„Deshalb sind wir auch alle da…“ – Interview mit Yngve Gasoy Romdal zu ‚Into the Woods‘

Foto: Sandra Reichel

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Inmitten der schönen Südtiroler Landschaft sprachen wir mit Yngve Gasoy Romdal über seine Doppelrolle bei ‚Into The Woods‘ und die Arbeit in Bozen.

MC24: Sie spielen in Stephen Sondheims Musical ‚Into the Woods‘ eine Doppelrolle.

YGR: Für mich haben beide Figuren, der ‚Wolf‘ und ‚Aschenputtels Prinz‘ den gleichen Grundcharakter. Man könnte sagen, sie folgen dem gleichen Trieb. Ich versuche, die Typen so glaubwürdig wie möglich zu spielen. Dafür aber müssen sie etwas überspitzt dargestellt werden. Und das ist für mich die besondere Herausforderung an der Sache. Wenn man es ganz naturalistisch spielt, funktioniert es nicht. Wenn man ganz normal spricht, funktionieren die Sätze nicht. Die Texte sind sowas von abgehoben. Und wenn der Typ, den ich spiele, nicht herüberkommt, dann wird nicht deutlich, was die Sätze meinen. Es macht mir unheimlich Spaß. So etwas habe ich bisher noch nie gemacht. Ich habe auch schon etwas in Operetten in diese Richtung gespielt, aber da habe ich trotzdem realistisch gespielt. Realistisch in einer anderen Zeitepoche, aber realistisch. Hier besteht die Schwierigkeit darin, dass die Darstellung überhöht wirken, aber trotzdem im Geschehen auf der Bühne verankert sein muss. Im Vergleich zu dem Bäcker (gespielt von Carsten Lepper) und der Bäckerin (gespielt von Maike Boerdam-Strobel), die naturalistisch wirken sollen. Aber das Ganze hier, und ich glaube, für alle sprechen zu können, ist einfach ein großes Geschenk. Hierbei mitzumachen. Bei so einem Stück. Deshalb sind wir auch alle da …

MC24: Wie sehen Sie das Verhältnis des Prinzen zu Aschenputtel (gespielt von Wietske van Tongeren)?

YGR: Ich finde das spannend. Es ist ziemlich einfach erzählt und doch unheimlich interessant geschrieben. Es gibt ja solche Männer und auch Frauen. Eigentlich kennen wir das doch alle. Wir glauben, wir haben das große Los gezogen. Aber in dem Moment, wo man es dann hat, verliert es seinen Reiz. Das ist Gottes Fluch auf viele von uns. Das gilt natürlich mehr, wenn man jung ist, als wenn man schon erwachsen ist. Aber das Intellektuelle ist eigentlich eine Sache des Dramaturgen und des Regisseurs.

Foto: Sandra Reichel

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Konzeption und Komposition

MC24: Welche Arbeitsweise zeichnet Regisseur Peter Zeug aus? Haben Sie schon einmal mit ihm gearbeitet? 

YGR: Ja, wir haben Konzerte zusammen gemacht in Dortmund, gemeinsam mit Wencke Myhre. Aber da habe ich ja nur gesungen. Hier bin ich jetzt sogar Tänzer geworden (grinst). Peter Zeug weiß sehr genau, was er will. Er hat ein genaues Konzept und seine eigene Vorstellung von den Typen, die er auf die Bühne stellt. Innerhalb dieses Grundgerüstes hat man dennoch genügend Freiheit für den eigenen Ausdruck. Auch fanden über die Probenzeit Veränderungen und Anpassungen der Typen statt. Peter Zeug ist ja selbst ein wunderbarer Schauspieler und Tänzer. Und so ein Stück ist einfach perfekt für ihn. Denn alle Rollen sind ja fast tänzerisch angelegt. Und sie müssen tänzerisch umgesetzt werden. Das liegt auch in Stephen Sondheims Kompositionen.

MC24: Ist die musikalische Interpretation von Stephen Sondheims Musik eine besondere Herausforderung?

YGR: Oh, ja. Man glaubt, es ist eine einfache Melodie und dann kommen die komplizierten Höhen (demonstriert eine solche). Dann sind da die komplizierten Rhythmen und Bögen. Es kommen komische, teilweise schräg anmutende Töne vor. Außerdem singen wir mehrstimmig mit großem Tempo und Rhythmuswechseln im Chor wie in der griechischen Tragödie. Stephen Sondheim ist einfach ein Genie. Was er alles geschaffen hat. Dazu kommt, er ist durch und durch Theatermann. Seine Stücke sind hintergründig. Nichts ist, wie es scheint. Es gibt noch ein Stück von ihm, das ich unheimlich gerne einmal machen würde: ‚Sweeney Todd‘. Das ist ja jetzt gerade auch durch die Verfilmung sehr präsent. Und es wird überhaupt viel gespielt, erst vor zwei Jahren an der Komischen Oper in Berlin. Aber auch Stephen Sondheims ‚Sunday in Park with George‘ ist ein Traum.

Foto: Sandra Reichel

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Weisheit

MC24:  Muss man eine gewisse Reife besitzen, um das Stück zu sehen?

YGR: Ja, ich denke, man muss. Kinder von 4 bis 12 etwa, die nehmen es gleich so. Bei Jugendlichen ist es ein bisschen schwieriger, denke ich. Sie haben nicht mehr den unmittelbaren Zugang zu Märchen. Und wenn man erwachsen ist und etwas Erfahrung mit Liebe und anderen Dingen hat, dann versteht man mehr … (lacht) Vielleicht Frauen mehr als Männer …

MC24: Weshalb?

YGR: Ich weiß nicht. Ich habe dieses Gefühl. ‚Into the Woods‘ ist eine komplexe Sache. Über die intellektuelle Seite will ich nicht sprechen. Das ist die Sache des Regisseurs. Aber jedes Märchen ist ja entstanden, weil es uns etwas lehren soll. Weil es eine Weisheit hat. Und ‚Into the Woods‘ ist voll von ihnen. Sie sind verflochten wie in einem griechischen Drama. Das ist sehr spannend.

MC24: Was ist für Sie das Besondere an dem Stück?

YGR: Es ist nicht einfach zu verstehen. Ich sage es ganz ehrlich, wenn ich Zuschauer wäre, hätte ich auch Probleme. Die Geschichte ist schon sehr verworren. Speziell der zweite Akt ist schwierig. Da geht es ein bisschen sehr in die Tiefe. Auch das Tempo in der Musik. Alles wird sehr schwer.

MC24: Wir haben in den Pausen während der Vorstellung immer mal gehört: „Warum ist es nicht nach dem ersten Akt zu Ende?“ Wie sehen Sie die Funktion des zweiten Aktes?

YGR: Er ist schwierig und sehr dicht. Die Riesen können ja für alles stehen. Das kann eine Krankheit, Todeskrankheit, Krebs sein. Es kann ein Kernkraftwerk, ein Tschernobyl sein. Es kann Krieg meinen oder Fanatismus. Die Riesin kann ja alles mögliche sein, was die Menschen bedroht. Man muss offen sein, um das zu verstehen. Es ist nicht einfach für Zuschauer, denke ich mir, wenn sie sich nicht vorher mit dem Stück beschäftigt haben. Ich würde auch Schwierigkeiten haben, manches einzuordnen. Es ist schön, wenn man merkt – so wie jetzt in unserem Interview – dass der andere sich Gedanken gemacht hat.
Für mich ist es auch ganz besonders, das Stück zu spielen. Ich wurde gefragt, das ist Ewigkeiten her, ‚Jack/Hans‘, in Schweden zu spielen. Und dann musste ich absagen, weil ich den ‚Raoul‘ im ‚Phantom der Oper‘ spielte, in Oslo. Dann wurde ich gefragt, als sie es in Klagenfurt auf die Bühne brachten. Wieder musste ich absagen. Jetzt hat es endlich geklappt (strahlt).

Foto: Sandra Reichel

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Theaterlager Bozen

MC24: In ‚Into the Woods‘ spielen ja viele Darsteller aus den Niederlanden, Deutschland, aber auch aus Südtirol mit. Wie empfinden Sie die Zusammenarbeit mit den Kollegen?

YGR: Es ist einfach wunderbar. Wir sind wie Gaukler, die an diesem schönen Ort ein paar Wochen miteinander spielen dürfen. Es wird gespielt oder es wird gefeiert. Und es wird gelacht. Wir genießen das alle sehr. Es ist herrlich, so wie ein Theaterlager. Wir sind arbeitend im Urlaub. Leider war ja das Wetter nicht das beste. Normalerweise ist hier Sommer ab März. Und wir hatten ein paar Tage, wo es echt schlimm war mit dem Wetter. Deshalb haben wir leider in Bozen nicht viel unternehmen können. Aber schön sind die ‚Veneziani‘, diese roten Getränke, die wir alle trinken, weil es so gut schmeckt. Es ist so eine rote Sache, mit Wein und dann ist darin dieser … Aperol. Das mischt man dann. Es ist nicht stark, aber es schmeckt sehr lecker.*(siehe unten)

MC24: Ist es etwas Besonderes, an den Vereinigten Bühnen Bozen zu arbeiten?

YGR: Es ist einfach die Umgebung. Aber es ist auch etwas besonders Schönes an diesem Theater zu arbeiten. 80% der Leute, die an diesem Theater arbeiten, kommen aus der Umgebung. Die arbeiten anders. Sie arbeiten normalerweise mit anderen Sachen. Und machen das in ihrer Freizeit. So ergibt sich eine herrliche Atmosphäre. Es ist wie ein Festival. Und wir fühlen auch ein wenig, dass wir etwas Wichtiges machen. Wir wussten, als wir angefangen haben, dass es nicht einfach ist, dieses Stück zu spielen. Das hat auch der Chef gesagt. Aber es ist wie eine Pflicht, es zu spielen. Und man muss auch Zuschauer erziehen, finde ich. So wie man im Theater und der Musik – so muss man auch im Musiktheater die Zuschauer erziehen. Damit man weiter kommt. Damit es nicht nur ‚Tralalala‘ ist und ‚Ich liebe Dich und Du liebst mich-Stücke‘ gespielt werden. Ich finde das wichtig, besonders für jüngere Leute. Hier machen sie etwas Phantastisches. Wir haben ja oft um 10:00 Uhr früh für Jugendliche und Kinder gespielt. Und das ist toll. Hier ist es Tradition – es ist jedes Jahr so, dass es genauso viele Vorstellungen für Kinder wie für Erwachsene gibt.

Herzlichen Dank für die spannenden Ausführungen und den Einblick in Ihre Haltung zum Musiktheater. Wir wünschen noch eine schöne Derniere und einen guten Auftakt der Probenzeit in Erfurt.

Das Interview führte Barbara Kern.

* Rezept
Das von Yngve Gasoy Romdal genannte leckere Getränk, der ‚Veniziano‘, besteht aus dem Aperol, einem italienischen Likör (destilliert aus Rhabarber, Chinarinde, Enzian und Bitterorangen) und Weißwein, am liebsten wird Prosecco-Wein verwendet. Das Ganze wird mit Eiswürfeln und einer halben Orangenscheibe in einem großen Weinglas angerichtet.