und das haben wir (grinst).
MC24: Wir dachten, das dauert mindestens ein halbes Jahr.
AG: Noch besser ist ein Jahr. Ich empfinde es als großes Geschenk, jetzt mit dem ‚Grafen von Monte Christo‘, der nächstes Jahr auf die Bühne kommen wird, dass ich mich in Ruhe und langfristig mit den Kreativen darauf vorbereiten kann.
CS: Wir beide haben natürlich hier unser eingespieltes Team. Sie sind alle in Berlin und wir haben schon einige Stücke miteinander auf die Bühne gebracht. Ich gebe trotzdem zu: Es ist schon ein bisschen ungewöhnlich.
Nach den heutigen Eindrücken freuen wir uns schon auf das ganze Stück. Herzlichen Dank für die spannenden Einblicke in Ihre Ideen!
Das Interview führten Barbara Kern und Sylke Wohlschiess.
Inzwischen hat die von Publikum und Regionalpresse umjubelte Premiere stattgefunden. Wir wünschen ‚Irma la douce‘ eine lange, erfolgreiche Spielzeit in Berlin.