Man muss ganz da sein

Maike Boerdam-Strobel, Wietske van Tongeren und Carsten Lepper zu »Into the Woods« in Bozen

Kurz vor der Derniere fragten wir das ‚Bäckerspaar‘ Carsten Lepper und Maike Boerdam-Strobel sowie ‚Das Aschenputtel‘, Wietske van Tongeren, nach ihren Erfahrungen mit Sondheims Musical ‚Into the Woods‘.

Maike Boerdam-Strobel, Carsten Lepper, Wietske van Tongeren Foto: United Musicals

Maike Boerdam-Strobel, Carsten Lepper, Wietske van Tongeren
Foto: United Musicals

DAS ETWAS ANDERE STÜCK

um: Wie würdet Ihr jemandem, der das Stück nicht kennt, erklären, worum es geht?
MBS: Ich denke, es ist ein Ausnahmestück und die Chance, ein Musical zu sehen, das komplett anders ist als alles, was man kennt. Es hat nichts gemein mit den meisten Andrew Lloyd Webber-Stücken. Ohne das jetzt negativ zu meinen, es handelt sich um kein ‚durchschnittliches Musical‘. Es ist einfach anders – auch von der Musik her. Um es zu verstehen, ist die Aufmerksamkeit des Zuschauers gefragt. Man muss ganz da sein.
CL: Ja, es ist anspruchsvoll.
WVT: … eben Musiktheater.
MBS: Trotzdem macht es jedes Mal solchen Spaß, die ganzen drei Stunden durchzuspielen. Deshalb glaube ich nicht, dass die Leute müde werden, wie vielleicht bei schwerem Theater zuweilen.
CL: Ich bin schon mehrfach gefragt worden: ‚Ab in den Wald, was ist denn das für ein Titel?‘ Leuten, die so fragen, erzähle ich immer: ‚Es ist eine Musicalcomedy, in der viele verschiedene Märchen‘ — denn die meisten kennen ‚Rotkäppchen und der böse Wolf‘, ‚Aschenputtel‘, ‚Rapunzel‘ und Co — ‚miteinander verwoben sind; und zwar in einer sehr komischen Art und Weise.‘ Dann heißt es: ‚Ah, das ist ja interessant …‚ Damit locke ich die Menschen erstmal ins Theater. Wenn ich dagegen sagen würde: ‚Da ist ein Bäckersehepaar‘ und das ganze Drumherum. Dann wären sie verwirrt.
WVT: Die Märchen sind ja auch das Erkennbare. Auf sie kommt das Stück im ersten Akt immer wieder zurück. Auch wenn es anspruchsvoll wird, greift es doch immer wieder zurück auf die Märchen.
MBS: Und es ist vor allem einmal witzig zu sehen, was nach dem ‚ever after‘ (… bis ans Ende aller Tage) geschieht. Es passieren witzige und weniger witzige Sachen. Es ist toll, dass jemand das endlich einmal bedacht hat

DIE FOLGEN

Wietske van Tongeren Foto: United Musicals

Wietske van Tongeren
Foto: United Musicals


um: Dass Wünsche auch Folgen haben, ist das die Funktion des zweiten Aktes?
CL: Genau, das ist die Moral: Beachte das, was Du wünschst, denn Du musst alles andere mitnehmen!
WVT: Alles, was Du tust, hat Konsequenzen.
MBS:
Ich denke, der zweite Akt ist genau das ‚ever after‘ – das Danach, wie es sich Stephen Sondheim gedacht hat.
WVT: Ich glaube, dass der zweite Teil auch damit zusammenhängt,
dass ‚Hans‘ gestohlen hat, wofür er büßen muss. Auch ‚Rotkäppchen‘ ging vom Pfad.
Und ‚Aschenputtel‘ wollte nicht wirklich den Prinzen.
CL: Alle haben etwas Unrechtes getan und müssen im zweiten Akt mit den Konsequenzen leben.
WVT: Die Bäckerin schläft mit dem Prinzen und stirbt danach – das ist auch so eine Folge

CL: Das ist nur richtig.

Carsten Lepper Foto: Unidet Musicals

Carsten Lepper
Foto: Unidet Musicals

(Alle Anwesenden lachen herzhaft)
WVT: Alles hat seine Moral und seine Folgen.
CL: Ja, ‚Into the Woods‘ ist zum Teil sehr moralisch. Uns alle beschäftigte während der Proben die Frage: ‚Warum hat Stephen Sondheim nicht den Prinzen zermatschen lassen?‘
um: Stimmt.
CL: Es ist immer die Frau. Das ist schon interessant.
MBS: Aber der Prinz wird nachher von Aschenputtel verlassen.

Es kommt zu einer Aufzählung der Charaktere, die im Laufe des Stückes sterben müssen. Es sind nur Frauen — so stellt man gemeinsam fest: ‚Riesin‘, ‚Bäckersfrau‘, ‚Mutter von Hans‘, ‚Großmutter‘ und ‚Mutter von Rotkäppchen‘ …

MBS: Ja, das sind die Folgen der Emanzipation (trocken).
WVT: Ich glaube dennoch, das ist Zufall.
CL: Nö, das glaube ich nicht. Es liegt am Verhältnis des Komponisten zu den Frauen, denke ich.
MBS: Frag Stephen Sondheim — ich bin gespannt, was er antwortet.
WVT: Genau …
CL: Ich glaub‘, ich weiß die Antwort schon (grinst).

TAKTE

um: Stephen Sondheims Musik gilt nicht unbedingt als einfach. Ist das Stück musikalisch eine besondere Herausforderung?
Alle drei: Ja!
MBS: Deswegen ist es für Darsteller, speziell wenn du Musical machst, etwas ganz Besonderes, irgendwann einmal mit ‚Into the Woods‘ auf der Bühne zu stehen. Das Stück ist schwer in jeder Hinsicht, schwer zu singen, aber auch schwer von den Texten. Es ist ein Schauspielstück mit ungeheuer schwerer Musik — vor allem aber ein ‚Schauspiel-Stück‘.
CL: Und dann hat es eine Musik, die erstmal so gar nicht ins Ohr geht — auch gerade bei den Darstellern. Ich komme ja ursprünglich aus dem Schauspiel, nicht wirklich aus dem Musical. Und wenn man diese Musik noch nie studiert hat, dann stehst du davor und fragst: ‚Was ist das? 3/4-, 7/8-, 12/16- … -Takt.‘
MBS: Und was für Tonlagen die ganze Zeit? (lacht) So dass du denkst: ‚Also spinnst du, wieso?‘ Aber je mehr man sich damit beschäftigt, desto mehr Sinn macht es.
CL: Das ist ja das Verrückte, es macht dann wirklich Sinn.

17 CHARAKTERE

um: Wie empfindet Ihr als Solisten das Singen im Chor? Das kommt doch eher selten im Musical vor.
CL: Stimmt schon, aber gelernt haben wir es natürlich alle.
WVT: Das finde ich besonders schön.
MBS: Es macht unheimlich viel Spaß und speziell ‚Into the Woods‘ lebt vom Ensemble, das singt und spielt.
WVT: Für mich ist das das Schönste hier: Regisseur Peter Zeug hat jedem, selbst der kleinsten Rolle, einen eigenen Charakter gegeben. So sind wir ein großes Ensemble auf der Bühne und doch jeder eine Persönlichkeit.
CL: Ja, das ist großartig. Wir sind ein Ensemble, aber es gibt 17 Charaktere.
WVT: Wenn du auf deinen Lebenslauf schreibst, was du gemacht hast — können wir alle sowohl ‚Ensemble‘ schreiben als auch unsere Rolle. Verstehst Du, es ist nicht so: Ich war im Ensemble, ich hatte keinen Namen. Ich war ein Löffel oder eine Serviette. Nein, hier haben wir alle wirklich einen Charakter. Da sagt auch das Publikum: ‚Ah, das war der mit der Flasche. Der immer die ganze Zeit so …‚ Jeder bleibt in Erinnerung, weil er ein Charakter ist.

ALLES AUSPROBIEREN

Nachdenklich: Wietske van Tongeren  Foto: Unidet Musicals

Nachdenklich: Wietske van Tongeren
Foto: Unidet Musicals

um: Es ist ja ganz unterschiedlich, wie Regisseure arbeiten. Manchmal haben sie eine große Vision und diese muss dann bis ins Detail zusammengesetzt werden von den Darstellern. Und dann wieder kann der Darsteller anders damit umgehen, vielleicht mehr noch herausholen aus sich selbst. Wie ist das bei Peter Zeug? Sie, Carsten, haben ja mit ihm schon gearbeitet.

CL: Ja, bei ‚Kuss der Spinnenfrau‘, aber das war eine ganz unterschiedliche Arbeit. So, wie ich ihn hier erlebt habe, habe ich ihn bei ‚Kuss der Spinnenfrau‘ nie erlebt. Hier hat Peter Zeug für meinen Begriff erst einmal sehr choreographisch gearbeitet, sehr auf Punkt, auf Pointe, und sehr genau am Text. Und dann, nach zwei Wochen ungefähr, als wir in etwa einmal durch das Stück durch waren, dann hat er uns losgelassen. Dann haben wir probiert. Wie können wir das besser …wie wird das logischer, dass der erste Akt nicht einfach nur eine Farce ist? Damit die Leute es ernst nehmen können und nicht mehr meinen: ‚Das ist einfach nur Komödie und Hahaha‘, sondern …

Ganz dabei: Maike Boerdam-Strobel u. Carsten Lepper Foto: United Musicals

Ganz dabei: Maike Boerdam-Strobel u. Carsten Lepper
Foto: United Musicals

MBS: Peter Zeug hat uns sehr viel Freiheit gelassen.
CL: Ja, sehr viel Freiheit, das ist toll, denn wir konnten alles ausprobieren.
MBS: Zum Glück! Denn das Schlimmste, was du als Schauspieler erleben kannst, ist tatsächlich — für mich zumindest — wenn der Regisseur sagt: ‚Nein, ich möchte, dass Du da stehst, einen Zentimeter weiter links und den Arm so hältst.‘ Das kann ich nicht.
CL: Das geht bei diesem Stück auch gar nicht.
WVT: Und er war so ein ruhiger Mann. Das fand ich herrlich. Es war eine sehr angenehme Zeit und mir war das unheimlich wichtig. Dieses Stück ist wirklich stressig. Schon die Musik erhöht das Stresslevel. Und alles ist ein bisschen komisch und neu. Peter Zeug war ruhig und entspannt. Das übertrug sich.
CL: Und vor allen Dingen: Wir haben so viel gelacht während der Proben. Dieses Stück ist ja schon an sich so absurd, und als wir dann noch mit unseren verrückten Ideen dazu kamen, wurde es noch absurder. Doch irgendwann muss man die Ideen aber auch sortieren, damit es noch das Stück bleibt. Und das ist uns gemeinsam mit Peter Zeug gelungen.
MBS: Wir haben viel Spaß gehabt auch miteinander auf der Bühne
Alle durcheinander: Es war sooo schön!
WVT: Und heute Abend wird es auch wieder so sein … ein letztes Mal.

BOZEN

um: Zum Abschluss – welche Bedeutung hat für Euch die Umgebung des Theaters gehabt? Wie habt Ihr Bozen erlebt?

Im Gespräch Foto: United Musicals

Im Gespräch
Foto: United Musicals

MBS: Ich glaube, wir haben da alle unterschiedliche Meinungen.
WVT: Das glaube ich auch (lacht).
CL: Bozen ist anders. Ich habe das auch schon bei Wien gesagt, aber (grinst) Bozen ist auch anders.
WVT: Ich liebe Bozen und habe mich hier sehr wohl gefühlt.
MBS: Ich liebe die Berge, für eine Holländerin ist das ohnehin ganz besonders. Das einzige war das Wetter.
WVT: Am Anfang war das Wetter doch sehr schön.
CL: Ja, aber da haben wir geprobt … Nein, es ist einfach so, für mich als ‚Flachländer‘ sind die Berge ein bisschen speziell (lacht). Das hat nichts damit zu tun, dass ich Bozen nicht schön finde. Im Gegenteil. Aber ich bin eben nicht wegen der Berge hier. Ich komme hierher wegen des Stückes und des Theaters. Da sind mir die Berge egal.
WVT: Ich finde es einfach schön hier. Weil wir vor allem morgens und abends Proben hatten, war der Mittag frei. Sonst legt man sich dann meist hin, aber hier bin ich bei schönem Wetter spazieren gegangen. Es ist eine so schöne Umgebung.
MBS: Ich bin wirklich unheimlich viel spazieren gegangen, vor allem mit Luca. Ich glaube, es ist echt das Beste für ein Kind, wenn es soviel frische Luft wie möglich bekommt.
CL: Das ist sicher so. Und die Natur hier ist schon einmalig. Vor allem aber war unsere Zeit hier einmalig schön.
Da wir jetzt leider in die Maske müssen, wünschen wir Euch viel Spaß im Stück.
Alle drei:
Genießt den letzten Abend!

um: Vielen Dank für das Interview in dieser netten Dreier-Runde. Die guten Wünsche geben wir natürlich gerne weiter. Genießt ebenfalls Euren letzten Abend und viel Erfolg für alle kommenden Projekte.

Das Interview führte Barbara Kern.